Das Schicksal der EU hängt maßgeblich von einer erfolgreichen Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ab. Wie Deutschland und Frankreich hier wieder stärker zu einem Motor werden könnten, wissen Ronja Kempin (SWP) und Barbara Kunz (Ifri).
Kurz gesagt, 15.06.2018 ForschungsgebieteDas Schicksal der EU hängt maßgeblich von einer erfolgreichen Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ab. Wie Deutschland und Frankreich hier wieder stärker zu einem Motor werden könnten, wissen Ronja Kempin (SWP) und Barbara Kunz (Ifri).
Am 19. Juni 2018 treffen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sowie Minister aus beiden Ländern zusammen, um ihre Positionen für den Ende des Monats in Brüssel anstehenden Europäischen Rat abzustimmen. Aufgrund zahlreicher Differenzen treten Berlin und Paris jedoch nicht im üblichen Format des »Deutsch-französischen Ministerrates« zusammen. Ihre Beratungen finden in einem protokollarisch weniger formellen Rahmen statt, der beiden Seiten keine konkreten Vereinbarungen und Ergebnisse abverlangt. So fällt auch die Sitzung des »Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates« (DFVSR) aus.
Gesprächsbedarf für dieses Format gäbe es jedoch reichlich. Angesichts einer immer unübersichtlicheren Sicherheitslage und – wie der jüngste G7-Gipfel deutlich machte – dem perzipierten Ende des guten transatlantischen Verhältnisses, ist eine enge deutsch-französische Abstimmung wichtiger denn je. Indes sind dieser Tage die Differenzen zwischen den beiden wichtigsten europäischen Partnern schwerwiegend. Deutschland wurde im September 2017 von Frankreichs Präsident Macron überrascht. Wenige Tage, nachdem die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sich auf Vorschlag Deutschlands dazu bekannt hatten, eine Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (englisch PESCO) in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik einzugehen, schlug Frankreichs Präsident in seiner Sorbonne-Rede eine »Europäische Interventions-Initiative« vor. Diese steht in deutlichem Kontrast zur PESCO, weil in ihr Mitgliedstaaten außerhalb der EU-Strukturen flexibel und anlassbezogen kooperieren sollen. Bundeskanzlerin Merkel wiederrum überrumpelte Frankreich Anfang Juni 2018 mit ihrer Idee, im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einen EU-Sitz einzurichten. Der Vorschlag, bei den Vereinten Nationen mit einer Stimme zu sprechen, befremdete Frankreich, das seinen Sonderstatus als permanentes Mitglied des Sicherheitsrates bedroht sieht.
Ein funktionierender DFVSR hätte die aktuelle Missstimmung zwischen Berlin und Paris abwenden können. Der 1988 durch ein Zusatzprotokoll zum Elysée-Vertrag gegründete Rat sollte mindestens zwei Mal jährlich die Staats- und Regierungschefs sowie Außen- und Verteidigungsministern beider Länder zusammenbringen; auch die höchsten Vertreter der Streitkräfte sind beteiligt. Vorbereitet werden die Treffen durch den Deutsch-Französischen Ausschuss für Verteidigung und Sicherheit. Arbeitsschwerpunkte sind u.a. die Ausarbeitung gemeinsamer sicherheits- und verteidigungspolitischer Konzeptionen, Beschlüsse zu Militäreinheiten, die Deutschland und Frankreich gemeinsam aufstellen wollen, sowie die Entwicklung und Vertiefung der Rüstungszusammenarbeit. Das Gremium soll sicherstellen, dass sich beide Seiten zunehmend in »allen die Sicherheit Europas angehenden Fragen« abstimmen.
Diese DFVSR-Agenda – obgleich heute ebenso zeitgemäß wie vor 30 Jahren – wird von beiden Seiten des Rheins schon lange nicht mehr mit Nachdruck verfolgt. Von den Themen, für die es deutsch-französischer Impulse bedürfte, werden allein die Bemühungen um eine Vertiefung der Rüstungszusammenarbeit nach außen sichtbar. Gemischte Militäreinheiten werden nicht mehr aufgestellt, gemeinsame Manöver sind ein Relikt der 1980er Jahre. Grundsatzfragen der deutsch-französischen Sicherheits- und Verteidigungszusammenarbeit – angesichts eines sich dramatisch wandelnden geostrategischen Umfeldes dringend geboten – bleiben ausgespart.
Doch sollten gerade diese Themen im Zentrum des Gremiums stehen. Um dies zu gewährleisten, ist ein radikaler Umbau des DFVSR notwendig. Der Rat würde deutlich mehr Wirkung erzielen, wenn seine Leitungsstruktur im Elysée-Palast und dem Bundeskanzleramt aufgehängt wäre. Der bilateralen Sonderbeziehung in diesem Themenfeld muss eine gesonderte Stellung zukommen, da Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik maßgeblich für das Schicksal Europas sind. Die Tragweite und Ernsthaftigkeit der Kooperation würde durch die Ernennung von »Beauftragten des DFVSR«, die direkt der Bundeskanzlerin und dem französische Präsidenten unterstehen, zusätzlich unterstrichen. Diese würden die Arbeitsebene in den Außen- und Verteidigungsministerien entlasten, wo der DFVSR wenig beliebt ist: Die Suche nach neuen »Meilensteinen« im bilateralen Verhältnis stört das dominierende Tagesgeschäft mit seinen gut funktionierenden Abstimmungsprozessen.
Die gemeinsame Aufgabe der Beauftragten des DFVSR läge darin, Deutschland und Frankreich strategiefähig zu machen. Dazu müssten die beiden Spitzenbeamten mit Vorschlags- und Kontrollvollmachten ausgestattet sein, ihr Gestaltungsspielraum die gesamte Breite sicherheits- und verteidigungspolitischer Themen umfassen. Ihr Radius wäre damit deutlich weiter als der der »Beauftragten für die deutsch-französische Zusammenarbeit« in den beiden Außenministerien, die lediglich koordinierend wirken. Die strategischen Überlegungen des DFVSR sollten idealerweise Eingang in die Verteidigungsplanungen Deutschlands und Frankreichs finden und den Prozess der Streitkräfteintegration vorantreiben. Ein »1,5 Track«-Format, in dem Regierungsvertreter mit Wissenschaftlern und Think-Tankern zur strategischen Vorausschau zusammengebracht werden, könnte diesen Prozess bereichern. Weitere unabhängige Expertengruppen, die von den Beauftragten des DFVSR einberufen werden, sollten sich den gewichtigsten Stolpersteinen der bilateralen Kooperation zuwenden und damit für eine Annäherung sorgen. Konfliktpotential gibt es etwa bei der Frage nach dem richtigen Verfahren für die Rüstungsexportkontrolle oder der Ausgestaltung des Satellitenkommunikationssystems Galileo.
Schließlich bleibt als langfristige Aufgabe, die strategischen Kulturen Deutschlands und Frankreichs einander anzunähern. Entscheidend ist hier die Beteiligung deutscher und französischer Abgeordneter, die im Rahmen eines DFVSR Plus erfolgen könnte.
Diese Neuaufstellung wäre das Signal, das Deutschland und Frankreich die Sicherheitsbeziehungen mit der gebotenen Ernsthaftigkeit angehen wollen. Im Angesicht der gegenwärtigen weltpolitischen Unsicherheiten sollte sie auf beiden Seiten des Rheins Zustimmung erfahren.
Dr. Ronja Kempin ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Dr. Barbara Kunz ist Wissenschaftlerin am Studienkomitee für deutsch-französische Beziehungen am Institut français des relations internationales (Ifri).
Dieser Text ist auch bei Handelsblatt.com und Zeit Online erschienen.
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