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Das Erbe des UN-Sonderberaters für Lösungen im Bereich Binnenvertreibung

Wie sich das politische Momentum nach Ablauf des Mandats erhalten lässt

SWP-Aktuell 2024/A 55, 30.10.2024, 8 Seiten

doi:10.18449/2024A55

Forschungsgebiete

Im Juni 2022 veröffentlichte der Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN) die »Action Agenda on Internal Displacement«. Sie zielt darauf ab, den Umgang mit Binnenvertriebenen grundlegend zu reformieren. Dafür ist zum einen der Schwerpunkt von kurzfristiger humanitärer Hilfe hin zu mehr entwicklungsorientierten Ansätzen zu verlagern; zum anderen müssen vor allem die direkt betroffenen Regie­rungen bei der Suche nach dauerhaften Lösungen stärker einbezogen werden. Mit der Umsetzung des Aktionsplans wurde ein UN-Sonderberater betraut. Er hat in den vergangenen zwei Jahren positive Entwicklungen in einzelnen Ländern angestoßen und zu einer besseren Koordinierung der mit Binnenvertreibung befassten UN-Orga­nisationen beigetragen. Über das Mandat des Sonderberaters hinaus, das zum Jahres­ende ausläuft, gilt es diese Fortschritte zu sichern. Zu diesem Zweck sollte Deutschland sich unter anderem für nachhaltige Governance-Strukturen einsetzen und dafür werben, dass Binnenvertreibung systematisch in der Entwicklungs- und Klimafinanzierung berücksichtigt wird.

Die Themen Zuwanderung und grenzüberschreitende Flucht sind in der öffentlichen Debatte hierzulande und in anderen EU-Mitgliedstaaten omnipräsent. Deutlich weni­ger Aufmerksamkeit erfahren soge­nannte Binnenvertriebene, also Menschen, die ihren Heimatort unfreiwillig verlassen haben, aber im eigenen Land bleiben (»internally displaced persons«, IDPs). Dabei fallen in diese Kategorie weit mehr als die Hälfte der weltweit rund 117 Millionen Personen, die Ende 2023 auf der Flucht vor Verfolgung, Gewaltkonflikten und Menschenrechts­verletzungen waren. Hinzu kommen Men­schen, die durch Naturkatastrophen und klimawandelbedingte Extremwetter­ereignisse zur Flucht gezwungen wurden. Die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen steigt kontinuierlich an. Ende 2023 wurde mit knapp 76 Millionen Menschen ein neuer Höchststand erreicht.

Anders als grenzüberschreitende Flüchtlinge haben Binnenvertriebene kein An­recht auf internationalen Schutz. Ihre Unterstützung und Versorgung liegt im Verantwortungsbereich der jeweiligen Regierung. Oftmals mangelt es dafür aber an den erforderlichen Kapazitäten oder am politischen Willen. Letzteres gilt insbesondere dann, wenn die staatlichen Akteure selbst Konfliktpartei und damit (mit-)ver­antwortlich für die Vertreibung sind. Vor diesem Hintergrund wird das Gros der Unterstützung meist von humanitären Akteuren übernommen – denen aber gleichzeitig die politische Handhabe fehlt, um auf längerfristige Lösungen hinzuarbeiten. Im Ergebnis bleiben die mit Binnen­vertreibung einhergehenden Einschränkun­gen und Benachteiligungen häufig über Jahre bestehen, und die Abhängigkeit der Betroffenen von humanitärer Hilfe verste­tigt sich. Dies führt nicht nur zu immensen Belastungen des chronisch unterfinanzierten humanitären Systems, sondern stellt auch eine schwere Entwicklungshypothek für die jeweiligen Länder dar.

Herausforderungen auf dem Weg zu dauerhaften Lösungen

Die Handlungsbedarfe im Bereich Binnenvertreibung sind hinlänglich bekannt. Neben akuter Nothilfe ist entscheidend, dass die internationale Unterstützung von Beginn an darauf ausgerichtet ist, dauerhafte Lösun­gen zu schaffen. Grundsätzlich gibt es dafür drei Möglichkeiten: die Rückkehr an den ursprünglichen Heimatort, eine lokale Inte­gration in dem Gebiet, in dem Zuflucht ge­sucht wurde, oder die Ansiedlung an einem anderen Ort. Unabhängig davon, welcher dieser drei Lösungsansätze verfolgt wird, sollte stets sichergestellt sein, dass die mit der Vertreibung einhergehenden Schutz­bedarfe und Diskriminierungen beseitigt werden. Die entsprechenden Aufgaben gehen häufig über das Mandat humanitärer Akteure hinaus. Sie umfassen etwa die Wie­derbeschaffung von Identifikationsdokumenten, die Sicherstellung von Zugängen zum regulären Bildungs- und Gesundheitssystem, die Unterstützung beim Wiederaufbau von Häusern und Infrastruktur so­wie umfassende Friedens- und Versöhnungsarbeit einschließlich der Klärung von Landkonflikten. Die Suche nach Lösungen ist somit ein komplexer Prozess, der Her­ausforderungen in den Bereichen Menschen­rechte, humanitäre Hilfe, Entwicklung, Wiederaufbau, Katastrophenvorsorge und Friedenskonsolidierung mit sich bringt. Er­forderlich ist ein koordiniertes und recht­zeitiges Engagement verschiedener Akteure – ganz im Sinne des Humanitarian-Devel­opment-Peace-Nexus (HDP-Nexus). In der Praxis scheitern dauerhafte Lösungen je­doch regelmäßig an einer Reihe politischer und struktureller Hindernisse.

Fehlendes staatliches Engagement

Grundsätzlich gilt: Dauerhafte Lösungen für größere Gruppen an Binnenvertriebenen sind nur erreichbar, wenn sich die jeweils direkt betroffene Regierung dieses Ziel zu eigen macht und aktiv verfolgt. Ohne ihre Führungsrolle ist das Unterfangen von vornherein zum Scheitern ver­urteilt. Doch genau daran mangelt es oft – gerade langandauernde Binnenvertreibung lässt sich vielfach auf staatliches Ver­schul­den oder staatliche Defizite zurück­führen und ist damit politisch hochsensi­bel. Be­mühungen, internationale Unter­stützungs­angebote in diesem Bereich stär­ker zu verregeln, wer­den von den betref­fenden Regierungen häu­fig als unzulässiger Ein­griff in die inne­ren Angelegenheiten abge­lehnt. Auf Seite der Geberländer wie­derum wird das Thema kaum priorisiert: Anders als bei grenzüberschreitender Flucht sind wohlhabende Staa­ten den Folgen von Bin­nenvertreibung in anderen Weltregionen nicht direkt ausge­setzt. Entsprechend wur­de das Phänomen in zentralen inter­natio­nalen Prozessen lange ausgeklammert. Adäquat abgebildet ist es weder in der UN‑Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nach­haltige Entwicklung noch in den Globalen Pakten für Flucht und Migration.

Unzulängliche Verzahnung internationaler Hilfsmaßnahmen

Eine weitere Herausforderung liegt in der Struktur des internationalen Hilfssystems begründet. Trotz langjähriger Bemühungen um stärkere Synergien folgen der humanitäre und der entwicklungspolitische Sektor weiterhin ihren jeweils eigenen Handlungslogiken und Prioritäten. Das behindert oft die gemeinsame Datenerhebung und ‑ana­lyse, Planung und Programmierung – mit der Folge, dass kurz- und län­gerfristige Unterstützungsangebote im Be­reich Bin­nenvertreibung nur unzureichend mitein­ander verzahnt sind. Hinzu kommt, dass die dritte Säule des HDP-Nexus, die Frie­densförderung, die gerade für dauerhafte Lösungen in Fällen konfliktbedingter Bin­nenvertreibung dringend nötig ist, bisher nur unzureichend umgesetzt wird. Über­dies sind innerhalb des UN-Systems die institutionellen Zuständigkeiten für Bin­nenvertriebene unklar, was zu Mandatskonflikten führt – insbesondere zwischen der Internationalen Organisation für Migra­tion (IOM) und dem Flüchtlingskommis­sariat der Vereinten Nationen (UNHCR).

Finanzierungslücken

Dauerhafte Lösungen sind kostspielig und ohne adäquate finanzielle Ressourcen kaum realisierbar. Die größte Hürde ist da­bei nicht ein zu geringes Gesamtvolumen an humanitären Mitteln. Hauptproblem ist vielmehr, dass die Belange von Binnenvertriebenen in der Entwicklungsfinanzierung nicht ausreichend berücksichtigt werden und es an binnenvertreibungsspezifischen Finanzierungsinstrumenten fehlt. Dies führt dazu, dass viele Betroffene nach dem Auslaufen humanitärer Nothilfe aus dem System fallen und keine ausreichende Unterstützung mehr erhalten – wodurch sich die mit der Vertreibung einhergehenden Benachteiligungen und Vulnerabilitäten zu verstetigen drohen, was im Ergebnis zu langandauernder Binnenvertreibung führt. Innerhalb der internationalen Ge­meinschaft wird eine rege Debatte geführt, ob es zielführender ist, Binnenvertreibung als Querschnittsthema zu behandeln oder dafür eigene Instrumente zu schaffen. Einigkeit besteht aber darin, dass anhaltende Binnenvertreibung gravierende negative Entwicklungswirkungen hat und es daher notwendig ist, mehr Mittel der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) für dauerhafte Lösungen fruchtbar zu machen.

Neuausrichtung des internatio­nalen Engagements

In Reaktion auf diese unterschiedlichen Handlungsbedarfe veröffentlichte der UN-Generalsekretär im Juni 2022 die »Action Agenda on Internal Displacement« (im Fol­genden: Aktionsplan). Sie enthält 31 Selbst­verpflichtungen der UN für verstärkte Maß­nahmen zur Förderung dauerhafter Lösun­gen, zur Verhinderung künftiger Vertrei­bungskrisen und zur Gewährleistung von Schutz und Hilfe für Binnenvertriebene. Um die Umsetzung des Aktionsplans voran­zubringen, wurde das auf rund zweieinhalb Jahre befristete Amt eines UN-Sonderbera­ters für Lösungen im Bereich Binnenvertreibung (im Folgenden: UN-Sonderberater) geschaffen. Zentrale Aufgabe des Amts­inhabers Robert Piper ist es, innerhalb und außerhalb des UN-Systems entsprechende Veränderungen anzustoßen.

Entwicklung konkreter Lösungswege

Eines der Hauptziele des UN-Sonderberaters war es, bis Ende 2024 Lösungswege für bis zu 10 Millionen Binnenvertriebene in 15 Pilotländern zu entwickeln: Afghanistan, Äthiopien, Irak, Jemen, Kolumbien, Libyen, Mosambik, Niger, Nigeria, Somalia, Sudan, Südsudan, Tschad, Vanuatu und Zentral­afrikanische Republik. Auf zahlreichen Reisen in die jeweiligen Länder warb Piper auf hochrangiger Ebene für die Einsicht, dass ein entschiedenes Engagement zuguns­ten dauerhafter Lösungen für Binnenvertriebene eine positive gesamtgesellschaft­liche Entwicklungswirkung zeitigen würde. Dies wiederum wäre ein wichtiger Beitrag zur Agenda 2030. In der Folge ließen sich einige greifbare Erfolge verzeichnen. So haben sich die Regierungen in Äthiopien (Region Somali), Irak, Kolumbien, Libyen, Nigeria, Somalia und der Zentralafrikanischen Republik dazu verpflichtet, insgesamt rund 8,5 Millionen Binnenvertriebene und kürzlich zurückgekehrte Menschen auf Lösungswege zu bringen – also gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um die gleich­be­rechtigte wirtschaftliche, soziale und poli­tische Teilhabe der Betroffenen schritt­weise wiederherzustellen. Hierfür wurden unter anderem auf nationaler oder sub­nationaler Ebene Strategien und Fahrpläne ausgearbeitet. Besonders wertvoll sind diese Konzepte, wenn sie einen klaren Bezug zu nationalen Entwicklungsplänen aufweisen und in Form sogenannter »costed plans« nicht nur prioritäre Handlungsfelder be­nennen, son­dern auch die voraussichtlichen Kosten, die durch sektorspezifische Maßnahmen anfal­len. Einige Regierungen gehen in diesem Zuge auch finanzielle Selbstverpflichtungen ein. So haben die nigerianischen Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe in ihren Aktions­plänen zugesagt, für deren Umset­zung über drei Jahre hinweg zwischen 5 und 15 Pro­zent ihres jeweiligen Budgets zu nutzen.

Trotz solcher Fortschritte bestehen nach wie vor erhebliche Herausforderungen – auch in den Ländern, deren Regierungen durch lösungsorientierte Strategien oder Aktionspläne besonderes Engagement signalisieren. Die irakische Führung etwa priorisiert die schnelle Schließung von IDP-Camps und bietet Binnenvertriebenen da­her Geld für die Rückkehr in ihre jeweiligen Heimatorte. Die individuelle Vertreibungssituation gilt dann offiziell als been­det, obwohl gravierende Sicherheitsrisiken und mangelnde Einkommensquellen häu­fig zu einem erneuten Ortswechsel zwin­gen. Ähnliche Probleme gibt es im nigeria­nischen Bundesstaat Borno, der aufgrund der Präsenz von Boko-Haram-Milizen in weiten Teilen für humanitäre Akteure nach wie vor nicht zugänglich ist. Hier droht der Aktionsplan des UN-Generalsekretärs als rhetorische Rechtfertigung für eine verfrüh­te Schließung von IDP-Camps missbraucht zu werden. Aufgrund der schlechten Sicher­heitslage ist eine tatsächliche Rückkehr in die Heimatorte oft nicht möglich, statt­dessen finden die Betroffenen Zuflucht in regionalen urbanen Zentren, ohne Zugang zu Ackerland oder anderen Einkommensmöglichkeiten. Auch die äthiopische Regie­rung drängt nach Ende des Konflikts in Tigray auf eine Rückkehr von Binnen­vertriebenen – selbst in solche Regionen, in denen weiterhin eine kritische Sicherheitslage besteht und die öffentliche Infra­struktur kaum funktionsfähig ist.

Diese Fallbeispiele haben einiges gemein­sam: Regierungen präferieren und forcieren häufig die Variante Rückkehr, ohne die Wahlfreiheit zu respektieren, die Betroffenen zwischen unterschiedlichen Lösungsansätzen zusteht, und ohne sie in Planungs- und Entscheidungsprozesse einzubinden. Im Fokus steht also oft der physische Orts­wechsel der Binnenvertriebenen und nicht die Wiederherstellung ihrer Rechte oder die Stärkung ihrer Handlungsfähigkeit. Die fortwährende Marginalisierung der Betrof­fenen verweist auf die hochpolitische Natur gerade konfliktbedingter Binnenvertreibung. Rein technische Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft kann zwar einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zu dauerhaften Lösungen leisten. Umfassend beseitigen lassen sich vertreibungsspezifische Benachteiligungen aber nur, wenn entsprechende Maßnahmen systematisch in Friedens- und Versöhnungsprozesse inte­griert werden und mit tragfähigen Kompro­missen bei Verteilungs- und Landkonflikten einhergehen.

Ein zusätzlicher Hemmschuh auf Länderebene ist die unzulängliche Datenlage. Trotz der wegweisenden Arbeit des Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) fehlen vielerorts belastbare Daten zum Aus­maß der Vertreibung, ebenso zu den spezi­fischen Gefährdungen, Bedürfnissen und Fähigkeiten von Binnenvertriebenen wie aufnehmender Bevölkerung. Hinzu kommt der Mangel an nationalen Monitoring- und Evaluierungssystemen, mit denen sich Er­folge bei der Umsetzung von Lösun­gen mes­sen ließen. Zwar gibt es in diesem Bereich erhebliche Fortschritte, etwa in Form eines entwicklungsorientierten Indi­katorensys­tems, das vom Joint Internal Displacement Profiling Service (JIPS) und dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) gemeinsam erarbeitet wurde, finan­ziert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Doch fehlt es nach wie vor an belastbaren sozioökonomischen Informa­tionen und standardisierten Analysemodellen. In einigen Länderkontexten arbeiten UN-Akteure und (sub-)nationale Regierungen zudem mit konkurrierenden Daten­sätzen sowie uneinheitlichen Definitionen dessen, wann genau eine Vertreibungs­situation als beendet gelten kann.

Stärkung der UN-internen Koordination

Ein zweites Handlungsfeld des Sonderberaters besteht darin, relevante UN-Akteure entlang des gesamten HDP-Nexus dafür zu sensibilisieren, wie bedeutend die entwicklungspolitischen Implikationen des Themas Binnenvertreibung sind. Damit einher geht das Anliegen, entsprechende Lösungsansätze effektiver in bestehende Prozesse und Mechanismen der UN zu integrieren. Auch hierbei gibt es konkrete Fortschritte. Wäh­rend vor Antritt des Sonderberaters nur IOM und UNHCR organisationsinterne Stra­tegien für den Umgang mit Binnenvertriebenen ausgearbeitet hatten, trifft dies mitt­lerweile auf acht UN-Organisationen zu. Insbesondere UNDP bekennt sich zu einer stärkeren institutionellen Verantwortung im Bereich Binnenvertreibung – bei Lösun­gen wie auch Prävention – und schließt damit perspektivisch eine bestehende Lücke im diesbezüglichen UN-Engagement. Zu­gleich wurde im Rahmen des Aktionsplans eine Steuerungsgruppe für Lösungen bei Binnenvertreibung eingerichtet. Sie besteht aus acht relevanten UN-Organisationen (so­wie der Weltbank als Beobachter), fördert deren Austausch auf globaler Ebene und verbessert so die Koordination von UN-Akti­vitäten in diesem Bereich.

Eine solche Koordination auch auf Län­derebene zu realisieren erweist sich als un­gleich herausfordernder. Eine zentrale Rolle kommt hier den UN Resident Coor­dinators (RCs) zu, die als ranghöchste Ver­treter:in­nen des UN-Entwicklungssystems die UN-Länderteams leiten und in aktiven Krisen­situationen auch als humanitäre Koordi­nator:innen fungieren. Im Rahmen des Aktionsplans wurde ihre Rolle vom UN-Generalsekretär weiter gestärkt, damit ent­sprechende Bemühungen vor Ort wirk­sam koordiniert und die Regierungen bei der Entwicklung von Lösungsstrategien unter­stützt werden können. Hilfe erhalten die RCs in allen Pilotländern (außer Vanuatu) durch eigens eingesetzte Solutions Adviser, die über eine von UNDP eingerichtete Fazi­lität durch unterschiedliche Geber finan­ziert werden – derzeit Frankreich, die Europäische Union, das Vereinigte König­reich, Norwegen und die Schweiz. Da die Kapazitäten in den Büros der RCs oft be­grenzt sind, spielen die Solutions Adviser eine Schlüsselrolle bei der Koordinierung und Förderung der Lösungsarbeit auf Län­derebene. Dies geschieht insbesondere durch strategische und technische Beratung der RCs und der UN-Länderteams, durch hochrangige Lobbyarbeit und die Organisation von Länderbesuchen des Sonderberaters, ebenso durch Schritte zur Einbindung humanitärer, entwicklungs-, klima- und friedenspolitischer Akteure.

Als zusätzliches Instrument hat der Son­derberater im August 2023 den Internal Displacement Solutions Fund (IDSF) auf­gesetzt – einen neuen Fonds, der schnell und flexibel als katalytische Finanzierungsquelle für kollaborative und sektorübergreifende Programmarbeit von UN-Länderteams im Bereich dauerhafter Lösungen dienen soll. Die Mittel des Fonds sind zwar noch weit von der Zielmarke von 100 Millionen US-Dollar entfernt; bisher haben Deutschland, Norwegen, das Vereinigte Königreich und die Schweiz insgesamt knapp 19 Millio­nen US-Dollar zugesagt. Dessen ungeachtet können die hieraus finanzierten Projekte die praktische Zusammenarbeit unterschiedlicher UN-Organisationen stärken und in einzelnen Länderkontexten zu einem thematisch fokussierten Kapazitätsaufbau staatlicher Behörden beitragen.

Wenn das Mandat des Sonderberaters abgelaufen ist, soll die Hauptverantwortung für die begonnene UN-interne Neuausrichtung und die neugeschaffenen Strukturen (darunter Steuerungsgruppe und Fonds) zwischen UNDP, IOM und UNHCR rotieren. Dies ist ein Hinweis darauf, dass diese drei Organisationen künftig ein funktionales »Führungstrio« im Bereich dauerhafter Lösungen bilden könnten. Ungeachtet die­ser Fortschritte bleibt die UN-interne Koor­dinierung auf Länderebene schwierig. Die anhaltende und aufgrund knapper werden­der Mittel zunehmende Konkurrenz um finanzielle Ressourcen führt vielfach dazu, dass klar voneinander getrennte humanitäre und entwicklungspolitische Aktivitäten fortgeschrieben werden, ohne dass gemein­same Zielsetzungen entwickelt und verfolgt würden.

Systematische Einbindung multi­lateraler Entwicklungsbanken

Großes ungenutztes Potential für einen Umgang mit Binnenvertriebenen, der früh­zeitig auf Lösungen setzt, sieht der UN-Son­derberater bei internationalen Finanzinstitutionen, allen voran den multilateralen Entwicklungsbanken. Seine Amtszeit hat Piper deshalb genutzt, um hier auf hoch­rangiger Ebene in einen strategischen Dia­log zu treten und dafür zu werben, dass Binnenvertriebene bei der Ausgestaltung von Finanzierungsinstrumenten stärker be­rücksichtigt werden. Die Bilanz in diesem Bereich ist gemischt. Innerhalb der Asiati­schen und der Afrikanischen Entwicklungs­bank wurden Prozesse angestoßen, um ge­eignete Ansatzpunkte für lösungsorientierte Programmgestaltung oder für zusätzliche Investitionen in die Sammlung und Analyse relevanter Daten zu identifizieren. Eine be­deutende Entwicklung bei der Weltbank besteht darin, dass Binnenvertriebene im neuen internen Zielsystem (»World Bank Group Scorecard«) erfasst werden; zudem erhält das Thema Binnenvertreibung zu­nehmende Sichtbarkeit, etwa im Rahmen des jährlich stattfindenden World Bank Fragility Forum. Dem Ansinnen, ein eigenes Finanzierungsinstrument für von Binnenvertreibung betroffene Länder bzw. aufneh­mende Gemeinden zu schaffen, steht die Leitung der Bank bisher jedoch ablehnend gegenüber. Grund dafür ist zum einen, dass die Versorgung von Binnenvertriebenen klar im Verantwortungsbereich der jewei­ligen Regierung liegt und damit – anders als die Aufnahme und Versorgung grenz­überschreitender Flüchtlinge – nicht als Beitrag zum globalen Gemeinwohl gilt. Zum anderen sucht die Weltbank grundsätzlich eine stärkere Zweckbindung der ihr zur Verfügung gestellten Mittel zu vermeiden.

Schaffung nachhaltiger Gover­nance-Strukturen

Ein weiteres Anliegen, bei dem das Wirken des UN-Sonderberaters bislang hinter den Erwartungen zurückbleibt, ist die langfristige Verankerung des Themas Binnenvertreibung auf der Agenda der internationalen Staatengemeinschaft. Im Aktionsplan ist vorgesehen, eine zwischenstaatliche bzw. intergouvernementale Plattform der UN-Mitgliedstaaten zum Austausch von Erfahrungen, Fortschritten und bewährten Verfahren aufzubauen, doch bisher ist dies am mangelnden Engagement der Staaten gescheitert. Dies verweist auf ein zentrales Dilemma von Pipers vergleichsweise kurzer Mandatslaufzeit. Er hat konkrete Fortschritte in den Pilotländern priorisiert, der be­gründeten Annahme folgend, dass solche greifbaren Erfolge unerlässlich sind, um politisches Momentum für die Befassung der Staatengemeinschaft mit dem Thema zu schaffen. Gleichzeitig ging dies aber zu Lasten der Bemühungen, eine tragfähige Governance-Struktur zu etablieren, mit der sich ein entsprechender Schwung verstetigen ließe.

Dass sich die Staaten hier zurückhalten, ist zum Teil schlicht auf einen Mangel an Aufmerksamkeit und Ressourcen zurück­zuführen, der sich aus der Vielzahl konkur­rierender Themen ergibt. Doch besteht auch eine grundsätzliche Skepsis der Staa­ten gegenüber einer weltöffentlichen Aus­einandersetzung mit Binnenvertreibung, was der inhärent politischen Natur des The­mas geschuldet ist. Dies gilt nicht nur für Fälle, in denen Regierungen als Konflikt­par­tei die Binnenvertreibung direkt (mit-)ver­ursacht haben. Vielmehr signalisieren lang­andauernde Vertreibungssituationen un­abhängig von den ursprünglichen Auslö­sern, dass die jeweilige Regierung die Auf­gabe vernachlässigt, Rechte und Teilhabe der betroffenen Personen wiederherzu­stellen – womit sie ihrer Verantwortung gegenüber eigenen Staatsangehörigen nicht gerecht wird.

Wie kann Robert Pipers Erbe gesichert werden?

Mit dem Amt des Sonderberaters wurde ein starker Fürsprecher für das Anliegen ge­schaffen, lösungsorientierte Ansätze bei der Unterstützung von Binnenvertriebenen innerhalb und außerhalb des UN-Systems zu priorisieren. Durch seine hochrangige Lobbyarbeit hat Piper entscheidend dazu beigetragen, dass relevante Entscheidungsträger:innen in einzelnen Pilotländern die Entwicklung dauerhafter Lösungen öffent­lich vorantreiben und eigene finanzielle Ressourcen dafür bereitstellen. Das gemein­same Engagement und die UN-interne Ab­stimmung wurden gestärkt, insbesondere durch die von Piper geleitete Steuerungsgruppe in Genf, durch den Solutions Fund und eine stärkere Führungsrolle der RCs. Gleichzeitig verdeutlicht die Bilanz entlang zentraler Handlungsfelder auch die Gren­zen dessen, was UN-interne Reformen und technische Unterstützungsangebote in dem hochpolitischen Bereich Binnenvertreibung leisten können. Da Pipers Mandat nicht über Ende 2024 hinaus verlängert wird, stellt sich die Frage, wie die Fortschritte der letzten Jahre gesichert werden können und die Umsetzung des Aktionsplans sich weiter vorantreiben lässt.

Deutschland kommt dabei eine wichtige Rolle zu, trotz drastischer Mittelkürzungen bei der humanitären Hilfe und der EZ. Zum einen fördert die Bundesregierung seit lan­gem dauerhafte Perspektiven für Binnenvertriebene und Aufnahmegemeinden; dazu dienen spezifische Kriseninstrumente wie die Sonderinitiative Geflüchtete und Aufnahmeländer, die Beschäftigungsoffensive Nahost und die strukturbildende Über­gangshilfe. Zum anderen hat die Bundes­regierung die Umsetzung des Aktionsplans von Beginn an aktiv unterstützt; erst kürz­lich bekräftigte das Auswärtige Amt dieses Anliegen in seiner neuen Strategie zur humanitären Hilfe im Ausland. Auch das BMZ spricht sich in seiner neuen Kern­themenstrategie Frieden und gesellschaft­licher Zusammenhalt dafür aus, das eigene Port­folio zu Binnenvertreibung im Sinne des Aktionsplans weiterzuentwickeln und zu stärken.

In diesem Sinne ist dazu beizutragen, dass die Empfehlungen des Inter-Agency Standing Committee (IASC) zur Reform des humanitären Systems verwirklicht werden. Zudem sollte der Fortbestand der unter Piper aufgebauten technischen Unterstützungsstrukturen weiter gefördert werden, etwa durch Einzahlungen in den Solutions Fund und die Solutions-Adviser-Fazilität. Möglicherweise können diese Instrumente auf weitere Partnerländer der deutschen EZ ausgeweitet werden, die Potentiale für regierungsgeführte, entwicklungsorientierte Lösungswege aufweisen. Darüber hinaus sollte sich die Bundesregierung gezielt in den nachfolgend skizzierten Bereichen engagieren.

Verankerung des Themas auf internationaler Ebene

Eine entscheidende Rolle bei dem Bemühen, Binnenvertreibung langfristig auf der internationalen Agenda zu verankern, kommt der sogenannten »Group of Friends« zu. Sie besteht aus den 15 Pilotländern so­wie 15 Geberländern (darunter Deutschland) und hat Pipers Mandat von Beginn an eng begleitet. Die Bundesregierung sollte sich für Erhalt und Erweiterung dieser in Genf tagenden Gruppe einsetzen und die Diskussion darüber, wie und wo das Thema Binnenvertreibung institutionell verortet werden soll, durch eigene Impulse voran­treiben. Denkbar wäre ein regelmäßig tagendes Forum der UN-Mitgliedstaaten, das es den betroffenen Ländern ermöglicht, über ihre Erfahrungen und Fortschritte zu berichten, das multilaterale Entwicklungsbanken einbindet und den Stimmen der Binnenvertriebenen Gehör verleiht. Die schon jetzt bestehende »convening power« Deutschlands ließe sich weiter stärken, würde die Bundesregierung den Co-Vorsitz in der »Group of Friends« übernehmen. Parallel zu den vorrangig humanitär ge­prägten Diskussionen in Genf könnte Deutschland einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, die Staatengemeinschaft in New York zu mobilisieren, wo entwicklungspolitische Richtungsentscheidungen getroffen werden. Ein wichtiger neuer An­satzpunkt liegt darin, dass das Ziel, Binnen­vertriebenen den Zugang zu dauerhaften Lösungen zu erleichtern, im kürzlich verab­schiedeten UN-Zukunftspakt enthalten ist.

Mehr Entwicklungs- und Klimafinan­zie­rung für Binnen­vertrie­bene

Als Anteilseigner internationaler Finanz­institutionen und wichtige Stimme insbe­sondere im Vorstand der Weltbank sollte sich Deutschland dafür einsetzen, dass die spezifischen Bedürfnisse von Binnenvertriebenen in der Entwicklungsfinanzierung stärker beachtet werden. Dies kann entwe­der in Form themenspezifischer Finanzierungsinstrumente zur Entlastung besonders betroffener Regierungen geschehen oder dadurch, dass die Belange von Binnenvertriebenen systematisch in bestehenden Instrumenten berücksichtigt werden. Ziel ist letztlich die Schaffung von Anreizstrukturen, mit denen sich staatliche Autoritäten in betroffenen Ländern dazu bewegen las­sen, Binnenvertreibung als Entwicklungsherausforderung anzuerkennen und glaub­hafte Selbstverpflichtungen einzugehen. Liegen solche Selbstverpflichtungen in Form von »costed plans« vor, sollte die je­weilige Regierung Zugang zu tragfähigen zusätzlichen Finanzierungsquellen erhal­ten. Im Fall katastrophenbedingter Binnen­vertreibung ist auch eine Querfinanzierung aus dem Klimabereich denkbar; unter ande­rem berücksichtigt der 2023 neu aufgesetzte Fonds für Verluste und Schäden das The­ma Binnenvertreibung. Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass sich dies in faktische Zugänge zu Darlehen und Zuschüssen für von Binnenvertreibung be­sonders betroffene Länder übersetzt. Um einen Beitrag zur besseren Prävention von Binnenvertreibung zu leisten, sollte sie zu­sätzlich darauf hinwirken, dass die Mittel für Klimaanpassung, Katastrophenrisiko­minderung und resilienzfördernde Maß­nahmen ausgeweitet werden.

Partizipation und Rechenschafts­legung stärken

Langandauernde Binnenvertreibung stellt einen fundamentalen Bruch im Verhältnis zwischen Regierung und Staatsangehörigen dar. Dauerhafte Lösungen sind nur erreich­bar, wenn die unmittelbar Betroffenen mit­einbezogen werden. Ebendies ist oft nicht gegeben, gerade in Bezug auf Frauen, junge Menschen und marginalisierte Gruppen wie indigene Bevölkerungen, LGBTQIA+-Perso­nen oder Menschen mit Behinderungen. Im Sinne ihrer feministischen Außen- und Ent­wicklungspolitik sollte die Bundesregierung sicherstellen, dass die von ihr finanzierte Programmarbeit partizipativ entwickelt wird, wie es dem Bottom-up-Ansatz gemäß HDP-Nexus entspricht. Binnenvertriebenen sollte dadurch die Möglichkeit eröffnet wer­den, zwischen verschiedenen Lösungsansätzen zu wählen. Um die Umsetzung zu be­gleiten, ist der Aufbau eines transparenten Daten-, Monitoring- und Evaluierungssystems im jeweiligen Land unerlässlich. Nur so können Fortschritte auf dem Weg zu dauerhaften Lösungen anhand kontext­spe­zifischer Ziele und Indikatoren messbar ge­macht und eine Rechenschaftslegung staat­licher Autoritäten gewährleistet wer­den.

Nadine Knapp und Dr. Anne Koch sind Wissenschaftlerinnen in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Das Aktuell wurde verfasst im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten Projekts »Strategische Flucht- und Migrationspolitik«.

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