Im Juni 2022 veröffentlichte der Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN) die »Action Agenda on Internal Displacement«. Sie zielt darauf ab, den Umgang mit Binnenvertriebenen grundlegend zu reformieren. Dafür ist zum einen der Schwerpunkt von kurzfristiger humanitärer Hilfe hin zu mehr entwicklungsorientierten Ansätzen zu verlagern; zum anderen müssen vor allem die direkt betroffenen Regierungen bei der Suche nach dauerhaften Lösungen stärker einbezogen werden. Mit der Umsetzung des Aktionsplans wurde ein UN-Sonderberater betraut. Er hat in den vergangenen zwei Jahren positive Entwicklungen in einzelnen Ländern angestoßen und zu einer besseren Koordinierung der mit Binnenvertreibung befassten UN-Organisationen beigetragen. Über das Mandat des Sonderberaters hinaus, das zum Jahresende ausläuft, gilt es diese Fortschritte zu sichern. Zu diesem Zweck sollte Deutschland sich unter anderem für nachhaltige Governance-Strukturen einsetzen und dafür werben, dass Binnenvertreibung systematisch in der Entwicklungs- und Klimafinanzierung berücksichtigt wird.
Die Themen Zuwanderung und grenzüberschreitende Flucht sind in der öffentlichen Debatte hierzulande und in anderen EU-Mitgliedstaaten omnipräsent. Deutlich weniger Aufmerksamkeit erfahren sogenannte Binnenvertriebene, also Menschen, die ihren Heimatort unfreiwillig verlassen haben, aber im eigenen Land bleiben (»internally displaced persons«, IDPs). Dabei fallen in diese Kategorie weit mehr als die Hälfte der weltweit rund 117 Millionen Personen, die Ende 2023 auf der Flucht vor Verfolgung, Gewaltkonflikten und Menschenrechtsverletzungen waren. Hinzu kommen Menschen, die durch Naturkatastrophen und klimawandelbedingte Extremwetterereignisse zur Flucht gezwungen wurden. Die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen steigt kontinuierlich an. Ende 2023 wurde mit knapp 76 Millionen Menschen ein neuer Höchststand erreicht.
Anders als grenzüberschreitende Flüchtlinge haben Binnenvertriebene kein Anrecht auf internationalen Schutz. Ihre Unterstützung und Versorgung liegt im Verantwortungsbereich der jeweiligen Regierung. Oftmals mangelt es dafür aber an den erforderlichen Kapazitäten oder am politischen Willen. Letzteres gilt insbesondere dann, wenn die staatlichen Akteure selbst Konfliktpartei und damit (mit-)verantwortlich für die Vertreibung sind. Vor diesem Hintergrund wird das Gros der Unterstützung meist von humanitären Akteuren übernommen – denen aber gleichzeitig die politische Handhabe fehlt, um auf längerfristige Lösungen hinzuarbeiten. Im Ergebnis bleiben die mit Binnenvertreibung einhergehenden Einschränkungen und Benachteiligungen häufig über Jahre bestehen, und die Abhängigkeit der Betroffenen von humanitärer Hilfe verstetigt sich. Dies führt nicht nur zu immensen Belastungen des chronisch unterfinanzierten humanitären Systems, sondern stellt auch eine schwere Entwicklungshypothek für die jeweiligen Länder dar.
Herausforderungen auf dem Weg zu dauerhaften Lösungen
Die Handlungsbedarfe im Bereich Binnenvertreibung sind hinlänglich bekannt. Neben akuter Nothilfe ist entscheidend, dass die internationale Unterstützung von Beginn an darauf ausgerichtet ist, dauerhafte Lösungen zu schaffen. Grundsätzlich gibt es dafür drei Möglichkeiten: die Rückkehr an den ursprünglichen Heimatort, eine lokale Integration in dem Gebiet, in dem Zuflucht gesucht wurde, oder die Ansiedlung an einem anderen Ort. Unabhängig davon, welcher dieser drei Lösungsansätze verfolgt wird, sollte stets sichergestellt sein, dass die mit der Vertreibung einhergehenden Schutzbedarfe und Diskriminierungen beseitigt werden. Die entsprechenden Aufgaben gehen häufig über das Mandat humanitärer Akteure hinaus. Sie umfassen etwa die Wiederbeschaffung von Identifikationsdokumenten, die Sicherstellung von Zugängen zum regulären Bildungs- und Gesundheitssystem, die Unterstützung beim Wiederaufbau von Häusern und Infrastruktur sowie umfassende Friedens- und Versöhnungsarbeit einschließlich der Klärung von Landkonflikten. Die Suche nach Lösungen ist somit ein komplexer Prozess, der Herausforderungen in den Bereichen Menschenrechte, humanitäre Hilfe, Entwicklung, Wiederaufbau, Katastrophenvorsorge und Friedenskonsolidierung mit sich bringt. Erforderlich ist ein koordiniertes und rechtzeitiges Engagement verschiedener Akteure – ganz im Sinne des Humanitarian-Development-Peace-Nexus (HDP-Nexus). In der Praxis scheitern dauerhafte Lösungen jedoch regelmäßig an einer Reihe politischer und struktureller Hindernisse.
Fehlendes staatliches Engagement
Grundsätzlich gilt: Dauerhafte Lösungen für größere Gruppen an Binnenvertriebenen sind nur erreichbar, wenn sich die jeweils direkt betroffene Regierung dieses Ziel zu eigen macht und aktiv verfolgt. Ohne ihre Führungsrolle ist das Unterfangen von vornherein zum Scheitern verurteilt. Doch genau daran mangelt es oft – gerade langandauernde Binnenvertreibung lässt sich vielfach auf staatliches Verschulden oder staatliche Defizite zurückführen und ist damit politisch hochsensibel. Bemühungen, internationale Unterstützungsangebote in diesem Bereich stärker zu verregeln, werden von den betreffenden Regierungen häufig als unzulässiger Eingriff in die inneren Angelegenheiten abgelehnt. Auf Seite der Geberländer wiederum wird das Thema kaum priorisiert: Anders als bei grenzüberschreitender Flucht sind wohlhabende Staaten den Folgen von Binnenvertreibung in anderen Weltregionen nicht direkt ausgesetzt. Entsprechend wurde das Phänomen in zentralen internationalen Prozessen lange ausgeklammert. Adäquat abgebildet ist es weder in der UN‑Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung noch in den Globalen Pakten für Flucht und Migration.
Unzulängliche Verzahnung internationaler Hilfsmaßnahmen
Eine weitere Herausforderung liegt in der Struktur des internationalen Hilfssystems begründet. Trotz langjähriger Bemühungen um stärkere Synergien folgen der humanitäre und der entwicklungspolitische Sektor weiterhin ihren jeweils eigenen Handlungslogiken und Prioritäten. Das behindert oft die gemeinsame Datenerhebung und ‑analyse, Planung und Programmierung – mit der Folge, dass kurz- und längerfristige Unterstützungsangebote im Bereich Binnenvertreibung nur unzureichend miteinander verzahnt sind. Hinzu kommt, dass die dritte Säule des HDP-Nexus, die Friedensförderung, die gerade für dauerhafte Lösungen in Fällen konfliktbedingter Binnenvertreibung dringend nötig ist, bisher nur unzureichend umgesetzt wird. Überdies sind innerhalb des UN-Systems die institutionellen Zuständigkeiten für Binnenvertriebene unklar, was zu Mandatskonflikten führt – insbesondere zwischen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR).
Finanzierungslücken
Dauerhafte Lösungen sind kostspielig und ohne adäquate finanzielle Ressourcen kaum realisierbar. Die größte Hürde ist dabei nicht ein zu geringes Gesamtvolumen an humanitären Mitteln. Hauptproblem ist vielmehr, dass die Belange von Binnenvertriebenen in der Entwicklungsfinanzierung nicht ausreichend berücksichtigt werden und es an binnenvertreibungsspezifischen Finanzierungsinstrumenten fehlt. Dies führt dazu, dass viele Betroffene nach dem Auslaufen humanitärer Nothilfe aus dem System fallen und keine ausreichende Unterstützung mehr erhalten – wodurch sich die mit der Vertreibung einhergehenden Benachteiligungen und Vulnerabilitäten zu verstetigen drohen, was im Ergebnis zu langandauernder Binnenvertreibung führt. Innerhalb der internationalen Gemeinschaft wird eine rege Debatte geführt, ob es zielführender ist, Binnenvertreibung als Querschnittsthema zu behandeln oder dafür eigene Instrumente zu schaffen. Einigkeit besteht aber darin, dass anhaltende Binnenvertreibung gravierende negative Entwicklungswirkungen hat und es daher notwendig ist, mehr Mittel der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) für dauerhafte Lösungen fruchtbar zu machen.
Neuausrichtung des internationalen Engagements
In Reaktion auf diese unterschiedlichen Handlungsbedarfe veröffentlichte der UN-Generalsekretär im Juni 2022 die »Action Agenda on Internal Displacement« (im Folgenden: Aktionsplan). Sie enthält 31 Selbstverpflichtungen der UN für verstärkte Maßnahmen zur Förderung dauerhafter Lösungen, zur Verhinderung künftiger Vertreibungskrisen und zur Gewährleistung von Schutz und Hilfe für Binnenvertriebene. Um die Umsetzung des Aktionsplans voranzubringen, wurde das auf rund zweieinhalb Jahre befristete Amt eines UN-Sonderberaters für Lösungen im Bereich Binnenvertreibung (im Folgenden: UN-Sonderberater) geschaffen. Zentrale Aufgabe des Amtsinhabers Robert Piper ist es, innerhalb und außerhalb des UN-Systems entsprechende Veränderungen anzustoßen.
Entwicklung konkreter Lösungswege
Eines der Hauptziele des UN-Sonderberaters war es, bis Ende 2024 Lösungswege für bis zu 10 Millionen Binnenvertriebene in 15 Pilotländern zu entwickeln: Afghanistan, Äthiopien, Irak, Jemen, Kolumbien, Libyen, Mosambik, Niger, Nigeria, Somalia, Sudan, Südsudan, Tschad, Vanuatu und Zentralafrikanische Republik. Auf zahlreichen Reisen in die jeweiligen Länder warb Piper auf hochrangiger Ebene für die Einsicht, dass ein entschiedenes Engagement zugunsten dauerhafter Lösungen für Binnenvertriebene eine positive gesamtgesellschaftliche Entwicklungswirkung zeitigen würde. Dies wiederum wäre ein wichtiger Beitrag zur Agenda 2030. In der Folge ließen sich einige greifbare Erfolge verzeichnen. So haben sich die Regierungen in Äthiopien (Region Somali), Irak, Kolumbien, Libyen, Nigeria, Somalia und der Zentralafrikanischen Republik dazu verpflichtet, insgesamt rund 8,5 Millionen Binnenvertriebene und kürzlich zurückgekehrte Menschen auf Lösungswege zu bringen – also gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um die gleichberechtigte wirtschaftliche, soziale und politische Teilhabe der Betroffenen schrittweise wiederherzustellen. Hierfür wurden unter anderem auf nationaler oder subnationaler Ebene Strategien und Fahrpläne ausgearbeitet. Besonders wertvoll sind diese Konzepte, wenn sie einen klaren Bezug zu nationalen Entwicklungsplänen aufweisen und in Form sogenannter »costed plans« nicht nur prioritäre Handlungsfelder benennen, sondern auch die voraussichtlichen Kosten, die durch sektorspezifische Maßnahmen anfallen. Einige Regierungen gehen in diesem Zuge auch finanzielle Selbstverpflichtungen ein. So haben die nigerianischen Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe in ihren Aktionsplänen zugesagt, für deren Umsetzung über drei Jahre hinweg zwischen 5 und 15 Prozent ihres jeweiligen Budgets zu nutzen.
Trotz solcher Fortschritte bestehen nach wie vor erhebliche Herausforderungen – auch in den Ländern, deren Regierungen durch lösungsorientierte Strategien oder Aktionspläne besonderes Engagement signalisieren. Die irakische Führung etwa priorisiert die schnelle Schließung von IDP-Camps und bietet Binnenvertriebenen daher Geld für die Rückkehr in ihre jeweiligen Heimatorte. Die individuelle Vertreibungssituation gilt dann offiziell als beendet, obwohl gravierende Sicherheitsrisiken und mangelnde Einkommensquellen häufig zu einem erneuten Ortswechsel zwingen. Ähnliche Probleme gibt es im nigerianischen Bundesstaat Borno, der aufgrund der Präsenz von Boko-Haram-Milizen in weiten Teilen für humanitäre Akteure nach wie vor nicht zugänglich ist. Hier droht der Aktionsplan des UN-Generalsekretärs als rhetorische Rechtfertigung für eine verfrühte Schließung von IDP-Camps missbraucht zu werden. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage ist eine tatsächliche Rückkehr in die Heimatorte oft nicht möglich, stattdessen finden die Betroffenen Zuflucht in regionalen urbanen Zentren, ohne Zugang zu Ackerland oder anderen Einkommensmöglichkeiten. Auch die äthiopische Regierung drängt nach Ende des Konflikts in Tigray auf eine Rückkehr von Binnenvertriebenen – selbst in solche Regionen, in denen weiterhin eine kritische Sicherheitslage besteht und die öffentliche Infrastruktur kaum funktionsfähig ist.
Diese Fallbeispiele haben einiges gemeinsam: Regierungen präferieren und forcieren häufig die Variante Rückkehr, ohne die Wahlfreiheit zu respektieren, die Betroffenen zwischen unterschiedlichen Lösungsansätzen zusteht, und ohne sie in Planungs- und Entscheidungsprozesse einzubinden. Im Fokus steht also oft der physische Ortswechsel der Binnenvertriebenen und nicht die Wiederherstellung ihrer Rechte oder die Stärkung ihrer Handlungsfähigkeit. Die fortwährende Marginalisierung der Betroffenen verweist auf die hochpolitische Natur gerade konfliktbedingter Binnenvertreibung. Rein technische Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft kann zwar einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zu dauerhaften Lösungen leisten. Umfassend beseitigen lassen sich vertreibungsspezifische Benachteiligungen aber nur, wenn entsprechende Maßnahmen systematisch in Friedens- und Versöhnungsprozesse integriert werden und mit tragfähigen Kompromissen bei Verteilungs- und Landkonflikten einhergehen.
Ein zusätzlicher Hemmschuh auf Länderebene ist die unzulängliche Datenlage. Trotz der wegweisenden Arbeit des Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) fehlen vielerorts belastbare Daten zum Ausmaß der Vertreibung, ebenso zu den spezifischen Gefährdungen, Bedürfnissen und Fähigkeiten von Binnenvertriebenen wie aufnehmender Bevölkerung. Hinzu kommt der Mangel an nationalen Monitoring- und Evaluierungssystemen, mit denen sich Erfolge bei der Umsetzung von Lösungen messen ließen. Zwar gibt es in diesem Bereich erhebliche Fortschritte, etwa in Form eines entwicklungsorientierten Indikatorensystems, das vom Joint Internal Displacement Profiling Service (JIPS) und dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) gemeinsam erarbeitet wurde, finanziert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Doch fehlt es nach wie vor an belastbaren sozioökonomischen Informationen und standardisierten Analysemodellen. In einigen Länderkontexten arbeiten UN-Akteure und (sub-)nationale Regierungen zudem mit konkurrierenden Datensätzen sowie uneinheitlichen Definitionen dessen, wann genau eine Vertreibungssituation als beendet gelten kann.
Stärkung der UN-internen Koordination
Ein zweites Handlungsfeld des Sonderberaters besteht darin, relevante UN-Akteure entlang des gesamten HDP-Nexus dafür zu sensibilisieren, wie bedeutend die entwicklungspolitischen Implikationen des Themas Binnenvertreibung sind. Damit einher geht das Anliegen, entsprechende Lösungsansätze effektiver in bestehende Prozesse und Mechanismen der UN zu integrieren. Auch hierbei gibt es konkrete Fortschritte. Während vor Antritt des Sonderberaters nur IOM und UNHCR organisationsinterne Strategien für den Umgang mit Binnenvertriebenen ausgearbeitet hatten, trifft dies mittlerweile auf acht UN-Organisationen zu. Insbesondere UNDP bekennt sich zu einer stärkeren institutionellen Verantwortung im Bereich Binnenvertreibung – bei Lösungen wie auch Prävention – und schließt damit perspektivisch eine bestehende Lücke im diesbezüglichen UN-Engagement. Zugleich wurde im Rahmen des Aktionsplans eine Steuerungsgruppe für Lösungen bei Binnenvertreibung eingerichtet. Sie besteht aus acht relevanten UN-Organisationen (sowie der Weltbank als Beobachter), fördert deren Austausch auf globaler Ebene und verbessert so die Koordination von UN-Aktivitäten in diesem Bereich.
Eine solche Koordination auch auf Länderebene zu realisieren erweist sich als ungleich herausfordernder. Eine zentrale Rolle kommt hier den UN Resident Coordinators (RCs) zu, die als ranghöchste Vertreter:innen des UN-Entwicklungssystems die UN-Länderteams leiten und in aktiven Krisensituationen auch als humanitäre Koordinator:innen fungieren. Im Rahmen des Aktionsplans wurde ihre Rolle vom UN-Generalsekretär weiter gestärkt, damit entsprechende Bemühungen vor Ort wirksam koordiniert und die Regierungen bei der Entwicklung von Lösungsstrategien unterstützt werden können. Hilfe erhalten die RCs in allen Pilotländern (außer Vanuatu) durch eigens eingesetzte Solutions Adviser, die über eine von UNDP eingerichtete Fazilität durch unterschiedliche Geber finanziert werden – derzeit Frankreich, die Europäische Union, das Vereinigte Königreich, Norwegen und die Schweiz. Da die Kapazitäten in den Büros der RCs oft begrenzt sind, spielen die Solutions Adviser eine Schlüsselrolle bei der Koordinierung und Förderung der Lösungsarbeit auf Länderebene. Dies geschieht insbesondere durch strategische und technische Beratung der RCs und der UN-Länderteams, durch hochrangige Lobbyarbeit und die Organisation von Länderbesuchen des Sonderberaters, ebenso durch Schritte zur Einbindung humanitärer, entwicklungs-, klima- und friedenspolitischer Akteure.
Als zusätzliches Instrument hat der Sonderberater im August 2023 den Internal Displacement Solutions Fund (IDSF) aufgesetzt – einen neuen Fonds, der schnell und flexibel als katalytische Finanzierungsquelle für kollaborative und sektorübergreifende Programmarbeit von UN-Länderteams im Bereich dauerhafter Lösungen dienen soll. Die Mittel des Fonds sind zwar noch weit von der Zielmarke von 100 Millionen US-Dollar entfernt; bisher haben Deutschland, Norwegen, das Vereinigte Königreich und die Schweiz insgesamt knapp 19 Millionen US-Dollar zugesagt. Dessen ungeachtet können die hieraus finanzierten Projekte die praktische Zusammenarbeit unterschiedlicher UN-Organisationen stärken und in einzelnen Länderkontexten zu einem thematisch fokussierten Kapazitätsaufbau staatlicher Behörden beitragen.
Wenn das Mandat des Sonderberaters abgelaufen ist, soll die Hauptverantwortung für die begonnene UN-interne Neuausrichtung und die neugeschaffenen Strukturen (darunter Steuerungsgruppe und Fonds) zwischen UNDP, IOM und UNHCR rotieren. Dies ist ein Hinweis darauf, dass diese drei Organisationen künftig ein funktionales »Führungstrio« im Bereich dauerhafter Lösungen bilden könnten. Ungeachtet dieser Fortschritte bleibt die UN-interne Koordinierung auf Länderebene schwierig. Die anhaltende und aufgrund knapper werdender Mittel zunehmende Konkurrenz um finanzielle Ressourcen führt vielfach dazu, dass klar voneinander getrennte humanitäre und entwicklungspolitische Aktivitäten fortgeschrieben werden, ohne dass gemeinsame Zielsetzungen entwickelt und verfolgt würden.
Systematische Einbindung multilateraler Entwicklungsbanken
Großes ungenutztes Potential für einen Umgang mit Binnenvertriebenen, der frühzeitig auf Lösungen setzt, sieht der UN-Sonderberater bei internationalen Finanzinstitutionen, allen voran den multilateralen Entwicklungsbanken. Seine Amtszeit hat Piper deshalb genutzt, um hier auf hochrangiger Ebene in einen strategischen Dialog zu treten und dafür zu werben, dass Binnenvertriebene bei der Ausgestaltung von Finanzierungsinstrumenten stärker berücksichtigt werden. Die Bilanz in diesem Bereich ist gemischt. Innerhalb der Asiatischen und der Afrikanischen Entwicklungsbank wurden Prozesse angestoßen, um geeignete Ansatzpunkte für lösungsorientierte Programmgestaltung oder für zusätzliche Investitionen in die Sammlung und Analyse relevanter Daten zu identifizieren. Eine bedeutende Entwicklung bei der Weltbank besteht darin, dass Binnenvertriebene im neuen internen Zielsystem (»World Bank Group Scorecard«) erfasst werden; zudem erhält das Thema Binnenvertreibung zunehmende Sichtbarkeit, etwa im Rahmen des jährlich stattfindenden World Bank Fragility Forum. Dem Ansinnen, ein eigenes Finanzierungsinstrument für von Binnenvertreibung betroffene Länder bzw. aufnehmende Gemeinden zu schaffen, steht die Leitung der Bank bisher jedoch ablehnend gegenüber. Grund dafür ist zum einen, dass die Versorgung von Binnenvertriebenen klar im Verantwortungsbereich der jeweiligen Regierung liegt und damit – anders als die Aufnahme und Versorgung grenzüberschreitender Flüchtlinge – nicht als Beitrag zum globalen Gemeinwohl gilt. Zum anderen sucht die Weltbank grundsätzlich eine stärkere Zweckbindung der ihr zur Verfügung gestellten Mittel zu vermeiden.
Schaffung nachhaltiger Governance-Strukturen
Ein weiteres Anliegen, bei dem das Wirken des UN-Sonderberaters bislang hinter den Erwartungen zurückbleibt, ist die langfristige Verankerung des Themas Binnenvertreibung auf der Agenda der internationalen Staatengemeinschaft. Im Aktionsplan ist vorgesehen, eine zwischenstaatliche bzw. intergouvernementale Plattform der UN-Mitgliedstaaten zum Austausch von Erfahrungen, Fortschritten und bewährten Verfahren aufzubauen, doch bisher ist dies am mangelnden Engagement der Staaten gescheitert. Dies verweist auf ein zentrales Dilemma von Pipers vergleichsweise kurzer Mandatslaufzeit. Er hat konkrete Fortschritte in den Pilotländern priorisiert, der begründeten Annahme folgend, dass solche greifbaren Erfolge unerlässlich sind, um politisches Momentum für die Befassung der Staatengemeinschaft mit dem Thema zu schaffen. Gleichzeitig ging dies aber zu Lasten der Bemühungen, eine tragfähige Governance-Struktur zu etablieren, mit der sich ein entsprechender Schwung verstetigen ließe.
Dass sich die Staaten hier zurückhalten, ist zum Teil schlicht auf einen Mangel an Aufmerksamkeit und Ressourcen zurückzuführen, der sich aus der Vielzahl konkurrierender Themen ergibt. Doch besteht auch eine grundsätzliche Skepsis der Staaten gegenüber einer weltöffentlichen Auseinandersetzung mit Binnenvertreibung, was der inhärent politischen Natur des Themas geschuldet ist. Dies gilt nicht nur für Fälle, in denen Regierungen als Konfliktpartei die Binnenvertreibung direkt (mit-)verursacht haben. Vielmehr signalisieren langandauernde Vertreibungssituationen unabhängig von den ursprünglichen Auslösern, dass die jeweilige Regierung die Aufgabe vernachlässigt, Rechte und Teilhabe der betroffenen Personen wiederherzustellen – womit sie ihrer Verantwortung gegenüber eigenen Staatsangehörigen nicht gerecht wird.
Wie kann Robert Pipers Erbe gesichert werden?
Mit dem Amt des Sonderberaters wurde ein starker Fürsprecher für das Anliegen geschaffen, lösungsorientierte Ansätze bei der Unterstützung von Binnenvertriebenen innerhalb und außerhalb des UN-Systems zu priorisieren. Durch seine hochrangige Lobbyarbeit hat Piper entscheidend dazu beigetragen, dass relevante Entscheidungsträger:innen in einzelnen Pilotländern die Entwicklung dauerhafter Lösungen öffentlich vorantreiben und eigene finanzielle Ressourcen dafür bereitstellen. Das gemeinsame Engagement und die UN-interne Abstimmung wurden gestärkt, insbesondere durch die von Piper geleitete Steuerungsgruppe in Genf, durch den Solutions Fund und eine stärkere Führungsrolle der RCs. Gleichzeitig verdeutlicht die Bilanz entlang zentraler Handlungsfelder auch die Grenzen dessen, was UN-interne Reformen und technische Unterstützungsangebote in dem hochpolitischen Bereich Binnenvertreibung leisten können. Da Pipers Mandat nicht über Ende 2024 hinaus verlängert wird, stellt sich die Frage, wie die Fortschritte der letzten Jahre gesichert werden können und die Umsetzung des Aktionsplans sich weiter vorantreiben lässt.
Deutschland kommt dabei eine wichtige Rolle zu, trotz drastischer Mittelkürzungen bei der humanitären Hilfe und der EZ. Zum einen fördert die Bundesregierung seit langem dauerhafte Perspektiven für Binnenvertriebene und Aufnahmegemeinden; dazu dienen spezifische Kriseninstrumente wie die Sonderinitiative Geflüchtete und Aufnahmeländer, die Beschäftigungsoffensive Nahost und die strukturbildende Übergangshilfe. Zum anderen hat die Bundesregierung die Umsetzung des Aktionsplans von Beginn an aktiv unterstützt; erst kürzlich bekräftigte das Auswärtige Amt dieses Anliegen in seiner neuen Strategie zur humanitären Hilfe im Ausland. Auch das BMZ spricht sich in seiner neuen Kernthemenstrategie Frieden und gesellschaftlicher Zusammenhalt dafür aus, das eigene Portfolio zu Binnenvertreibung im Sinne des Aktionsplans weiterzuentwickeln und zu stärken.
In diesem Sinne ist dazu beizutragen, dass die Empfehlungen des Inter-Agency Standing Committee (IASC) zur Reform des humanitären Systems verwirklicht werden. Zudem sollte der Fortbestand der unter Piper aufgebauten technischen Unterstützungsstrukturen weiter gefördert werden, etwa durch Einzahlungen in den Solutions Fund und die Solutions-Adviser-Fazilität. Möglicherweise können diese Instrumente auf weitere Partnerländer der deutschen EZ ausgeweitet werden, die Potentiale für regierungsgeführte, entwicklungsorientierte Lösungswege aufweisen. Darüber hinaus sollte sich die Bundesregierung gezielt in den nachfolgend skizzierten Bereichen engagieren.
Verankerung des Themas auf internationaler Ebene
Eine entscheidende Rolle bei dem Bemühen, Binnenvertreibung langfristig auf der internationalen Agenda zu verankern, kommt der sogenannten »Group of Friends« zu. Sie besteht aus den 15 Pilotländern sowie 15 Geberländern (darunter Deutschland) und hat Pipers Mandat von Beginn an eng begleitet. Die Bundesregierung sollte sich für Erhalt und Erweiterung dieser in Genf tagenden Gruppe einsetzen und die Diskussion darüber, wie und wo das Thema Binnenvertreibung institutionell verortet werden soll, durch eigene Impulse vorantreiben. Denkbar wäre ein regelmäßig tagendes Forum der UN-Mitgliedstaaten, das es den betroffenen Ländern ermöglicht, über ihre Erfahrungen und Fortschritte zu berichten, das multilaterale Entwicklungsbanken einbindet und den Stimmen der Binnenvertriebenen Gehör verleiht. Die schon jetzt bestehende »convening power« Deutschlands ließe sich weiter stärken, würde die Bundesregierung den Co-Vorsitz in der »Group of Friends« übernehmen. Parallel zu den vorrangig humanitär geprägten Diskussionen in Genf könnte Deutschland einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, die Staatengemeinschaft in New York zu mobilisieren, wo entwicklungspolitische Richtungsentscheidungen getroffen werden. Ein wichtiger neuer Ansatzpunkt liegt darin, dass das Ziel, Binnenvertriebenen den Zugang zu dauerhaften Lösungen zu erleichtern, im kürzlich verabschiedeten UN-Zukunftspakt enthalten ist.
Mehr Entwicklungs- und Klimafinanzierung für Binnenvertriebene
Als Anteilseigner internationaler Finanzinstitutionen und wichtige Stimme insbesondere im Vorstand der Weltbank sollte sich Deutschland dafür einsetzen, dass die spezifischen Bedürfnisse von Binnenvertriebenen in der Entwicklungsfinanzierung stärker beachtet werden. Dies kann entweder in Form themenspezifischer Finanzierungsinstrumente zur Entlastung besonders betroffener Regierungen geschehen oder dadurch, dass die Belange von Binnenvertriebenen systematisch in bestehenden Instrumenten berücksichtigt werden. Ziel ist letztlich die Schaffung von Anreizstrukturen, mit denen sich staatliche Autoritäten in betroffenen Ländern dazu bewegen lassen, Binnenvertreibung als Entwicklungsherausforderung anzuerkennen und glaubhafte Selbstverpflichtungen einzugehen. Liegen solche Selbstverpflichtungen in Form von »costed plans« vor, sollte die jeweilige Regierung Zugang zu tragfähigen zusätzlichen Finanzierungsquellen erhalten. Im Fall katastrophenbedingter Binnenvertreibung ist auch eine Querfinanzierung aus dem Klimabereich denkbar; unter anderem berücksichtigt der 2023 neu aufgesetzte Fonds für Verluste und Schäden das Thema Binnenvertreibung. Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass sich dies in faktische Zugänge zu Darlehen und Zuschüssen für von Binnenvertreibung besonders betroffene Länder übersetzt. Um einen Beitrag zur besseren Prävention von Binnenvertreibung zu leisten, sollte sie zusätzlich darauf hinwirken, dass die Mittel für Klimaanpassung, Katastrophenrisikominderung und resilienzfördernde Maßnahmen ausgeweitet werden.
Partizipation und Rechenschaftslegung stärken
Langandauernde Binnenvertreibung stellt einen fundamentalen Bruch im Verhältnis zwischen Regierung und Staatsangehörigen dar. Dauerhafte Lösungen sind nur erreichbar, wenn die unmittelbar Betroffenen miteinbezogen werden. Ebendies ist oft nicht gegeben, gerade in Bezug auf Frauen, junge Menschen und marginalisierte Gruppen wie indigene Bevölkerungen, LGBTQIA+-Personen oder Menschen mit Behinderungen. Im Sinne ihrer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik sollte die Bundesregierung sicherstellen, dass die von ihr finanzierte Programmarbeit partizipativ entwickelt wird, wie es dem Bottom-up-Ansatz gemäß HDP-Nexus entspricht. Binnenvertriebenen sollte dadurch die Möglichkeit eröffnet werden, zwischen verschiedenen Lösungsansätzen zu wählen. Um die Umsetzung zu begleiten, ist der Aufbau eines transparenten Daten-, Monitoring- und Evaluierungssystems im jeweiligen Land unerlässlich. Nur so können Fortschritte auf dem Weg zu dauerhaften Lösungen anhand kontextspezifischer Ziele und Indikatoren messbar gemacht und eine Rechenschaftslegung staatlicher Autoritäten gewährleistet werden.
Nadine Knapp und Dr. Anne Koch sind Wissenschaftlerinnen in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Das Aktuell wurde verfasst im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten Projekts »Strategische Flucht- und Migrationspolitik«.
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DOI: 10.18449/2024A55