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Weiterer Reformbedarf
VII. Weiterer Reformbedarf
Die hohen Wahlergebnisse haben Putin eine solche Stärkung seiner Position gebracht, dass er beim Verzögern des Reformtempos nicht mehr politische Widerstände als Entschuldigung anführen kann. Die Ende August 2004 eingeleitete Abschaffung der Sozialleistungen für Veteranen, Rentner, Schwerbehinderte und weitere 50 Personengruppen, die fast ein Viertel der gesamten Bevölkerung betreffen (freie Fahrt im Nahverkehr und Medikamente, Verbilligung der Mieten und der Telefonkosten usw.), zugunsten der Zahlung einer monatlichen Pauschalsumme hat zu Demonstrationen in vielen Städten geführt und die Popularität Putins von bisher rund 70 % auf unter 50 % sinken lassen.
Dringend müsste die Kommunalreform durchgeführt werden, d.h. es müssten die in kommunalem Besitz befindlichen Wohnungen nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten bewirtschaftet werden. Das würde bedeuten, dass kostendeckende Mieten gezahlt werden müssten, damit die Kommunen entsprechende Einnahmen haben, um den weiteren Verfall der Häuser aufhalten und Reparaturen vornehmen zu können. Ferner müssten für die kommunalen Dienstleistungen wie Heizung, Wasser, Müllbeseitigung usw. die tatsächlichen Kosten von den Mietern gefordert werden. Zu diesen Zahlungen dürften viele Menschen nicht in der Lage sein.
Zur administrativen Reform gehört die Reform auf der föderalen Struktur wie die Verringerung der Zahl der 89 Föderationssubjekte. Der Regierung liegen zwei Varianten vor: Die erste Variante umfasst die Reduzierung der Föderationssubjekte auf 28 Gouvernements, die zweite Variante auf 20 Gouvernements. Bei der ersten Variante werden ein Gouvernement aus einem Gebiet, zehn Gouvernements aus je zwei Gebieten, zwei Gouvernements aus vier Gebieten und ein Gouvernement aus sechs Gebieten gebildet. Dazu ist eine Änderung der Verfassung erforderlich. Erste diesbezügliche Reformansätze gehen in die Richtung, die Autonomen Kreise, die als Föderationssubjekte einerseits den anderen Föderationssubjekten (Republiken, Gebieten) verfassungsgemäß rechtlich gleichgestellt sind, in die Gebiete einzugliedern, denen sie andererseits unterstehen. Diesen Verfassungswiderspruch akzeptierte 1993 Präsident Boris Jelzin, weil der damals nicht auflösbar war. Nun zeigen sich bereits bei diesen kleinen Schritten zur Reform der föderalen Struktur schon deutliche Widerstände der Autonomen Kreise, die sich gegen ihre Vereinnahmung durch die Gebiete wehren.