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Russland nach den Wahlen

in: PIN - Politik im Netz (www.politik-im-netz.com)

IX. Marktwirtschaft in einem autoritären System?

Wenn Putin Russland auf den westlichen Modernisierungsweg führen will, so ist das sicher ernst zu nehmen. Die Frage ist nur, ob er Demokratie und Marktwirtschaft nur als Herrschaftstechniken einsetzen will oder ob er sich um ihrer Inhalte wegen zu ihnen bekennt. Putin hat nie westliche Demokratie und zivile Gesellschaft von innen heraus kennengelernt, weil er nie unter diesen Bedingungen gelebt hat, was ihm nicht vorzuwerfen ist.

Putin ist von Personen umgeben, die nach den Jelzin-Jahren, in denen Demokratie mit Chaos verwechselt wurde, einen starken Staat wollen, den sie sich nur durch Einschränkung von Demokratie vorstellen können. Sie können nicht verstehen, dass starker Staat und Demokratie kein Widerspruch ist.

Sollten diese Kräfte der Ansicht sein, Marktwirtschaft mit Autoritarismus in der Politik verbinden zu können, so täuschen sie sich. Auf Dauer kann eine Gesellschaft nicht in verschiedene Teilbereiche zerlegt werden, die sich unabhängig voneinander entwickeln, denn die Wirtschaftsdemokratie der Marktwirtschaft verlangt die politische pluralistische Demokratie und umgekehrt. Man kann versuchen, diese Zusammenhänge für eine gewisse Zeit zu ignorieren. Aber ab einer gewissen Größenordnung des Abstandes zwischen der Wirtschaftsordnung und dem politischen System muss sich entweder das politische dem wirtschaftlichen System anpassen, oder die wirtschaftliche Entwicklung wird abgebremst. Letzteres kann sich Russland jedoch nicht leisten, wenn es wieder Großmacht werden will, die heute weitgehend ökonomisch definiert wird. Nach dem im Dezember 2003 von der Stiftung Bertelsmann erstellten Transformationsindex erreichen Staaten mit einem funktionierenden demokratischen System auch gute marktwirtschaftliche Transformationserfolge.

Wenn mit der Einführung autoritären Tendenzen begonnen wird, können sie eine Eigendynamik entwickeln. Wer will sie dann noch abbremsen, wenn sie anfangen, sich in Richtung Diktatur zu bewegen, wenn es kein demokratisches Korrektiv mehr gibt? Wer will wann anhand welcher Kriterien feststellen, dass die Zeit des Autoritarismus nun vorbei ist und dass zur Demokratie wieder zurückgekehrt werden kann?

Und schließlich darf nicht vergessen werden, dass ein autoritäres Russland weniger Chancen hat, sich in den europäisch-atlantischen Dialog zu integrieren.

Sicher wird sich in Russland keine Kopie des westlichen Demokratiemodells herausbilden, zumal dieses auch unterschiedliche Ausprägungen hat. Aber Russland sollte bei der Entwicklung seines spezifischen Wirtschafts- und Politikmodells nicht die demokratischen Grundstrukturen aussparen.

Literatur:

Ulrich Eith/Gerd Mielke, (Hrsg.), Gesellschaftliche Konflikte und Parteisysteme. Wiesbaden 2001.

Seymour Martin Lipset/Stein Rokkan, Party Systems and Voter Alignments: Cross-National Perspectives. New York 1997.

Quelle: PIN - Politik im Netz, 6. Jg, Ausgabe: 27, im März 2005