Der Schlüssel zur Befriedung des Krisenherds in Nordkorea liegt nicht in Verhandlungen mit Pjöngjang. Vielmehr müssen sich die USA und China auf eine Neuordnung der Region einigen, meint Hanns W. Maull.
Kurz gesagt, 20.04.2017 ForschungsgebieteDer Schlüssel zur Befriedung des Krisenherds in Nordkorea liegt nicht in Verhandlungen mit Pjöngjang. Vielmehr müssen sich die USA und China auf eine Neuordnung der Region einigen, meint Hanns W. Maull. Erst dann werden sie Nordkorea wirksam gegenübertreten können.
Man muss Nordkoreas geschundene Bevölkerung bedauern: Auf ihrem Rücken hält sich in Pjöngjang ein Regime an der Macht, das menschenverachtender kaum sein könnte. Doch die bizarre, kommunistisch verbrämte Dynastie der Familie Kim krallt sich an der Macht fest mit allem, was ihr dazu geeignet erscheint. Dazu zählt nicht nur ein Arsenal von derzeit rund zwanzig nuklearen Sprengsätzen (Tendenz: zunehmend) und von Raketen, an deren Reichweite das Regime mit Hochdruck arbeiten lässt. Wie der Mordanschlag auf den Halbbruder des jetzigen Machthabers in Pjöngjang in Malaysia vor einigen Wochen zeigte, verfügt das Regime auch über chemische und wohl auch biologische Massenvernichtungswaffen, vermutlich in der Größenordnung von mehreren Tausend Tonnen.
Es ist der rücksichtslose Überlebenswillen dieses blutrünstigen Regimes, das die koreanische Halbinsel zu einem globalen Krisenherd macht. Um sein Überleben und seine Komfortansprüche zu sichern, hat dieses Regime das eigene Land bis zum Verhungern hunderttausender Menschen abgewirtschaftet; seine Einnahmen rühren auch aus Machenschaften wie Drogenhandel, Hacker-Attacken auf die Zentralbank von Bangladesch (sie erbrachten offenbar 81 Mio. US-Dollar) oder dem Verleih von nordkoreanischen »Gastarbeitern« an China und Russland. Seine atomare Aufrüstung sieht das Regime nicht nur als ultimative Sicherheitsgarantie gegen äußere Feinde, sondern auch als Möglichkeit, seinen Nachbarn und der internationalen Staatengemeinschaft Unterstützungsleistungen abzupressen.
Pjöngjangs Strategie geht auf
Diese Strategie des Regimes in Pjöngjang war bislang bemerkenswert erfolgreich: Über ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Krieges ist die Familiendynastie der Kims noch immer an der Macht – nicht zuletzt deshalb, weil es die internationale Staatengemeinschaft und seine Nachbarn in Südkorea, China und Japan dazu brachte, faktisch das Regime zu alimentieren.
Der Kern des Nordkorea-Problems besteht im Wesen seiner politischen Ordnung. Diese Ordnung basiert auf Gewalt und Unterdrückung, sie definiert Politik in Kategorien von Sieg oder Vernichtung, sie kennt keinen Kompromiss jenseits des taktischen Zurückweichens. Verhandlungen mit diesem System können, so zeigen die Erfahrungen, bestenfalls Zeit gewinnen, aber keine einvernehmlichen Lösungen erreichen, weil das Regime sich auch an internationale Verträge nicht gebunden fühlt und diese bricht, sobald ihm dies nützlich erscheint. Auch Sicherheitsgarantien sind in dieser Lage illusorisch: Was die Stabilität Nordkoreas bedroht, ist der Charakter seiner politischen Ordnung, nicht ein äußerer Feind.
Im Umgang mit diesem Problem haben Peking wie Washington es bislang vorgezogen, unbequemen Realitäten auszuweichen und stattdessen ihren Wunschvorstellungen anzuhängen. Diese Wunschvorstellung war für Amerika der Kollaps des Regimes, für China ein nach dem chinesischen Modell wirtschaftlich reformiertes Nordkorea unter der Herrschaft der nordkoreanischen Arbeiterpartei. So zog sich Washington auf eine Politik der »strategischen Geduld« zurück, die Donald Trump jetzt beenden will, ohne zu wissen, wie das geschehen soll. Peking dagegen hält bis heute Nordkorea durch Finanzhilfen über Wasser, um an seiner Grenze Ruhe zu haben.
Nordkorea wird sich auch in Zukunft nicht öffnen
Was aber würde es bedeuten, wenn das Regime in Nordkorea auch noch die nächsten dreißig Jahre überdauern würde? Kim Jong-un ist gerade erst Anfang dreißig, seine Machtposition erscheint ungefährdet. Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist dieses System zu nachhaltigen Wirtschaftsreformen nicht in der Lage: Das Land müsste sich öffnen, und das könnte das Regime nur allzu leicht in seinen Grundfesten erschüttern. Viel plausibler erscheint es, dass es auch in Zukunft versuchen wird, sein Überleben mit allen verfügbaren Mitteln zu sichern – und zu diesen Mitteln gehört auch die Erpressung der Nachbarn mit Hilfe seiner wachsenden Arsenale von Massenvernichtungswaffen. Es wäre naiv zu glauben, dass diese Arsenale Pjöngjangs einzig und allein der Abschreckung dienen sollen; das Regime wird Mittel und Wege suchen, um sie auch anderweitig für seine Zwecke zu nutzen.
Dass Amerika und China zusammenarbeiten sollten, um diesen Krisenherd zu entschärfen, gehört seit langem zu den Gemeinplätzen der Ostasien-Diplomatie. Diese Zusammenarbeit gibt es ja durchaus auch, wie etwa die Sechs-Parteien-Gespräche oder die Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen Nordkorea durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zeigten. Aber sie geht nicht weit genug, und sie setzt am falschen Ende des Problems an. Was das Zusammenwirken von Washington und Peking in der Koreafrage erschwert, ist »strategisches Misstrauen«: Jeder verdächtigt den anderen, einem selbst den gebührenden Platz in der regionalen Ordnung Ostasiens verwehren zu wollen. Bislang reichte es deshalb nur zu einem sehr begrenzten Zusammenwirken der beiden, das es Pjöngjang erlaubte, China und die USA faktisch gegeneinander auszuspielen.
Für die Entschärfung des Konflikts bedarf es einer Neuordnung der Region
Könnten sich Washington und Peking dagegen auf die Grundprinzipien der regionalen Neuordnung Ostasiens nach dem Ende des Regimes von Kim Jong-un verständigen, würde sich der Handlungsspielraum für Pjöngjang drastisch verringern. China und Amerika könnten dann – etwa bei Wirtschaftssanktionen gegen Nordkorea – gemeinsam sehr viel nachdrücklicher und glaubwürdiger auftreten, als dies bislang der Fall ist. Der Weg aus dem nordkoreanischen Labyrinth führt über die Neubestimmung der regionalen Ordnung in Ostasien, nicht über Verhandlungen mit Pjöngjang. In China ist nun offenbar wieder die Debatte um Pekings Nordkoreapolitik aufgebrochen, wie die bemerkenswerten Thesen eines der führenden Korea-Historiker des Landes zeigen: Er plädiert dafür, Peking solle Nordkorea fallen lassen. Und auch Donald Trumps neue Administration in Amerika hat immerhin zu erkennen gegeben, dass sie – durchaus auch zusammen mit China – nach neuen Wegen sucht, um die Bedrohung Ostasiens und der Welt durch Nordkoreas Massenvernichtungswaffen auszuräumen. In diesem Umdenken steckt vielleicht die Chance auf einen neuen internationalen Ansatz im Umgang mit Pjöngjangs bedrohlichen Arsenalen.
Dieser Text ist auch bei Zeit.de erschienen.
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Aus chinesischen Fachzeitschriften und sozialen Medien der Jahre 2013–2015