Frankreichs Präsident Macron hat die Mehrheit im Parlament verloren. Er muss für seine Wirtschaftspolitik Unterstützung in anderen Lagern suchen, um die soziale Unzufriedenheit einzudämmen und den Aufstieg der euroskeptischen Kräfte aufzuhalten, meinen Paweł Tokarski und Jonas Kaiser.
Der wiedergewählte französische Präsident Emmanuel Macron hat seine absolute Mehrheit im Parlament verloren. In der Endphase des Wahlkampfes war die Wirtschaftspolitik in den Fokus gerückt, da Macron durch die populistischen Vorschläge der Linken um den EU-kritischen Jean-Luc Mélenchon unter Druck geriet. Das linke Bündnis ist nun das deutlich stärkste Oppositionslager, während Marine Le Pens Partei »Rassemblement National« ihre Sitze mehr als verzehnfachen konnte. Damit muss Macron in den nächsten fünf Jahren nicht nur seine wirtschaftspolitischen Ziele klarer formulieren sowie für mehr Verständnis und Akzeptanz in der Bevölkerung werben, sondern auch auf die Unterstützung anderer Lager im Parlament bauen. Dies betrifft insbesondere die geplante Rentenreform, bei der Macron das Renteneintrittsalter von bisher 62 Jahren anheben will, um den Druck auf die öffentlichen Finanzen zu verringern. Denn obwohl die wirtschaftliche Lage zu Beginn seiner zweiten Amtszeit besser ist als erwartet, gibt es eine erhebliche soziale Unzufriedenheit, die sich auch in der geringen Wahlbeteiligung zeigte.
Die Corona-Pandemie war der größte wirtschaftliche Schock für Frankreich seit dem Zweiten Weltkrieg. Insgesamt hat das Land diesen jedoch gut überstanden. Das Zusammenspiel von einer hohen Impfquote mit üppigen fiskalpolitischen Unterstützungen sowie einem stabilen privaten Investitionsniveau hat sich bewährt.
Bei dieser positiven Entwicklung hat die EU eine wesentliche Rolle gespielt. Gemeinsam konnten die Mitgliedsstaaten die Impfstoffentwicklung vorantreiben, mit der Aussetzung der Fiskalregeln finanziellen Spielraum in den Haushalten schaffen und durch das Programm »Next Generation EU« Mittel für Investitionen bereitstellen.
Die französische Regierung hat zudem zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um steigende Energiepreise und Inflation vor allem für einkommensschwächere Haushalte abzufedern, darunter ein einmaliger Inflationsausgleich und eine Gaspreisdeckelung. Folglich ist die Inflationsrate des zweitgrößten EU-Staats eine der niedrigsten in der EU. In der Energiepolitik ist Frankreich deutlich unabhängiger von Russland als andere mittel- und osteuropäische Staaten, da der Löwenanteil der Energie in Atomkraftwerken erzeugt wird.
Zu Beginn dieses Jahres lagen die Wachstumsprognosen der Wirtschaft weit über dem, was man sich zu Beginn des Notstands hat erhoffen können. Die Arbeitslosigkeit – eine besonders wichtige Kennzahl in der französischen Politik – ist während der Pandemie weiter zurückgegangen. Sie liegt nun mit 7,4 Prozent auf dem niedrigsten Niveau seit der Finanzkrise 2008. Gemessen an diesen makroökonomischen Faktoren ist die erste Amtszeit Macrons durchaus positiv zu werten.
Eine gute wirtschaftliche Lage sollte einer amtierenden Regierung bei Wahlen Rückenwind verschaffen. Doch die erste Präsidentschaftswahlrunde hat gezeigt, wie zersplittert die Gesellschaft ist. Sowohl die rechte als auch die linke Extreme konnten große Zuwächse verzeichnen. Besonders deutlich war dies bei jungen und einkommensschwachen Wählerinnen und Wählern. In beiden Demografien gaben zwei Drittel ihre Stimme für Le Pen oder Mélenchon ab.
Dies verdeutlicht die Wut und die Enttäuschung über die Politik. Es herrscht geringes Vertrauen in Eliten, Politik und Medien, dessen Opfer zuletzt die zwei großen Volksparteien wurden. Beide sind fast in die politische Bedeutungslosigkeit abgerutscht. Die niedrige Wahlbeteiligung bestätigt diese Entwicklung. Nach einem historisch niedrigen Wert von nur 47,5 Prozent in der ersten Runde der Parlamentswahlen, ist auch in der zweiten Runde nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten zur Urne geschritten.
Mit Sozialausgaben von mehr als 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts war Frankreich 2019 OECD-Spitzenreiter. Nichtsdestotrotz herrscht ein Gefühl grober sozialer Ungerechtigkeit, der den Wunsch nach einer radikalen Veränderung auslöst. In einer Umfrage des Ipsos Institut im September 2021 gaben 75 Prozent der Befragten an, dass sich Frankreich im Abstieg befinde. Es scheint, als habe die Bevölkerung das Gefühl, nicht an der positiven gesamtwirtschaftlichen Entwicklung teilzuhaben. Dieses Gefühl wurde durch die sogenannten Gelbwesten-Proteste verkörpert, die sich 2018 zunächst gegen eine höhere Abgabe auf Treibstoff richteten, dann aber gegen die allgemeine Steuerpolitik und Regierung ausweiteten. Macron, der sich als Präsident der Mitte präsentiert, gilt vielen als Präsident der Reichen.
In der zweiten Amtszeit wird die fehlende Mehrheit im Parlament für Macron nun die größte Herausforderung sein – auch um mit seiner Wirtschaftspolitik der sozialen Unzufriedenheit zu begegnen. In diesem Zusammenhang wird die Fähigkeit, im Parlament politische Kompromisse zu erzielen, ein Test für das französische politische System. Wenn dies gelingt, könnte es die Akzeptanz der Bürger für die Maßnahmen der Regierung erhöhen. Macron hat fünf Jahre Zeit, um die ideologischen Gräben in der Wirtschaftspolitik zu überwinden und die Gesellschaft davon zu überzeugen, dass die EU kein Hindernis, sondern ein Mittel ist, um den Wohlstand der Französinnen und Franzosen zu sichern. Andererseits ist es wahrscheinlich, dass die zunehmende politische Polarisierung und drohende Dysfunktionalität des Parlaments jeden vernünftigen Dialog über die Wirtschaftspolitik behindert.
Mit Blick hierauf wird das externe makroökonomische Umfeld zumindest zu Beginn der zweiten Amtszeit Macrons immer ungünstiger, vor allem wegen der zunehmenden Folgen des Krieges in der Ukraine wie Inflation und Konjunkturabschwächung. Auch die Kosten der Schuldenfinanzierung dürften in Zukunft steigen. Zudem steht der EU im Jahr 2023 die Diskussion über die Reformen der Fiskalregeln an. Dies ist fruchtbarer Nährboden für populistische Kräfte, um Kritik an der Wirtschaftspolitik Macrons zu üben.
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Beitrag zu einer Sammelstudie 2021/S 04, 31.03.2021, 54 Seiten, S. 27–31