Beim Super Tuesday werden die Weichen für die Nominierung des demokratischen Präsidentschaftskandidaten gestellt. Doch wie muss der Kandidat aufgestellt sein, um Trump zu schlagen? Lars Brozus und Johannes Thimm haben unterschiedliche Antworten auf diese Frage.
Lange galt der Grundsatz, dass Präsidentschaftswahlen in den USA in der politischen Mitte gewonnen werden. Aufgrund des Mehrheitswahlrechts war im amerikanischen Zwei-Parteiensystem der Kampf um die dort verorteten Wechselwähler entscheidend. Deshalb galten Kandidaten mit moderaten Positionen als besonders erfolgversprechend. Bewerber wie der erzkonservative Republikaner Barry Goldwater 1964 oder der linke Demokrat George McGovern 1972 wurden durch haushohe Niederlagen abgestraft.
Bereits die Wiederwahl von George W. Bush im Jahr 2004 erschütterte diese Gewissheit. Erstmals führte eine bewusst nicht auf die Mitte, sondern den konservativen Rand des politischen Spektrums ausgerichtete Wahlkampfstrategie zum Erfolg. Auch die überraschende Niederlage von Hillary Clinton gegen Donald Trump vor vier Jahren verdeutlichte, wie entscheidend die Mobilisierung des gesamten Wählerpotentials für den Wahlausgang ist.
Die ideale Kandidatur begeistert die eigenen Anhänger und überzeugt gleichzeitig Unentschlossene davon, für die Demokraten zu stimmen. Barack Obama kam diesem Ideal nahe, doch im diesjährigen Wahlkampf ist keine vergleichbare Person in Sicht; zudem ist unklar, ob er unter den heutigen Bedingungen ebenso erfolgreich sein könnte. Den größten Enthusiasmus löst bislang Bernie Sanders aus. Allerdings befürchten viele, dass er mit seinen progressiv-linken Positionen mögliche Wechselwähler verschreckt. Deren Zahl hat jedoch in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen, und zwar parallel zur stetig ansteigenden parteipolitischen und ideologischen Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft. In den 1990er Jahren wurde ihr Anteil am Elektorat noch auf etwa 20 Prozent geschätzt, mittlerweile gelten aber nur noch sechs bis zehn Prozent als tatsächlich unentschlossen. Die Zielgruppe, die durch die richtige Kombination aus Kandidatin bzw. Kandidat und moderaten Politikinhalten zu gewinnen ist, ist somit um die Hälfte geschrumpft.
Weitgehend unstrittig ist, dass das Wählerpotenzial der Demokraten größer ausfällt als das der Republikaner. Die Demokraten vereinen die Stimmen einer Vielzahl von gesellschaftlichen Gruppen auf sich, die ein breites kulturelles, ethnisches und politisches Spektrum repräsentieren – von der schwarzen Gewerkschafterin bis zum queeren Genderaktivisten. Uneinigkeit herrscht hingegen über den richtigen Weg, dieses Wählerpotenzial zu aktivieren. Entscheidet sich die Wahl durch die Mobilisierung des progressiven Spektrums oder im Kampf um die moderate Mitte? Lars Brozus und Johannes Thimm kommen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen.
Lars Brozus
Zwei Gründe sprechen dafür, dass der Weg in die Mitte ein Fehler wäre. Erstens besteht die beste Chance, im November vorn zu liegen, darin, jemanden zu nominieren, der nicht nur die eigenen Anhänger, sondern auch Erst- und Nichtwähler zu elektrisieren vermag. Dieses Wählerpotenzial lässt sich durch moderate Positionen jedoch nur schwer aktivieren. Progressive Ideen fallen hingegen auf fruchtbaren Boden, denn das ideologische Spektrum der Demokraten hat sich nach links verschoben. Zudem ist die Wahlbevölkerung jünger und bunter geworden: Der Anteil der Erstwähler hat sich seit 2016 auf etwa zehn Prozent verdoppelt, ethnische Minderheiten machen inzwischen ein Drittel des Elektorats aus. All das schwächt das moderate Milieu, das Obama noch zu erreichen vermochte. Schon Hillary Clinton gelang es mit ihren gemäßigten Positionen vor vier Jahren nicht, das progressiv-linke Spektrum des demokratischen Wählerpotenzials für sich zu gewinnen.
Zweitens dürfte es nahezu unmöglich sein, konservative Wähler davon zu überzeugen, diesmal für die Demokraten oder zumindest nicht für Trump zu stimmen. Denn die vorwiegend weiße, ländliche und ältere Wählerschaft der Republikaner befürchtet, dauerhaft zur Minderheit zu werden. Tatsächlich wird die amerikanische Gesellschaft ethnisch heterogener, kulturell vielfältiger und gesellschaftspolitisch liberaler. In einer Art Dauerwahlkampfmodus nutzt Trump diese Angst, indem er die Ernennung konservativer Richter oder die Eindämmung der Immigration als Erfolge verkauft, die der Liberalisierung der amerikanischen Gesellschaft Grenzen setzen. Mit den Erfolgsmeldungen verbunden ist die Drohung, dass alles gefährdet sei, wenn die Demokraten wieder an die Macht kämen. Weil diese Botschaft den republikanischen Anhängern unaufhörlich eingehämmert wird, dürften sie hochmotiviert sein, zur Wahl zu gehen und für Trump zu stimmen.
Im demokratischen Kandidatenfeld stehen Elizabeth Warren und Bernie Sanders für progressive Ideen. Warren entfacht bislang nur wenig Begeisterung, während Sanders über die enthusiastischsten Anhänger verfügt. Er ist sicher nicht die erste Wahl, wenn es darum geht, Wechselwähler in der Mitte zu gewinnen. Aber die bisherigen Vorwahlergebnisse und die Tatsache, dass er seine Wahlkampagne durch Millionen von Kleinspendern finanzieren kann, unterstreichen seine Popularität. Die Warnung, dass seine Nominierung Trumps Wiederwahl garantieren würde, überzeugt daher nicht.
Johannes Thimm
Das Argument, dass Mobilisierung mit progressiven Positionen wichtiger sei als ein Ansprechen der Mitte, hat drei entscheidende Schwächen.
Erstens könnte ein Kandidat vom linken Rand nicht nur die eigene Basis mobilisieren, sondern auch die Basis von Trump in Rekordhöhe an die Wahlurnen treiben und so den eigenen Mobilisierungsvorteil wieder zunichtemachen.
Zweitens ist davon auszugehen, dass gerade die dezidiert linken Anhänger der Demokraten hoch motiviert sind, Trump aus dem Amt zu wählen und zu diesem Zweck auch für eine Person stimmen würden, die ihre politischen Präferenzen nicht vollständig reflektiert. Um sie zu mobilisieren, bedarf es keines besonders linken Kandidaten.
Drittens, und das ist das zentrale Argument für einen Kandidaten der Mitte, verlieren die Demokraten die Unentschlossenen, wenn diese gezwungen sind, zwischen zwei Extremen zu wählen. Schwierig wird es insbesondere dann, wenn sie zu der Auffassung gelangen, dass das Programm eines sehr linken Kandidaten einen zufriedenstellenden Status quo, etwa die wirtschaftliche Stabilität, gefährdet.
Ein Beispiel: Ein massiver Ausbau des Sozialstaats – unter anderem ein steuerfinanziertes öffentliches Gesundheitssystem und kostenlose Universitätsbildung –, wie Sanders ihn fordert, muss mit deutlich höheren Steuern finanziert werden. Diese Aussicht könnte viele Unentschiedene unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit verschrecken, selbst solche, die von Trump genug haben: Sie würden entweder nicht wählen oder doch für Trump stimmen. Man kann daher nicht sicher davon ausgehen, dass die mutmaßlich höhere Wahlbeteiligung am linken Ende des Spektrums, die ein progressiver Kandidat verspricht, die damit einhergehenden Verluste in der Mitte ausgleichen könnte.
Umgekehrt kann es gerade in eher konservativ geprägten Wahlkreisen durchaus erfolgversprechend sein, mit moderaten Positionen anzutreten. Dies gilt besonders, da durch die Besonderheiten im amerikanischen Wahlsystem konservative Wahlkreise überproportional viel Gewicht haben. So gelang es den Demokraten bei den Zwischenwahlen zum Kongress 2018, durch die Nominierung von Kandidaten der Mitte zahlreiche Wahlkreise zu gewinnen, die zuvor an die Republikaner gegangen waren.
Zwar mag die Zahl der Wechselwähler insgesamt schwinden, doch können sie noch immer wahlentscheidend sein. Es darf daher bezweifelt werden, ob es für die Demokraten taktisch klug ist, sich auf Trumps Spiel der maximalen Polarisierung einzulassen.
Wahlgesetze als Objekt parteipolitischer Erfolgsstrategien
Zwar dürfte eine Mehrheit der Republikaner eine Ablösung Trumps durch den Vizepräsidenten begrüßen, gleichzeitig ist die Partei aber auf die Stimmen von Trump-Anhängern angewiesen. Lars Brozus und Johannes Thimm über ein machtpolitisches Dilemma.
Autoritär aufgeladener Populismus in den US-Vorwahlen