Direkt zum Seiteninhalt springen

Russische Atomwaffen im Weltraum?

Mögliche Zerstörung im All, Eskalation auf der Erde und Rüstungskontrollschäden

SWP-Aktuell 2025/A 18, 17.04.2025, 8 Seiten

doi:10.18449/2025A17

Forschungsgebiete

Nach Einschätzung der US-Regierung arbeitet Russland daran, einzelne seiner Satel­liten mit einem nuklearen Sprengkopf zu bewaffnen. Erlangte der Kreml diese Fähig­keit, könnte er durch die Zündung einer einzigen solchen Kernwaffe im erdnahen Orbit zentrale Teile der zivilen Satelliteninfrastruktur zerstören. Weil sich im Welt­raum zudem wichtige Militärsatelliten der USA befinden, könnte ein Einsatz russischer Atomwaffen im All das US-Militär empfindlich schwächen – und aufgrund dieses Potentials eine militärische Eskalation auf der Erde auslösen. Bereits die Statio­nierung eines Atomsprengkopfs im All würde den internationalen Weltraum­vertrag verletzen. Diese Fähigkeit zu erarbeiten passt in die russische Strategie, durch die Beschädigung der internationalen Ordnung sowie drastisches und riskantes Verhalten westliche Zugeständnisse zu erreichen, vor allem beim Thema Ukraine. Auch mit nichtnuklearen Antisatellitenwaffen versucht der Kreml, den zunehmend militarisierten Weltraum in dieses Vorgehen einzubinden. Gegen diese dauerhaft bestehende Herausforderung sollte sich Europa wappnen.

Die Abhängigkeit westlicher Staaten und Gesellschaften von der Nutzung des Welt­alls nimmt zu. Sie verlassen sich auf kom­merzielle Dienstleistungen, die satelliten­gestützte Kommunikation nutzen. Wie wichtig der Welt­raum für moderne Kriegs­führung ist, illustriert der Krieg in der Ukraine: Satelliten sind darin elementar für die Aufklärung des Gefechtsfelds und die Ziel­steuerung tausen­der Droh­nen. Mit der Abhängigkeit des Westens steigt seine Ver­wund­bar­keit. Die Bedrohungsentwicklung beschleunigt sich derzeit, da Russland und China in Antisatellitenwaffen inve­stie­ren. Bisher waren diese nur kon­ventionell bewaffnet. Sind sie es bald auch nuklear?

Moskaus Pläne: Was wissen wir?

Zu Russlands Antisatellitenwaffen liegen generell Informationen vor, und auch zu einem nuklearen Aspekt dieses russischen Arse­nals wurde nun einiges bekannt.

Im Zentrum steht dabei Kosmos 2553, ein russischer Satellit, der Anfang Februar 2022 ins All gebracht wurde. Dieser erregte sofort das Interesse der US-Streitkräfte, da er sich in einem ungenutzten Bereich des Weltalls befindet. Das trifft an­sonsten nur auf ausrangierte Satelliten zu. Russ­land erklärt die Wahl dieser ungewöhn­lichen Umlaufbahn mit rein wissenschaft­lichen Motiven: Es wolle Materialien und elektro­nische Komponenten auf ihre Belast­barkeit bei höherer Strahlung testen. Die US-Regie­rung hält diese Erklärung nicht für glaub­haft, da die Strahlung in der Umlaufbahn von Kosmos 2553 zwar sehr hoch, aber für die von Moskau beschriebenen Härtetests nicht hoch genug sei.

Neben der Existenz von Kosmos 2553 erscheint gesichert, dass es in Russland ein nukleares Antisatellitenprogramm gibt. Amerikanische Nachrichtendienste verfol­gen es seit fast einem Jahrzehnt mit Sorge. In Verbindung damit geht die US-Regierung davon aus, dass Moskau in absehbarer Zeit einen oder mehrere Satelliten mit einem Nuklearsprengkopf bewaffnen könnte.

Nach heutigem Konsens handelt es sich bei Kosmos 2553 jedoch nicht um eine schon aktive, »scharfe« Antisatellitenwaffe. Mithin besteht keine akute Bedrohung. Jedoch berichten US-Medien mit Verweis auf Regierungsquellen, der russische Satel­lit sei aktuell mit einem Dummy-Spreng­kopf bestückt. Wenn das zuträfe, wäre es ein starkes weiteres Indiz gegen die wissen­schaftliche Zweckbeschreibung der rus­si­schen Regierung. Jenseits dieser relativen Gewissheiten zu Kosmos 2553 und Russ­lands Plänen sind aber drei Fragen offen.

Erstens ist ungewiss, welcher Bereich des Alls Ziel eines nuklear bewaff­neten russi­schen Satelliten wäre. Man unter­scheidet drei Hauptorbits: Der Low Earth Orbit (LEO) erstreckt sich von 100 bis 2.000 km ober­halb der Erde (vgl. Grafik 1). Er beherbergt fast alle kommerziellen und über 90 Prozent sämtlicher Satelliten im All. Kosmos 2553 kreist dort in 2.000 km Höhe um die Erde. Oberhalb des LEO liegt der Medium Earth Orbit (MEO) in einer Höhe bis etwa 36.000 km. Dort befin­den sich viel weniger Satelli­ten, darunter aber Kernfähigkeiten wie GPS, die europäischen Galileo-Satelliten oder das russische Navigationssystem GLONASS. Der höchste Bereich besteht im Geostationary Earth Orbit (GEO) ab 36.000 km. Im GEO sind einige Wetter- und TV-Satelliten, aber auch die strategischen »Assets« stationiert: militärische Kommunikationssatelliten, »Command and Control«-Kapazitäten und Früh­warnsysteme für Raketen­angriffe.

Wie viele und welche Satelliten von einer Atomexplosion im Weltraum betrof­fen wären, hinge also vom Orbit ab. Eine Kernwaffe im LEO zu zünden zöge zahlen­mäßig die meisten Satel­liten in Mitleidenschaft und störte welt­raumgestützte Fähig­keiten in maximaler Breite. Eine Atom­explosion im MEO beträfe Naviga­tionssyste­me, die auch militärisch genutzt werden. Die »Assets« im GEO sind für die strategische Ab­schreckung wichtig.

Zweitens ist unbekannt, welche Ladung ein künftig nuklear bewaffneter Satellit trüge, denn vor dem Zünden der Waffe ist sie von außen nicht erkennbar. Erkenntnisse aus anderen Quellen sind möglich, dann aber nicht optisch verifizierbar.

Drittens erscheint unklar, wie die bis­herigen Arbeiten Moskaus zur nuklearen Bewaffnung eines Satelliten strategisch zu bewerten sind. Strebt Russland erst einmal nur die Option an, einen derart bewaffneten Satelliten später bei Bedarf im All plat­zieren zu können (wobei offenbliebe, ob die Stationierung umgesetzt wird)? Oder han­delt es sich um ein aufgelegtes Waffen­programm, bei dem die künftige Stationierung beschlossene Sache ist? Im letzteren Fall wäre der Satellit eine Antisatelliten­waffe von vielen, über die Putin verfügt.

Vielfältige Antisatellitenwaffen

Das Vorgehen gegen Satelliten mit der Absicht, diese zu (zer)stören, ist keine neue Verhaltensweise von Staaten. Die amerikanische »Bold Orion«-Testreihe demonstrierte mit aus der Luft abgefeuerten Raketen erst­mals die Fähig­keit, Satelliten abzufangen. Sie begann im Mai 1958, wenige Monate nach dem Start des sowjetischen Sputnik 1 im Oktober 1957 durch die Sowjetunion, dem quasioffiziel­len Beginn des Satellitenzeit­alters. Heute sehen wir fast täg­lich Anti­satellitenmaß­nahmen, etwa das Stören und Täuschen (Jam­ming and Spoofing) von Satel­litensignalen. So stört Russland in der Ost­ukraine seit 2014 GPS-Signale. Beides zeigt die große Bandbreite von Antisatelliten­waffen, die heute zur Verfügung stehen und von denen einige schon zum Einsatz kamen.

An einem Ende des Spektrums finden sich Antisatellitenwaffen mit eher weicher Wirkung, etwa wenn Signale eines Satel­liten nur vorübergehend gestört werden. Aber Staaten wie Russland nutzen sie im Krieg, um Militärkapazitäten des Gegners einzuschränken, und abseits vom Kriegs­geschehen, um Rivalen ihre Ver­wundbar­keit vor Augen zu führen und um Schwach­stellen für den Ernstfall zu finden.

Die drei zentralen ErdumlaufbahnenGrafik 1

Waffen mit härterer Wirkung erreichen indes eine dauerhafte Beeinträchtigung von Satelliten oder gar deren physische Zer­störung. Der Aufbau solcher Fähigkeiten dient in Russland wohl der erpresserischen Gesamtstrategie, westliches Handeln zu beeinflussen, indem der Kreml zeigt, wel­ches Zerstörungspotential mit globalen Auswirkungen man hat, und suggeriert, dass Moskau zu so risikoreichem und rück­sichtslosem Handeln bereit sein könnte.

Jenseits ihrer Wirkungsstärke unterscheiden sich Antisatellitenwaffen danach, wogegen sie sich richten: Sie können den Satelliten im Weltall angreifen, die Boden­station auf der Erde attackieren oder die zwischen diesen zwei Punkten verschickten Signale beeinträchtigen (vgl. Grafik 2).

Antisatellitenwaffen lassen sich grob in vier Gruppen einteilen: elektronische Maß­nahmen, Cyberangriffe, kinetische Waffen und nichtkinetische Waffen. Zu den elek­tronischen Maßnahmen zählen die bereits erwähnten Systeme für das Jamming und Spoofing der Signale von Satelliten. Die Signalstörung verhindert zeitweilig, dass etwa ein GPS-Signal beim Empfänger an­kommt. Im Falle von Signaltäuschungen kommen vorübergehend falsche Signale an. So gefähr­dete häufiges Spoofing durch Russ­land 2024 die zivile Luftfahrt über Estland.

Verschiedene Arten von Antisatellitenwaffen und -maßnahmenGrafik 2

Auch werden Satellitensysteme mit Cybermitteln attackiert. Schon 2007 sowie 2008 wurde die im norwegischen Spitzbergen gelegene Bodenstation amerikanischer Satelliten gehackt. Die Angreifer wären damals sogar in der Lage gewesen, die US-Satelliten zu manövrieren, taten dies aber nicht. Es bedarf folglich keiner Weltraumnation, um Schaden im All anzurichten. Ein Hackerangriff genügt, um gegen Satel­litensysteme vorzugehen.

Die Kategorie der kinetischen Antisatel­litenwaffen umfasst Systeme im All und auf der Erde. Angriffe auf die Boden­station können ein Satellitensystem lahmlegen, etwa durch Luftangriffe oder Sabo­tage.

Russland hat Tests durch­geführt, die auf eine kinetische ko-orbitale Funktion hindeuten: Es hat Projektile mit erhöhter Geschwindigkeit im All abgefeuert. Zu den ko-orbitalen, also im All stationierten Waffen zählen auch Satelliten, die Andock- und Annäherungsmanöver (Rendezvous and Proximity Maneuvers) an andere Satelliten durchführen, da diese Fähigkeit in feind­seliger Absicht genutzt werden könnte. Satelliten könnten aus nächster Nähe an­gegriffen oder gar mit Greifarmen gepackt und in einer neuen Umlaufbahn ausgesetzt werden. Dass dies funktioniert, bewies China 2021 anhand eines still­gelegten eige­nen Satel­liten.

Die bekannteste kinetische Fähigkeit sind »Direct Ascent«-Antisatellitenwaffen. Bei deren Einsatz werden Raketen vom Boden auf einen Satelliten gefeuert, um ihn kinetisch zu zerstören. Bisher haben die USA, Russland, China und Indien diese Kapazität demonstriert, aber nur gegen eigene ausgemusterte Satelliten. Es handelt sich dabei um Tests einer militärischen Fähigkeit zur Abschreckung: Signaling an Rivalen in an­gespannten Situationen. So zer­störte China 2007 einen Wettersatelliten im Kon­text von Spannungen mit Taiwan. Die USA reagierten darauf 2008 mit einem Abschuss. Russland zerschoss Ende 2021 im Vorfeld seiner Invasion der Ukraine einen Auf­klärungssatelliten.

Die nichtkineti­schen Waffen schließlich umfassen Kapazitäten im All und auf der Erde, wie Laser- und Teil­chenstrahlen­waffen, welche die optischen Sensoren von Aufklärungs- und Erdbeob­achtungsatelliten beeinträchtigen sollen. Um die Sensoren zu blenden und so die Funk­tion der Satelliten zu unterbrechen, reicht sehr geringe Laser­energie aus. Stärkere Laser können die Sen­sorik physisch beschädigen und dauer­haft außer Gefecht setzen. China verfügt ziem­lich sicher über solche Waffen. Russ­land gibt an, sie zu besitzen. Über die USA ist be­kannt, dass sie alle Voraussetzungen für die Entwicklung dieser Laserwaffen erfüllen.

Nichtkinetische ko-orbitale Waffen könnten andere Satelliten mit Chemikalien be­einträchtigen, abhören oder abfotografieren, um so aufzuklären, wofür der Satellit genutzt wird. Auch eine nukleare Detona­tion im Welt­raum würde zu nichtkinetischen Waffen zählen.

Mit Atomexplosionen im All können nicht nur einzelne, sondern sehr viele Satelliten mit einem Schlag zerstört oder beeinträchtigt werden. Eine solche Detona­tion kann erreicht werden, wenn man einen Satel­liten mit einem Atomsprengkopf versieht. Der Sprengkopf kann aber auch am Frontende einer Rakete ins All gebracht werden. Alle neun Kernwaffen­staaten haben diese Fähig­keit, unabhängig davon, ob sie Welt­raummächte sind: Alle besitzen atomar bestückbare Interkontinental- oder zumindest Mittelstrecken­raketen. Diese treten auf ihrer ballis­tischen Flugbahn in den LEO ein und könnten dort einen Atom­sprengkopf zünden, bevor sie zur Erde zurückkehren. Die Sowjetunion und die USA haben dies bereits in den 1950er und 1960er Jahren getestet.

Wie wirken Atomwaffen im All?

Würde eine Kernwaffe im Weltall gezündet, hätte dies drei Wirkungen. Deren Kon­sequenzen hingen vom Detonationsort ab.

Zuerst entstünde Debris, also Weltraummüll in Form unzähliger Splitter­teile, weil es als Folge der Atomexplosion zu einer massiven Freisetzung von Gamma­teilchen (Gamma Blasts) käme, die Satelli­ten im Umfeld von etwa 80 km zerstören würden. Treffen die Debris-Teile auf Satel­liten in größerer Entfernung von der Deto­nation, werden auch sie physisch beschädigt – wodurch erneut Debris entsteht. Da sich Satelliten im All mit sehr hohen Ge­schwin­digkeiten bewegen, lösen schon kleinste Splitterteile große Zerstörung beim Zusam­menprall aus. Vor allem im dicht besiedelten LEO wäre die Zahl die­ser explosions­bedingten Schrottteile, die quasi in Projek­tile verwandelt würden, riesig.

Zudem würde eine Atomexplosion im All Röntgenstrahlung freisetzen. Die Menge hinge von der Sprengkraft der Kernwaffe ab. Eine Studie der US-Regierung geht davon aus, dass diese Strahlung bei einer schwächeren Atomexplosion (10–20 Kilo­tonnen) im LEO fünf bis zehn Prozent aller Satelliten im All sofort beeinträchtigen würde. Wegen des Magnetfelds der Erde würde die massiv erhöhte Strahlung aber nicht rasch wieder abebben, sondern für Monate, wenn nicht gar Jahre bleiben. Selbst Satelliten, die nicht gleich nach der Atomdetonation beschädigt würden, blie­ben so nicht mehr lange einsatzfähig. Denn wegen der Strah­lung würde die Elektronik eines Satelliten mehr Energie benötigen. In der Folge würden die Höhenkontrolle, die Elektronik selbst und der Kommunikationslink des Satelliten sukzessive beschädigt.

Schließlich würde eine Kernexplosion im All einen elektromagnetischen Puls (EMP) hervorrufen. Dieser würde die Elektronik an Bord von Satelliten ebenso stören. Auch auf der Erde hätte ein EMP schwere Aus­wirkungen, wenn die Explosion in einem erdnahen Orbit stattfände. Menschenleben wären zwar nicht direkt gefährdet. Zu befürchten stünden aber groß­flächige Strom­ausfälle sowie eine dauerhafte starke Schädigung der elektrischen Netze, mit Folgeeffekten beispielsweise für die medizi­nische Versorgung.

Resilienz nur begrenzt machbar

Welche Konsequenzen diese physikalischen Effekte im All auf der Erde haben, hängt auch davon ab, ob ein passiver Schutz der Satelliten gegen die Wirkungen von Atom­explosionen möglich ist. Für resilienzsteigernde Schritte bestehen jedoch Hürden.

Satelliten gegen Röntgenstrahlung und gegen einen EMP zu schützen ist technisch möglich. Spezielle Beschichtungen können die Materialien gegen diese beiden Wirkun­gen »härten«. Alle Satelliten sind zu einem gewissen Grad gegen Strahlung gehärtet, weil das Weltall ein strahlungsintensiver Raum ist. Das Ausmaß der natürlichen Strah­lung hängt vom konkreten Orbit ab. Da diese Strahlung im LEO am geringsten aus­fällt und Satel­liten in dieser Umgebung bloß relativ kurz verweilen (meist fünf bis sieben Jahre), sind heute die Satelliten dort am wenigsten dagegen gehärtet. Der Strah­lungsgrad, der aus einer Nuklearexplosion resultiert – und im All lange auf hohem Niveau bliebe – würde die heutige Wider­standsfähigkeit der allermeisten Satel­liten im LEO aber weit übersteigen. Zusätz­liche Strahlungshärtung würde indessen die Größe, besonders das Gewicht und in der Folge den Preis des Satelliten und seiner Inbetriebnahme hochtreiben. Darum ist sie als Präventivmaßnahme meist unattraktiv, gerade für kommerzielle Dienstleister.

Gegen einen EMP werden kommerzielle Satelliten überhaupt nicht geschützt. Auch das ist primär eine Kostenfrage, erhöht eine EMP-Härtung doch den Gesamtpreis des Satelliten Schätzungen zufolge um fünf bis zehn Prozent – was in einem umkämpften Markt Welten sind. Bei strategischen Assets sind diese Preisunterschiede unwesentlich. Sie sollen in jedem Fall weiter funktionieren. Deshalb sind etwa alle amerikanischen Militärsatelliten auch EMP-gehärtet und gegen Röntgenstrahlung geschützt.

Während eine Resilienz von Satelliten gegen Strahlung und EMP machbar, aber teuer ist, bleibt dauerhaft wirksamer Schutz gegen Debris unmöglich. Seiner Wirkung zu entgehen scheint nur möglich, wenn sich der Debris in einem völlig anderen Orbit befindet. Breitet sich Debris im sel­ben Orbit aus, steigt die Chance, unversehrt davonzukommen, wenn der Gamma Blast der Explosion nur wenige Satelliten zer­stört. Das ist im MEO und GEO denkbar, im LEO fast aus­ge­schlossen. Auch deshalb nimmt die US-Regierung an, dass der LEO nach der Explo­sion einer Kernwaffe im sel­ben Orbit für ein Jahr unbenutzbar bliebe. Fach­leute hal­ten selbst das noch für eine optimistische Schätzung.

Eskalationsrisiko kontextbedingt

Auch weil es passiven Schutz nur begrenzt gibt, könnte eine russische Atomexplosion im Weltall so große Zerstörungen hervor­rufen, dass sich die USA zur Vergeltung gezwun­gen sehen. Je nachdem, wie diese Antwort der USA konkret aussähe, gingen damit auch Risiken zu einer weiteren Eska­lation auf der Erde einher.

Öffentlich ist so gut wie nichts darüber bekannt, wie die US-Regierung auf einen russischen Nuklearschlag im All reagieren würde. Die amerikanische Antwort dürfte aber hochgradig davon abhängen, wie groß die Zerstörungen durch Russland dabei aus­fallen – quantitativ und quali­tativ.

Zahlenmäßig wären drastische Schäden vor allem dann zu erwarten, wenn Moskau eine Kernwaffe im LEO zünden würde. Da dieser Bereich besonders dicht besiedelt ist, wären die Zerstörungen durch Debris dort wahr­scheinlich sehr hoch. Auch Strahlungs­­schäden würden im LEO größer aus­fallen als anderswo, da die vielen kommerziellen Systeme dort kaum gehärtet sind. Zudem könnten nur bei einer Atomdetonation in diesem erdnahen Orbit schädliche EMP-Effekte auch auf der Erde auftreten.

In qualitativer Hinsicht wären verheeren­de Folgen für die USA bei einem russi­schen Atomschlag im All dann zu gewärtigen, wenn entscheidende militärisch genutzte Satelli­ten beeinträchtigt würden. Klassischer­weise betrifft das die strategischen »Assets« der USA im GEO. Die GPS-Konstellation im MEO ist von ebenso hoher Bedeutung. Seit eini­ger Zeit werden militärisch relevante Satel­litensysteme aber auch im LEO statio­niert. Hierzu zählt Starshield, das militärische Gegenstück zum führenden kommerziellen Satelliteninternetanbieter Starlink. Das US-Verteidigungsministerium baut ferner Früh­warnkapazitäten im LEO auf, um der immer komplexeren Bedrohung durch neuartige Raketen, zum Beispiel Hyperschallgleitflugkörper, zu begegnen.

Wie Washington auf einen Atomschlag im All reagiert, wird vom Kontext des Einzel­falls abhängen: vom Krisenverlauf und da­von, wo auf den Achsen der quan­titativen und qualitativen Schäden der Angriff ver­ortet wird. Eine nichtmilitärische Vergeltung der USA wäre dann am plausibelsten, wenn eine Atomexplosion im dünn besiedelten MEO oder am äußersten Rand des LEO nur eine überschaubare Zahl kommerzieller Satel­liten zerstören und – mangels eines EMP auf der Erde – auch keine Todesopfer fordern würde. Vermutlich wären bei solchen verkraftbaren »rein wirt­schaftlichen« Schäden schmerzhafte Finanz- und Handelssanktionen und harte Cyber­schläge das Mittel der Wahl für Washington.

Eine bewusst eng begrenzte Antwort der USA wäre auch zu erwarten, wenn eine russische Kernexplosion wenige nichtkritische Systeme des amerikanischen Militärs lahmlegt. In diesem Fall wäre es folgerichtig, wenn die US-Regierung – aus Gründen der Proportionalität – einige Militärsatelliten Russlands funktionsunfähig macht, zum Beispiel mit nicht­kinetischen Mitteln. Ein ähnlicher Schlag gegen russische mili­tärische Infra­struktur auf der Erde käme ebenfalls in Frage. Auch diese Reaktion der USA würde die Vermeidung einer wei­teren mili­tärischen Eskalation ins Zentrum stel­len. Mit dem Umfang der Schä­den durch eine russische Atomexplosion bei kommerziellen und vor allem bei militärischen Welt­raumsystemen steigt aber der Druck auf Washington, massiv zurückzuschlagen.

Völlig anders dürfte die Vergeltung daher ausfallen, wenn ein russischer Atomschlag jene Weltraumkapazitäten ausschaltet, die für die US-Sicherheitspolitik entscheidend sind: Eine drakonische militärische Antwort auf der Erde wäre dann zu erwarten, wenn amerikanische Militärsatelliten derart geschädigt werden, dass die USA auch nur partiell die Fähigkeiten verlieren könnten, 1) konventionelle Kriege in Über­see zu führen, 2) früh vor einem interkontinentalen Atomschlag gegen US-Territo­rium zu warnen oder 3) einen solchen Nuklear­angriff zu vergelten. In diesem Falle wäre sogar der begrenz­te Einsatz von US-Atom­waffen nicht aus­zuschließen. So hatte sich die Trump-Administration in ihrer 2018 publizierten Nuclear Posture Review vorbehalten, mit atomarer Vergeltung auf strategische An­griffe auch – so das Dokument – auf die weltraumbasierten »command and control, or warning and attack assessment capa­bilities« der amerikanischen Atomstreit­kräfte zu reagieren. Bei derart dramatischen Szenarien besteht naturgemäß ein hohes Risiko für weitere Eskalationen.

Rüstungskontrolle in Gefahr

Ein Schaden für die Rüstungskontrollarchitektur würde bereits eintreten, bevor es zu Zerstörungen im Weltraum oder zu einer Eskalation auf der Erde käme.

Zuerst betroffen wäre der internationale Weltraumvertrag (Outer Space Treaty) von 1967, der den Dreh- und Angelpunkt jeg­licher Rüstungskontrolle im All darstellt. Er verbietet die Stationierung von Kernwaffen im Weltall. Schon die Platzierung eines russischen Satelliten mit Atomsprengkopf im All würde diesen Rüstungskontroll­vertrag verletzen – unabhängig davon, ob der Sprengkopf jemals gezündet würde.

Der Begrenzte Teststoppvertrag (Partial Test Ban Treaty) von 1963 untersagt bloß das Durchführen von Atomtests im All, in der Atmosphäre und unter Wasser. Ein Verstoß gegen dieses Abkommen läge erst dann vor, wenn Moskau einen Atomsprengkopf im Weltraum zünden würde, vorher nicht.

Russland ist Mitglied in beiden Rüstungs­kontrollabkommen. Die Sowjetunion hatte die Verträge in den 1960er Jahren mit aus­gehandelt und bald darauf rati­fiziert. Aller­dings lehnte der Kreml die Bemühungen der Biden-Admini­stration 2024 ab, den Weltraum­vertrag im Rahmen der Vereinten Nationen zu bekräf­tigen und so das Verbot der Stationierung von Kern­waffen im All zu stärken. Parallel bestreitet Russland die Absicht zu solchen Stationierungen. Seine zivile Zweck­beschreibung für Kosmos 2553 ist aber völlig unplausibel. Mit seinem Ver­halten unter­gräbt Moskau den Weltraumvertrag. Wie in anderen Rüstungskontrollbereichen erhöht Russlands Regierung so auch hier den Druck auf den Westen.

Handlungsempfehlungen

Mit vier Schritten kann Deutschland dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit russischer Kernwaffen im Weltall zu sen­ken, und sich generell besser auf gewaltsame Kon­flikte im All mit Russland vorbereiten.

Erstens sollte Deutschland die Stärkung des Weltraumvertrags diplomatisch aktiver unterstützen. Die VN-Initiative der USA und Japans, den Vertrag zu bestätigen, blockierte Russland im Sicherheitsrat zwar mit chi­nesischer Hilfe. Es gibt aber Hinweise, dass China – als zweitstärkste Weltraummacht nach Amerika – Interesse an einer breiten diplomatischen Ablehnung russischer Kern­waffen im All hegt. Abseits der sym­bolisch aufgeladenen Sicherheitsratsabstim­mung dürften daher Spielräume bestehen, um mit chinesischer Zustimmung eine blockübergreifende Verurteilung nuklear bewaffneter Satelliten zu erreichen, etwa im G20-Rah­men oder bei EU-China-Gipfeln. Das würde einen nuklearen Normverstoß im Weltraum für Moskau politisch unattraktiver machen.

Zweitens sollte Deutschland anstreben, Russland neben höheren diplomatischen Kosten auch Kosten direkt im All auferlegen zu können, wenn der Kreml dort westliche und auch deutsche Infrastruktur zerstört. Optionen für solche Bestrafungen sind nichtkinetische Schritte gegen russi­sche Satelliten: das Stören und Täuschen der Signale oder das Blenden durch Laser­strahlen. Der Aufbau solcher (moderater) Vergeltungsfähigkeiten hat hierzulande begonnen. Er sollte fortgeführt werden, um eigene Beiträge zur Abschreckung im Welt­raum zu leisten.

Drittens sollte Berlin über solche »Deterrence by Punishment«-Optionen hinaus »Deterrence by Denial«-Fähigkeiten im All auf­bauen: Wird ein Erfolg russischer An­griffe im All weniger wahrscheinlich, dürfte auch dies Moskau von derlei Attacken ab­schrecken. Zu diesem Zweck entwickelt die Bundeswehr einen »Wächtersatelliten«, der besonders hochwertige deutsche Satelliten beglei­ten und sich feindlichen Satel­liten, die sich nähern, physisch in den Weg stellen soll. Sinnvoll wäre auch ein besserer passi­ver Schutz gegen Cyber­angriffe am Boden. Zudem sinkt die Erfolgs­wahrscheinlichkeit russischer Angriffe mit steigender Redundanz der eigenen Fähig­keiten im All. Diese erreicht man mit Masse und Diversität der Systeme. Hier hat Deutschland noch einen weiten Weg vor sich. Die Rich­tung – hin zu großen deutschen und europäischen Kon­stellationen von Satelliten – stimmt aber.

Viertens sollte die Bundesrepublik mehr in ein umfassendes Lagebild vom Weltraum investieren, auch gemeinsam mit ihren engsten Partnern. Wenn die Versuche gegne­rischer Staaten, Satelliten zu stören oder zu beschädigen, nicht beobachtet oder nach­gewiesen werden können, kann ein Aggres­sor sein Vorgehen plausibel abstreiten. Die Abschreckung durch Androhung von Gegenmaßnahmen zur Vergeltung wird so ausgehöhlt. Auch Abwehr basiert auf zuverlässiger Auf­klärung. Akti­vitäten im All müssen nach­vollzogen wer­den können. Die hier starke Abhängigkeit von den USA sollte Europa reduzieren.

Dr. Jonas Schneider und Juliana Süß sind Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik an der SWP. Das Aktuell entstand im Rahmen des Projekts STAND (Strategic Threat Analysis and Nuclear (Dis-)Order).

SWP

Stiftung Wissenschaft und Politik

ISSN (Print) 1611-6364

ISSN (Online) 2747-5018