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ISAF-Mandat: Erfolg der Mission noch nicht sichtbar

Mit der nächsten ISAF-Mandatsverlängerung wird eine große Truppenreduzierung bis Februar 2014 angestrebt. Doch die Voraussetzungen dafür sind aus heutiger Sicht noch nicht gegeben, sagt Nils Wörmer im Interview mit der Online-Redaktion.

Kurz gesagt, 19.11.2012 Forschungsgebiete

Mit der nächsten ISAF-Mandatsverlängerung wird eine große Truppenreduzierung bis Februar 2014 angestrebt. Doch die Voraussetzungen dafür sind aus heutiger Sicht noch nicht gegeben, sagt Nils Wörmer im Interview mit der Online-Redaktion.

Im Januar 2013 steht die Verlängerung des ISAF Mandates im Deutschen Bundestag an. Worum geht es bei diesem Mandat konkret?

Seit dem Chicago-Gipfel der NATO im Mai 2012 steht fest, wie die internationale Gemeinschaft nach dem 31. Dezember 2014 in Afghanistan verfahren will. Dann nämlich soll die internationale Schutztruppe ISAF die Sicherheitsverantwortung an afghanische Kräfte übergeben haben und von einer Folgemission abgelöst werden. Das Mandat, über das der Bundestag im Januar beschließen wird, soll für dreizehn Monate erteilt werden, also bis Februar 2014. Es soll bereits eine erste größere Truppenreduzierung enthalten, von derzeit 4.400 auf 3.300 Soldatinnen und Soldaten. Zudem wird es die Aufgaben der Mission bis zu ihrem Ende 2014 festlegen: Erstens muss der ISAF-Auftrag fortgeführt werden. Parallel dazu müssen zweitens die Rückverlegung von Teilen des Kontingentes nach Deutschland organisiert und umgesetzt sowie drittens die Folgemission vorbereitet werden.

Was wird die Nachfolgemission International Training Assistance and Advisory Mission (ITAAM) ab 2015 vom ISAF-Einsatz unterscheiden?

Die Mission soll, wie der Name schon sagt, im Schwerpunkt ausbilden, beraten und unterstützen. Die Ausbildung der Streitkräfte und Polizei wird vermutlich in Kernkompetenzen wie beispielsweise der Logistik, im Bereich des Nachrichtenwesens oder auf höheren Kommandoebenen erfolgen. Natürlich müssen die Soldatinnen und Soldaten auch in der Lage zur Selbstverteidigung sein. Das darf man nicht außer Acht lassen. Aber eine direkte Beteiligung an Kampfhandlungen wie bei ISAF ist für die Folgemission nicht vorgesehen. Wenn ITAAM Anfang 2015 beginnt, sollen bereits alle 34 Provinzen und die knapp 400 Distrikte in Afghanistan lückenlos in die Verantwortung der afghanischen Armee und der afghanischen Polizei übergeben sein.

Vor kurzem hat die unabhängige Wahlkommission in Kabul den 5. April 2014 als Termin für die Präsidentschaftswahlen bekannt gegeben. Welchen Stellenwert haben die Präsidentschaftswahlen für die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an Afghanistan?

Wenn die Wahlen im ganzen Land stattfinden und nicht von Korruption, Wahlbetrug, Fälschungen und Gewalt überschattet werden, dann würde das die seit 2001 geschaffenen afghanischen Institutionen stärken. Erfolgreiche Wahlen könnten dazu beitragen, dass die Sicherheitskräfte gestärkt werden, weil sie Rückhalt aus der Bevölkerung erhalten. Das würde auch den Druck auf die Aufständischen erhöhen, kompromissbereiter zu werden. Schlecht wäre allerdings, wenn die Wahlen von Gewalt überschattet würden und vielleicht sogar in einem Drittel des Landes gar nicht stattfänden. Sollte es wieder den Vorwurf massiver Fälschungen oder des Wahlbetrugs geben, dann werden weite Teile der afghanischen Bevölkerung endgültig den Glauben an das nach 2001 errichtete politische System verlieren. Das wird den Taliban in die Hände spielen und die Gefahr eines langfristigen Erosionsprozesses der Sicherheitskräfte befördern. Die internationale Gemeinschaft muss dringend eine Strategie für dieses Worst-Case-Szenario entwickeln.

Momentan scheint es doch aber um die Sicherheitslage ganz gut bestellt zu sein. Verteidigungsminister Thomas de Maizière ist erstmals mit einem zivilen Flugzeug nach Afghanistan geflogen, um zu demonstrieren, dass sich die Lage verbessert habe. Ist die Zeit für die Übernahme der Sicherheitsveranwortung durch afghanische Kräfte reif?

Mazar-e-Sharif und der Flughafen dort, auf dem der Minister gelandet ist, sind noch nie Hotspot für Gewalteruptionen gewesen. Er wird ja auch für die zivile Luftfahrt genutzt. Was die afghanischen Sicherheitskräfte betrifft, so bleiben sie den Beweis noch schuldig, dass sie militärische Operationen und Kampfeinsätze gegen Aufständische weitestgehend allein bewältigen können. Wir haben zwar mit einem gigantischen finanziellen und logistischen Aufwand die angestrebte Personalstärke von Armee und Polizei in diesem Jahr erreicht. Aber was man nicht kaufen kann, ist die Moral der Sicherheitskräfte: Es fehlen eine Führungspersönlichkeit und ein klares Feindbild. Präsident Karzai gilt seit der letzten Wahl als korrupt und bezeichnet seit Jahren die Taliban als „Brüder“. Bei der Beurteilung der Sicherheitslage muss man bedenken, dass in einigen Bereichen Afghanistans die Aufständischen eine abwartende Taktik verfolgen und Kräfte für die Zeit nach dem Abzug der ISAF-Kampftruppen sammeln. Die Taliban haben nach der Anhebung der Truppenstärke durch die USA, in den Medien als Surge bezeichnet, seit 2009 zwar erhebliche Verluste erlitten. Sie sind aber nicht entscheidend militärisch geschlagen, und sie sind nicht durch den Surge an den Verhandlungstisch gezwungen worden.

Ist es denn vor diesem Hintergrund angemessen, das ISAF-Kontingent so drastisch zu reduzieren, wie es augenblicklich geplant ist?

Als Voraussetzungen für den Abzug der Kampftruppen wurden ein Funktionieren der afghanischen Sicherheitskräfte, substantielle Fortschritte im innerafghanischen Aussöhnungs- und Friedensprozess sowie eine Kooperation mit Pakistan und Iran definiert. Aber ich sehe momentan nicht, dass das bis Mitte 2014 eintreten wird. Ich glaube im Gegenteil, dass wir Fortschritte im Bereich des Friedensprozesses erst erzielen können, wenn die Präsidentschaftswahlen von 2014 erfolgreich verlaufen sind. Dann müssten Pakistan und Iran auf eine kooperative Linie einschwenken, indem sie den Friedensprozess stützen und fördern, also ihre Unterstützung für bewaffnete afghanische Gruppen einstellen. Wenn die Präsidentschaftswahlen aber nicht funktionieren, werden sich die Aufständischen oder externe Akteure wie Pakistan oder Iran überlegen, auf welches Pferd sie setzen. Zu diesem Zeitpunkt, im April 2014, wird der Abzug sehr weit fortgeschritten sein. Dann werden die NATO und die USA nicht mehr die Machtmittel in der Hand haben, um in Afghanistan den militärischen Druck aufrecht zu erhalten. Sollte es auch nach 2014 nicht zu Fortschritten im Friedensprozess kommen, so ist es durchaus denkbar, dass die Stabilisierung Afghanistans langfristig scheitert.