Trotz des Krieges in der Ukraine und der hohen Inflation blieb die internationale Rolle des Euro im vergangenen Jahr stabil. Die Probleme bei der Stärkung seiner Rolle spiegeln die Hindernisse wider, die einer weiteren wirtschaftlichen Integration der EU im Wege stehen, meint Paweł Tokarski.
Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine wurde eine beispiellose Reihe von Sanktionen gegen den Aggressor verhängt. So wurden etwa die Hälfte der Devisenreserven der russischen Zentralbank eingefroren und russische Banken vom globalen Banken-Kommunikationssystem SWIFT ausgeschlossen. Viele Experten warnten davor, dass der Einsatz von Finanzsanktionen als Waffe sich negativ auf die Position der westlichen Währungen im internationalen Währungssystem auswirken und zu dessen rascher Regionalisierung und Fragmentierung führen würde. Die jüngsten Zahlen, die die Europäische Zentralbank (EZB) in ihrem diesjährigen Bericht über die internationale Rolle des Euro veröffentlicht hat, zeigen jedoch, dass nichts dergleichen geschieht. Das ist eine gute Nachricht für Europa, denn die Auswirkungen von Sanktionen, auch auf die Länder, die sie verhängen, werden von anderen potenziellen Aggressoren, darunter China, genau beobachtet. Die Rolle der gemeinsamen Währung im internationalen Finanzsystem bedarf jedoch größerer Aufmerksamkeit.
Die Schaffung der gemeinsamen Währung war nicht geopolitisch motiviert, sondern vor allem durch den Wunsch, Wechselkursschwankungen in einem zunehmend integrierten Binnenmarkt zu beseitigen. Zurzeit leben mehr als 500 Millionen Menschen in Ländern, in denen der Euro oder an ihn gekoppelte Währungen offiziell im Umlauf sind. Die gemeinsame Währung ist die zweitwichtigste Währung im internationalen Währungssystem nach dem Dollar. Doch welche Vorteile bringt eine weitere Stärkung der internationalen Rolle der Einheitswährung? Welche Herausforderungen stehen dem entgegen? Antworten darauf sind gerade jetzt besonders wichtig. Denn die wachsende geopolitische Rivalität zwischen China und den USA und der allmähliche Rückgang des Anteils des Westens an der Weltwirtschaft werfen die Frage nach der Rolle des Euro in einem sich wandelnden, aber immer noch vom Dollar dominierten internationalen Finanzsystem auf.
Grundsätzlich besteht ein Konsens darüber, dass eine stärkere internationale Rolle des Euro den europäischen Volkswirtschaften zugutekäme. Sie würde die Kosten der Kapitalbeschaffung senken, stabilisierend auf den europäischen Schuldenmarkt wirken, Wechselkursrisiken verringern, die Autonomie der Geldpolitik stärken und sich positiv auf das politische Ansehen der EU auswirken. Im ersten Jahrzehnt seines Bestehens war der Euro auch nahe dran, den Dollar zu entthronen, doch die Krisen in der Eurozone haben diesen Trend jäh unterbrochen. Seitdem nimmt der Euro im internationalen Währungssystem einen stabilen zweiten Platz nach dem Dollar ein.
Die Probleme bei der Stärkung der internationalen Rolle des Euro spiegeln die Herausforderungen der politischen und wirtschaftlichen Integration der EU als solche wider. Im Mittelpunkt steht dabei die Vielfalt der Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten, von denen viele mit enormen Strukturproblemen zu kämpfen haben. Außerdem fehlt ein einheitlicher Souverän hinter der gemeinsamen Währung, und es ist schwer vorstellbar, dass ein solcher entstehen könnte. Die Finanzmärkte, die als Schlüssel für die breite Verwendung einer Währung gelten, sind in Europa zersplittert und für internationale Anleger wenig transparent. Das Projekt der Kapitalmarktunion kommt nur relativ schleppend voran.
Trotz einer beträchtlichen Zunahme der Emission gemeinsamer Schuldtitel verfügt die EU nicht über einen mit den USA vergleichbaren sicheren Vermögenswert. Nur Deutschland, die Niederlande und Luxemburg verfügen über die höchsten Bonitätseinstufungen. Die zweit- und drittgrößten Länder der Eurozone, Frankreich und Italien, haben ernsthafte strukturelle Probleme und Schwierigkeiten, ihre Staatsverschuldung zu stabilisieren. Darüber hinaus ist Europa von der Finanzinfrastruktur der USA abhängig, zum Beispiel bei den Zahlungskartensystemen. Obwohl das politisch-militärische Bündnis mit den USA heute stärker denn je erscheint, ist unklar, wie sich die politische Situation in den USA in Zukunft entwickeln wird. Die Präsidentschaft von Donald Trump hat gezeigt, dass Europa eine eigene unabhängige Finanzinfrastruktur entwickeln sollte. Dies ist jedoch ein sehr komplexer und zeitaufwändiger Prozess, der eine enge Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Finanzinstituten, Regulierungsbehörden und Technologieanbietern erfordert.
Viele Jahre lang wurden die Bemühungen um eine internationale Verwendung des Euro auch durch gegensätzliche Interessen der Mitgliedstaaten behindert. Einige Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, vertraten die Auffassung, dass die Internationalisierung der Währung das Ergebnis der Marktkräfte und nicht einer bewussten Maßnahme der europäischen Institutionen sein sollte. Um die internationale Stellung des Euro zu stärken, bedarf es jedoch keiner Meta-Vereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten. Notwendig ist mehr Engagement bei der Lösung der strukturellen Probleme der eigenen Volkswirtschaften und mehr Eigenverantwortung für wichtige EU-Projekte: Bankenunion, Kapitalmarktunion, Digitalisierung und grüne Transformation, die zu langsam vorankommen. Die Digitalisierung der Wirtschaft erfordert umfassende Maßnahmen, von der Unterstützung bei der Entwicklung europäischer Zahlungssysteme bis hin zur besseren Aufklärung der Bürger über die Chancen und Risiken, die beispielsweise mit digitalen Investitionen verbunden sind. Eine wichtige Herausforderung wird darin bestehen, das von der EZB geleitete Projekt »Digital-Euro« in die Umsetzungsphase zu bringen. Dieses Projekt hat das Potenzial, eine dringend benötigte Zahlungsinfrastruktur in Europa zu entwickeln.
Auch wenn derzeit sicherheitspolitische Themen, der EU-Erweiterungsprozess oder institutionelle Fragen die europäische Agenda dominieren, darf nicht übersehen werden, dass die Basis der europäischen Integration die Wirtschaft ist. Der EU-Binnenmarkt existiert in Symbiose mit der gemeinsamen Euro-Währung. Beide Projekte sind bei weitem noch nicht abgeschlossen und erfordern viel mehr politische Aufmerksamkeit und ein Denken jenseits parteipolitischer oder nationaler Interessen. Dies wird jedoch in naher Zukunft schwierig sein, da die EU und die Mitgliedstaaten vor einer Reihe von Wahlen auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene stehen.
Die Einführung des Euro ist weder ein Beweis für die besondere Stärke der kroatischen Wirtschaft noch für die Stabilität der Eurozone. Die einheitliche Währung ist aber nach wie vor ein attraktives Projekt, meint Paweł Tokarski.
Alte und neue Herausforderungen gefährden die Stabilität des Währungsraums
doi:10.18449/2022A56
Am 1. Januar 2002 wurde der Euro als Bargeld eingeführt. Die gemeinsame Währung hat die Auswirkungen externer Schocks auf die Volkswirtschaften des Euroraums gemildert und zu einer tieferen Integration geführt. Doch viele Probleme sind noch ungelöst, meint Paweł Tokarski.