In vielen europäischen Staaten steigt die Zahl der Asylanträge ebenso wie der Zuspruch für rechtspopulistische Parteien weiter an. Initiativen wie der Ruanda-Plan der britischen Regierung und das Albanien-Abkommen der italienischen Regierung können als Reaktion darauf verstanden werden. Sie zielen auf eine Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten. Damit sollen die Ankunftszahlen markant verringert werden. Vergleichbare Vorschläge in der Vergangenheit gingen nie über das Stadium abstrakter Ideen hinaus. Im Fall Ruandas und Albaniens wird nun allerdings über die konkrete Umsetzung verhandelt. Dem entgegen stehen zahlreiche rechtliche und normative Einwände sowie praktische Hürden. Die vorliegenden Vorschläge zur Auslagerung drohen den internationalen Flüchtlingsschutz in Frage zu stellen und den außen- und entwicklungspolitischen Interessen Deutschlands und der Europäischen Union zu schaden.
In Australien führte die Regierung 2001 die sogenannte »Pazifische Lösung« ein, nach der Bootsflüchtlinge in Lager in Papua-Neuguinea und Nauru abgeschoben werden können, um sie an einer Asylantragstellung auf dem eigenen Hoheitsgebiet zu hindern. Irreguläre Überfahrten nach Australien wurden so tatsächlich weitestgehend unterbunden, allerdings um den Preis schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen. Dessen ungeachtet schlug Großbritannien 2003 vor, Asylsuchende in »regionale UN-Schutzgebiete« zu überstellen. Ein Jahr später regte der damalige deutsche Innenminister Otto Schily vergleichbare Zentren in Nordafrika an.
Im Jahr 2018 setzte sich auch der Europäische Rat mit sogenannten »Ausschiffungsplattformen« auseinander. Letztlich blieben aber alle Ansätze im europäischen Kontext Makulatur. Die Befürworter:innen konnten grundlegende Zweifel an der Realisierbarkeit in Europa und der Vereinbarkeit mit völker- und verfassungsrechtlichen Normen nicht ausräumen.
Heute jedoch gibt es eine Renaissance dieser Debatten. In Deutschland haben die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, sondieren zu wollen, ob die Feststellung des Schutzstatus in Ausnahmefällen unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Drittstaaten möglich ist. Derzeit prüft die Bundesregierung gemäß einem Auftrag der Ministerpräsidentenkonferenz, ob generell eine Auslagerung von Schutzverfahren vorangetrieben werden kann. Auch die CDU fordert im Entwurf zu ihrem Grundsatzprogramm, Asylanträge nur noch in Drittländern zuzulassen. Anstoß sind die mutmaßlichen Fortschritte Großbritanniens und Italiens, entsprechende Abkommen mit Ruanda und Albanien zu vereinbaren.
Die aktuelle Debatte
Im Dezember 2023 hatten sich die EU-Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament und die Kommission auf einen neuen »Pakt für Migration und Asyl« geeinigt. Unter anderem sollen neue Grenzverfahren eine Reduktion der Asylanträge und deutlich mehr Rückführungen nach sich ziehen, während ein komplexes System der flexiblen Solidarität die Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten verbessern soll. Ob und wann tatsächlich eine Verminderung der irregulären Grenzübertritte unter Einhaltung des Grundrechts auf Asyl erreicht werden kann, bleibt jedoch fraglich. Frühestens kommen die neuen Rechtsakte 2026 zur Anwendung.
Angesichts der fortwährenden Krisen in den aktuellen Hauptherkunftsländern ist zu erwarten, dass die Zahl der Asylanträge in der EU hoch bleiben wird. Mit Blick auf den andauernden Krieg in der Ukraine besteht zudem keine Aussicht auf eine Entlastung durch ukrainische Geflüchtete, die in ihre Heimat zurückkehren.
Vor diesem Hintergrund soll die Externalisierung von Asylverfahren einen dreifachen Effekt erzielen: Erstens soll sie den Zuwanderungswilligen und Schutzsuchenden signalisieren, dass sich die gefährliche Reise, um in der EU ein Asylgesuch zu stellen, nicht lohnt. Zweitens soll sie bei negativen Asylbescheiden die Rückführung erleichtern. Drittens soll Wähler:innen der Eindruck eines entschiedenen Handelns gegenüber ungeregelter Zuwanderung und daran beteiligten Schlepperorganisationen vermittelt werden.
Zusätzlich werden menschenrechtliche Argumente angeführt: Die erhoffte Reduzierung der Zuwanderungszahlen soll zu einer Abnahme der Todesfälle auf den gefährlichen Routen führen, insbesondere auf dem Mittelmeer. Mittelfristig soll ein neues System des Flüchtlingsschutzes entstehen, weg von individuellen Asylanträgen an den EU-Außengrenzen, hin zu Kontingenten von Schutzbedürftigen, die direkt aus Drittstaaten übernommen würden. Befürworter:innen argumentieren, dass hierdurch vulnerablen Personengruppen geholfen wäre, die im Vergleich zu den meisten alleinreisenden jüngeren Männern geringere Chancen hätten, die gefährliche Reise nach Europa zu bewältigen.
Dieser Ansatz scheint einen Ausweg aus der systemischen Krise der europäischen Asylpolitik zu weisen. Die postulierte abschreckende Wirkung der Auslagerung von Asylverfahren ist jedoch keineswegs belegt und blendet schwerwiegende rechtliche, praktische und politische Einwände aus. Ebenso wenig ist gesichert, dass im Fall einer Reduktion der irregulären Zuwanderung die EU-Mitgliedstaaten hinreichend große Kontingente zur Übernahme von Schutzbedürftigen anbieten würden. Mindestens ebenso plausibel sind eine weitere Verschärfung und dauerhafte Einschränkung des Asylrechts, was international Schule machen könnte.
Externalisierungsansätze im Vergleich
Den unterschiedlichen Bemühungen, die Verantwortlichkeit gegenüber Schutzsuchenden in andere Länder auszulagern, sind zwei Elemente gemeinsam: Erstens geht es um Menschen, die schon das Territorium des eigenen Staates erreicht haben (oder im Fall von Seenotrettung unter die effektive Kontrolle staatlicher Akteure fallen). Zweitens sollen die betroffenen Personen geordnet an einen Drittstaat übergeben werden. In der weiteren Ausgestaltung ergeben sich erhebliche Unterschiede bei den staatlichen Aufgaben, die jeweils ausgelagert werden sollen. Dabei haben sich drei Typen von Externalisierungsansätzen herauskristallisiert.
Typ 1: Extraterritoriale Asylverfahren
Bei diesem Typus geht es um die räumliche Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten, wobei nach wie vor das Recht des Staates, der die Externalisierung betreibt, angewandt wird. Das bekannteste historische Beispiel ist die sogenannte »Pacific Solution«, die Australien von 2001 bis 2007 in Nauru (in Kooperation mit UNHCR) und Papua-Neuguinea praktizierte, ungeachtet massiver Menschenrechtsverletzungen. Erhielten die Flüchtlinge einen positiven Asylbescheid, sollten sie nach Australien gebracht werden. Es fand aber auch eine Übersiedlung in Drittstaaten statt.
Das kürzlich zwischen Italien und Albanien ausgehandelte Abkommen über den Aufbau und Betrieb von zwei Aufnahmezentren in Albanien sieht ebenso nur eine räumliche Auslagerung von Asylverfahren vor; es soll durchgehend italienisches Recht gelten. Bei positivem Asylbescheid soll ausschließlich Schutz in Italien gewährt werden.
Typ 2: Übertragung der Verantwortung für Verfahren und Schutz
Ein zweites Modell sieht nicht nur die räumliche, sondern auch die rechtliche Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten vor. Ein Beispiel ist neben der ab 2012 als »offshore processing« weiterentwickelten australischen Praxis das Abkommen zwischen Großbritannien und Ruanda: Asylsuchende, die aus Großbritannien nach Ruanda verbracht werden, sollen unter das dortige Asylrecht fallen und bei positivem Bescheid dort Schutz erhalten. Dies ist mit erheblichen Anforderungen an das dortige Asylsystem verknüpft.
Ähnlich waren die von 2019 bis 2021 laufenden Asyl-Kooperationsabkommen der USA mit El Salvador, Guatemala und Honduras konstruiert, von denen die ersten beiden aber nie umgesetzt wurden: Die Verantwortung, Asylverfahren durchzuführen und bei positivem Bescheid Schutz zu gewähren, sollte bei diesen Deals in Gänze dem Partnerstaat übertragen werden.
Typ 3:
Rücküberstellung in Transitstaaten
Ein dritter Typus, für den die EU-Türkei-Vereinbarung beispielhaft steht, umfasst Regelungen, um die Rücküberstellung von Schutzsuchenden in zuvor durchquerte Transitstaaten zu ermöglichen. Hier beruht die Kooperation auf der Annahme, dass in dem Transitstaat adäquate Voraussetzungen für Schutz gegeben sind. Wie die Asylverfahren ausgestaltet und welche Grundrechte gewährleistet werden, wird meist nicht vertraglich festgehalten. Die Zustimmung des Transitstaats, bestimmte Gruppen von Menschen wieder ins Land zu lassen, wird durch unterschiedliche Anreize erkauft: So war bei der EU-Türkei-Erklärung ursprünglich vorgesehen, dass europäische Mitgliedstaaten für jede von der Türkei zurückgenommene Person einen anerkannten Flüchtling von dort übernehmen würden; ebenso stand die Aufhebung der Visumpflicht für türkische Staatsbürger:innen zur Debatte. Letztlich war die umfangreiche finanzielle Unterstützung der EU für die Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei ausschlaggebend. Im Zuge der europäischen Asylreform wird die EU voraussichtlich versuchen, weitere Transitstaaten zu einer solchen Zusammenarbeit zu bewegen.
Völkerrechtliche und menschenrechtliche Hürden
Die Auslagerung staatlicher Verantwortung für Asylverfahren und Schutzgewährung ist nur schwer mit dem Völkerrecht vereinbar. So sind die Unterzeichnerstaaten der GFK von 1951 gehalten, sich im Geist internationaler Zusammenarbeit und Solidarität am Schutz von Flüchtlingen zu beteiligen. Dies bedeutet zwar nicht die Verpflichtung, allen Schutzsuchenden territoriales Asyl zu gewähren – es sind auch Resettlement, sichere Drittstaatenregelungen und ähnliche Mechanismen möglich; die GFK legt aber den Vertragsstaaten unter anderem die Verantwortung auf, bei allen Schutzvarianten gewisse Standards einzuhalten. Dies betrifft nicht nur die Einhaltung des Non-Refoulement-Gebots (Art. 33), sondern auch die Gewährung von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Teilhaberechten. Auch die UN-Antifolterkonvention enthält in Artikel 3 das Verbot, Personen in ein Land auszuweisen, auszuliefern oder zurückzuschieben, wo ihnen Folter, unmenschliche Behandlung bzw. schwere Menschenrechtsverletzungen drohen könnten.
Tabelle Ansätze zur Auslagerung von Schutz und Asylverfahren |
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Ansatz / Typ |
Beteiligte Staaten (Zielland / Drittstaat) |
Stand der Umsetzung |
Ort / Recht des |
Verantwortung / |
Verantwortung / Ort für abgelehnte Antragssteller |
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»Pacific |
Australien & Nauru/Papua-Neuguinea (PNG) |
2001–2007 |
PNG & Nauru / |
Australien / |
Australien / meist dauerhafte Inhaftierung in PNG & Nauru |
|
»Protokoll zur Stärkung migrationsbezogener Zusammenarbeit« / Typ 1 |
Italien & |
ratifiziert, geplante Laufzeit 2024–2029 |
Albanien / italienisches Recht |
Italien (Aufnahme anerkannter Schutzsuchender) |
Italien |
|
»Offshore Processing« / |
Australien / |
Seit 2012, derzeit pausiert |
PNG & Nauru / |
Resettlement in div. Drittstaaten (USA, Kambodscha) |
Australien / meist dauerhafte Inhaftierung auf PNG & Nauru |
|
US Asylum Cooperation Agreements / |
USA / Guatemala & Honduras & El Salvador |
Jeweils sicheres Drittland, Guatemala für Menschen aus Honduras und El Salvador |
Jeweils sicheres Drittland, Guatemala für Menschen aus Honduras und El Salvador |
Jeweils sicheres Drittland, Guatemala für Menschen aus Honduras und El Salvador |
||
UK-Ruanda-Vertrag und Dänisches Gesetz L 226 / |
UK (und Dänemark) & Ruanda |
Noch im Gesetzgebungsprozess, geplante Laufzeit bis April 2027 |
Ruanda / ruandisches Recht |
Ruanda |
Ruanda |
|
»EU-Türkei-Erklärung« / Typ 3 |
EU & Türkei |
Seit 2016, teilweise umgesetzt |
Türkei / türkisches Recht für Syrer:innen; kein geregeltes Schutzverfahren für andere Gruppen |
Türkei, punktuell Übersiedlung besonders vulnerabler Personen in EU-Staaten |
Türkei / vielfach zwangsweise Rückführungen in Drittstaaten (u.a. Syrien, Iran) |
Ebenso sichert die EMRK einen individuellen Anspruch auf Schutz vor Refoulement zu. Bei vulnerablen Personen, vor allem bei Minderjährigen, müssen besondere Sorgfalt und Schutzpflichten zur Geltung kommen. Selbst bei einer räumlichen Verlagerung jenseits Europas bleibt die EMRK bindend. Alle Vertragsstaaten müssen mindestens ab dem Punkt, in dem sie »effektive Kontrolle« über eine betroffene Person ausüben, alle menschenrechtlichen Verpflichtungen einhalten. Dies ist offensichtlich im Fall von Asylsuchenden gegeben, die bereits das Territorium eines EMRK-Staats erreicht haben. Es trifft ebenfalls auf Menschen zu, die von staatlichen Behörden eines EMRK-Vertragsstaats im Rahmen von Seenotrettungseinsätzen geborgen werden.
Die politische Debatte in Großbritannien und Gerichtsurteile des UK Supreme Courts zeigen, dass die EMRK in Großbritannien das zentrale rechtliche Hindernis bei der Auslagerung von Asylverfahren nach Ruanda darstellt. Daher weist die britische Regierung nun Beamte und nationale Gerichte an, Ruanda für sicher zu erklären und entsprechende Eingaben beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abzublocken. Ein solcher Eingriff in die Gewaltenteilung ist äußerst problematisch. Führende Politiker der Tory-Partei drohen bereits seit Jahren damit, Großbritannien aus der EMRK herauszulösen. Die ohnehin stark angeschlagene Lage der Menschenrechte in Europa wird somit noch prekärer.
Auch jenseits grundlegender menschenrechtlicher Bedenken bestehen bei den vorliegenden Externalisierungsplänen große rechtliche Leerstellen. So ist unzureichend geregelt, was mit den Menschen geschieht, deren Asylgesuch abgelehnt wird. Ihnen und ihren Kindern droht, dass sie im Aufnahmeland bzw. Drittland undokumentiert und damit illegal bleiben oder sogar staatenlos werden. Das Abkommen zwischen Großbritannien und Ruanda beispielsweise hält zwar fest, dass den »umgesiedelten Personen« Bewegungsfreiheit gewährt werden soll, und enthält die Möglichkeit, dass diese Ruanda verlassen; es geht aber nicht näher darauf ein, mit welchen Personaldokumenten dies erfolgen soll oder kann. In der Praxis erfüllen Flüchtlingsdokumente nur eingeschränkt die Funktion nationaler Reisepässe und können keine reguläre internationale Mobilität garantieren.
Praktische Hürden
Die operative Umsetzung der Externalisierungspläne ist überaus herausfordernd. Im Fall Dänemarks ist die geplante Auslagerung von Asylverfahren nach Ruanda auch seit der Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes vor zwei Jahren in der Praxis nicht vorangekommen. Die größten Hürden bestehen generell im Bereich der Partnersuche, bei den Kosten und bei der Skalierbarkeit der Ansätze.
Schwierige Partnersuche
Dem großen Interesse wohlhabender Zielländer an der Auslagerung ihrer Schutzverantwortung steht ein eklatanter Mangel an kooperationswilligen Drittländern gegenüber. Die australische Regierung konnte die politisch und wirtschaftlich sehr schwachen Staaten Nauru und Papua-Neuguinea zur Zusammenarbeit bewegen, in beschränktem Umfang auch Kambodscha im Bereich Resettlement. Die Lage in der europäischen Nachbarschaft und in Afrika ist damit nicht vergleichbar. Abgesehen von Ruanda und Albanien sind die europäischen Staaten mit ähnlichen Vorhaben nicht weitergekommen. So haben die 55 Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union (AU) bereits 2019 extraterritoriale Aufnahmezentren auf ihrem Kontinent abgelehnt. Ein Grund hierfür ist häufig die fehlende Zustimmung der Öffentlichkeiten in den potentiellen Partnerländern.
Autokratische Regime sind darauf zwar weniger angewiesen, sie machen jedoch ihre Interessen gegenüber europäischen Regierungen überaus selbstbewusst geltend. Es gibt keinen Grund zu erwarten, dass Hilfsgelder allein ausreichen, um diese Länder zu einer intensiven migrations- und asylpolitischen Kooperation zu bewegen. Der Fall der EU-Türkei-Erklärung zeigt vielmehr, dass starke politische Anreize und Eigeninteressen des Partnerstaats zusammenkommen müssen: 2016 musste die Türkei bereits eine große Zahl von syrischen Geflüchteten versorgen, wofür europäische Unterstützung damals willkommen war. Demgegenüber verdeutlichen die angespannten Beziehungen mit Tunesien, dass Gelder, die die EU anbietet, vom Adressaten als »Almosen« empfunden und zurückgewiesen werden und bestenfalls eine schnellere Rücknahme eigener Staatsbürger:innen akzeptiert wird.
Selbst wenn eine Auslagerung von Asylverfahren angebahnt werden kann, werden auf Seiten des Partnerstaats Vorbehalte geltend gemacht. So sieht das britische Abkommen mit Ruanda zwar den Transfer von ankommenden Schutzsuchenden aus dem Vereinigten Königreich vor. Aber für jede Person ist eine individuelle Genehmigung der ruandischen Behörden erforderlich.
Hohe Kosten und geringe Skalierbarkeit
Das Kosten-Nutzen-Kalkül der bisherigen Externalisierungspläne ist problematisch. So hat die britische Regierung bereits 240 Millionen Pfund (280 Mio. Euro) nach Ruanda überwiesen, weitere Zahlungen in Höhe von mindestens 150 Millionen Pfund sollen bis 2027 folgen. Bisher wurde keine einzige schutzsuchende Person überstellt, bis 2027 sollen maximal 1.000 Überführungen stattfinden.
In der Umsetzung entstehen erhebliche weitere Kosten. So ist im britischen Modell vorgesehen, irregulär ankommende Schutzsuchende nach Ruanda auszufliegen. Aufgrund des damit verbundenen Verwaltungsaufwands ist mit einigen Wochen Aufenthalt, Unterbringung und Versorgung in Großbritannien zu rechnen.
Die mittelfristigen Kosten für die Externalisierung von Asylverfahren könnten nur dann begrenzt werden, wenn tatsächlich ein starker Abschreckungseffekt erzeugt würde. Aber auch 2023 gab Australien 485 Millionen Dollar aus, um Aufnahmezentren auf Nauru zu erhalten, die 22 Personen beherbergten. Solche Ausgaben sind unverhältnismäßig, insbesondere im Vergleich zu Maßnahmen zur Versorgung von Menschen auf der Flucht in Erstaufnahmeländern.
Im europäischen Kontext – wo im Gegensatz zu Australien und Großbritannien weniger auf eine umfassende Abschottung gesetzt werden kann – stellt sich immer die Frage der Skalierbarkeit, also in welcher Größenordnung die Auslagerung von Verfahren realistisch ist. Es erscheint angesichts von über einer Million Asylanträgen pro Jahr in der EU kaum denkbar, dass die Verfahren aller Antragsteller:innen (oder auch nur derjenigen aus sicheren Drittstaaten) externalisiert werden könnten. Entsprechende Pläne könnten nur unter der unrealistischen Annahme eines massiven Abschreckungseffekts funktionieren. Die geografische Lage und die durch Gewaltkonflikte geprägte Nachbarschaft Europas sind eher mit den USA als mit Australien zu vergleichen. Die diversen Bemühungen der USA um Auslagerung haben aber bisher nicht zu einer signifikanten und dauerhaften Verringerung der Ankunftszahlen geführt.
Probleme des Albanien‑Abkommens
Könnte eine innereuropäische Externalisierung nach dem Vorbild des Italien-Albanien-Abkommens dennoch einige dieser Probleme lösen? Das italienische und das albanische Parlament haben dem bilateralen Abkommen inzwischen zugestimmt, und auch das albanische Verfassungsgericht und die EU-Kommission haben es als unbedenklich beurteilt. Zudem sind beide Länder Vertragsstaaten der EMRK. Darüber hinaus bleibt Italien unmittelbar zuständig für die Durchführung der Asylverfahren von Personen, die durch italienische Schiffe in ein Lager in Albanien verbracht würden. Weitere EU-rechtliche bzw. sekundärrechtliche Standards, wie etwa Rechtsmittel, Anhörungs- und rechtliche Unterstützungsmöglichkeiten, sollen wie bei einem Asylverfahren in Italien eingehalten werden.
Trotzdem bleiben schwerwiegende Zweifel, ob ein solches Modell in allen Aspekten in Einklang mit dem europäischen Recht steht. Die italienischen Pläne sehen vor, Personen, die aus Seenot gerettet und als nicht-vulnerabel eingestuft wurden, direkt nach Albanien zu bringen. Ob Vulnerabilität auf Schiffen angemessen bewertet werden kann, ist aber fraglich.
Ungeklärt ist auch die Zulässigkeit der Haft. Die Inhaftierung von Asylsuchenden während ihres Verfahrens oder nach Ablehnung ist zwar nicht grundsätzlich verboten, wird aber von der EU als »letztes Mittel« betrachtet und von Nichtregierungsorganisationen wegen der Gefahren für die psychische Gesundheit und die Menschenrechte der Betroffenen kritisiert. Dennoch sieht das italienische Modell vor, Asylsuchende in Albanien für die Dauer des Verfahrens in Haft zu nehmen. Dies wird umso problematischer, je länger diese Verfahren dauern.
Schließlich sollen abgelehnte Asylsuchende in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Wer für diese Rückkehr zuständig ist und wer sie auch zwangsweise durchführt, falls eine freiwillige Rückkehr nicht angetreten wird, ist ebenso unklar wie die Folgen, wenn eine Rückkehr nicht möglich ist, beispielsweise aufgrund fehlender Papiere, gesundheitlicher Probleme oder mangelnder Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer. Da überall in der EU beklagt wird, dass nur ein Bruchteil der abgelehnten und ausreisepflichtigen Asylsuchenden freiwillig oder unter Zwang zurückkehrt, ist davon auszugehen, dass dies ebenso in Drittstaaten der Fall sein wird. Zu befürchten ist, dass die Betroffenen dann lange Zeit in haftähnlichen Bedingungen verbringen und letztlich wie im Protokoll vereinbart doch von Italien übernommen werden müssen. Plausibel ist auch, dass abgelehnte Antragsteller:innen faktisch ohne Maßgabe die Einrichtungen in Albanien verlassen. In beiden Fällen könnte dies mit zeitlicher Verzögerung die irreguläre Migration ausweiten.
Schließlich sprechen wiederum Kosten-Nutzen-Erwägungen gegen den Modellcharakter der italienischen Vereinbarung mit Albanien. So veranschlagt die italienische Regierung circa 650 Millionen Euro für ein fünfjähriges Programm mit 3.000 Plätzen für ausschließlich männliche Asylbewerber. Würden alle Verfahren innerhalb eines Monats abgeschlossen (inkl. anschließender Rückführung durch oder Überstellung nach Italien), könnten in Albanien maximal 36.000 Anträge pro Jahr geprüft werden. Selbst diese hochgegriffene Zahl entspricht höchstens einem Fünftel der derzeit irregulär über das Mittelmeer nach Italien kommenden Personen. Gleichzeitig ist eine Verlagerung auf andere Routen zu erwarten, zu Lasten anderer EU-Staaten.
Übertragung auf weitere EU-Beitrittskandidaten?
Sollte das Albanien-Modell Schule machen und dazu führen, dass weitere EU-Staaten jeweils eigene Abkommen mit unterschiedlichen Beitrittskandidaten schlössen, entstünde ein Flickenteppich, der mit großen Koordinationsproblemen einhergehen würde. Zur Verdeutlichung ein Gedankenspiel: Welche Folgen hätte es für das Gemeinsame Europäische Asylsystem, wenn Deutschland mit Nordmazedonien, Frankreich mit der Republik Moldau oder die Niederlande mit Georgien jeweils eigene Abkommen zur Auslagerung von Asylverfahren träfen und jedes Land dabei (wie beim Albanien-Abkommen der Fall) nationales statt EU-Recht anwenden würde? Dies würde die Gefahr unterschiedlicher Standards bergen.
Im Falle eines einheitlichen EU-Rahmenabkommens wäre hingegen zu klären, welche Mitgliedstaaten unter welcher Kostenbeteiligung für andere Staaten die extraterritoriale Bearbeitung von Asylverfahren übernehmen würden. Beim derzeitigen Stand der europäischen Integration wäre eine direkte EU-Verwaltung und -Entscheidung (etwa durch die EU-Asylagentur) über einzelne Asylanträge nicht möglich.
Insbesondere EU-Beitrittskandidaten würden durch Externalisierungsabkommen einen starken Hebel erhalten, politische Zugeständnisse einzufordern. Dem strategischen Ziel einer geordneten EU-Erweiterung mit hohen rechtsstaatlichen Standards wäre damit nicht gedient.
Fazit
Es gibt keine Belege dafür, dass die mit einer Externalisierung verbundenen Hoffnungen auf weniger Todesfälle an den EU-Außengrenzen und auf eine Zerstörung des Geschäftsmodells von Schleppern und Schleusern realistisch sind. Außer dem Sonderfall Australien mit seiner einzigartigen Lage und insgesamt weit geringeren Betroffenheit durch regionale Kriege und Krisen gibt es kein Beispiel für den Erfolg einer solchen Politik. Die EU-Vereinbarung mit der Türkei hat zwar in Kombination mit anderen Maßnahmen zu einer Reduktion der ungeregelten Wanderung auf der östlichen Mittelmeerroute beigetragen. Die Zahlen syrischer Schutzsuchender in der EU sind aber immer noch hoch. Gleichzeitig haben systematische Push-Backs zugenommen.
Einer sehr restriktiven Politik setzen zudem das EU-Recht und die EMRK Grenzen. Die bisher vorliegenden Externalisierungsvorschläge würden vielfach gegen bestehendes Recht verstoßen und unrealistische politische Erwartungen wecken.
Gleichwohl werden die Befürworter:innen von Externalisierungen versuchen, rechtliche Graubereiche zu nutzen, wie beim Entwurf des Italien-Albanien-Abkommens. Solche Vorstöße gehen mit einer Absenkung von Schutz- und Menschenrechtsstandards einher und schwächen letztlich das im Grundgesetz und in der EMRK verankerte individuelle Asylrecht.
Aktuell bestimmen in Deutschland Ansätze zur koordinierten Verlagerung von Asylverfahren (»Typ 1«) und/oder Schutz (»Typ 2«) die Debatte und durchlaufen Prüfverfahren. In der Praxis stellen aber weitere Vereinbarungen vom »Typ 3«, also für koordinierte Rücküberstellungen in Transitstaaten, die wahrscheinlichste Entwicklung dar – sofern diese zur Kooperation bereit sind. Rein bilaterale Abkommen mit Drittländern zur Externalisierung kämen derweil einem Misstrauensvotum gegen die jüngste Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gleich und würden die notwendigen Anstrengungen zur koordinierten Umsetzung dieses Kompromisses unterlaufen.
Grundsätzlich wird bei all diesen Externalisierungsplänen die auch im Globalen Flüchtlingspakt betonte Verantwortungsteilung immer schwieriger, wenn wohlhabende EU-Mitgliedstaaten sich aus dem Flüchtlingsschutz zurückziehen, im Gegenzug aber von Entwicklungsländern erwarten, Geflüchtete aus ihrer Nachbarschaft aufzunehmen und zu beherbergen. Das Ungleichgewicht bei der Verantwortungsteilung zwischen Industriestaaten und Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen würde vergrößert – obwohl doch entwicklungspolitisch gerade eine Verringerung dieser Kluft angestrebt wird.
Stattdessen sollte sich die Bundesregierung für die Achtung internationaler und europäischer Schutzstandards einsetzen, Kapazitäten in Erstaufnahmeländern stärken, reguläre Zugangswege für Verfolgte, Arbeitskräfte sowie für Studierende und Auszubildende schaffen und die regionale Mobilität im sogenannten Globalen Süden fördern, um den Menschen Perspektiven in den Herkunftsregionen zu eröffnen.
Dr. Steffen Angenendt ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Nadine Biehler und Dr. Anne Koch sind Wissenschaftlerinnen, David Kipp Wissenschaftler dieser Forschungsgruppe. Dr. Raphael Bossong ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa.
Der vorliegende Beitrag wurde verfasst im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten, unabhängigen Forschungsvorhabens »Strategische Flucht- und Migrationspolitik«.
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DOI: 10.18449/2024A12