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Die Externalisierung des europäischen Flüchtlingsschutzes

Eine rechtliche, praktische und politische Bewertung aktueller Vorschläge

SWP-Aktuell 2024/A 12, 05.03.2024, 8 Seiten

doi:10.18449/2024A12

Forschungsgebiete

In vielen europäischen Staaten steigt die Zahl der Asylanträge ebenso wie der Zuspruch für rechtspopulistische Parteien weiter an. Initiativen wie der Ruanda-Plan der bri­tischen Regierung und das Albanien-Abkommen der italienischen Regierung können als Reaktion darauf verstanden werden. Sie zielen auf eine Verlagerung von Asyl­verfahren in Drittstaaten. Damit sollen die Ankunftszahlen markant verringert wer­den. Vergleichbare Vorschläge in der Ver­gangenheit gingen nie über das Stadium abstrakter Ideen hinaus. Im Fall Ruandas und Albaniens wird nun allerdings über die konkrete Umsetzung verhandelt. Dem entgegen stehen zahlreiche rechtliche und normative Einwände sowie praktische Hürden. Die vorliegenden Vorschläge zur Aus­lagerung drohen den internationalen Flüchtlingsschutz in Frage zu stellen und den außen- und entwicklungspolitischen Interessen Deutschlands und der Europäischen Union zu schaden.

In Australien führte die Regierung 2001 die sogenannte »Pazifische Lösung« ein, nach der Bootsflüchtlinge in Lager in Papua-Neu­guinea und Nauru abgeschoben werden können, um sie an einer Asylantragstellung auf dem eigenen Hoheitsgebiet zu hindern. Irreguläre Überfahrten nach Australien wurden so tatsächlich weitestgehend unter­bunden, allerdings um den Preis schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen. Dessen ungeachtet schlug Großbritannien 2003 vor, Asylsuchende in »regionale UN-Schutzgebiete« zu überstellen. Ein Jahr später regte der damalige deutsche Innen­minister Otto Schily vergleichbare Zentren in Nordafrika an.

Im Jahr 2018 setzte sich auch der Euro­päische Rat mit sogenannten »Ausschiffungsplattformen« auseinander. Letztlich blieben aber alle Ansätze im europäischen Kontext Makulatur. Die Befürworter:innen konnten grundlegende Zweifel an der Reali­sierbarkeit in Europa und der Vereinbarkeit mit völker- und verfassungsrechtlichen Nor­men nicht ausräumen.

Heute jedoch gibt es eine Renaissance dieser Debatten. In Deutschland haben die Regierungsparteien in ihrem Koalitions­vertrag vereinbart, sondieren zu wollen, ob die Feststellung des Schutzstatus in Aus­nahmefällen unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Euro­päischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Drittstaaten möglich ist. Derzeit prüft die Bundesregierung gemäß einem Auftrag der Ministerpräsidentenkonferenz, ob generell eine Auslagerung von Schutzverfahren vorangetrieben werden kann. Auch die CDU fordert im Entwurf zu ihrem Grundsatz­programm, Asylanträge nur noch in Dritt­ländern zuzulassen. Anstoß sind die mut­maßlichen Fortschritte Großbritanniens und Italiens, entsprechende Abkommen mit Ruanda und Albanien zu vereinbaren.

Die aktuelle Debatte

Im Dezember 2023 hatten sich die EU-Mit­gliedstaaten, das Europäische Parlament und die Kommission auf einen neuen »Pakt für Migration und Asyl« geeinigt. Unter anderem sollen neue Grenzverfahren eine Reduktion der Asylanträge und deutlich mehr Rückführungen nach sich ziehen, während ein komplexes System der flexi­blen Solidarität die Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten verbessern soll. Ob und wann tatsächlich eine Verminderung der irregulären Grenzübertritte unter Einhaltung des Grundrechts auf Asyl erreicht werden kann, bleibt jedoch fraglich. Frü­hestens kommen die neuen Rechtsakte 2026 zur Anwendung.

Angesichts der fortwährenden Krisen in den aktuellen Hauptherkunftsländern ist zu erwarten, dass die Zahl der Asylanträge in der EU hoch bleiben wird. Mit Blick auf den andauernden Krieg in der Ukraine be­steht zudem keine Aussicht auf eine Ent­lastung durch ukrainische Geflüchtete, die in ihre Heimat zurückkehren.

Vor diesem Hintergrund soll die Exter­nalisierung von Asylverfahren einen drei­fachen Effekt erzielen: Erstens soll sie den Zuwanderungswilligen und Schutzsuchenden signalisieren, dass sich die gefährliche Reise, um in der EU ein Asylgesuch zu stel­len, nicht lohnt. Zweitens soll sie bei nega­tiven Asyl­bescheiden die Rückführung erleichtern. Drittens soll Wähler:innen der Eindruck eines entschiedenen Handelns gegenüber ungeregelter Zuwanderung und daran beteiligten Schlepperorganisationen vermittelt werden.

Zusätzlich werden menschenrechtliche Argumente angeführt: Die erhoffte Redu­zierung der Zuwanderungszahlen soll zu einer Abnahme der Todesfälle auf den ge­fährlichen Routen führen, insbesondere auf dem Mittelmeer. Mittelfristig soll ein neues System des Flüchtlingsschutzes entstehen, weg von individuellen Asylanträgen an den EU-Außengrenzen, hin zu Kontingenten von Schutzbedürftigen, die direkt aus Dritt­staaten übernommen würden. Be­fürwor­ter:innen argumentieren, dass hierdurch vulnerablen Personengruppen geholfen wäre, die im Vergleich zu den meisten alleinreisenden jüngeren Männern gerin­gere Chancen hätten, die gefährliche Reise nach Europa zu bewältigen.

Dieser Ansatz scheint einen Ausweg aus der systemischen Krise der europäischen Asylpolitik zu weisen. Die postulierte ab­schreckende Wirkung der Auslagerung von Asylverfahren ist jedoch keineswegs belegt und blendet schwerwiegende rechtliche, praktische und politische Einwände aus. Ebenso wenig ist gesichert, dass im Fall einer Reduktion der irregulären Zuwanderung die EU-Mitgliedstaaten hinreichend große Kontingente zur Übernahme von Schutzbedürftigen anbieten würden. Min­destens ebenso plausibel sind eine weitere Verschärfung und dauerhafte Einschränkung des Asylrechts, was international Schule machen könnte.

Externalisierungsansätze im Vergleich

Den unterschiedlichen Bemühungen, die Verantwortlichkeit gegenüber Schutzsuchen­den in andere Länder aus­zulagern, sind zwei Elemente gemeinsam: Erstens geht es um Menschen, die schon das Territorium des eigenen Staates erreicht haben (oder im Fall von Seenotrettung unter die effektive Kontrolle staatlicher Akteure fallen). Zwei­tens sollen die betroffenen Personen ge­ordnet an einen Drittstaat übergeben wer­den. In der weiteren Ausgestaltung ergeben sich erhebliche Unterschiede bei den staat­lichen Aufgaben, die jeweils ausgelagert werden sollen. Dabei haben sich drei Typen von Externalisierungsansätzen heraus­kristallisiert.

Typ 1: Extraterritoriale Asylverfahren

Bei diesem Typus geht es um die räumliche Verlagerung von Asylverfahren in Dritt­staaten, wobei nach wie vor das Recht des Staates, der die Externalisierung betreibt, angewandt wird. Das bekannteste historische Beispiel ist die sogenannte »Pacific Solution«, die Australien von 2001 bis 2007 in Nauru (in Koope­ration mit UNHCR) und Papua-Neuguinea praktizierte, ungeachtet massiver Menschen­rechtsverletzungen. Erhielten die Flüchtlinge einen positiven Asylbescheid, sollten sie nach Australien gebracht werden. Es fand aber auch eine Übersiedlung in Drittstaaten statt.

Das kürzlich zwischen Italien und Albanien ausgehandelte Abkommen über den Aufbau und Betrieb von zwei Aufnahme­zentren in Albanien sieht ebenso nur eine räum­liche Auslagerung von Asylverfahren vor; es soll durchgehend italienisches Recht gelten. Bei positivem Asylbescheid soll ausschließlich Schutz in Italien gewährt werden.

Typ 2: Übertragung der Verantwor­tung für Verfahren und Schutz

Ein zweites Modell sieht nicht nur die räum­liche, sondern auch die rechtliche Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten vor. Ein Beispiel ist neben der ab 2012 als »off­shore processing« weiterentwickelten australischen Praxis das Abkommen zwi­schen Großbritannien und Ruanda: Asyl­suchende, die aus Großbritannien nach Ruanda verbracht werden, sollen unter das dortige Asylrecht fallen und bei positivem Bescheid dort Schutz erhalten. Dies ist mit erheblichen Anforderungen an das dortige Asylsystem verknüpft.

Ähnlich waren die von 2019 bis 2021 laufenden Asyl-Kooperations­abkom­men der USA mit El Salvador, Guatemala und Hon­du­ras konstruiert, von denen die ersten beiden aber nie umgesetzt wurden: Die Verantwortung, Asylverfahren durch­zufüh­ren und bei positivem Bescheid Schutz zu gewähren, sollte bei diesen Deals in Gänze dem Partnerstaat übertragen werden.

Typ 3:
Rücküberstellung in Transitstaaten

Ein dritter Typus, für den die EU-Türkei-Vereinbarung beispielhaft steht, umfasst Regelungen, um die Rücküberstellung von Schutzsuchenden in zuvor durchquerte Transitstaaten zu ermöglichen. Hier beruht die Kooperation auf der Annahme, dass in dem Transitstaat adäquate Voraussetzungen für Schutz gegeben sind. Wie die Asyl­verfahren ausgestaltet und welche Grund­rechte gewährleistet werden, wird meist nicht vertraglich festgehalten. Die Zustimmung des Transitstaats, bestimmte Grup­pen von Menschen wieder ins Land zu lassen, wird durch unterschiedliche Anreize er­kauft: So war bei der EU-Türkei-Erklärung ursprünglich vorgesehen, dass europäische Mitgliedstaaten für jede von der Türkei zu­rückgenommene Person einen anerkannten Flüchtling von dort übernehmen wür­den; ebenso stand die Aufhebung der Visum­pflicht für türkische Staatsbürger:innen zur Debatte. Letztlich war die umfangreiche finanzielle Unterstützung der EU für die Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei ausschlaggebend. Im Zuge der europäischen Asylreform wird die EU voraussichtlich versuchen, weitere Transitstaaten zu einer solchen Zusammenarbeit zu bewegen.

Völkerrechtliche und menschenrechtliche Hürden

Die Auslagerung staatlicher Verantwortung für Asylverfahren und Schutzgewährung ist nur schwer mit dem Völkerrecht vereinbar. So sind die Unterzeichnerstaaten der GFK von 1951 gehalten, sich im Geist internatio­naler Zusammenarbeit und Solidarität am Schutz von Flüchtlingen zu beteiligen. Dies bedeutet zwar nicht die Verpflichtung, allen Schutzsuchenden territoriales Asyl zu ge­währen – es sind auch Resettlement, siche­re Drittstaatenregelungen und ähnliche Mechanismen möglich; die GFK legt aber den Vertragsstaaten unter anderem die Verantwortung auf, bei allen Schutzvarianten gewisse Standards einzuhalten. Dies betrifft nicht nur die Einhaltung des Non-Refoulement-Gebots (Art. 33), sondern auch die Gewährung von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Teilhaberechten. Auch die UN-Antifolterkonvention enthält in Arti­kel 3 das Verbot, Personen in ein Land auszuweisen, auszuliefern oder zurück­zuschieben, wo ihnen Folter, unmensch­liche Behandlung bzw. schwere Menschenrechtsverletzungen drohen könnten.

Tabelle

Ansätze zur Auslagerung von Schutz und Asylverfahren

Ansatz / Typ

Beteiligte Staaten (Zielland / Dritt­staat)

Stand der Umsetzung
(am 26.2.2024)

Ort / Recht des
Schutzverfahrens

Verantwortung /
Ort nach Schutz-gewährung

Verantwortung / Ort für abgelehnte Antragssteller

»Pacific
Solution« / Typ 1

Australien & Nauru/Papua-Neuguinea (PNG)

2001–2007

PNG & Nauru /
australisches Recht

Australien /
Resettlement in Drittstaaten (u.a. Neuseeland,
Schweden, Kanada)

Australien / meist dauerhafte Inhaf­tierung in PNG & Nauru

»Protokoll zur Stärkung migra­tionsbezogener Zusammenarbeit« / Typ 1

Italien &
Albanien

ratifiziert, geplante Laufzeit 2024–2029

Albanien / italie­nisches Recht

Italien (Aufnahme anerkannter Schutzsuchen­der)

Italien

»Offshore Processing« /
Typ 2

Australien /
Nauru & PNG

Seit 2012, derzeit pausiert

PNG & Nauru /
einheimisches Recht

Resettlement in div. Drittstaaten (USA, Kambo­dscha)

Australien / meist dauerhafte Inhaftierung auf PNG & Nauru

US Asylum Co­operation Agree­ments /
Typ 2

USA / Guatemala & Honduras & El Salvador

2019 bis 2021, ohne Umsetzung in Honduras und El Salvador

Jeweils sicheres Drittland, Guate­mala für Menschen aus Honduras und El Salvador

Jeweils sicheres Drittland, Guate­mala für Men­schen aus Hon­duras und El Salvador

Jeweils sicheres Dritt­land, Guatemala für Menschen aus Honduras und El Salvador

UK-Ruanda-Vertrag und Dänisches Gesetz L 226 /
Typ 2

UK (und Dänemark) & Ruanda

Noch im Gesetz­gebungsprozess, geplante Laufzeit bis April 2027

Ruanda / ruandisches Recht

Ruanda

Ruanda

»EU-Türkei-Erklärung« / Typ 3

EU & Türkei

Seit 2016, teilweise umgesetzt

Türkei / türkisches Recht für Syrer:in­nen; kein geregeltes Schutzverfahren für andere Gruppen

Türkei, punktuell Übersiedlung be­sonders vulnera­bler Personen in EU-Staaten

Türkei / vielfach zwangsweise Rück­führungen in Dritt­staaten (u.a. Syrien, Iran)

Ebenso sichert die EMRK einen individuellen Anspruch auf Schutz vor Refoulement zu. Bei vulnerablen Personen, vor allem bei Minderjährigen, müssen besondere Sorgfalt und Schutzpflichten zur Geltung kommen. Selbst bei einer räumlichen Verlagerung jenseits Europas bleibt die EMRK bindend. Alle Vertragsstaaten müssen mindestens ab dem Punkt, in dem sie »effektive Kontrolle« über eine betroffene Person ausüben, alle menschenrecht­lichen Verpflichtungen einhalten. Dies ist offensichtlich im Fall von Asylsuchenden gegeben, die bereits das Territorium eines EMRK-Staats erreicht haben. Es trifft ebenfalls auf Menschen zu, die von staatlichen Behörden eines EMRK-Vertragsstaats im Rahmen von Seenot­rettungseinsätzen geborgen werden.

Die politische Debatte in Großbritannien und Gerichtsurteile des UK Supreme Courts zeigen, dass die EMRK in Großbritannien das zentrale rechtliche Hindernis bei der Auslagerung von Asylverfahren nach Ruanda darstellt. Daher weist die britische Regierung nun Beamte und nationale Gerichte an, Ruanda für sicher zu erklären und entsprechende Eingaben beim Europäi­schen Gerichtshof für Menschenrechte ab­zublocken. Ein solcher Eingriff in die Gewaltenteilung ist äußerst problematisch. Führende Politiker der Tory-Partei drohen bereits seit Jahren damit, Großbritannien aus der EMRK herauszulösen. Die ohnehin stark angeschlagene Lage der Menschenrechte in Europa wird somit noch prekärer.

Auch jenseits grundlegender menschenrechtlicher Bedenken bestehen bei den vor­liegenden Externalisierungsplänen große rechtliche Leerstellen. So ist unzureichend geregelt, was mit den Menschen geschieht, deren Asylgesuch abgelehnt wird. Ihnen und ihren Kindern droht, dass sie im Auf­nahmeland bzw. Drittland undokumentiert und damit illegal bleiben oder sogar staaten­los werden. Das Abkommen zwischen Großbritannien und Ruanda beispielsweise hält zwar fest, dass den »umgesiedelten Personen« Bewegungsfreiheit gewährt werden soll, und enthält die Möglichkeit, dass diese Ruanda verlassen; es geht aber nicht näher darauf ein, mit welchen Per­sonaldokumenten dies erfolgen soll oder kann. In der Praxis erfüllen Flüchtlings­dokumente nur eingeschränkt die Funktion nationaler Reisepässe und können keine reguläre internationale Mobilität garantieren.

Praktische Hürden

Die operative Umsetzung der Externalisierungspläne ist überaus herausfordernd. Im Fall Dänemarks ist die geplante Auslagerung von Asylverfahren nach Ruanda auch seit der Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes vor zwei Jahren in der Praxis nicht voran­gekom­men. Die größten Hürden bestehen generell im Bereich der Partner­suche, bei den Kosten und bei der Skalierbarkeit der Ansätze.

Schwierige Partnersuche

Dem großen Interesse wohlhabender Ziel­länder an der Auslagerung ihrer Schutz­verantwortung steht ein eklatanter Mangel an kooperationswilligen Drittländern gegen­über. Die australische Regierung konnte die politisch und wirtschaftlich sehr schwachen Staaten Nauru und Papua-Neu­guinea zur Zusammenarbeit bewegen, in beschränktem Umfang auch Kambodscha im Bereich Resettlement. Die Lage in der europäischen Nachbarschaft und in Afrika ist damit nicht vergleichbar. Abgesehen von Ruanda und Albanien sind die europäischen Staaten mit ähnlichen Vorhaben nicht weitergekommen. So haben die 55 Mitgliedstaaten der Afrika­nischen Union (AU) bereits 2019 extra­terri­to­riale Aufnahmezentren auf ihrem Kon­tinent abgelehnt. Ein Grund hierfür ist häu­fig die fehlende Zustimmung der Öffentlich­keiten in den potentiellen Partnerländern.

Autokratische Regime sind darauf zwar weniger angewiesen, sie machen jedoch ihre Interessen gegenüber europäischen Regierungen überaus selbstbewusst geltend. Es gibt keinen Grund zu erwarten, dass Hilfs­gelder allein ausreichen, um diese Länder zu einer intensiven migrations- und asylpolitischen Kooperation zu bewegen. Der Fall der EU-Türkei-Erklärung zeigt viel­mehr, dass starke poli­tische Anreize und Eigeninteressen des Partnerstaats zusammenkommen müssen: 2016 musste die Türkei bereits eine große Zahl von syrischen Geflüchteten versorgen, wofür europäische Unterstützung damals willkommen war. Demgegenüber verdeutlichen die angespann­ten Beziehungen mit Tunesien, dass Gelder, die die EU anbietet, vom Adressaten als »Almosen« empfunden und zurückgewiesen werden und bes­tenfalls eine schnellere Rücknahme eigener Staatsbürger:innen akzeptiert wird.

Selbst wenn eine Auslagerung von Asyl­verfahren angebahnt werden kann, werden auf Seiten des Partnerstaats Vorbehalte gel­tend gemacht. So sieht das britische Abkom­men mit Ruanda zwar den Transfer von ankommenden Schutzsuchenden aus dem Vereinigten Königreich vor. Aber für jede Person ist eine individuelle Genehmigung der ruandischen Behörden erforderlich.

Hohe Kosten und geringe Skalierbarkeit

Das Kosten-Nutzen-Kalkül der bisherigen Externalisierungspläne ist problematisch. So hat die britische Regierung bereits 240 Millionen Pfund (280 Mio. Euro) nach Ruanda überwiesen, weitere Zahlungen in Höhe von mindestens 150 Millionen Pfund sollen bis 2027 folgen. Bisher wurde keine einzige schutzsuchende Person überstellt, bis 2027 sollen maximal 1.000 Überführungen stattfinden.

In der Umsetzung entstehen erhebliche weitere Kosten. So ist im britischen Modell vor­gesehen, irregulär ankommende Schutz­suchende nach Ruanda auszufliegen. Auf­grund des damit verbundenen Verwaltungs­aufwands ist mit einigen Wochen Auf­enthalt, Unterbringung und Versorgung in Großbritannien zu rechnen.

Die mittelfristigen Kosten für die Externalisierung von Asylverfahren könnten nur dann begrenzt werden, wenn tatsächlich ein starker Abschreckungseffekt erzeugt würde. Aber auch 2023 gab Australien 485 Millionen Dollar aus, um Aufnahmezentren auf Nauru zu erhalten, die 22 Per­sonen be­herbergten. Solche Ausgaben sind unverhältnismäßig, insbesondere im Ver­gleich zu Maßnahmen zur Versorgung von Menschen auf der Flucht in Erstaufnahmeländern.

Im europäischen Kontext – wo im Gegen­satz zu Australien und Großbritannien weniger auf eine umfassende Abschottung gesetzt werden kann – stellt sich immer die Frage der Skalierbarkeit, also in welcher Größenordnung die Auslagerung von Ver­fahren realistisch ist. Es erscheint angesichts von über einer Million Asylanträgen pro Jahr in der EU kaum denk­bar, dass die Ver­fahren aller Antragsteller:innen (oder auch nur derjenigen aus sicheren Drittstaaten) ex­ternalisiert werden könnten. Entsprechen­de Pläne könnten nur unter der unrealis­tischen Annahme eines massiven Abschre­ckungseffekts funktionieren. Die geografi­sche Lage und die durch Gewaltkonflikte ge­prägte Nachbarschaft Europas sind eher mit den USA als mit Australien zu verglei­chen. Die diversen Bemühungen der USA um Auslagerung haben aber bisher nicht zu einer signifikanten und dauerhaften Verringerung der Ankunftszahlen geführt.

Probleme des Albanien‑Abkommens

Könnte eine innereuropäische Externalisierung nach dem Vorbild des Italien-Alba­nien-Abkommens dennoch einige dieser Probleme lösen? Das italienische und das albanische Parlament haben dem bilateralen Abkommen inzwischen zugestimmt, und auch das albanische Verfassungsgericht und die EU-Kom­mission haben es als un­bedenklich beurteilt. Zudem sind beide Länder Vertragsstaaten der EMRK. Darüber hinaus bleibt Italien unmittelbar zuständig für die Durchführung der Asyl­verfahren von Personen, die durch italienische Schiffe in ein Lager in Albanien verbracht würden. Weitere EU-rechtliche bzw. sekundärrechtliche Standards, wie etwa Rechtsmittel, An­hörungs- und recht­liche Unterstützungsmöglichkeiten, sollen wie bei einem Asyl­verfahren in Italien eingehalten werden.

Trotzdem bleiben schwerwiegende Zwei­fel, ob ein solches Modell in allen Aspekten in Einklang mit dem europäischen Recht steht. Die italienischen Pläne sehen vor, Personen, die aus Seenot gerettet und als nicht-vulnerabel eingestuft wurden, direkt nach Albanien zu bringen. Ob Vulnerabilität auf Schiffen angemessen bewertet wer­den kann, ist aber frag­lich.

Ungeklärt ist auch die Zulässigkeit der Haft. Die Inhaftierung von Asylsuchenden während ihres Verfahrens oder nach Ableh­nung ist zwar nicht grundsätzlich verboten, wird aber von der EU als »letztes Mittel« be­trachtet und von Nichtregierungsorganisationen wegen der Gefahren für die psychi­sche Gesundheit und die Menschenrechte der Betroffenen kritisiert. Dennoch sieht das italienische Modell vor, Asylsuchende in Albanien für die Dauer des Verfahrens in Haft zu nehmen. Dies wird umso problematischer, je länger diese Verfahren dauern.

Schließlich sollen abgelehnte Asyl­suchende in ihre Herkunftsländer zurück­kehren. Wer für diese Rückkehr zuständig ist und wer sie auch zwangsweise durchführt, falls eine freiwillige Rückkehr nicht angetreten wird, ist ebenso unklar wie die Folgen, wenn eine Rückkehr nicht möglich ist, beispielsweise aufgrund fehlender Papiere, gesundheitlicher Probleme oder mangelnder Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer. Da überall in der EU be­klagt wird, dass nur ein Bruchteil der ab­gelehnten und ausreisepflichtigen Asyl­suchenden frei­willig oder unter Zwang zurückkehrt, ist davon auszugehen, dass dies ebenso in Drittstaaten der Fall sein wird. Zu befürchten ist, dass die Betrof­fenen dann lange Zeit in haftähnlichen Bedingungen verbringen und letztlich wie im Protokoll vereinbart doch von Italien übernommen werden müssen. Plausibel ist auch, dass abgelehnte Antragsteller:innen faktisch ohne Maßgabe die Einrichtungen in Albanien verlassen. In bei­den Fällen könnte dies mit zeitlicher Verzögerung die irreguläre Migration ausweiten.

Schließlich sprechen wiederum Kosten-Nutzen-Erwägungen gegen den Modell­charakter der italienischen Vereinbarung mit Albanien. So veranschlagt die italienische Regierung circa 650 Millionen Euro für ein fünf­jähriges Programm mit 3.000 Plät­zen für ausschließlich männliche Asyl­bewerber. Würden alle Verfahren innerhalb eines Monats abgeschlossen (inkl. an­schlie­ßender Rückführung durch oder Über­stellung nach Italien), könnten in Albanien maximal 36.000 Anträge pro Jahr geprüft werden. Selbst diese hochgegriffene Zahl entspricht höchstens einem Fünftel der derzeit irregulär über das Mittelmeer nach Italien kommenden Personen. Gleichzeitig ist eine Verlagerung auf andere Routen zu erwarten, zu Lasten anderer EU-Staaten.

Übertragung auf weitere EU-Beitrittskandidaten?

Sollte das Albanien-Modell Schule machen und dazu führen, dass weitere EU-Staaten jeweils eigene Abkommen mit unterschiedlichen Beitrittskandidaten schlössen, ent­stünde ein Flickenteppich, der mit großen Koordinationsproblemen einhergehen würde. Zur Verdeutlichung ein Gedankenspiel: Welche Folgen hätte es für das Ge­mein­same Europäische Asylsystem, wenn Deutschland mit Nordmazedonien, Frank­reich mit der Republik Moldau oder die Niederlande mit Georgien jeweils eigene Abkommen zur Auslagerung von Asyl­verfahren träfen und jedes Land dabei (wie beim Albanien-Abkommen der Fall) natio­nales statt EU-Recht anwenden würde? Dies würde die Gefahr unterschiedlicher Stan­dards bergen.

Im Falle eines einheitlichen EU-Rahmen­abkommens wäre hingegen zu klären, wel­che Mitgliedstaaten unter welcher Kostenbeteiligung für andere Staaten die extra­territoriale Bearbei­tung von Asylverfahren übernehmen würden. Beim derzeitigen Stand der europäischen Integration wäre eine direkte EU-Verwaltung und -Entschei­dung (etwa durch die EU-Asylagentur) über einzelne Asyl­anträge nicht möglich.

Insbesondere EU-Beitrittskandidaten würden durch Externalisierungsabkommen einen starken Hebel erhalten, politische Zugeständnisse einzufordern. Dem strate­gischen Ziel einer geordneten EU-Erwei­terung mit hohen rechtsstaatlichen Stan­dards wäre damit nicht gedient.

Fazit

Es gibt keine Belege dafür, dass die mit einer Externalisierung verbundenen Hoffnungen auf weniger Todesfälle an den EU-Außen­grenzen und auf eine Zerstörung des Ge­schäftsmodells von Schleppern und Schleu­sern realistisch sind. Außer dem Sonderfall Australien mit seiner einzigartigen Lage und insgesamt weit geringeren Betroffenheit durch regionale Kriege und Krisen gibt es kein Beispiel für den Erfolg einer solchen Politik. Die EU-Vereinbarung mit der Türkei hat zwar in Kombination mit anderen Maß­nahmen zu einer Reduktion der ungeregel­ten Wanderung auf der östlichen Mittelmeerroute beigetragen. Die Zahlen syri­scher Schutzsuchender in der EU sind aber immer noch hoch. Gleichzeitig haben systematische Push-Backs zu­genommen.

Einer sehr restriktiven Politik setzen zu­dem das EU-Recht und die EMRK Grenzen. Die bisher vorliegenden Externalisierungsvorschläge würden vielfach gegen bestehen­des Recht verstoßen und unrealistische politische Erwartungen wecken.

Gleichwohl werden die Befürworter:in­nen von Externalisierungen versuchen, rechtliche Graubereiche zu nutzen, wie beim Entwurf des Italien-Albanien-Abkom­mens. Solche Vorstöße gehen mit einer Ab­senkung von Schutz- und Menschenrechtsstandards einher und schwächen letztlich das im Grundgesetz und in der EMRK ver­ankerte individuelle Asylrecht.

Aktuell bestimmen in Deutschland An­sätze zur koordinierten Verlagerung von Asylverfahren (»Typ 1«) und/oder Schutz (»Typ 2«) die Debatte und durchlaufen Prüf­verfahren. In der Praxis stellen aber weitere Vereinbarungen vom »Typ 3«, also für ko­ordinierte Rücküberstellungen in Transitstaaten, die wahrscheinlichste Ent­wicklung dar – sofern diese zur Kooperation bereit sind. Rein bilaterale Abkommen mit Dritt­ländern zur Externalisierung kämen der­weil einem Misstrauensvotum gegen die jüngste Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gleich und würden die notwendigen Anstrengungen zur koordinierten Umsetzung dieses Kompromisses unterlaufen.

Grundsätzlich wird bei all diesen Externalisierungsplänen die auch im Globalen Flüchtlingspakt betonte Verantwortungs­teilung immer schwieriger, wenn wohl­habende EU-Mitgliedstaaten sich aus dem Flüchtlingsschutz zurückziehen, im Gegen­zug aber von Entwicklungsländern erwar­ten, Geflüchtete aus ihrer Nachbarschaft aufzunehmen und zu beherbergen. Das Ungleichgewicht bei der Verantwortungsteilung zwischen Industriestaaten und Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen würde vergrößert – obwohl doch entwicklungspolitisch gerade eine Verringerung dieser Kluft angestrebt wird.

Stattdessen sollte sich die Bundesregierung für die Achtung internationaler und europäischer Schutzstandards einsetzen, Kapazitäten in Erstaufnahmeländern stär­ken, reguläre Zugangswege für Verfolgte, Arbeitskräfte sowie für Studierende und Auszubildende schaffen und die regionale Mobilität im sogenannten Globalen Süden fördern, um den Menschen Per­spektiven in den Herkunftsregionen zu eröffnen.

Dr. Steffen Angenendt ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Nadine Biehler und Dr. Anne Koch sind Wissenschaftlerinnen, David Kipp Wissenschaftler dieser Forschungsgruppe. Dr. Raphael Bossong ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa.
Der vorliegende Beitrag wurde verfasst im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten, unabhängigen Forschungsvorhabens »Strategische Flucht- und Migrationspolitik«.

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