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Die EU-Rohstoffpolitik: Testfall Serbien

Rechtsstaatlichkeit und Nachhaltigkeit als Maßstab für Europas Rohstoffkooperation

SWP-Aktuell 2025/A 08, 05.03.2025, 8 Seiten

doi:10.18449/2025A08

Forschungsgebiete

Im Juli 2024 vereinbarten die Europäische Union (EU) und die serbische Regierung eine strategische Partnerschaft im Rohstoffsektor. Für die EU ist diese Kooperation ein wichtiger Schritt zur Diversifizierung ihrer Lieferketten und zur Stärkung wirt­schaftlicher Partnerschaften in ihrer Nachbarschaft. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić hat ein geopolitisches Interesse an der Kooperation, die er auch dazu nutzen will, seine bereits umfassende Machtstellung im Inland noch auszubauen. Die Unterzeichnung der Vereinbarung hat in Serbien massive Proteste ausgelöst. Kritiker:innen befürchten, die Umsetzung der Rohstoffpartnerschaft könne die ohnehin fragilen rechtsstaatlichen Strukturen weiter untergraben, ebenso wie die Einhaltung ökologischer und sozialer Standards. Der Fall Serbien zeigt, dass die EU in einem geopolitisch aufgeladenen Kontext die autoritäre Regierung des Landes nur begrenzt beeinflussen kann. Doch muss sie ihren Spielraum gezielt nutzen, um die Risiken einzudämmen.

Die EU hat 2024 den Critical Raw Materials Act (EU CRMA) verabschiedet, mit dem sie die gemeinschaftliche Versorgung mit soge­nannten strategischen Rohstoffen gewähr­leisten will; Rohstoffen also, die »eine beson­dere strategische Bedeutung für die EU haben und sehr hohe Versorgungsrisiken aufweisen«. Um die Ver­sorgungssicherheit zu er­höhen und ins­besondere die großen Abhän­gigkeiten von chinesischen Rohstoffimporten zu redu­zieren, will die EU die Ausweitung der europäischen Kapazitäten in Bergbau, Wei­terverarbeitung sowie Re­cycling von Roh­stoffen voranbringen und ihre Import­quellen diversifizieren. Zur Diversifizierung hat die EU mehrere Partnerschaften mit roh­stoffreichen Staaten in verschiedenen Weltregionen geschlossen. Die Rohstoffpartnerschaft mit dem EU-Beitrittskandida­ten Serbien ist für sie aus zwei Gründen interessant: Erstens wurden in Serbien große Vorkommen des strategischen Rohstoffs Lithium gefunden, der für die Produktion von Batterien höchst relevant ist. Zweitens könnte die EU ihren geopolitischen Einfluss im Rohstoffsektor des Balkans ausweiten, in dem die Rohstoffmacht China in den letzten Jahren aktiver geworden ist.

Die Unterzeichnung des Memorandum of Understanding (MoU) über die europäisch-serbische Rohstoffpartnerschaft wurde beim Serbian Critical Raw Materials Summit im Juli 2024 öffentlichkeitswirksam zelebriert. Die Absichtserklärung, die rechtlich nicht bindend ist, umfasst fünf Komponenten: die Zusammenarbeit beim Aufbau von Wert­schöpfungsketten für Rohstoffe, Batterien und E‑Fahrzeuge; Forschung und Innova­tion; hohe ESG-Standards (Environment, Social, Governance); Mobilisierung von Finanzinstrumenten und die Entwicklung von Kompetenzen für hochwertige Arbeits­plätze im Rohstoff- und Batteriesektor. Aktuell erstellen Serbien und die EU eine gemeinsame Roadmap, die konkrete Akti­vitäten für die Kooperation auflisten und Ansatzpunkte für die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen identifizieren soll. Überdies wird das Ziel formuliert, die Pro­jekte unter Einhaltung hoher, transparenter Nachhaltigkeitsstandards zu verwirklichen. Dazu gehört das Bekenntnis zu hohen Governancestandards, sozialen und ökologi­schen Kriterien sowie die Durchsetzung der serbischen Umwelt- und Bergbaugesetze.

Der zentrale Baustein der Rohstoffpartnerschaft ist der geplante Lithiumabbau im Jadar-Tal, den der britisch-australische Konzern Rio Tinto vorantreibt. Das Unter­nehmen ist bereits seit Gründung der Tochtergesellschaft Rio Sava Exploration im Jahr 2001 in Serbien aktiv und hat sich der EU als Partner für die europäische Rohstoff­versorgung angeboten. Es gibt kaum euro­päische Konzerne, die ein Projekt dieser Größenordnung umsetzen können. Rio Tinto hat relativ wenig Erfahrungen mit dem Lithiumabbau, möchte sich jedoch grö­ßere Anteile am Batteriemetallmarkt sichern und sein Portfolio erweitern.

Sowohl der noch amtierende Bundeskanzler Scholz als auch der EU-Kommissar für Handel und wirtschaftliche Sicherheit, Maroš Šefčovič, haben öffentlich zugesagt, dass sich Deutschland und die EU für die erfolgreiche Umsetzung des Projekts enga­gieren werden. Rio Tinto hat die EU-Kom­mission darum ersucht, das Jadar-Projekt als strategisches Projekt der EU anzuerkennen, da es zur Diversifizierung der euro­päischen Rohstoffimporte beitragen würde. Mit der Anerkennung geht in der Regel zwar keine finanzielle Förderung einher, doch kann sie den Zugang zu günstigen Krediten erleichtern und eine politische Flan­kierung durch die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten erwirken.

Widerstand und Proteste gegen das »Jadar-Projekt«

In Serbien ist das Projekt schon seit langem höchst umstritten: Schon vor Unterzeich­nung der Partnerschaftsvereinbarung mit der EU kam es zu Protesten, weil kritische Stimmen erhebliche negative Folgen für die Umwelt und die Bevölkerung befürchten. Der Protest hat verschiedene Phasen durch­laufen. Er richtet sich mittlerweile nicht nur gegen das Projekt selbst, sondern auch gegen die projektbezogene Unterstützung der EU für die serbische Regierung. In­zwischen hat der Protest ein Ausmaß an­genommen, das die Umsetzung der Roh­stoffpartnerschaft mit Serbien gefährdet.

Erste Phase (2004–2022): Kritik am Bergbau und kurzlebiger Protesterfolg

Bereits im Jahr 2004 begann Rio Sava damit, das von Landwirtschaft geprägte Jadar-Tal im Westen Serbiens nahe der Kleinstadt Loznica geologisch zu erkunden. In den Folge­jahren führte Rio Sava etwa 500 Probe­bohrungen durch und entdeckte dabei das in seiner Zusammensetzung weltweit ein­zig­artige Mineral Jadarit, das reich an Lithium und Bor ist und zur Produktion von Lithium­karbonat, Borsäure und Natriumsulfat ge­nutzt werden könnte. Schätzungen der Deutschen Rohstoffagentur (DERA) zufolge könnte die geplante Menge von 58.000 t pro Jahr produziertem Lithiumkarbonat zwi­schen 10 und 15 Prozent des europäischen Lithiumbedarfs im Jahr 2030 decken.

2017 unterzeichneten die serbische Regierung und Rio Sava eine Absichtserklärung, die die Etablierung einer gemein­samen Arbeitsgruppe vorsah, um das Jadar-Projekt in die Tat umzusetzen. Erster Pro­test in der Region formierte sich im Jahr 2020, als die Regierung die Verordnung für den »Raum­plan des Sondergebiets für die Umsetzung des Projekts zur Förderung und Verarbeitung des Minerals Jadarit« verab­schiedete. Anstoß nahmen die Protestierenden an der Intransparenz und dem Fehlen einer öffentlichen Debatte über die geplante Ausweitung des Bergbausektors in Serbien, an umweltbezogenen Risiken durch Abbau und Weiterverarbeitung des Minerals, an der Lagerung der Industrieabfälle und an Unsicherheiten von Grundstückseigentümern, denen Enteignungen drohen könn­ten, falls sie einem Verkauf ihrer Flächen nicht freiwillig zustimmen. Im September 2021 erreichten die Proteste die Hauptstadt Belgrad. Nach anhaltendem, mittlerweile landesweitem Druck auf die Regierung widerrief diese im Januar 2022 alle bereits an Rio Sava erteilten Genehmigungen, ein­schließlich des Raumordnungsplans, und erklärte, das Projekt würde nicht realisiert.

Zweite Phase (2022–2023): Kritik an Abrücken vom Planungs­stopp sowie am Fehlen von Trans­parenz und Mitbestimmung

Allerdings verkündete der serbische Präsi­dent Aleksandar Vučić kurze Zeit später, der Stopp des Projekts sei sein »größter Feh­ler« gewesen. Diese Äußerung – unmittel­bar nach dem Sieg bei den Parlamentswahlen – ließ insbesondere die Kritiker vermuten, die vorhergehende Einstellung des Projekts sei aus wahltaktischen Gründen erfolgt.

Drei weitere Ereignisse nährten die Zwei­fel an der Endgültigkeit des Projektstopps: Eine im Juni 2022 bei der Nationalversamm­lung eingereichte, von rund 38.000 Perso­nen unterschriebene Petition für ein mög­liches Verbot der Exploration und des Ab­baus von Lithium und Bor in Serbien wurde als »verlorengegangen« erklärt – dabei ist die Nationalversammlung gesetzlich ver­pflichtet, auf Petitionen mit über 30.000 Unterschriften zu reagieren. Darüber hin­aus hat das Ministerium für Bergbau und Energie das Verfahren zur Erteilung der Abbaugenehmigung nicht eingestellt, wozu es gesetzlich verpflichtet war, sondern die Frist für die Vervollständigung der ein­zureichenden Unterlagen ohne Angabe von Gründen 18 Mal verlängert. Zudem unter­zeichnete die Regierung bereits im Septem­ber 2023 eine erste Absichtserklärung (Let­ter of Intent) mit der EU-Kommission, um eine strategische Rohstoffpartnerschaft zu etablieren, die schließlich im Juli 2024 in das konkretere MoU überführt wurde.

Diese Ereignisse erweckten bei Teilen der Bevölkerung den Eindruck, das Projekt werde – trotz des offiziellen Stopps – von der serbischen Regierung, der EU und ins­besondere auch von Deutschland voran­getrieben, dessen Automobilindustrie ein großes Interesse an serbischem Lithium hat. Auch die ausgebliebene Reaktion auf die Petition und die Vereinbarung mit der EU-Kommission vertieften den Frust über die fehlende Transparenz und die mangelnde Par­tizipation der Zivilgesellschaft.

Dritte Phase (seit 2024): Wiederaufnahme des Projekts, Proteste gegen Regierung und EU

Im Juli 2024 – kurz vor Unterzeichnung der Veinbarung einer europäisch-serbi­schen Rohstoffpartnerschaft – erklärte das serbische Verfassungsgericht die Entscheidung vom Januar 2022, den bereits bewil­ligten Raumordnungsplan zu annullieren, für nichtig. Es begründete dies damit, dass die Regierung mit dem Stopp des Projekts ihre Kompetenzen überschritten und somit verfassungswidrig gehandelt habe. Zwei der zehn Richter des Verfassungsgerichts kriti­sierten dessen rasche Urteilsfindung und die Tat­sache, dass eine Entscheidung getrof­fen wurde, ohne ein Verfahren eingeleitet zu haben – in den letzten elf Jahren kam dies nur zwei Mal vor. Dennoch erließ die serbische Regie­rung kurz darauf ein Dekret, den zuvor aus­gesetzten Raumplan für das Jadar-Projekt wieder in Kraft treten zu lassen.

Diese Entscheidung sorgte erneut für gro­ße Protestwellen im Land, auf die die Regie­rung mit sich verschärfenden Repressionen in Form von polizeilichen Durchsuchungen, Festnahmen und öffentlicher Diffamie­rung von Gegner:innen des Projekts reagierte. Einen im September 2024 von der Opposition eingebrachten Gesetzesentwurf für ein Verbot des Abbaus von Lithium in Serbien lehnte das Parlament mehrheitlich ab. Dies verstärkte den Frust der Protestierenden, die mittlerweile nicht nur das Vorgehen der Regierung, sondern seit Unterzeichnung des Kooperationsabkommens auch zuneh­mend das Verhalten der EU kritisieren.

Abbau von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie

Das Vorgehen der serbischen Regierung zeigt, dass sich die EU einen schwierigen Part­ner ausgesucht hat. Die Regierung in Belgrad hat Demokratie und Rechtsstaatlich­keit in den letzten zehn Jahren ab­ge­baut, wie das Ranking des Rule of Law In­dex, des Corruption Perception Index oder die Berichte von Freedom House bele­gen. Auch mit Blick auf die Presse- und Mei­nungs­freiheit sind markante Rückschritte zu verzeichnen: Die politische Opposition, die kritische Zivil­gesellschaft und die Me­dien werden ver­mehrt unter Druck gesetzt.

Doch zeigen Erfahrungen aus dem Berg­bausektor, dass ein für zivilgesellschaftliche Akteure offenes Klima und die Unterstützung der Bevölkerung (die social license to operate) entscheidend sind, um Projekte erfolgreich zu verwirklichen. Auch langfristig ist eine Kultur der Trans­parenz und des Monitoring notwendig, da auch in späteren Phasen sol­cher oft auf Jahrzehnte angelegten Vorhaben erhebliche negative Auswirkungen auftre­ten können; eine kontinuierliche Kontrolle ist daher unverzichtbar.

Serbien ist davon weit entfernt: Im Dezem­ber 2024 berichtete Amnesty International, dass serbische Behörden die Handys von Aktivist:innen und Journalist:innen mit Spionagesoftware infiziert hätten – aber auch von Menschen, die gegen das Lithium­projekt protestiert hatten. Aktivist:innen, die sich für Umweltschutz und Meinungs­freiheit engagieren, setzt das Regime seit 2024 zusehends unter Druck. Viele wurden festgenommen, bedroht und zum Ziel öffent­licher Hetzkampagnen. Eine geplante Gesetzesänderung, die Aktivismus faktisch kriminalisiert hätte, wurde nur auf Druck der Öffentlichkeit aufgegeben.

Die EU hat die Entwicklungen in Serbien im Jahr 2024 in ihrem Rechtsstaatlichkeitsbericht zwar bemängelt. Gleichzeitig hat sie aber kaum wirksame Hebel und zeigt nur wenig Bereitschaft, Serbien zu ernsthaften Reformen zu drängen. In den seit 2014 ge­führten Verhandlungen über einen EU-Bei­tritt Serbiens herrscht seit einigen Jahren effektiv Stillstand. Mit den notwendigen Re­formen kommt Serbien nur langsam voran.

Kritische Stimmen vermuten daher, dass die Regierung in Belgrad nun auf die zügige Umsetzung des Rohstoffprojekts drängt, nach­dem die Wahlen 2023 – die aufgrund von Vorwürfen der Wahlmanipulation mancherorts wiederholt werden mussten – die Regierung bestätigt und ihre Position gefestigt haben. Vučić möchte seine Macht­stellung ausbauen, indem er seine politi­schen und wirtschaftlichen Beziehungen diversifiziert, und die Kritik im eigenen Land durch wirtschaftliche Verflechtung mit der EU weiter eindämmen. Das offen aggres­sive Vorgehen gegen kritische Stim­men verdeutlicht, dass Vučić wenig Sorge hat, die Einschränkung demokratischer Grundrechte könnte zum Scheitern der Vereinbarung mit der EU führen.

Doch diese Entwicklungen werden für die EU zusehends zu einem Risiko, denn die Kritik am geplanten Lithiumabbau hat mittlerweile transnationalen Charakter. Gleichzeitig ist sie zu einem Kristallisations­punkt für übergeordnete innenpolitische Konfliktlinien geworden. Die Proteste sind symptomatisch für ein tiefgreifendes Miss­trauen gegenüber dem Willen und der Fähigkeit der Regierung, Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten und solche risikobehafteten Projekte ordnungsgemäß durchzuführen. Bestärkt wurde das Misstrauen durch ein Unglück in Novi Sad im November 2024, bei dem 15 Menschen beim Einsturz eines Bahnhofsvordachs ums Leben kamen. Kritiker:innen werfen die Frage auf, wie eine Regierung, die nicht einmal für grund­legende sichere Infrastruktur sorgen kann, ein Vorhaben wie das Jadar-Projekt ver­ant­wortungsvoll betreuen will. Die Art und Weise, wie das Jadar-Projekt in Serbien vor­angetrieben wurde – und verstärkt durch die Repressionen der Regierung –, hat auch Menschen mobilisiert, die insbesondere das Schweigen der EU zu dem Vorgehen der serbischen Regierung massiv kritisieren.

Davon profitieren nationalistische Kräfte, die dem Protest gegen das Projekt beigetreten sind und ihn für ihren grundsätzlichen Widerstand gegen den serbischen EU-Bei­tritt nutzen wollen. Deutsche und US-amerikanische Diplomaten unterstellen, dass diese Kräfte russischer Einflussnahme unterliegen, die darauf abzielt, das Projekt zu diskreditieren und auf diesem Wege eine engere Anbindung Serbiens an die EU zu verhindern. Bislang haben sie für diese Behauptung aber keine Belege öffentlich gemacht. Und selbst wenn sich dieser Ver­dacht erhärten sollte, würde es angesichts valider Kritikpunkte zu kurz greifen, den Protest allein auf eine etwaige Desinforma­tionskampagne zurückzuführen. Denn die sozialen und ökologischen Risiken des Pro­jekts sind bekannt – an ihnen lässt sich auf­zeigen, an welchen Stellen Potentiale für die Verbesserung der Situation bestehen.

Ökologische und wirtschaftliche Risiken einer Umsetzung der Rohstoffkooperation

Umweltbezogene Risiken

Laut serbischem Gesetz müssen Rohstoffprojekte unter bestimmten Voraussetzungen einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden, um ihre möglichen Auswirkungen bewerten zu können. Über Umfang und Inhalte der Prüfung entscheiden die zuständigen Behörden. Im Novem­ber 2024 hat Serbien neue Gesetze zu Um­weltverträglichkeitsprüfungen und Strate­gischen Umweltprüfungen erlassen. Aller­dings sind diese noch nicht vollständig mit den geltenden EU-Richtlinien harmonisiert, und die für ihre Anwendung erforderlichen Durchführungsverordnungen stehen wei­ter­hin aus. Außerdem hat die EU-Kommis­sion wiederholt auf umfangreiche Defizite bei der Umsetzung dieser Gesetze hingewie­sen und betont die Notwendigkeit struktureller Reformen, um Verwaltungskapazitäten auf nationaler und lokaler Ebene, in den Aufsichtsbehörden und dem Justiz­wesen auszubauen.

Im November 2024 legte das Ministerium für Umweltschutz Umfang und Inhalt der Umweltverträglichkeitsprüfung für das Untertagewerk im Jadar-Tal fest. Rio Tinto hat nun ein Jahr Zeit, des geforderte Gut­achten vor­zulegen. Allerdings steht die Entscheidung des Ministeriums in der Kri­tik. Denn Rio Tinto stellte zunächst ledig­lich einen Antrag zur Prüfung des Unter­tagewerks; dabei sind für die Weiterverarbeitungsanlage und die Halde ebenfalls Umweltverträglichkeitsprüfungen erforderlich. Daher befürchtet das Belgrader Um­weltinstitut RERI, Rio Tinto wolle durch diese künstliche Teilung, das sogenannte project splitting, eine Beurteilung der Aus­wirkungen des Gesamtprojektes vermeiden. In Serbien sind bereits zahlreiche Fälle von project splitting dokumentiert. Dabei sollen Un­ternehmen sogar mit dem Wissen und der Unterstützung zuständiger staatlicher Be­hörden gehandelt haben in dem Bestre­ben, kumulierte Umweltauswirkungen zu verschleiern oder eine Umweltverträglichkeitsprüfung gänzlich zu umgehen. Es liegt in der Verantwortung der serbischen Behör­den, solche sachfremden Teilungen zu unter­binden und eine transparente sowie recht­mäßige Umweltprüfung sicherzustellen.

Der Energieministerin Dubravka Handa­nović zufolge könnte es weitere zwei Jahre dauern, bis alle notwendigen Genehmigun­gen zur Umsetzung des Projekts vorliegen. In Kürze soll auch die Stadtverordneten­versammlung von Loznica über den lokalen Raumordnungsplan entscheiden, der für die Umsetzung des Projekts ebenfalls erfor­derlich ist. Umweltschützer in Serbien haben bereits massive Proteste angekündigt.

Gerade im Bergbausektor versagte die Kontrolle durch serbische Behörden in den vergangenen Jahren immer wieder. Ein Bei­spiel ist das chinesisch-serbische Joint Ven­ture Serbia Zijin Copper DOO Bor, das die größte Kupfermine und Verhüttungsanlage Ser­biens betreibt. Nach Ansicht von Exper­ten ziehen die zuständigen Behörden Zijin für die regelmäßigen Überschreitungen der zulässigen Schwefeldioxidwerte und für Umweltbelastungen von Flüssen kaum zur Verantwortung. Zijin wurde außerdem in den letzten vier Jahren sieben Mal wegen illegaler Bautätigkeit verurteilt; in fünf Fäl­len sind lediglich Geldbußen unterhalb der gesetzlichen Mindeststrafen verhängt wor­den. Dies erschüttert das Vertrauen der Bevöl­kerung in die Behörden und in deren Willen, gesetzliche Umweltvorgaben durch­zusetzen.

Ausgehend von allgemeiner Kritik an der Integrität serbischer Behörden ist eine Debatte um die bisher verfügbaren Infor­mationen entbrannt. Laut aktueller Pla­nung Rio Tintos würden für die Unter­grund­mine und die Weiterverarbeitungs­anlage des Jadar-Projekts rund 220 Hektar Land benötigt, für die Abraumhalde von Indus­triemüll weitere 167 Hektar. Neben dem damit verbundenen Verlust an land­wirt­schaftlichen Flächen, Wäldern und Bio­diversität befürchten Kritiker:innen nega­tive Aus­wirkungen auf das Trinkwasser­reservoir in der Region und auf die anlie­genden Flüsse Drina und Jadar. Diese Risi­ken sollen in der bereits erwähnten Um­welt­verträglichkeitsprüfung analysiert werden, vorläufige Entwürfe hierfür ver­öffentlichte Rio Tinto im Juni 2024.

An der Glaubwürdigkeit dieser Entwürfe wird jedoch gezweifelt: Wissenschaftler:in­nen der biologischen Fakultät der Universität Belgrad, die ursprünglich an der Erstel­lung eines Berichts für Rio Tinto beteiligt waren, gelangten zu der Auffassung, dass das Projekt zu große Gefahren für das Öko­system berge, und distanzierten sich von den Darstellungen des Konzerns. Eine im Juli 2024 in einer Fachzeitschrift veröffentlichte Studie zu den Auswirkungen auf den Fluss Jadar und die Böden in der Nähe der Erkundungsbohrlöcher, die als Folge der Probebohrungen bereits entstanden seien, ver­stärkte diese Bedenken. Rio Tinto äußerte unter anderem Zweifel an der Methodik der Datenerhebung und forderte die Rücknahme der Studie. Die daraufhin von den Auto­r:innen vorgenommenen Änderungen waren jedoch nur geringfügig, die Methodologie wurde von der Fachzeitschrift nicht beanstandet. Rio Tinto argumentiert hin­gegen, die erhöhten Schwermetallkonzen­tra­tionen im Jadarfluss seien von dem Dammbruch der Rückhalteanlage des ehe­maligen Antimon-Bergwerks »Stolice« wäh­rend der Überschwemmungen im Jahr 2014 verursacht worden, und bestreitet einen Zusammenhang mit den Probebohrungen. Die Bewertung dieser Kontroverse erschwert zusätzlich, dass einer der acht Autoren nach Ansicht Rio Tintos wiederholt falsche Aussagen über das Projekt verbreitet hätte; darüber hinaus trat er im Dezember 2023 für eine europakritische, ultranationale und pro-russische Oppositionskoalition als Bür­germeisterkandidat Belgrads an, was Zwei­fel an seiner wissenschaftlichen Unabhängigkeit aufkommen ließ.

Nicht zuletzt steht die Frage im Raum, wer die Kosten für die Sanierung zu tragen hätte, falls durch das Projekt eine Umweltkatastrophe ausgelöst würde. Rio Tinto ver­sucht, diese Kritik zu kontern: Demnach modelliere das Unternehmen auch extrem seltene Ereignisse wie verheerende Über­schwemmungen und plane die Mineninfrastruktur dementsprechend. Darüber hinaus erklärt Rio Tinto, im Sinne seiner gesetz­lichen Verpflichtung eine Versicherung ab­zuschließen, die bei einem Unfall für Schä­den Dritter haftet. Dennoch gilt auch hier: Die Tatsache, dass gesetzliche Vorgaben exis­tieren, sehen viele Serb:innen nicht als Ga­ran­tie da­für an, dass die zuständigen Behör­den auch deren Einhaltung sicherstellen.

In der Bevölkerung werden also sowohl der Wille als auch die Kapazitäten der ser­bischen Behörden, die Umweltgesetze hin­reichend umzusetzen, in Zweifel gezogen. Aufgrund der Repressionen gegen die ser­bische Zivilgesellschaft fehlt es darüber hin­aus an unabhängigen Akteuren, die die bis­her vorgelegten Daten überwachen könn­ten – zumal viele Menschen in Serbien den von Rio Tinto präsentierten Daten miss­trauen. Sie sehen sich dadurch bestärkt, dass sich das Unter­nehmen in anderen Län­dern wegen Verletzungen von Umweltstandards vor Gericht zu verantworten hat und auch bereits verurteilt wurde. Darum steht Rio Tinto bei ihnen ebenfalls nicht in dem Ruf eines vertrauenswürdigen Akteurs.

Wirtschaftliche Rentabilität

Auch die wirtschaftliche Rentabilität des Projekts wurde Gegenstand der Auseinandersetzungen. Der serbischen Regierung ist es gelungen, durch eine aktive Subventions­politik ausländische Investitionen ins Land zu holen: Die Quote für gezielte Staatshilfen lag in den letzten Jahren zwischen zwei und fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts, im europäischen Durchschnitt liegt sie bei lediglich 0,5 Prozent. Im Zuge eines EU-Bei­tritts müsste Serbien diese Quote erheblich reduzieren. In den vergangenen Jahren ver­tiefte das Land seine Beziehungen zu China, dem nach der EU mittlerweile größten Inves­tor in Serbien. Die Unterstützung des Jadar-Projekts kann zugleich als Signal der Regie­rung in Belgrad an die EU und die USA gele­sen werden, ihre Beziehungen besser auszu­balancieren, um ihre Verhandlungsposition auf internationaler Ebene zu stärken.

Rio Tinto rechnet neben den bereits inves­tierten 475 Millionen Euro mit zusätz­lichen Investitionskosten in Höhe von 2,55 Milliarden Euro – damit wäre das Projekt die bislang größte ausländische Direkt­investi­tion in Serbien. Das Unternehmen will während der viereinhalbjährigen Bau­phase durchschnittlich rund 1.500 Arbeits­plätze schaffen, mit einem Spitzenwert von etwa 3.500 Jobs. Im Vollbetrieb sollen 1.300 permanente Stellen entstehen, 90 Prozent sollen an Serb:innen vergeben werden. Ab dem ersten Jahr, in dem mit voller Kapa­zität produziert wird, könnten durch Steu­ern und weitere Abgaben rund 48 Millionen Euro jährlich in die serbischen Staats­kassen fließen. Langfristig wird mit rund 185 Millionen Euro pro Jahr gerechnet, von denen jährlich 24,5 Millionen Euro der Gemeinde in Loznica zukommen sollen. Rund 300 Millionen Euro jährlich plant Rio Tinto für Zulieferung auszugeben, rund 70 Prozent davon sollen aus Serbien stammen.

Ein kürzlich veröffentlichter Bericht von Wirtschaftswissenschaftlern und Unter­nehmern zweifelt die von Rio Tinto genann­ten Zahlen an und argumentiert, dass das Jadar-Projekt nur geringe wirtschaftliche Vorteile für Serbien biete. Die Autoren heben unter anderem die ungeklärten Kos­ten der erforderlichen Infrastruktur hervor, beispielsweise von Straßen oder Abwasser­systemen. Tatsächlich liegen bislang weder verlässliche Schätzungen zu deren Gesamt­summe noch Angaben zur Aufteilung der Kosten zwischen dem serbischen Staat, den Gemeinden und Rio Tinto vor.

Die Regierung hat ihre Absicht bekräftigt, nachgelagerte Industrien mit höherer Wertschöpfung im Land anzusiedeln. Kürz­lich erklärte Vučić, dass mindestens 87,1 Prozent des gewonnenen Lithiums in Ser­bien weiterverarbeitet werden solle.

Derzeit verhandelt die Regierung mit verschiedenen Unternehmen über den Bau einer Kathodenfabrik. Mit dem slowakischen Batteriehersteller InoBat wurde im September 2023 ein Memorandum of Under­standing unterzeichnet, ab 2025 in Cuprija ein Batteriewerk zu errichten. Die serbische Regierung stellte hierfür 419 Mil­lionen Euro an Subventionen in Aussicht. Auch Unternehmen wie Mercedes und Stel­lantis signalisierten Interesse, mit Serbien ein Abkommen zum Aufbau einer Wert­schöpfungskette zu schließen. Die Umset­zung des Jadar-Projekts könnte also ein Im­puls sein für mehr Aktivitäten europäischer Konzerne in Serbien. Laut EU ließen sich auf diese Weise 20.000 Arbeitsplätze schaf­fen; doch gibt es bisher nur wenige konkrete Zusagen oder gar Ergebnisse. Allerdings werden auch weitere Zusagen wirtschaft­licher Projekte nicht ausreichen, die fundier­te Kritik an dem Vorhaben zu zerstreuen.

Fazit und Politikempfehlungen

Angesichts der Defizite bei Rechtsstaatlich­keit, der zunehmend eingeschränkten Mei­nungs- und Medienfreiheit und insbesondere des großen Widerstands im Land ist die Verwirklichung des Jadar-Projekts mit ver­schiedenen Risiken behaftet. Die Regierung ist in den letzten Wochen aufgrund weit ver­breiteter Korruption im Lande und eines Systems, das von der Regierungspartei ver­einnahmt wird, stärker unter Druck gera­ten. Nach mehrwöchigen Massenprotesten trat Premierminister Miloš Vučević daher am 28. Januar zurück. Dies verdeutlicht abermals, wie gering das Vertrauen der Bevölkerung in die Fähigkeit der Regierung ist, die Gesetzgebung und Standards jeg­licher Art einzuhalten.

Bislang hat die EU öffentlichkeitswirksam signalisiert, dass sie die Partnerschaft und das Projekt umsetzen will. Dazu muss sie glaubhaft vermitteln, dass sie die Ver­antwortung für die Nachhaltigkeitsrisiken des Projekts aktiv geltend machen und die ser­bische Regierung zur Einhaltung hoher Um­weltschutzstandards drängen wird. Der EU-Beitrittsprozess bietet ihr einige konkrete, wenn auch begrenzte Hebel, mit denen sie diese Einhaltung einfordern kann. Schließ­lich sind Umweltbelange ebenso wie die Ein­haltung der Grünen Agenda (auch im Roh­stoffsektor) nicht nur Teil des Clusters Vier der Beitrittsverhandlungen (»Grüne Agenda und nachhaltige Konnektivität«), sondern auch des Wachstumsplans für den Westbalkan. Dieser knüpft die Auszahlung finanzieller Mittel an die Umsetzung von Reformen, insbesondere im Bereich Rechts­staatlichkeit.

Diese Strategie ist sinnvoll und bleibt auch dann wirksam, wenn Serbien eine EU-Mitgliedschaft nicht ernsthaft anstrebt. Die europäisch-serbische Rohstoffkooperation sollte daher nicht losgelöst von den bereits laufenden Prozessen gesehen werden, son­dern bisherige Bemühungen ergänzen. Die EU sollte zudem die in der Rohstoffpartnerschaft vereinbarte ESG-Kooperation nutzen, um den Aufbau von Kapazitäten in den zuständigen Behörden zu fördern. Die Um- und Durchsetzung der Gesetze für Umwelt­verträglichkeitsprüfungen (EIA), Strategi­sche Umweltprüfungen (SEA) und Umwelt­kriminalität sollten Priorität haben und Be­dingung für anderweitige Kooperation sein.

Die Kontrolle über die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften obliegt zwar den ser­bischen Behörden, Rio Tinto zeigt sich aber auch offen für eine Überprüfung durch un­abhängige internationale Experten. Nach­dem sich gerade die deutsche Bundesregie­rung aktiv für die Verwirklichung der Part­nerschaft eingesetzt hat, sollte Deutschland diese Möglichkeit nutzen, um Expertise in den Bereichen Umweltverträglichkeit sowie Umweltmonitoring bereitzustellen. Darüber hinaus kann Deutschland die lokale Zivil­gesellschaft dabei unterstützen, den Rohstoff­abbau kritisch zu begleiten und auf eine bal­dige Zertifizierung mittels des Multi-Stake­holder-Standards der Ini­tiative for Respon­sible Mining Assurance (IRMA) zu drängen.

Mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit des Projekts könnte die EU-Kommission ein unabhängiges Gutachten in Auftrag geben, um die tatsächlichen Projektkosten unab­hängig zu evaluieren – und dieses Doku­ment in serbischer Sprache veröffentlichen. Zudem könnte die EU konkrete Angebote für den Aufbau von Infrastruktur machen. Während Rio Tinto jene Teile der Infrastruktur finanzieren sollte, die für sein Vor­haben notwendig sind, könnte die EU über Global Gateway zusätzliche Infrastrukturprojekte fördern, die der Bevölkerung Vor­teile bieten.

Diese Angebote sind aber nur dann sinn­voll, wenn Deutschland und die EU sich aktiv für die Umsetzung demokratischer Grundrechte und von Rechtsstaatlichkeit engagieren, das repressive Vorgehen der ser­bischen Regierung – öffentlich und deut­lich – bemängeln und sich dafür ein­setzen, dass Akteure in Serbien ihre Kritik ohne Angst vor Einschüchterungen oder Bedrohungen vortragen können. Das Pro­jekt sollte nicht um den Preis von Repressio­nen der Zivilgesellschaft realisiert werden.

Angesichts der jahrelangen Rückschritte in Sachen Rechtsstaatlichkeit und der be­grenzten Fortschritte in den Verhandlungen über einen EU-Beitritt Serbiens muss sich die EU die Option offenhalten, dem Jadar-Projekt – ob sie es nun als »strate­gisches Projekt« an­erkennt oder nicht – ihre Unterstützung zu entziehen, falls sich die Standards im Lande nicht verbessern soll­ten. Zwar würde dies geopolitische und wirtschaftliche Verluste nach sich ziehen. Doch angesichts der Möglichkeit, den Roh­stoff­sektor im Zweifelsfall geografisch brei­ter aufzustellen, erscheint dies verkraftbar. Denn was in Serbien auf dem Spiel steht, ist die Glaubwürdigkeit der EU als politischer Akteur und Wertegemeinschaft zugleich.

Dr. Melanie Müller ist Stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten sowie Leiterin des SWP-Anteils am Forschungsnetzwerk Nachhaltige Globale Lieferketten. Lea Strack arbeitet als Forschungsassistentin in diesem Projekt. Das Projekt wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert. Dr. Marina Vulović ist Gastwissenschaftlerin in der Forschungsgruppe EU / Europa und akademische Mitarbeiterin an der Universität Potsdam.

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