Im Juli 2024 vereinbarten die Europäische Union (EU) und die serbische Regierung eine strategische Partnerschaft im Rohstoffsektor. Für die EU ist diese Kooperation ein wichtiger Schritt zur Diversifizierung ihrer Lieferketten und zur Stärkung wirtschaftlicher Partnerschaften in ihrer Nachbarschaft. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić hat ein geopolitisches Interesse an der Kooperation, die er auch dazu nutzen will, seine bereits umfassende Machtstellung im Inland noch auszubauen. Die Unterzeichnung der Vereinbarung hat in Serbien massive Proteste ausgelöst. Kritiker:innen befürchten, die Umsetzung der Rohstoffpartnerschaft könne die ohnehin fragilen rechtsstaatlichen Strukturen weiter untergraben, ebenso wie die Einhaltung ökologischer und sozialer Standards. Der Fall Serbien zeigt, dass die EU in einem geopolitisch aufgeladenen Kontext die autoritäre Regierung des Landes nur begrenzt beeinflussen kann. Doch muss sie ihren Spielraum gezielt nutzen, um die Risiken einzudämmen.
Die EU hat 2024 den Critical Raw Materials Act (EU CRMA) verabschiedet, mit dem sie die gemeinschaftliche Versorgung mit sogenannten strategischen Rohstoffen gewährleisten will; Rohstoffen also, die »eine besondere strategische Bedeutung für die EU haben und sehr hohe Versorgungsrisiken aufweisen«. Um die Versorgungssicherheit zu erhöhen und insbesondere die großen Abhängigkeiten von chinesischen Rohstoffimporten zu reduzieren, will die EU die Ausweitung der europäischen Kapazitäten in Bergbau, Weiterverarbeitung sowie Recycling von Rohstoffen voranbringen und ihre Importquellen diversifizieren. Zur Diversifizierung hat die EU mehrere Partnerschaften mit rohstoffreichen Staaten in verschiedenen Weltregionen geschlossen. Die Rohstoffpartnerschaft mit dem EU-Beitrittskandidaten Serbien ist für sie aus zwei Gründen interessant: Erstens wurden in Serbien große Vorkommen des strategischen Rohstoffs Lithium gefunden, der für die Produktion von Batterien höchst relevant ist. Zweitens könnte die EU ihren geopolitischen Einfluss im Rohstoffsektor des Balkans ausweiten, in dem die Rohstoffmacht China in den letzten Jahren aktiver geworden ist.
Die Unterzeichnung des Memorandum of Understanding (MoU) über die europäisch-serbische Rohstoffpartnerschaft wurde beim Serbian Critical Raw Materials Summit im Juli 2024 öffentlichkeitswirksam zelebriert. Die Absichtserklärung, die rechtlich nicht bindend ist, umfasst fünf Komponenten: die Zusammenarbeit beim Aufbau von Wertschöpfungsketten für Rohstoffe, Batterien und E‑Fahrzeuge; Forschung und Innovation; hohe ESG-Standards (Environment, Social, Governance); Mobilisierung von Finanzinstrumenten und die Entwicklung von Kompetenzen für hochwertige Arbeitsplätze im Rohstoff- und Batteriesektor. Aktuell erstellen Serbien und die EU eine gemeinsame Roadmap, die konkrete Aktivitäten für die Kooperation auflisten und Ansatzpunkte für die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen identifizieren soll. Überdies wird das Ziel formuliert, die Projekte unter Einhaltung hoher, transparenter Nachhaltigkeitsstandards zu verwirklichen. Dazu gehört das Bekenntnis zu hohen Governancestandards, sozialen und ökologischen Kriterien sowie die Durchsetzung der serbischen Umwelt- und Bergbaugesetze.
Der zentrale Baustein der Rohstoffpartnerschaft ist der geplante Lithiumabbau im Jadar-Tal, den der britisch-australische Konzern Rio Tinto vorantreibt. Das Unternehmen ist bereits seit Gründung der Tochtergesellschaft Rio Sava Exploration im Jahr 2001 in Serbien aktiv und hat sich der EU als Partner für die europäische Rohstoffversorgung angeboten. Es gibt kaum europäische Konzerne, die ein Projekt dieser Größenordnung umsetzen können. Rio Tinto hat relativ wenig Erfahrungen mit dem Lithiumabbau, möchte sich jedoch größere Anteile am Batteriemetallmarkt sichern und sein Portfolio erweitern.
Sowohl der noch amtierende Bundeskanzler Scholz als auch der EU-Kommissar für Handel und wirtschaftliche Sicherheit, Maroš Šefčovič, haben öffentlich zugesagt, dass sich Deutschland und die EU für die erfolgreiche Umsetzung des Projekts engagieren werden. Rio Tinto hat die EU-Kommission darum ersucht, das Jadar-Projekt als strategisches Projekt der EU anzuerkennen, da es zur Diversifizierung der europäischen Rohstoffimporte beitragen würde. Mit der Anerkennung geht in der Regel zwar keine finanzielle Förderung einher, doch kann sie den Zugang zu günstigen Krediten erleichtern und eine politische Flankierung durch die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten erwirken.
Widerstand und Proteste gegen das »Jadar-Projekt«
In Serbien ist das Projekt schon seit langem höchst umstritten: Schon vor Unterzeichnung der Partnerschaftsvereinbarung mit der EU kam es zu Protesten, weil kritische Stimmen erhebliche negative Folgen für die Umwelt und die Bevölkerung befürchten. Der Protest hat verschiedene Phasen durchlaufen. Er richtet sich mittlerweile nicht nur gegen das Projekt selbst, sondern auch gegen die projektbezogene Unterstützung der EU für die serbische Regierung. Inzwischen hat der Protest ein Ausmaß angenommen, das die Umsetzung der Rohstoffpartnerschaft mit Serbien gefährdet.
Erste Phase (2004–2022): Kritik am Bergbau und kurzlebiger Protesterfolg
Bereits im Jahr 2004 begann Rio Sava damit, das von Landwirtschaft geprägte Jadar-Tal im Westen Serbiens nahe der Kleinstadt Loznica geologisch zu erkunden. In den Folgejahren führte Rio Sava etwa 500 Probebohrungen durch und entdeckte dabei das in seiner Zusammensetzung weltweit einzigartige Mineral Jadarit, das reich an Lithium und Bor ist und zur Produktion von Lithiumkarbonat, Borsäure und Natriumsulfat genutzt werden könnte. Schätzungen der Deutschen Rohstoffagentur (DERA) zufolge könnte die geplante Menge von 58.000 t pro Jahr produziertem Lithiumkarbonat zwischen 10 und 15 Prozent des europäischen Lithiumbedarfs im Jahr 2030 decken.
2017 unterzeichneten die serbische Regierung und Rio Sava eine Absichtserklärung, die die Etablierung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe vorsah, um das Jadar-Projekt in die Tat umzusetzen. Erster Protest in der Region formierte sich im Jahr 2020, als die Regierung die Verordnung für den »Raumplan des Sondergebiets für die Umsetzung des Projekts zur Förderung und Verarbeitung des Minerals Jadarit« verabschiedete. Anstoß nahmen die Protestierenden an der Intransparenz und dem Fehlen einer öffentlichen Debatte über die geplante Ausweitung des Bergbausektors in Serbien, an umweltbezogenen Risiken durch Abbau und Weiterverarbeitung des Minerals, an der Lagerung der Industrieabfälle und an Unsicherheiten von Grundstückseigentümern, denen Enteignungen drohen könnten, falls sie einem Verkauf ihrer Flächen nicht freiwillig zustimmen. Im September 2021 erreichten die Proteste die Hauptstadt Belgrad. Nach anhaltendem, mittlerweile landesweitem Druck auf die Regierung widerrief diese im Januar 2022 alle bereits an Rio Sava erteilten Genehmigungen, einschließlich des Raumordnungsplans, und erklärte, das Projekt würde nicht realisiert.
Zweite Phase (2022–2023): Kritik an Abrücken vom Planungsstopp sowie am Fehlen von Transparenz und Mitbestimmung
Allerdings verkündete der serbische Präsident Aleksandar Vučić kurze Zeit später, der Stopp des Projekts sei sein »größter Fehler« gewesen. Diese Äußerung – unmittelbar nach dem Sieg bei den Parlamentswahlen – ließ insbesondere die Kritiker vermuten, die vorhergehende Einstellung des Projekts sei aus wahltaktischen Gründen erfolgt.
Drei weitere Ereignisse nährten die Zweifel an der Endgültigkeit des Projektstopps: Eine im Juni 2022 bei der Nationalversammlung eingereichte, von rund 38.000 Personen unterschriebene Petition für ein mögliches Verbot der Exploration und des Abbaus von Lithium und Bor in Serbien wurde als »verlorengegangen« erklärt – dabei ist die Nationalversammlung gesetzlich verpflichtet, auf Petitionen mit über 30.000 Unterschriften zu reagieren. Darüber hinaus hat das Ministerium für Bergbau und Energie das Verfahren zur Erteilung der Abbaugenehmigung nicht eingestellt, wozu es gesetzlich verpflichtet war, sondern die Frist für die Vervollständigung der einzureichenden Unterlagen ohne Angabe von Gründen 18 Mal verlängert. Zudem unterzeichnete die Regierung bereits im September 2023 eine erste Absichtserklärung (Letter of Intent) mit der EU-Kommission, um eine strategische Rohstoffpartnerschaft zu etablieren, die schließlich im Juli 2024 in das konkretere MoU überführt wurde.
Diese Ereignisse erweckten bei Teilen der Bevölkerung den Eindruck, das Projekt werde – trotz des offiziellen Stopps – von der serbischen Regierung, der EU und insbesondere auch von Deutschland vorangetrieben, dessen Automobilindustrie ein großes Interesse an serbischem Lithium hat. Auch die ausgebliebene Reaktion auf die Petition und die Vereinbarung mit der EU-Kommission vertieften den Frust über die fehlende Transparenz und die mangelnde Partizipation der Zivilgesellschaft.
Dritte Phase (seit 2024): Wiederaufnahme des Projekts, Proteste gegen Regierung und EU
Im Juli 2024 – kurz vor Unterzeichnung der Veinbarung einer europäisch-serbischen Rohstoffpartnerschaft – erklärte das serbische Verfassungsgericht die Entscheidung vom Januar 2022, den bereits bewilligten Raumordnungsplan zu annullieren, für nichtig. Es begründete dies damit, dass die Regierung mit dem Stopp des Projekts ihre Kompetenzen überschritten und somit verfassungswidrig gehandelt habe. Zwei der zehn Richter des Verfassungsgerichts kritisierten dessen rasche Urteilsfindung und die Tatsache, dass eine Entscheidung getroffen wurde, ohne ein Verfahren eingeleitet zu haben – in den letzten elf Jahren kam dies nur zwei Mal vor. Dennoch erließ die serbische Regierung kurz darauf ein Dekret, den zuvor ausgesetzten Raumplan für das Jadar-Projekt wieder in Kraft treten zu lassen.
Diese Entscheidung sorgte erneut für große Protestwellen im Land, auf die die Regierung mit sich verschärfenden Repressionen in Form von polizeilichen Durchsuchungen, Festnahmen und öffentlicher Diffamierung von Gegner:innen des Projekts reagierte. Einen im September 2024 von der Opposition eingebrachten Gesetzesentwurf für ein Verbot des Abbaus von Lithium in Serbien lehnte das Parlament mehrheitlich ab. Dies verstärkte den Frust der Protestierenden, die mittlerweile nicht nur das Vorgehen der Regierung, sondern seit Unterzeichnung des Kooperationsabkommens auch zunehmend das Verhalten der EU kritisieren.
Abbau von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie
Das Vorgehen der serbischen Regierung zeigt, dass sich die EU einen schwierigen Partner ausgesucht hat. Die Regierung in Belgrad hat Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den letzten zehn Jahren abgebaut, wie das Ranking des Rule of Law Index, des Corruption Perception Index oder die Berichte von Freedom House belegen. Auch mit Blick auf die Presse- und Meinungsfreiheit sind markante Rückschritte zu verzeichnen: Die politische Opposition, die kritische Zivilgesellschaft und die Medien werden vermehrt unter Druck gesetzt.
Doch zeigen Erfahrungen aus dem Bergbausektor, dass ein für zivilgesellschaftliche Akteure offenes Klima und die Unterstützung der Bevölkerung (die social license to operate) entscheidend sind, um Projekte erfolgreich zu verwirklichen. Auch langfristig ist eine Kultur der Transparenz und des Monitoring notwendig, da auch in späteren Phasen solcher oft auf Jahrzehnte angelegten Vorhaben erhebliche negative Auswirkungen auftreten können; eine kontinuierliche Kontrolle ist daher unverzichtbar.
Serbien ist davon weit entfernt: Im Dezember 2024 berichtete Amnesty International, dass serbische Behörden die Handys von Aktivist:innen und Journalist:innen mit Spionagesoftware infiziert hätten – aber auch von Menschen, die gegen das Lithiumprojekt protestiert hatten. Aktivist:innen, die sich für Umweltschutz und Meinungsfreiheit engagieren, setzt das Regime seit 2024 zusehends unter Druck. Viele wurden festgenommen, bedroht und zum Ziel öffentlicher Hetzkampagnen. Eine geplante Gesetzesänderung, die Aktivismus faktisch kriminalisiert hätte, wurde nur auf Druck der Öffentlichkeit aufgegeben.
Die EU hat die Entwicklungen in Serbien im Jahr 2024 in ihrem Rechtsstaatlichkeitsbericht zwar bemängelt. Gleichzeitig hat sie aber kaum wirksame Hebel und zeigt nur wenig Bereitschaft, Serbien zu ernsthaften Reformen zu drängen. In den seit 2014 geführten Verhandlungen über einen EU-Beitritt Serbiens herrscht seit einigen Jahren effektiv Stillstand. Mit den notwendigen Reformen kommt Serbien nur langsam voran.
Kritische Stimmen vermuten daher, dass die Regierung in Belgrad nun auf die zügige Umsetzung des Rohstoffprojekts drängt, nachdem die Wahlen 2023 – die aufgrund von Vorwürfen der Wahlmanipulation mancherorts wiederholt werden mussten – die Regierung bestätigt und ihre Position gefestigt haben. Vučić möchte seine Machtstellung ausbauen, indem er seine politischen und wirtschaftlichen Beziehungen diversifiziert, und die Kritik im eigenen Land durch wirtschaftliche Verflechtung mit der EU weiter eindämmen. Das offen aggressive Vorgehen gegen kritische Stimmen verdeutlicht, dass Vučić wenig Sorge hat, die Einschränkung demokratischer Grundrechte könnte zum Scheitern der Vereinbarung mit der EU führen.
Doch diese Entwicklungen werden für die EU zusehends zu einem Risiko, denn die Kritik am geplanten Lithiumabbau hat mittlerweile transnationalen Charakter. Gleichzeitig ist sie zu einem Kristallisationspunkt für übergeordnete innenpolitische Konfliktlinien geworden. Die Proteste sind symptomatisch für ein tiefgreifendes Misstrauen gegenüber dem Willen und der Fähigkeit der Regierung, Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten und solche risikobehafteten Projekte ordnungsgemäß durchzuführen. Bestärkt wurde das Misstrauen durch ein Unglück in Novi Sad im November 2024, bei dem 15 Menschen beim Einsturz eines Bahnhofsvordachs ums Leben kamen. Kritiker:innen werfen die Frage auf, wie eine Regierung, die nicht einmal für grundlegende sichere Infrastruktur sorgen kann, ein Vorhaben wie das Jadar-Projekt verantwortungsvoll betreuen will. Die Art und Weise, wie das Jadar-Projekt in Serbien vorangetrieben wurde – und verstärkt durch die Repressionen der Regierung –, hat auch Menschen mobilisiert, die insbesondere das Schweigen der EU zu dem Vorgehen der serbischen Regierung massiv kritisieren.
Davon profitieren nationalistische Kräfte, die dem Protest gegen das Projekt beigetreten sind und ihn für ihren grundsätzlichen Widerstand gegen den serbischen EU-Beitritt nutzen wollen. Deutsche und US-amerikanische Diplomaten unterstellen, dass diese Kräfte russischer Einflussnahme unterliegen, die darauf abzielt, das Projekt zu diskreditieren und auf diesem Wege eine engere Anbindung Serbiens an die EU zu verhindern. Bislang haben sie für diese Behauptung aber keine Belege öffentlich gemacht. Und selbst wenn sich dieser Verdacht erhärten sollte, würde es angesichts valider Kritikpunkte zu kurz greifen, den Protest allein auf eine etwaige Desinformationskampagne zurückzuführen. Denn die sozialen und ökologischen Risiken des Projekts sind bekannt – an ihnen lässt sich aufzeigen, an welchen Stellen Potentiale für die Verbesserung der Situation bestehen.
Ökologische und wirtschaftliche Risiken einer Umsetzung der Rohstoffkooperation
Umweltbezogene Risiken
Laut serbischem Gesetz müssen Rohstoffprojekte unter bestimmten Voraussetzungen einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden, um ihre möglichen Auswirkungen bewerten zu können. Über Umfang und Inhalte der Prüfung entscheiden die zuständigen Behörden. Im November 2024 hat Serbien neue Gesetze zu Umweltverträglichkeitsprüfungen und Strategischen Umweltprüfungen erlassen. Allerdings sind diese noch nicht vollständig mit den geltenden EU-Richtlinien harmonisiert, und die für ihre Anwendung erforderlichen Durchführungsverordnungen stehen weiterhin aus. Außerdem hat die EU-Kommission wiederholt auf umfangreiche Defizite bei der Umsetzung dieser Gesetze hingewiesen und betont die Notwendigkeit struktureller Reformen, um Verwaltungskapazitäten auf nationaler und lokaler Ebene, in den Aufsichtsbehörden und dem Justizwesen auszubauen.
Im November 2024 legte das Ministerium für Umweltschutz Umfang und Inhalt der Umweltverträglichkeitsprüfung für das Untertagewerk im Jadar-Tal fest. Rio Tinto hat nun ein Jahr Zeit, des geforderte Gutachten vorzulegen. Allerdings steht die Entscheidung des Ministeriums in der Kritik. Denn Rio Tinto stellte zunächst lediglich einen Antrag zur Prüfung des Untertagewerks; dabei sind für die Weiterverarbeitungsanlage und die Halde ebenfalls Umweltverträglichkeitsprüfungen erforderlich. Daher befürchtet das Belgrader Umweltinstitut RERI, Rio Tinto wolle durch diese künstliche Teilung, das sogenannte project splitting, eine Beurteilung der Auswirkungen des Gesamtprojektes vermeiden. In Serbien sind bereits zahlreiche Fälle von project splitting dokumentiert. Dabei sollen Unternehmen sogar mit dem Wissen und der Unterstützung zuständiger staatlicher Behörden gehandelt haben in dem Bestreben, kumulierte Umweltauswirkungen zu verschleiern oder eine Umweltverträglichkeitsprüfung gänzlich zu umgehen. Es liegt in der Verantwortung der serbischen Behörden, solche sachfremden Teilungen zu unterbinden und eine transparente sowie rechtmäßige Umweltprüfung sicherzustellen.
Der Energieministerin Dubravka Handanović zufolge könnte es weitere zwei Jahre dauern, bis alle notwendigen Genehmigungen zur Umsetzung des Projekts vorliegen. In Kürze soll auch die Stadtverordnetenversammlung von Loznica über den lokalen Raumordnungsplan entscheiden, der für die Umsetzung des Projekts ebenfalls erforderlich ist. Umweltschützer in Serbien haben bereits massive Proteste angekündigt.
Gerade im Bergbausektor versagte die Kontrolle durch serbische Behörden in den vergangenen Jahren immer wieder. Ein Beispiel ist das chinesisch-serbische Joint Venture Serbia Zijin Copper DOO Bor, das die größte Kupfermine und Verhüttungsanlage Serbiens betreibt. Nach Ansicht von Experten ziehen die zuständigen Behörden Zijin für die regelmäßigen Überschreitungen der zulässigen Schwefeldioxidwerte und für Umweltbelastungen von Flüssen kaum zur Verantwortung. Zijin wurde außerdem in den letzten vier Jahren sieben Mal wegen illegaler Bautätigkeit verurteilt; in fünf Fällen sind lediglich Geldbußen unterhalb der gesetzlichen Mindeststrafen verhängt worden. Dies erschüttert das Vertrauen der Bevölkerung in die Behörden und in deren Willen, gesetzliche Umweltvorgaben durchzusetzen.
Ausgehend von allgemeiner Kritik an der Integrität serbischer Behörden ist eine Debatte um die bisher verfügbaren Informationen entbrannt. Laut aktueller Planung Rio Tintos würden für die Untergrundmine und die Weiterverarbeitungsanlage des Jadar-Projekts rund 220 Hektar Land benötigt, für die Abraumhalde von Industriemüll weitere 167 Hektar. Neben dem damit verbundenen Verlust an landwirtschaftlichen Flächen, Wäldern und Biodiversität befürchten Kritiker:innen negative Auswirkungen auf das Trinkwasserreservoir in der Region und auf die anliegenden Flüsse Drina und Jadar. Diese Risiken sollen in der bereits erwähnten Umweltverträglichkeitsprüfung analysiert werden, vorläufige Entwürfe hierfür veröffentlichte Rio Tinto im Juni 2024.
An der Glaubwürdigkeit dieser Entwürfe wird jedoch gezweifelt: Wissenschaftler:innen der biologischen Fakultät der Universität Belgrad, die ursprünglich an der Erstellung eines Berichts für Rio Tinto beteiligt waren, gelangten zu der Auffassung, dass das Projekt zu große Gefahren für das Ökosystem berge, und distanzierten sich von den Darstellungen des Konzerns. Eine im Juli 2024 in einer Fachzeitschrift veröffentlichte Studie zu den Auswirkungen auf den Fluss Jadar und die Böden in der Nähe der Erkundungsbohrlöcher, die als Folge der Probebohrungen bereits entstanden seien, verstärkte diese Bedenken. Rio Tinto äußerte unter anderem Zweifel an der Methodik der Datenerhebung und forderte die Rücknahme der Studie. Die daraufhin von den Autor:innen vorgenommenen Änderungen waren jedoch nur geringfügig, die Methodologie wurde von der Fachzeitschrift nicht beanstandet. Rio Tinto argumentiert hingegen, die erhöhten Schwermetallkonzentrationen im Jadarfluss seien von dem Dammbruch der Rückhalteanlage des ehemaligen Antimon-Bergwerks »Stolice« während der Überschwemmungen im Jahr 2014 verursacht worden, und bestreitet einen Zusammenhang mit den Probebohrungen. Die Bewertung dieser Kontroverse erschwert zusätzlich, dass einer der acht Autoren nach Ansicht Rio Tintos wiederholt falsche Aussagen über das Projekt verbreitet hätte; darüber hinaus trat er im Dezember 2023 für eine europakritische, ultranationale und pro-russische Oppositionskoalition als Bürgermeisterkandidat Belgrads an, was Zweifel an seiner wissenschaftlichen Unabhängigkeit aufkommen ließ.
Nicht zuletzt steht die Frage im Raum, wer die Kosten für die Sanierung zu tragen hätte, falls durch das Projekt eine Umweltkatastrophe ausgelöst würde. Rio Tinto versucht, diese Kritik zu kontern: Demnach modelliere das Unternehmen auch extrem seltene Ereignisse wie verheerende Überschwemmungen und plane die Mineninfrastruktur dementsprechend. Darüber hinaus erklärt Rio Tinto, im Sinne seiner gesetzlichen Verpflichtung eine Versicherung abzuschließen, die bei einem Unfall für Schäden Dritter haftet. Dennoch gilt auch hier: Die Tatsache, dass gesetzliche Vorgaben existieren, sehen viele Serb:innen nicht als Garantie dafür an, dass die zuständigen Behörden auch deren Einhaltung sicherstellen.
In der Bevölkerung werden also sowohl der Wille als auch die Kapazitäten der serbischen Behörden, die Umweltgesetze hinreichend umzusetzen, in Zweifel gezogen. Aufgrund der Repressionen gegen die serbische Zivilgesellschaft fehlt es darüber hinaus an unabhängigen Akteuren, die die bisher vorgelegten Daten überwachen könnten – zumal viele Menschen in Serbien den von Rio Tinto präsentierten Daten misstrauen. Sie sehen sich dadurch bestärkt, dass sich das Unternehmen in anderen Ländern wegen Verletzungen von Umweltstandards vor Gericht zu verantworten hat und auch bereits verurteilt wurde. Darum steht Rio Tinto bei ihnen ebenfalls nicht in dem Ruf eines vertrauenswürdigen Akteurs.
Wirtschaftliche Rentabilität
Auch die wirtschaftliche Rentabilität des Projekts wurde Gegenstand der Auseinandersetzungen. Der serbischen Regierung ist es gelungen, durch eine aktive Subventionspolitik ausländische Investitionen ins Land zu holen: Die Quote für gezielte Staatshilfen lag in den letzten Jahren zwischen zwei und fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts, im europäischen Durchschnitt liegt sie bei lediglich 0,5 Prozent. Im Zuge eines EU-Beitritts müsste Serbien diese Quote erheblich reduzieren. In den vergangenen Jahren vertiefte das Land seine Beziehungen zu China, dem nach der EU mittlerweile größten Investor in Serbien. Die Unterstützung des Jadar-Projekts kann zugleich als Signal der Regierung in Belgrad an die EU und die USA gelesen werden, ihre Beziehungen besser auszubalancieren, um ihre Verhandlungsposition auf internationaler Ebene zu stärken.
Rio Tinto rechnet neben den bereits investierten 475 Millionen Euro mit zusätzlichen Investitionskosten in Höhe von 2,55 Milliarden Euro – damit wäre das Projekt die bislang größte ausländische Direktinvestition in Serbien. Das Unternehmen will während der viereinhalbjährigen Bauphase durchschnittlich rund 1.500 Arbeitsplätze schaffen, mit einem Spitzenwert von etwa 3.500 Jobs. Im Vollbetrieb sollen 1.300 permanente Stellen entstehen, 90 Prozent sollen an Serb:innen vergeben werden. Ab dem ersten Jahr, in dem mit voller Kapazität produziert wird, könnten durch Steuern und weitere Abgaben rund 48 Millionen Euro jährlich in die serbischen Staatskassen fließen. Langfristig wird mit rund 185 Millionen Euro pro Jahr gerechnet, von denen jährlich 24,5 Millionen Euro der Gemeinde in Loznica zukommen sollen. Rund 300 Millionen Euro jährlich plant Rio Tinto für Zulieferung auszugeben, rund 70 Prozent davon sollen aus Serbien stammen.
Ein kürzlich veröffentlichter Bericht von Wirtschaftswissenschaftlern und Unternehmern zweifelt die von Rio Tinto genannten Zahlen an und argumentiert, dass das Jadar-Projekt nur geringe wirtschaftliche Vorteile für Serbien biete. Die Autoren heben unter anderem die ungeklärten Kosten der erforderlichen Infrastruktur hervor, beispielsweise von Straßen oder Abwassersystemen. Tatsächlich liegen bislang weder verlässliche Schätzungen zu deren Gesamtsumme noch Angaben zur Aufteilung der Kosten zwischen dem serbischen Staat, den Gemeinden und Rio Tinto vor.
Die Regierung hat ihre Absicht bekräftigt, nachgelagerte Industrien mit höherer Wertschöpfung im Land anzusiedeln. Kürzlich erklärte Vučić, dass mindestens 87,1 Prozent des gewonnenen Lithiums in Serbien weiterverarbeitet werden solle.
Derzeit verhandelt die Regierung mit verschiedenen Unternehmen über den Bau einer Kathodenfabrik. Mit dem slowakischen Batteriehersteller InoBat wurde im September 2023 ein Memorandum of Understanding unterzeichnet, ab 2025 in Cuprija ein Batteriewerk zu errichten. Die serbische Regierung stellte hierfür 419 Millionen Euro an Subventionen in Aussicht. Auch Unternehmen wie Mercedes und Stellantis signalisierten Interesse, mit Serbien ein Abkommen zum Aufbau einer Wertschöpfungskette zu schließen. Die Umsetzung des Jadar-Projekts könnte also ein Impuls sein für mehr Aktivitäten europäischer Konzerne in Serbien. Laut EU ließen sich auf diese Weise 20.000 Arbeitsplätze schaffen; doch gibt es bisher nur wenige konkrete Zusagen oder gar Ergebnisse. Allerdings werden auch weitere Zusagen wirtschaftlicher Projekte nicht ausreichen, die fundierte Kritik an dem Vorhaben zu zerstreuen.
Fazit und Politikempfehlungen
Angesichts der Defizite bei Rechtsstaatlichkeit, der zunehmend eingeschränkten Meinungs- und Medienfreiheit und insbesondere des großen Widerstands im Land ist die Verwirklichung des Jadar-Projekts mit verschiedenen Risiken behaftet. Die Regierung ist in den letzten Wochen aufgrund weit verbreiteter Korruption im Lande und eines Systems, das von der Regierungspartei vereinnahmt wird, stärker unter Druck geraten. Nach mehrwöchigen Massenprotesten trat Premierminister Miloš Vučević daher am 28. Januar zurück. Dies verdeutlicht abermals, wie gering das Vertrauen der Bevölkerung in die Fähigkeit der Regierung ist, die Gesetzgebung und Standards jeglicher Art einzuhalten.
Bislang hat die EU öffentlichkeitswirksam signalisiert, dass sie die Partnerschaft und das Projekt umsetzen will. Dazu muss sie glaubhaft vermitteln, dass sie die Verantwortung für die Nachhaltigkeitsrisiken des Projekts aktiv geltend machen und die serbische Regierung zur Einhaltung hoher Umweltschutzstandards drängen wird. Der EU-Beitrittsprozess bietet ihr einige konkrete, wenn auch begrenzte Hebel, mit denen sie diese Einhaltung einfordern kann. Schließlich sind Umweltbelange ebenso wie die Einhaltung der Grünen Agenda (auch im Rohstoffsektor) nicht nur Teil des Clusters Vier der Beitrittsverhandlungen (»Grüne Agenda und nachhaltige Konnektivität«), sondern auch des Wachstumsplans für den Westbalkan. Dieser knüpft die Auszahlung finanzieller Mittel an die Umsetzung von Reformen, insbesondere im Bereich Rechtsstaatlichkeit.
Diese Strategie ist sinnvoll und bleibt auch dann wirksam, wenn Serbien eine EU-Mitgliedschaft nicht ernsthaft anstrebt. Die europäisch-serbische Rohstoffkooperation sollte daher nicht losgelöst von den bereits laufenden Prozessen gesehen werden, sondern bisherige Bemühungen ergänzen. Die EU sollte zudem die in der Rohstoffpartnerschaft vereinbarte ESG-Kooperation nutzen, um den Aufbau von Kapazitäten in den zuständigen Behörden zu fördern. Die Um- und Durchsetzung der Gesetze für Umweltverträglichkeitsprüfungen (EIA), Strategische Umweltprüfungen (SEA) und Umweltkriminalität sollten Priorität haben und Bedingung für anderweitige Kooperation sein.
Die Kontrolle über die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften obliegt zwar den serbischen Behörden, Rio Tinto zeigt sich aber auch offen für eine Überprüfung durch unabhängige internationale Experten. Nachdem sich gerade die deutsche Bundesregierung aktiv für die Verwirklichung der Partnerschaft eingesetzt hat, sollte Deutschland diese Möglichkeit nutzen, um Expertise in den Bereichen Umweltverträglichkeit sowie Umweltmonitoring bereitzustellen. Darüber hinaus kann Deutschland die lokale Zivilgesellschaft dabei unterstützen, den Rohstoffabbau kritisch zu begleiten und auf eine baldige Zertifizierung mittels des Multi-Stakeholder-Standards der Initiative for Responsible Mining Assurance (IRMA) zu drängen.
Mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit des Projekts könnte die EU-Kommission ein unabhängiges Gutachten in Auftrag geben, um die tatsächlichen Projektkosten unabhängig zu evaluieren – und dieses Dokument in serbischer Sprache veröffentlichen. Zudem könnte die EU konkrete Angebote für den Aufbau von Infrastruktur machen. Während Rio Tinto jene Teile der Infrastruktur finanzieren sollte, die für sein Vorhaben notwendig sind, könnte die EU über Global Gateway zusätzliche Infrastrukturprojekte fördern, die der Bevölkerung Vorteile bieten.
Diese Angebote sind aber nur dann sinnvoll, wenn Deutschland und die EU sich aktiv für die Umsetzung demokratischer Grundrechte und von Rechtsstaatlichkeit engagieren, das repressive Vorgehen der serbischen Regierung – öffentlich und deutlich – bemängeln und sich dafür einsetzen, dass Akteure in Serbien ihre Kritik ohne Angst vor Einschüchterungen oder Bedrohungen vortragen können. Das Projekt sollte nicht um den Preis von Repressionen der Zivilgesellschaft realisiert werden.
Angesichts der jahrelangen Rückschritte in Sachen Rechtsstaatlichkeit und der begrenzten Fortschritte in den Verhandlungen über einen EU-Beitritt Serbiens muss sich die EU die Option offenhalten, dem Jadar-Projekt – ob sie es nun als »strategisches Projekt« anerkennt oder nicht – ihre Unterstützung zu entziehen, falls sich die Standards im Lande nicht verbessern sollten. Zwar würde dies geopolitische und wirtschaftliche Verluste nach sich ziehen. Doch angesichts der Möglichkeit, den Rohstoffsektor im Zweifelsfall geografisch breiter aufzustellen, erscheint dies verkraftbar. Denn was in Serbien auf dem Spiel steht, ist die Glaubwürdigkeit der EU als politischer Akteur und Wertegemeinschaft zugleich.
Dr. Melanie Müller ist Stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten sowie Leiterin des SWP-Anteils am Forschungsnetzwerk Nachhaltige Globale Lieferketten. Lea Strack arbeitet als Forschungsassistentin in diesem Projekt. Das Projekt wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert. Dr. Marina Vulović ist Gastwissenschaftlerin in der Forschungsgruppe EU / Europa und akademische Mitarbeiterin an der Universität Potsdam.
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DOI: 10.18449/2025A08