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Die Digitalisierung des Zentralbankgelds

Chinas Vorpreschen – Europas Zögern

SWP-Aktuell 2024/A 51, 11.10.2024, 8 Seiten

doi:10.18449/2024A51

Forschungsgebiete

In den letzten Jahren hat sich die Zahl der digitalen Währungen stark erhöht. Als besonders zukunftsweisend kann das von Zentralbanken entwickelte Digitale Zentral­bankgeld (DZBG) gelten. Die Kombination der Vorteile elektronischer Zahlungs­mittel – Schnelligkeit und Effizienz von Transaktionen – mit der Stabilität und dem Vertrauenskapital einer Zentralbank ist ein Ansatz, der die Entwicklung der inter­nationalen Zahlungssysteme in den nächsten Jahren maßgeblich beeinflussen wird. Die Arbeit an diesem Thema hat sich in vielen Teilen der Welt nach der Verhängung von Sanktionen gegen Russland durch die G7 deutlich beschleunigt. Die EU und China sind ebenfalls mit der Planung und Ausgestaltung ihres eigenen DZBG befasst, aber es gibt erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Hauptmotivation, das Fortschritts­tempo und die Ambitionen, die mit diesen Projekten verknüpft werden.

Wie vielerlei Entwicklungen in der Finanz­welt zeigen, ist der Prozess der Digitalisierung des Geldes unübersehbar und un­abwendbar: Ausdruck dieses Trends sind wilde Spekulationen in Kryptowährungen, das Entstehen datengestützter Zahlungsplattformen mit großer Kundenbasis und disruptiver Fintech-Innovationen in der Finanzintermediation sowie die Program­mierbarkeit von Finanztransaktionen mit­tels neuer Blockchain-Technologien. Gleich­zeitig ist weltweit, in der Eurozone und auch in Deutschland ein markanter Rück­gang der Bargeldnutzung zu beobachten. Aus der Perspektive der Notenbanken, den öffentlichen Sachwalterinnen von wertstabilem Geld und sicherem Zahlungs­verkehr, ist es schon aus Gründen der Existenzsicherung quasi unausweichlich, auf diese Tendenzen zu reagieren, also digitales Geld selbst in eigener Regie zu ent­wickeln und in Umlauf zu bringen. Die An­kündigung der Plattform Facebook/Meta im Juni 2019, ein eigenes Zahlungsmittel kre­ieren zu wollen (was letztlich nicht gelang), wurde zu einem Weckruf. Sie hat klar­gemacht, dass so grundlegende Attribute staatlicher Souveränität wie die Geldemis­sion, die Finanzstabilität und die Wirksam­keit der Geldpolitik auf dem Spiel stehen.

Digitales Zentralbankgeld – ein neues gesetzliches Zahlungsmittel

Auf der ganzen Welt kündigen Notenbanken die Ent­wicklung und Herausgabe von digitalem Zentralbankgeld (DZBG, engl.: Central Bank Digital Currency, CBDC) an. DZBG ist digitales Geld und gesetzliches Zahlungsmittel. Es wird von der Zentralbank emittiert und stellt – wie Bargeld und Gut­haben bei der Notenbank – eine unmittelbare Zahlungsverpflichtung der Zentral­bank dar. Es gibt zwei Formen von DZBG: eine, die den Verbrauchern zur Ver­fügung steht (Retail-CBDC), und eine andere, die an Unternehmen vergeben wird, welche sich auf die Ausführung von Zahlungsvorgängen spezialisiert haben (Wholesale-CBDC). DZBG kann zum einen wertebasiert als »token« mittels einer von der Zentralbank verwal­teten Blockchain emittiert werden und damit analog zum Bargeld Zahlungstransaktionen »peer-to-peer« er­mög­lichen. Zum anderen kann DZBG konten­basiert sein, so dass der Zahlungsverkehr über Konten bei der Zentralbank abgewickelt wird.

DZBG kann als staatliches Geld die ver­lässliche, breit akzeptierte Alternative zu privatem digitalem Geld werden. Notenbanken sehen in der Bereitstellung eines sicheren und zuverlässigen digitalen Zah­lungsmittels eine mittel- bis langfristig notwendige Sicherung ihrer geldpolitischen Souveränität, die auch für die Erhaltung finanzwirtschaftlicher Stabilität und zur Erfüllung der Aufgaben einer Zentralbank unabdingbar ist. Angesichts der abnehmen­den, in einigen Ländern schon nahezu ver­schwindenden Bargeldhaltung soll mittels DZBG der Zugang zu Zentralbankgeld auch in Zukunft garantiert sein. Um einen effi­zienten und sicheren Zahlungsverkehr und die Interoperabilität zwischen verschiedenen privaten Systemen zu garantieren, um Datenschutz und Datensicherheit im Zah­lungs- und Finanzverkehr zu gewährleisten, bedarf es eines allgemein akzeptierten, ver­trauenswürdigen DZBG. Die Effizienz- und Produktivitätspotentiale neuer Techno­logien (Blockchain, Distributed Ledger) und von Innovationen wie intelligenten Ver­trägen sollen allgemein zugänglich und nicht exklusiv an bestimmte Plattformen gebunden sein. Weitere potentielle Vorteile des DZBG eröffnen sich bei der Bekämpfung von Geldwäsche, Kriminalität und Terroris­musfinanzierung und bestehen in einer bes­seren finanziellen Inklusion, der Reali­sierung von Kostensenkungen und mög­lichen neuen Optionen in der Geldpolitik. Einen kurzen Überblick über die Vorteile und Chancen des DZBG und die Kosten und Risiken bietet die Infobox, S. 4.

Nach Angaben des Atlantic Council prü­fen derzeit die Zentralbanken in 134 Län­dern und Währungsunionen die Einführung digitaler Währungen. Alle G20-Staa­ten, mit Ausnahme der USA, befinden sich in einem fortgeschrittenen Stadium der Ent­wicklung. In den USA ist das Thema stark politisiert. Im Mai 2024 hat das US-Reprä­sen­tantenhaus sogar einen Gesetzentwurf verabschiedet, der die Einführung eines »digitalen Dollars« durch die US-Notenbank verbietet. Drei Staaten (Bahamas, Jamaika, Nigeria) haben DZBG bereits in Umlauf ge­bracht. Die Eurozone könnte frühestens Ende 2025 den digitalen Euro testweise einführen, sowohl im Retail- als auch im Wholesale-Bereich. Die vier BRICS-Gründer­staaten (Brasilien, China, Indien, Russland) experimentieren hingegen jetzt schon auf der praktischen Ebene im Rahmen von Pilot­projekten. Am weitesten fortgeschritten unter den großen Volkswirtschaften ist China, nicht zuletzt aufgrund der entschlos­senen Förderung durch Partei und Staat. Der digitale Yuan könnte bei der Etablierung digitaler Standards zum Maßstab und grundlegend für den Aufbau einer china­zentrierten, dollarunabhängigen Infra­struktur im internationalen Zahlungs­verkehr werden.

Der e-CNY – Chinas digitale Zentralbankgeld Offensive

In China existiert ein historisch gewachsenes Bewusstsein dafür, dass Geld und Wäh­rung eine wesentliche Grundlage politischer Macht sind. Die eigene Währung, der RMB, wie auch dessen digitaler Ableger, der e‑CNY, sind fester Bestandteil der staat­lichen Souveränität, der Identität und des Natio­nalismus Chinas und zwangsläufig auch des marxistisch-leninistischen Macht­anspruchs der Kommunistischer Partei.

Erst nach Anerkennung dieser ideolo­gischen und machtpolitischen Prämissen haben Geld und Währung in China eine ökonomische und gesellschaftliche Dimen­sion. Recht­lich ist die Zentralbank Chinas, die People’s Bank of China (PBoC), nach diesem Ver­ständnis nicht unabhängig. Sie ist vielmehr eine nachgeordnete Behörde des Staatsrats.

Vor dem Hintergrund des unbedingten Anspruchs von Partei und Staat auf Kon­trolle über Wirtschaft und Gesellschaft er­gab sich aus der Perspektive Pekings das unbedingte Erfordernis, auf die systemischen und politischen Herausforderungen, die sich einerseits mit der chinesischen Digitalwirtschaft stellen (in Gestalt vor allem der großen Plattformen Alibaba und Tencent), andererseits von außen heraufdrängen in Form des privaten Kryptogelds wie Bitcoin und Libra/Diem, eine regulative Antwort zu finden, um die Hoheit des Staates im Bereich Geld und Währung zu bewahren. Anstatt passiv auf die Geld-Innovationen aus der privaten Digitalwirtschaft zu reagieren, ver­folgt der chinesische Staat den Anspruch, die Zukunft der Block­chain-Technologie und allgemein des digi­talen Geldes und Zahlungsverkehrs selbst zu gestalten und die neuen Fintech-Systeme zur Sicherung der Macht von Partei und Staat im In- und Ausland einzusetzen.

Chinas Digitalwährungsprojekt startete 2014, als die PBoC ein Team zusammenstellte und mit der Forschung und Planung des DZBG beauftragte. 2016 wurde ein Forschungsinstitut für digitale Währungen gegründet und Ende 2017 läutete die PBoC gemeinsam mit Geschäftsbanken die Ent­wicklungsphase ein. Der Rollout der ersten Pilotprojekte erfolgte im April 2020 in zu­nächst vier Kommunen. Seither wurde und wird die Nutzung des e-CNY sukzessive in weiteren Regionen und bei immer mehr Empfängern eingeführt. Das Land investiert enorm in die Technologie, die Infrastruktur und die Vermarktung des neuen digitalen Zahlungs­mittels und bemüht sich um eine rasche Implementierung. Allerdings ist die Nutzerakzeptanz angesichts der bereits be­stehenden komfortablen Zahlungsportale von Alipay und WeChat Pay noch gering. Gegenwärtig halten schätzungsweise circa 260 Mil­lionen Chinesen ein digitales Wallet, das zur Nutzung des e-CNY berechtigt. Wann der e-CNY landesweit und allgemein verfüg­bar sein wird, ist derzeit aber noch offen.

Der e-CNY ergänzt und ersetzt das physische, in Umlauf befindliche Bargeld mit identischem Wert (1:1). Er steht allgemein der breiten Öffentlichkeit (»retail-based«) zur Verfügung und soll mit allen privaten Zahlungssystemen interoperabel sein. Er wird zentral von der PBoC emittiert und administriert und über Geschäftsbanken oder andere Intermediäre – bei hundertprozentiger Deckung der Zentralbank – in Umlauf gebracht. Um mit e-CNY zahlen zu können, müssen die Nutzer eine elektronische Geldbörse (»Wallet«) unter Angabe von Identität und Bankverbindung anmelden und dann mit einem autorisierten Betrag befüllen. Der Zugriff auf das Wallet erfolgt über Smartphone-Apps, Chip-Karten oder Maschinen. Dabei kann der e-CNY sowohl wertebasiert als Zahlungstoken, etwa für »peer-to-peer«-Transaktionen, verwendet als auch kontenbasiert über Geschäfts- und Online-Banken eingesetzt werden. »Off­line«-Transaktionen, etwa zwischen zwei Mobiltelefonen, sind grundsätzlich bereits möglich. Das Clearing der Zahlungstrans­aktionen erfolgt zentral über die PBoC mittels Registrierung, Authentifizierung und Verifizierung.

Laut dem von der PBoC herausgegebenen Weißbuch verfolgt China mit dem e-CNY drei Ziele, nämlich (1) die Bereitstellung von Bargeld in digitaler Form, gerade auch in Chinas weniger entwickelten Gebieten, (2) die Gewährleistung eines sicheren, effi­zienten und zwischen Plattformen inter­operablen Zahlungsverkehrs und (3) pro­spektiv den Einsatz für grenzüberschreitende Zahlungen. Die wirtschaftlichen und politischen Implikationen des neuen staat­lichen Digitalgelds gehen jedoch weit über die technische Ebene hinaus. Mit dem e-CNY verfügt China über ein Instrument mit mannigfachen Einsatzmöglichkeiten und weitreichenden Implikationen für China selbst wie auch im internationalen Rahmen.

Digitales Zentralbankgeld

Vorteile und Chancen

Nachteile, Kosten und Risiken

 Sicherung der staatlichen Währungshoheit: Emission und Zirkulation von DZBG; Bereit­stellung einer verlässlichen Infrastruktur für den elektronischen Zahlungsverkehr, Sicherung monetärer und finanzwirtschaftlicher Stabilität, Abwendung von Digitalisierungsrisiken

 Kosten-, Effizienz- und Leistungsverbesserungen im Zahlungsverkehr (national, international): Einsetzbarkeit als gesetzliches Zahlungsmittel im gesamten Euroraum; Offline-Transaktionen via Smartphone, Back-up bei Netzausfall möglich

 Stärkung der EZB im Systemwettbewerb und Währungswettbewerb (gegenüber privaten Platt­formen, Stablecoins, anderen Notenbanken)

 Sicherung des Wettbewerbs und För­derung von Innovationen im Zahlungsverkehr

 Technologische Innovationspotentiale: Blockchains, Smart Contracts

 Sicherung von Datenschutz und Datensicherheit im Zahlungsverkehr (gegenüber privaten Akteuren)

 Eindämmung von Geldwäsche, Kriminalität, Terrorismusfinanzierung

 Inklusion: Breiterer Zugang zu Finanzdienst­leistungen in einer zunehmend bargeldlosen Wirtschaft

 Neue Optionen für die Geldpolitik (Helikopter­geld, negativer Zins)

 Seigniorage-Gewinne

 DZBG kann sich negativ auf die traditionellen Geschäftsbanken auswirken, da es eine Kon­kurrenz für die traditionellen Bankeinlagen darstellt

 Risiken von Bank-Runs durch Flucht aus Giroeinlagen in DZBG in Krisensituationen

 Skepsis bzgl. des Nutzens für den Verbraucher: Begrenzte Attraktivität als Zahlungsmittel auf­grund der geplanten Haltelinie (3.000 €), geringe Eignung als Wertaufbewahrungsmittel

 Hohe Einführungs- und Betriebskosten für Finanzwirtschaft und Handel – Möglichkeit folgenschwerer regulatorischer Konstruktionsfehler

 Befürchtungen der Verdrängung des physischen Bargelds

 Keine Programmierbarkeit des digitalen Euro

 Möglichkeit der staatlichen Überwachung von Zahlungsvorgängen

 Finanzielle Ausgrenzung digitaler Laien

 Unklare geldpolitische Effekte (insbesondere in der Transmission der Zinspolitik)

 Disruptive Neustrukturierung des grenz­überschreitenden Zahlungsverkehrs

 Geoökonomische Neuverteilung von finanz­wirtschaftlichen Knotenpunkten im inter­nationalen Zahlungsverkehr

Erstens ergeben sich im Zuge der Einführung des digitalen RMB aufgrund der Pro­grammierbarkeit des e-CNY gänzlich neue Hand­lungsmöglichkeiten für Chinas Fiskal- und Geldpolitik. Beispielsweise kann die PBoC künftig Direktzahlungen an Haus­halte und Unternehmen vornehmen und diese zeitlich, regional, verwendungs­bezogen limitieren bzw. konditionieren. Auch die Geldpolitik erhält radikal neue Optio­nen für eine maßgeschneiderte Zins- und Geldmengensteuerung.

Zweitens werden Chinas Sicherheits­organe in der Lage sein, die vorliegenden Zahlungstransaktionsdaten in Echtzeit einzusehen oder bedarfsweise zurückzu­verfolgen. Für sie ergeben sich vollkommen neue Möglichkeiten der Überwachung, Straf­verfolgung und Repression. Die Ver­knüpfung der Zahlungs­daten sowohl mit dem Bonitätssystem der PBoC als auch mit dem staatlichen Sozial­kreditsystem kann Chinas Behörden dazu befähigen, menschliches Denken und Verhalten in einem Maße zu beeinflussen und zu steuern, das auf sehr beunruhigende Weise an George Orwells düstere Visionen erinnert.

Drittens wird angestrebt, in Zukunft mit DZBG grenzüberschreitende Überweisungen mittels Blockchain, »peer-to-peer«, in Echt­zeit und unter Umgehung des bestehenden Banken- und Clearingsystems kostengünstig abzuwickeln. Die technologische Kompetenz und die praktischen Erfahrungen, über die China verfügt, bieten dem Land die Chance, bei der Entwicklung der Zahlungsverkehrsinfrastruktur und der dafür gelten­den Standards eine führende Rolle ein­zunehmen. Auf verschiedenen Ebenen und mit unterschied­lichen Initiativen arbeitet China mit hohem Aufwand intensiv an der Interoperabilität zwischen in- und auslän­dischen Zahlungssystemen.

Viertens kann ein im internationalen Geschäftsverkehr einsatzfähiger digitaler RMB China und Drittländer in die Lage ver­setzen, westliche Finanzsanktionen ein­facher zu umgehen. Bereits seit 2015 ver­fügt China mit CIPS (»Cross-Border Inter-Bank Payments System«) über eine eigene Plattform für das Clearing und Settlement im internationalen Zahlungsverkehr. Mit einem funktionierenden, auf China zen­trierten digitalen Zahlungssystem könnten Überweisungen außerhalb westlicher Clearinghäuser und unter Umgehung des SWIFT-Systems künftig kostengünstig und einfach vonstattengehen. Ein Verstoß gegen einen Sanktionsbeschluss wäre nur noch schwierig festzustellen, geschweige denn nachzuweisen.

Das Projekt »Digitaler Euro«

Das Projekt zur Einführung eines digitalen Euro ist dem chinesischen Projekt sowohl in Bezug auf die Entwicklungsgeschwindigkeit als auch auf die Ambition unterlegen. Es wurde durch einen Beschluss des EZB-Rats im Juli 2021 ins Leben gerufen. Für die EZB geht es darum, die Rolle des Euro als maßgeblichen Referenzstandard und als jederzeit im Euro­raum einlösbares Zah­lungsversprechen zu erhalten. Der digitale Euro soll sicherstellen, dass die grenzüberschreitenden Transaktionen innerhalb der Währungsunion rei­bungs­los, zuverlässig und zu niedrigen Kosten abgewickelt wer­den können. Auch 25 Jahre nach der Ein­führung des Euro ist der Zahlungsverkehr im Eurosystem noch immer fragmentiert und uneinheitlich. Im Bericht Enrico Lettas über die Zukunft des europäischen Binnen­markts vom April 2024 wird darauf hin­gewiesen, dass digitales Geld in Europa ein wichtiges Element bei der Integration der europäischen Finanzarchitektur sein könnte. Im Binnenmarkt gibt es eine Viel­falt an Zahlungssystemen, was auf die große Anzahl von Kartenzahlungssystemen und die Abhängigkeit von US-Unternehmen in diesem Sektor zurückzuführen ist. Eine Verringerung dieser Abhängigkeit würde nicht nur finanzielle Vorteile mit sich brin­gen, sondern auch den Zahlungsverkehr sicherer machen, insbesondere angesichts der aktuellen politischen Lage in den USA und der Gefahr von Handelsstreitigkeiten mit der EU. Im November 2023 wurde sei­tens des Eurosystems die zweite Phase des Projekts gestartet, welche als Vorbereitungs­phase definiert wurde. Diese umfasst die Fertig­stellung eines Regelwerks für den digitalen Euro und die Auswahl von An­bietern zur Entwicklung der digitalen Euro-Plattform und -Infrastruktur. Das Zahlungs­mittel könnte sowohl durch Anwendungen der Geschäftsbanken als auch durch eine vom Eurosystem entwickelte spezielle App für elektronische Geräte unterstützt wer­den, wobei auch Offline-Zahlungen mög­lich sein sollen.

Obgleich die Pläne vielversprechend sind, wird das DZBG-Projekt in der europäischen Ausgabe mit der gebotenen Vorsicht im­plementiert. Zunächst ist festzuhalten, dass Verbraucher über digitale Euro nur bis zu einer Haltelinie in Höhe von vermutlich 3.000 Euro verfügen können. Obwohl eine Erhöhung dieses Betrags zu einem späteren Zeitpunkt vorstellbar ist, wird diese Maß­nahme dazu dienen, die Verwendung des digitalen Euro zunächst zu begrenzen. Ge­mäß den Plänen der EZB sind Zahlungen mit einem digitalen Euro nur mit einem entsprechenden Konto bei einer Geschäftsbank möglich. Die EZB will die Position der Geschäftsbanken im Kontext des Projekts nicht gefährden, um eine potentielle Ab­wanderung von Einlagen zur Zentralbank zu unterbinden.

Des Weiteren ist vorgesehen, dass der digitale Euro auf die 20 Länder der Wäh­rungsunion – zumindest vorerst – be­schränkt bleibt. Der Verordnungsentwurf zur Einführung des digitalen Euro vom 28. Juni 2023 (COM(2023) 369 final) sieht einige Ausnahmen vor. Erstens wird es möglich sein, den digitalen Euro in EU-Staaten außerhalb des Euroraums zu ver­wenden, wenn die EZB und die nationale Zentralbank des jeweiligen Landes ein ent­sprechendes Abkommen unterzeichnen. Der Umfang dieser Verwendung wird je­doch begrenzt sein, damit die nationale Währung nicht de facto durch den digita­len Euro ersetzt wird, ohne dass das betref­fende Land die Konvergenzkriterien erfüllt. Zweitens kann der digitale Euro in Dritt­ländern vertrieben werden, aber nur, wenn die EU und das betreffende Drittland vorher ein Abkommen schließen. Die Verbreitung der digitalen Einheitswährung wäre auch in diesem Fall begrenzt.

Die Entwicklung der digitalen Euro-Währung hat eine Reihe von Kontroversen ausgelöst. Die Geschäftsbanken sind besorgt über die Konkurrenz für traditionelle Bank­einlagen, da die digitale Währung auf einem Zentralbankkonto als sicherere Einlage an­gesehen werden könnte. Auch wenn Euro­päer nur mit einem Konto bei einer Ge­schäftsbank auf den digitalen Euro werden zugreifen können, fürchten die europäischen Banken und Sparkassen um ihre Position im europäischen Finanzsystem.

Das DZBG-Projekt der Zentralbanken wird auch oft wegen seines erwarteten Mangels an Inklusivität kritisiert. Die Be­denken richten sich darauf, dass das elek­tronische Geld möglicherweise nur von einem kleinen, »digital affinen« Teil der Bevölkerung genutzt würde. Zuweilen wird auch behauptet, dass im Zuge der Einfüh­rung des digitalen Euro das Bargeld ab­geschafft werde. Es gibt Befürchtungen, dass technokratische Institutionen, zu denen die Zentralbanken gehören, mit der Entwicklung digitaler Währungen die Bürgerinnen und Bürger überwachen und kontrollieren wollten. Viele populistische Kräfte in der EU stellen die Existenz von Währungen in Form von physischem Geld als Garantie für individuelle Freiheit dar. Sie schüren die Sorge vor einem Verlust der staatlichen Souveränität in puncto Geld­politik und vor Nachteilen für die Privat­sphäre eines jeden einzelnen.

Neben der Förderung des digitalen Euro-Projekts hat die Europäische Union auch Anstrengungen unternommen, um die Re­gulierung anderer digitaler Währungen, einschließlich Kryptowährungen und Stable­coins, im EU-Binnenmarkt voranzutreiben. Die Fähigkeit der EU, ihr eigenes regulato­risches Umfeld für digitale Vermögenswerte zu gestalten und dessen effektive Durch­setzung zu gewährleisten, wird die Stabili­tät des europäischen Finanzsystems stärken und damit die Autonomie und Unabhän­gigkeit der EU von anderen Rechtsordnungen erhöhen.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Im Vergleich zwischen China und Europa zeigen sich Gemeinsamkeiten, aber auch grundlegende Unterschiede. Gleichermaßen wird in China und in Europa die hoheit­liche Souveränität im Geldwesen und im Zahlungsverkehr durch private Anbieter bedroht: in China durch die Plattformen Alipay und WeChat Pay, in der EU durch die Kreditkartenunternehmen Mastercard und Visa sowie die Plattformen Apple Pay und Google Pay. Sowohl in China als auch in Europa stehen die währungspolitischen Behörden vor der Aufgabe, eine zukunftsweisende, jedermann zugängliche und tragfähige Infrastruktur für den Zahlungs­verkehr zu gewährleisten. Ähnlich sind auch Organisation und Design des neuen digi­talen Zahlungsmittels. Sowohl in China als auch in Europa sollen die Emission des DZBG und die Kontenführung jeweils unter Einschaltung von Geschäftsbanken als Intermediäre erfolgen. Alle Formen von DZBG werden in Umlauf gebracht: retail, whole­sale, wertebasiert und kontenbasiert. Auf beiden Seiten wird großer Wert auf Datensicherheit gelegt. Ein Offline-Einsatz soll möglich sein. Eine Haltelinie, bis zu der europäische Nutzer DZBG besitzen dürfen, gibt es in China indes nicht. Der wesent­liche Design-Unterschied besteht jedoch im Datenschutz. In China wird jede Zahlungstransaktion zentral abgespeichert, ist für die Behörden einsehbar und kann mit anderen Datensystemen verknüpft werden. Für den digi­talen Euro gelten hingegen die Vorgaben der EU-Datenschutzregeln, dass nämlich die Ver­fügungsgewalt über persön­liche Daten beim individuellen Nutzer zu verbleiben habe. Die EZB wird die Daten weder ein­sehen noch abspeichern. Das Basisszenario der EZB sieht vor, dass die personenbezogenen Daten von Zahlungstransaktionen nur beim Intermediär, nicht aber bei den Zen­tralbanken anfallen. Da­rüber hinaus wird überlegt, bei der Zahlung geringerer Beträge und bei Offline-Trans­aktionen eine bargeldähnliche Anonymität zu gewährleisten.

Ein weiterer wichtiger Unterschied, der die unterschiedlichen Ambitionen des euro­päischen und des chinesischen Projekts wider­spiegelt, ist, dass für den digitalen Euro keine Programmierbarkeit vorgesehen ist. In der EU bestanden Bedenken, dass die Programmierbarkeit die vollständige Kon­vertierbarkeit von digitaler und traditioneller Währung untergraben und den Schutz der persönlichen Daten der Nutzer:innen schwächen könnte. Dies schränkt nicht nur die Funktionalität des digitalen Euro in der Wirtschafts- und Währungspolitik ein, son­dern mindert dessen Vorteile im Vergleich zu herkömmlichen elektronischen Bank­überweisungen.

Bezo­gen auf die Implementierung ist natürlich der offensichtliche Unterschied, dass der digitale Yuan in der Entwicklung zur einsatzfähigen digitalen Währung im Vergleich zum digitalen Euro viel weiter fortgeschritten ist. Bereits heute kann der e‑CNY in China in großem Umfang verwen­det werden, wenngleich Chinas Haushalte und Unternehmen weiterhin ihre Zah­lun­gen überwiegend über die etablierten Platt­formen von Alipay und WeChat abwickeln. Mit der frühzeitigen Einführung und prak­tischen Erprobung entwickelt China die Blockchain- und Distributed-Ledger-Techno­logien fort, setzt die technischen Standards, sammelt institutionelles Erfahrungswissen und gewinnt internationale Reputation. Bei der raschen Einführung des neuen digitalen Zahlungsmittels erweisen sich wieder ein­mal das autoritäre Regierungssystem und die zentralistischen Strukturen Chinas als Wettbewerbsvorteil. Es sollte aber auch nicht ausgeblendet werden, dass China als DZBG-Pionier politische Risiken eingeht, da Konstruktionsfehler im e-CNY zu finanziellen Verwerfungen führen können.

Die Ambitionen von Partei und Staat Chinas, die mit der Einführung von DZBG einhergehen, sind viel weitreichender als die der EU-Institutionen und der Mitgliedstaaten. Peking verfolgt mit dem e-CNY jen­seits der Motivation, die nationale Währungshoheit zu schützen, industriepolitische, außenpolitische und sicherheits­politische Ziele. Aus chinesischer Sicht ist das gegenwärtige System des inter­natio­nalen Zahlungsverkehrs nicht nur ökono­misch kostspielig und ineffizient, sondern auch sicherheitspolitisch problematisch, da es Amerika, dem geostrategischen Rivalen, die Macht verleiht, Dritte auszuschließen. Mehrfach schon waren Personen und Unter­nehmen aus China, Hongkong und Macao Ziel amerikanischer Finanzsanktionen. Das digitale Zentralbankgeld bietet China nun die Chance auf einen disruptiven Neuanfang. Daher unternimmt die Volksrepublik er­hebliche Anstrengungen, um Blockchain-basierte Zahlungsplattformen (»Universal Digital Payment Network«) aufzubauen und einen international interoperablen digita­len Zahlungsverkehr (»mBridge«) zu eta­blieren. Sollte es ihr tatsächlich gelingen, ein neues System des internationalen Zah­lungsverkehrs auf Grundlage von inter­operablem DZBG zu entwickeln, wäre dieses nicht mehr dollarzentriert. Die damit ent­stehenden Strukturen könnten in Zukunft neue Abhängigkeitsverhältnisse – nun­mehr gegenüber China – konstituieren.

Während die Tragweite der chinesischen Ambitionen (wie schon oft in der Vergangenheit) im Ausland unterschätzt wird, mangelt es Europa seinerseits in Bezug auf den digitalen Euro an strategischer Klarheit und Weitsicht und an politischem Ehrgeiz. Kommission und EZB erhalten für ihre Pläne von der europäischen Politik nicht die unbedingt gebotene konstruktive Unter­stützung. Stattdessen scheinen die betrof­fene Finanzindustrie, libertäre Kritiker und populistische Parteien die Diskussion zu bestimmen.

Ausblick

Es ist von essentieller Bedeutung, das Pro­jekt des digi­talen Euro zu verwirklichen, da es den Weg für die Etablierung einer pan­europäischen Zahlungsinfrastruktur ebnen wird. Zahlungsverkehr und Zahlungs­systeme gehören zweifelsfrei zur kritischen Infrastruktur. Es ist problematisch, wenn der grenzüberschreitende Zahlungsverkehr im Eurosystem nur von außereuropäischen Zahlungsdienstleistern gemanagt wird und wenn außereuropäische Plattformen den elektronischen Einzelhandel in Europa dominieren, zugleich aber die Bargeld­nutzung zunehmend an Bedeutung verliert. Zur Gewährleistung von Wettbewerb, Sicher­heit, Resilienz und Zuverlässigkeit im Zah­lungsverkehr ist die Einführung des digi­talen Euro sinnvoll und notwendig, nicht zuletzt im Hinblick auf potentielle Krisen­situationen.

Die Entwicklung des digitalen Euro ist jedoch von wesentlich größerer Tragweite als die bloße Harmonisierung der Zahlungs­systeme. Der Euro ist einem Wäh­rungs­wettbewerb mit privaten und staatlichen Akteuren ausgesetzt. Die Hoheitsgewalt über den Zahlungsverkehr ist eine unabdingbare Voraussetzung für den Schutz der Souveränität. Die Möglichkeit, auf die Regieführung des grenzüberschreitenden Zah­lungs­verkehrs einzuwirken, ist ein Macht­faktor in den internatio­nalen Beziehungen. Not­wendig ist daher eine geoökonomische Re­flexion über die Position der EU im Hin­blick auf die Ent­wicklung und Sicherheit ihrer digitalen Finanzarchitektur im Ver­gleich zu ihren Konkurrenten. Das europäische Pro­jekt der digitalen Währung kann nur dann erfolgreich sein, wenn die EU ein ähnlich hohes Maß an Ehrgeiz an den Tag legt, wie es derzeit in China zu beobachten ist.

Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass à la longue auch potentielle Nutzer, die in Ländern außerhalb der Euro­zone oder des EU-Binnenmarkts tätig sind, Zugang zum digitalen Euro erhalten. In diesem Kontext könnte das Projekt eine wichtige Rolle für die weitere Internatio­nalisierung der Einheitswährung spielen.

Allerdings werden die Beschränkungen für die Entwicklung einer europäischen DZBG-Version auch im EU-Binnenmarkt noch viele Jahre bestehen bleiben. Haupt­ursache dafür ist das in vielen Ländern –vor allem auch in Deutschland – be­harr­liche mangelnde Vertrauen in digitales Geld und elektronische Zahlungen. Die Digitalisierung des Geldes ist ein vielschichtiger Prozess, der sich nicht auf Experimente mit Währungen oder Zahlungssystemen be­schränkt. Der Prozess muss zudem inklusiv sein, das heißt, es muss sichergestellt wer­den, dass möglichst viele Menschen Zugang zum digitalen Euro erhalten und an den poten­tiellen Vorteilen teilhaben können. Dazu zählt auch die Vermittlung von Wissen über die Funktionsweise des Finanz­systems, die Risiken der Spekulation mit digitalen Vermögenswerten und die Sicher­heit von Online- und Offline-Zahlungen.

Tatsächlich stellt Europa die einzige Jurisdiktion mit einem so starken Schutz von persönlichen Daten und Verbraucherrechten dar, was in Zukunft ein entscheidender Vorteil gegenüber konkurrierenden Projekten wie dem digitalen Yuan sein könnte. Voraussetzung dafür ist, dass die Entwicklung des digitalen Euro beschleunigt und die Ambitionen des Projekts er­höht werden. Dies sollte bei der Diskussion über die Wettbewerbsfähigkeit in der EU stärker beachtet werden.

Dr. Hanns Günther Hilpert ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Asien, Dr. Paweł Tokarski ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa.
Dieses SWP-Aktuell wurde verfasst im Rahmen der SWP-Themenlinie »Wirtschaftliche und technologische Transformationen«.

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