In den letzten Jahren hat sich die Zahl der digitalen Währungen stark erhöht. Als besonders zukunftsweisend kann das von Zentralbanken entwickelte Digitale Zentralbankgeld (DZBG) gelten. Die Kombination der Vorteile elektronischer Zahlungsmittel – Schnelligkeit und Effizienz von Transaktionen – mit der Stabilität und dem Vertrauenskapital einer Zentralbank ist ein Ansatz, der die Entwicklung der internationalen Zahlungssysteme in den nächsten Jahren maßgeblich beeinflussen wird. Die Arbeit an diesem Thema hat sich in vielen Teilen der Welt nach der Verhängung von Sanktionen gegen Russland durch die G7 deutlich beschleunigt. Die EU und China sind ebenfalls mit der Planung und Ausgestaltung ihres eigenen DZBG befasst, aber es gibt erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Hauptmotivation, das Fortschrittstempo und die Ambitionen, die mit diesen Projekten verknüpft werden.
Wie vielerlei Entwicklungen in der Finanzwelt zeigen, ist der Prozess der Digitalisierung des Geldes unübersehbar und unabwendbar: Ausdruck dieses Trends sind wilde Spekulationen in Kryptowährungen, das Entstehen datengestützter Zahlungsplattformen mit großer Kundenbasis und disruptiver Fintech-Innovationen in der Finanzintermediation sowie die Programmierbarkeit von Finanztransaktionen mittels neuer Blockchain-Technologien. Gleichzeitig ist weltweit, in der Eurozone und auch in Deutschland ein markanter Rückgang der Bargeldnutzung zu beobachten. Aus der Perspektive der Notenbanken, den öffentlichen Sachwalterinnen von wertstabilem Geld und sicherem Zahlungsverkehr, ist es schon aus Gründen der Existenzsicherung quasi unausweichlich, auf diese Tendenzen zu reagieren, also digitales Geld selbst in eigener Regie zu entwickeln und in Umlauf zu bringen. Die Ankündigung der Plattform Facebook/Meta im Juni 2019, ein eigenes Zahlungsmittel kreieren zu wollen (was letztlich nicht gelang), wurde zu einem Weckruf. Sie hat klargemacht, dass so grundlegende Attribute staatlicher Souveränität wie die Geldemission, die Finanzstabilität und die Wirksamkeit der Geldpolitik auf dem Spiel stehen.
Digitales Zentralbankgeld – ein neues gesetzliches Zahlungsmittel
Auf der ganzen Welt kündigen Notenbanken die Entwicklung und Herausgabe von digitalem Zentralbankgeld (DZBG, engl.: Central Bank Digital Currency, CBDC) an. DZBG ist digitales Geld und gesetzliches Zahlungsmittel. Es wird von der Zentralbank emittiert und stellt – wie Bargeld und Guthaben bei der Notenbank – eine unmittelbare Zahlungsverpflichtung der Zentralbank dar. Es gibt zwei Formen von DZBG: eine, die den Verbrauchern zur Verfügung steht (Retail-CBDC), und eine andere, die an Unternehmen vergeben wird, welche sich auf die Ausführung von Zahlungsvorgängen spezialisiert haben (Wholesale-CBDC). DZBG kann zum einen wertebasiert als »token« mittels einer von der Zentralbank verwalteten Blockchain emittiert werden und damit analog zum Bargeld Zahlungstransaktionen »peer-to-peer« ermöglichen. Zum anderen kann DZBG kontenbasiert sein, so dass der Zahlungsverkehr über Konten bei der Zentralbank abgewickelt wird.
DZBG kann als staatliches Geld die verlässliche, breit akzeptierte Alternative zu privatem digitalem Geld werden. Notenbanken sehen in der Bereitstellung eines sicheren und zuverlässigen digitalen Zahlungsmittels eine mittel- bis langfristig notwendige Sicherung ihrer geldpolitischen Souveränität, die auch für die Erhaltung finanzwirtschaftlicher Stabilität und zur Erfüllung der Aufgaben einer Zentralbank unabdingbar ist. Angesichts der abnehmenden, in einigen Ländern schon nahezu verschwindenden Bargeldhaltung soll mittels DZBG der Zugang zu Zentralbankgeld auch in Zukunft garantiert sein. Um einen effizienten und sicheren Zahlungsverkehr und die Interoperabilität zwischen verschiedenen privaten Systemen zu garantieren, um Datenschutz und Datensicherheit im Zahlungs- und Finanzverkehr zu gewährleisten, bedarf es eines allgemein akzeptierten, vertrauenswürdigen DZBG. Die Effizienz- und Produktivitätspotentiale neuer Technologien (Blockchain, Distributed Ledger) und von Innovationen wie intelligenten Verträgen sollen allgemein zugänglich und nicht exklusiv an bestimmte Plattformen gebunden sein. Weitere potentielle Vorteile des DZBG eröffnen sich bei der Bekämpfung von Geldwäsche, Kriminalität und Terrorismusfinanzierung und bestehen in einer besseren finanziellen Inklusion, der Realisierung von Kostensenkungen und möglichen neuen Optionen in der Geldpolitik. Einen kurzen Überblick über die Vorteile und Chancen des DZBG und die Kosten und Risiken bietet die Infobox, S. 4.
Nach Angaben des Atlantic Council prüfen derzeit die Zentralbanken in 134 Ländern und Währungsunionen die Einführung digitaler Währungen. Alle G20-Staaten, mit Ausnahme der USA, befinden sich in einem fortgeschrittenen Stadium der Entwicklung. In den USA ist das Thema stark politisiert. Im Mai 2024 hat das US-Repräsentantenhaus sogar einen Gesetzentwurf verabschiedet, der die Einführung eines »digitalen Dollars« durch die US-Notenbank verbietet. Drei Staaten (Bahamas, Jamaika, Nigeria) haben DZBG bereits in Umlauf gebracht. Die Eurozone könnte frühestens Ende 2025 den digitalen Euro testweise einführen, sowohl im Retail- als auch im Wholesale-Bereich. Die vier BRICS-Gründerstaaten (Brasilien, China, Indien, Russland) experimentieren hingegen jetzt schon auf der praktischen Ebene im Rahmen von Pilotprojekten. Am weitesten fortgeschritten unter den großen Volkswirtschaften ist China, nicht zuletzt aufgrund der entschlossenen Förderung durch Partei und Staat. Der digitale Yuan könnte bei der Etablierung digitaler Standards zum Maßstab und grundlegend für den Aufbau einer chinazentrierten, dollarunabhängigen Infrastruktur im internationalen Zahlungsverkehr werden.
Der e-CNY – Chinas digitale Zentralbankgeld Offensive
In China existiert ein historisch gewachsenes Bewusstsein dafür, dass Geld und Währung eine wesentliche Grundlage politischer Macht sind. Die eigene Währung, der RMB, wie auch dessen digitaler Ableger, der e‑CNY, sind fester Bestandteil der staatlichen Souveränität, der Identität und des Nationalismus Chinas und zwangsläufig auch des marxistisch-leninistischen Machtanspruchs der Kommunistischer Partei.
Erst nach Anerkennung dieser ideologischen und machtpolitischen Prämissen haben Geld und Währung in China eine ökonomische und gesellschaftliche Dimension. Rechtlich ist die Zentralbank Chinas, die People’s Bank of China (PBoC), nach diesem Verständnis nicht unabhängig. Sie ist vielmehr eine nachgeordnete Behörde des Staatsrats.
Vor dem Hintergrund des unbedingten Anspruchs von Partei und Staat auf Kontrolle über Wirtschaft und Gesellschaft ergab sich aus der Perspektive Pekings das unbedingte Erfordernis, auf die systemischen und politischen Herausforderungen, die sich einerseits mit der chinesischen Digitalwirtschaft stellen (in Gestalt vor allem der großen Plattformen Alibaba und Tencent), andererseits von außen heraufdrängen in Form des privaten Kryptogelds wie Bitcoin und Libra/Diem, eine regulative Antwort zu finden, um die Hoheit des Staates im Bereich Geld und Währung zu bewahren. Anstatt passiv auf die Geld-Innovationen aus der privaten Digitalwirtschaft zu reagieren, verfolgt der chinesische Staat den Anspruch, die Zukunft der Blockchain-Technologie und allgemein des digitalen Geldes und Zahlungsverkehrs selbst zu gestalten und die neuen Fintech-Systeme zur Sicherung der Macht von Partei und Staat im In- und Ausland einzusetzen.
Chinas Digitalwährungsprojekt startete 2014, als die PBoC ein Team zusammenstellte und mit der Forschung und Planung des DZBG beauftragte. 2016 wurde ein Forschungsinstitut für digitale Währungen gegründet und Ende 2017 läutete die PBoC gemeinsam mit Geschäftsbanken die Entwicklungsphase ein. Der Rollout der ersten Pilotprojekte erfolgte im April 2020 in zunächst vier Kommunen. Seither wurde und wird die Nutzung des e-CNY sukzessive in weiteren Regionen und bei immer mehr Empfängern eingeführt. Das Land investiert enorm in die Technologie, die Infrastruktur und die Vermarktung des neuen digitalen Zahlungsmittels und bemüht sich um eine rasche Implementierung. Allerdings ist die Nutzerakzeptanz angesichts der bereits bestehenden komfortablen Zahlungsportale von Alipay und WeChat Pay noch gering. Gegenwärtig halten schätzungsweise circa 260 Millionen Chinesen ein digitales Wallet, das zur Nutzung des e-CNY berechtigt. Wann der e-CNY landesweit und allgemein verfügbar sein wird, ist derzeit aber noch offen.
Der e-CNY ergänzt und ersetzt das physische, in Umlauf befindliche Bargeld mit identischem Wert (1:1). Er steht allgemein der breiten Öffentlichkeit (»retail-based«) zur Verfügung und soll mit allen privaten Zahlungssystemen interoperabel sein. Er wird zentral von der PBoC emittiert und administriert und über Geschäftsbanken oder andere Intermediäre – bei hundertprozentiger Deckung der Zentralbank – in Umlauf gebracht. Um mit e-CNY zahlen zu können, müssen die Nutzer eine elektronische Geldbörse (»Wallet«) unter Angabe von Identität und Bankverbindung anmelden und dann mit einem autorisierten Betrag befüllen. Der Zugriff auf das Wallet erfolgt über Smartphone-Apps, Chip-Karten oder Maschinen. Dabei kann der e-CNY sowohl wertebasiert als Zahlungstoken, etwa für »peer-to-peer«-Transaktionen, verwendet als auch kontenbasiert über Geschäfts- und Online-Banken eingesetzt werden. »Offline«-Transaktionen, etwa zwischen zwei Mobiltelefonen, sind grundsätzlich bereits möglich. Das Clearing der Zahlungstransaktionen erfolgt zentral über die PBoC mittels Registrierung, Authentifizierung und Verifizierung.
Laut dem von der PBoC herausgegebenen Weißbuch verfolgt China mit dem e-CNY drei Ziele, nämlich (1) die Bereitstellung von Bargeld in digitaler Form, gerade auch in Chinas weniger entwickelten Gebieten, (2) die Gewährleistung eines sicheren, effizienten und zwischen Plattformen interoperablen Zahlungsverkehrs und (3) prospektiv den Einsatz für grenzüberschreitende Zahlungen. Die wirtschaftlichen und politischen Implikationen des neuen staatlichen Digitalgelds gehen jedoch weit über die technische Ebene hinaus. Mit dem e-CNY verfügt China über ein Instrument mit mannigfachen Einsatzmöglichkeiten und weitreichenden Implikationen für China selbst wie auch im internationalen Rahmen.
Vorteile und Chancen |
Nachteile, Kosten und Risiken |
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■ Sicherung der staatlichen Währungshoheit: Emission und Zirkulation von DZBG; Bereitstellung einer verlässlichen Infrastruktur für den elektronischen Zahlungsverkehr, Sicherung monetärer und finanzwirtschaftlicher Stabilität, Abwendung von Digitalisierungsrisiken ■ Kosten-, Effizienz- und Leistungsverbesserungen im Zahlungsverkehr (national, international): Einsetzbarkeit als gesetzliches Zahlungsmittel im gesamten Euroraum; Offline-Transaktionen via Smartphone, Back-up bei Netzausfall möglich ■ Stärkung der EZB im Systemwettbewerb und Währungswettbewerb (gegenüber privaten Plattformen, Stablecoins, anderen Notenbanken) ■ Sicherung des Wettbewerbs und Förderung von Innovationen im Zahlungsverkehr ■ Technologische Innovationspotentiale: Blockchains, Smart Contracts ■ Sicherung von Datenschutz und Datensicherheit im Zahlungsverkehr (gegenüber privaten Akteuren) ■ Eindämmung von Geldwäsche, Kriminalität, Terrorismusfinanzierung ■ Inklusion: Breiterer Zugang zu Finanzdienstleistungen in einer zunehmend bargeldlosen Wirtschaft ■ Neue Optionen für die Geldpolitik (Helikoptergeld, negativer Zins) ■ Seigniorage-Gewinne |
■ DZBG kann sich negativ auf die traditionellen Geschäftsbanken auswirken, da es eine Konkurrenz für die traditionellen Bankeinlagen darstellt ■ Risiken von Bank-Runs durch Flucht aus Giroeinlagen in DZBG in Krisensituationen ■ Skepsis bzgl. des Nutzens für den Verbraucher: Begrenzte Attraktivität als Zahlungsmittel aufgrund der geplanten Haltelinie (3.000 €), geringe Eignung als Wertaufbewahrungsmittel ■ Hohe Einführungs- und Betriebskosten für Finanzwirtschaft und Handel – Möglichkeit folgenschwerer regulatorischer Konstruktionsfehler ■ Befürchtungen der Verdrängung des physischen Bargelds ■ Keine Programmierbarkeit des digitalen Euro ■ Möglichkeit der staatlichen Überwachung von Zahlungsvorgängen ■ Finanzielle Ausgrenzung digitaler Laien ■ Unklare geldpolitische Effekte (insbesondere in der Transmission der Zinspolitik) ■ Disruptive Neustrukturierung des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs ■ Geoökonomische Neuverteilung von finanzwirtschaftlichen Knotenpunkten im internationalen Zahlungsverkehr |
Erstens ergeben sich im Zuge der Einführung des digitalen RMB aufgrund der Programmierbarkeit des e-CNY gänzlich neue Handlungsmöglichkeiten für Chinas Fiskal- und Geldpolitik. Beispielsweise kann die PBoC künftig Direktzahlungen an Haushalte und Unternehmen vornehmen und diese zeitlich, regional, verwendungsbezogen limitieren bzw. konditionieren. Auch die Geldpolitik erhält radikal neue Optionen für eine maßgeschneiderte Zins- und Geldmengensteuerung.
Zweitens werden Chinas Sicherheitsorgane in der Lage sein, die vorliegenden Zahlungstransaktionsdaten in Echtzeit einzusehen oder bedarfsweise zurückzuverfolgen. Für sie ergeben sich vollkommen neue Möglichkeiten der Überwachung, Strafverfolgung und Repression. Die Verknüpfung der Zahlungsdaten sowohl mit dem Bonitätssystem der PBoC als auch mit dem staatlichen Sozialkreditsystem kann Chinas Behörden dazu befähigen, menschliches Denken und Verhalten in einem Maße zu beeinflussen und zu steuern, das auf sehr beunruhigende Weise an George Orwells düstere Visionen erinnert.
Drittens wird angestrebt, in Zukunft mit DZBG grenzüberschreitende Überweisungen mittels Blockchain, »peer-to-peer«, in Echtzeit und unter Umgehung des bestehenden Banken- und Clearingsystems kostengünstig abzuwickeln. Die technologische Kompetenz und die praktischen Erfahrungen, über die China verfügt, bieten dem Land die Chance, bei der Entwicklung der Zahlungsverkehrsinfrastruktur und der dafür geltenden Standards eine führende Rolle einzunehmen. Auf verschiedenen Ebenen und mit unterschiedlichen Initiativen arbeitet China mit hohem Aufwand intensiv an der Interoperabilität zwischen in- und ausländischen Zahlungssystemen.
Viertens kann ein im internationalen Geschäftsverkehr einsatzfähiger digitaler RMB China und Drittländer in die Lage versetzen, westliche Finanzsanktionen einfacher zu umgehen. Bereits seit 2015 verfügt China mit CIPS (»Cross-Border Inter-Bank Payments System«) über eine eigene Plattform für das Clearing und Settlement im internationalen Zahlungsverkehr. Mit einem funktionierenden, auf China zentrierten digitalen Zahlungssystem könnten Überweisungen außerhalb westlicher Clearinghäuser und unter Umgehung des SWIFT-Systems künftig kostengünstig und einfach vonstattengehen. Ein Verstoß gegen einen Sanktionsbeschluss wäre nur noch schwierig festzustellen, geschweige denn nachzuweisen.
Das Projekt »Digitaler Euro«
Das Projekt zur Einführung eines digitalen Euro ist dem chinesischen Projekt sowohl in Bezug auf die Entwicklungsgeschwindigkeit als auch auf die Ambition unterlegen. Es wurde durch einen Beschluss des EZB-Rats im Juli 2021 ins Leben gerufen. Für die EZB geht es darum, die Rolle des Euro als maßgeblichen Referenzstandard und als jederzeit im Euroraum einlösbares Zahlungsversprechen zu erhalten. Der digitale Euro soll sicherstellen, dass die grenzüberschreitenden Transaktionen innerhalb der Währungsunion reibungslos, zuverlässig und zu niedrigen Kosten abgewickelt werden können. Auch 25 Jahre nach der Einführung des Euro ist der Zahlungsverkehr im Eurosystem noch immer fragmentiert und uneinheitlich. Im Bericht Enrico Lettas über die Zukunft des europäischen Binnenmarkts vom April 2024 wird darauf hingewiesen, dass digitales Geld in Europa ein wichtiges Element bei der Integration der europäischen Finanzarchitektur sein könnte. Im Binnenmarkt gibt es eine Vielfalt an Zahlungssystemen, was auf die große Anzahl von Kartenzahlungssystemen und die Abhängigkeit von US-Unternehmen in diesem Sektor zurückzuführen ist. Eine Verringerung dieser Abhängigkeit würde nicht nur finanzielle Vorteile mit sich bringen, sondern auch den Zahlungsverkehr sicherer machen, insbesondere angesichts der aktuellen politischen Lage in den USA und der Gefahr von Handelsstreitigkeiten mit der EU. Im November 2023 wurde seitens des Eurosystems die zweite Phase des Projekts gestartet, welche als Vorbereitungsphase definiert wurde. Diese umfasst die Fertigstellung eines Regelwerks für den digitalen Euro und die Auswahl von Anbietern zur Entwicklung der digitalen Euro-Plattform und -Infrastruktur. Das Zahlungsmittel könnte sowohl durch Anwendungen der Geschäftsbanken als auch durch eine vom Eurosystem entwickelte spezielle App für elektronische Geräte unterstützt werden, wobei auch Offline-Zahlungen möglich sein sollen.
Obgleich die Pläne vielversprechend sind, wird das DZBG-Projekt in der europäischen Ausgabe mit der gebotenen Vorsicht implementiert. Zunächst ist festzuhalten, dass Verbraucher über digitale Euro nur bis zu einer Haltelinie in Höhe von vermutlich 3.000 Euro verfügen können. Obwohl eine Erhöhung dieses Betrags zu einem späteren Zeitpunkt vorstellbar ist, wird diese Maßnahme dazu dienen, die Verwendung des digitalen Euro zunächst zu begrenzen. Gemäß den Plänen der EZB sind Zahlungen mit einem digitalen Euro nur mit einem entsprechenden Konto bei einer Geschäftsbank möglich. Die EZB will die Position der Geschäftsbanken im Kontext des Projekts nicht gefährden, um eine potentielle Abwanderung von Einlagen zur Zentralbank zu unterbinden.
Des Weiteren ist vorgesehen, dass der digitale Euro auf die 20 Länder der Währungsunion – zumindest vorerst – beschränkt bleibt. Der Verordnungsentwurf zur Einführung des digitalen Euro vom 28. Juni 2023 (COM(2023) 369 final) sieht einige Ausnahmen vor. Erstens wird es möglich sein, den digitalen Euro in EU-Staaten außerhalb des Euroraums zu verwenden, wenn die EZB und die nationale Zentralbank des jeweiligen Landes ein entsprechendes Abkommen unterzeichnen. Der Umfang dieser Verwendung wird jedoch begrenzt sein, damit die nationale Währung nicht de facto durch den digitalen Euro ersetzt wird, ohne dass das betreffende Land die Konvergenzkriterien erfüllt. Zweitens kann der digitale Euro in Drittländern vertrieben werden, aber nur, wenn die EU und das betreffende Drittland vorher ein Abkommen schließen. Die Verbreitung der digitalen Einheitswährung wäre auch in diesem Fall begrenzt.
Die Entwicklung der digitalen Euro-Währung hat eine Reihe von Kontroversen ausgelöst. Die Geschäftsbanken sind besorgt über die Konkurrenz für traditionelle Bankeinlagen, da die digitale Währung auf einem Zentralbankkonto als sicherere Einlage angesehen werden könnte. Auch wenn Europäer nur mit einem Konto bei einer Geschäftsbank auf den digitalen Euro werden zugreifen können, fürchten die europäischen Banken und Sparkassen um ihre Position im europäischen Finanzsystem.
Das DZBG-Projekt der Zentralbanken wird auch oft wegen seines erwarteten Mangels an Inklusivität kritisiert. Die Bedenken richten sich darauf, dass das elektronische Geld möglicherweise nur von einem kleinen, »digital affinen« Teil der Bevölkerung genutzt würde. Zuweilen wird auch behauptet, dass im Zuge der Einführung des digitalen Euro das Bargeld abgeschafft werde. Es gibt Befürchtungen, dass technokratische Institutionen, zu denen die Zentralbanken gehören, mit der Entwicklung digitaler Währungen die Bürgerinnen und Bürger überwachen und kontrollieren wollten. Viele populistische Kräfte in der EU stellen die Existenz von Währungen in Form von physischem Geld als Garantie für individuelle Freiheit dar. Sie schüren die Sorge vor einem Verlust der staatlichen Souveränität in puncto Geldpolitik und vor Nachteilen für die Privatsphäre eines jeden einzelnen.
Neben der Förderung des digitalen Euro-Projekts hat die Europäische Union auch Anstrengungen unternommen, um die Regulierung anderer digitaler Währungen, einschließlich Kryptowährungen und Stablecoins, im EU-Binnenmarkt voranzutreiben. Die Fähigkeit der EU, ihr eigenes regulatorisches Umfeld für digitale Vermögenswerte zu gestalten und dessen effektive Durchsetzung zu gewährleisten, wird die Stabilität des europäischen Finanzsystems stärken und damit die Autonomie und Unabhängigkeit der EU von anderen Rechtsordnungen erhöhen.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Im Vergleich zwischen China und Europa zeigen sich Gemeinsamkeiten, aber auch grundlegende Unterschiede. Gleichermaßen wird in China und in Europa die hoheitliche Souveränität im Geldwesen und im Zahlungsverkehr durch private Anbieter bedroht: in China durch die Plattformen Alipay und WeChat Pay, in der EU durch die Kreditkartenunternehmen Mastercard und Visa sowie die Plattformen Apple Pay und Google Pay. Sowohl in China als auch in Europa stehen die währungspolitischen Behörden vor der Aufgabe, eine zukunftsweisende, jedermann zugängliche und tragfähige Infrastruktur für den Zahlungsverkehr zu gewährleisten. Ähnlich sind auch Organisation und Design des neuen digitalen Zahlungsmittels. Sowohl in China als auch in Europa sollen die Emission des DZBG und die Kontenführung jeweils unter Einschaltung von Geschäftsbanken als Intermediäre erfolgen. Alle Formen von DZBG werden in Umlauf gebracht: retail, wholesale, wertebasiert und kontenbasiert. Auf beiden Seiten wird großer Wert auf Datensicherheit gelegt. Ein Offline-Einsatz soll möglich sein. Eine Haltelinie, bis zu der europäische Nutzer DZBG besitzen dürfen, gibt es in China indes nicht. Der wesentliche Design-Unterschied besteht jedoch im Datenschutz. In China wird jede Zahlungstransaktion zentral abgespeichert, ist für die Behörden einsehbar und kann mit anderen Datensystemen verknüpft werden. Für den digitalen Euro gelten hingegen die Vorgaben der EU-Datenschutzregeln, dass nämlich die Verfügungsgewalt über persönliche Daten beim individuellen Nutzer zu verbleiben habe. Die EZB wird die Daten weder einsehen noch abspeichern. Das Basisszenario der EZB sieht vor, dass die personenbezogenen Daten von Zahlungstransaktionen nur beim Intermediär, nicht aber bei den Zentralbanken anfallen. Darüber hinaus wird überlegt, bei der Zahlung geringerer Beträge und bei Offline-Transaktionen eine bargeldähnliche Anonymität zu gewährleisten.
Ein weiterer wichtiger Unterschied, der die unterschiedlichen Ambitionen des europäischen und des chinesischen Projekts widerspiegelt, ist, dass für den digitalen Euro keine Programmierbarkeit vorgesehen ist. In der EU bestanden Bedenken, dass die Programmierbarkeit die vollständige Konvertierbarkeit von digitaler und traditioneller Währung untergraben und den Schutz der persönlichen Daten der Nutzer:innen schwächen könnte. Dies schränkt nicht nur die Funktionalität des digitalen Euro in der Wirtschafts- und Währungspolitik ein, sondern mindert dessen Vorteile im Vergleich zu herkömmlichen elektronischen Banküberweisungen.
Bezogen auf die Implementierung ist natürlich der offensichtliche Unterschied, dass der digitale Yuan in der Entwicklung zur einsatzfähigen digitalen Währung im Vergleich zum digitalen Euro viel weiter fortgeschritten ist. Bereits heute kann der e‑CNY in China in großem Umfang verwendet werden, wenngleich Chinas Haushalte und Unternehmen weiterhin ihre Zahlungen überwiegend über die etablierten Plattformen von Alipay und WeChat abwickeln. Mit der frühzeitigen Einführung und praktischen Erprobung entwickelt China die Blockchain- und Distributed-Ledger-Technologien fort, setzt die technischen Standards, sammelt institutionelles Erfahrungswissen und gewinnt internationale Reputation. Bei der raschen Einführung des neuen digitalen Zahlungsmittels erweisen sich wieder einmal das autoritäre Regierungssystem und die zentralistischen Strukturen Chinas als Wettbewerbsvorteil. Es sollte aber auch nicht ausgeblendet werden, dass China als DZBG-Pionier politische Risiken eingeht, da Konstruktionsfehler im e-CNY zu finanziellen Verwerfungen führen können.
Die Ambitionen von Partei und Staat Chinas, die mit der Einführung von DZBG einhergehen, sind viel weitreichender als die der EU-Institutionen und der Mitgliedstaaten. Peking verfolgt mit dem e-CNY jenseits der Motivation, die nationale Währungshoheit zu schützen, industriepolitische, außenpolitische und sicherheitspolitische Ziele. Aus chinesischer Sicht ist das gegenwärtige System des internationalen Zahlungsverkehrs nicht nur ökonomisch kostspielig und ineffizient, sondern auch sicherheitspolitisch problematisch, da es Amerika, dem geostrategischen Rivalen, die Macht verleiht, Dritte auszuschließen. Mehrfach schon waren Personen und Unternehmen aus China, Hongkong und Macao Ziel amerikanischer Finanzsanktionen. Das digitale Zentralbankgeld bietet China nun die Chance auf einen disruptiven Neuanfang. Daher unternimmt die Volksrepublik erhebliche Anstrengungen, um Blockchain-basierte Zahlungsplattformen (»Universal Digital Payment Network«) aufzubauen und einen international interoperablen digitalen Zahlungsverkehr (»mBridge«) zu etablieren. Sollte es ihr tatsächlich gelingen, ein neues System des internationalen Zahlungsverkehrs auf Grundlage von interoperablem DZBG zu entwickeln, wäre dieses nicht mehr dollarzentriert. Die damit entstehenden Strukturen könnten in Zukunft neue Abhängigkeitsverhältnisse – nunmehr gegenüber China – konstituieren.
Während die Tragweite der chinesischen Ambitionen (wie schon oft in der Vergangenheit) im Ausland unterschätzt wird, mangelt es Europa seinerseits in Bezug auf den digitalen Euro an strategischer Klarheit und Weitsicht und an politischem Ehrgeiz. Kommission und EZB erhalten für ihre Pläne von der europäischen Politik nicht die unbedingt gebotene konstruktive Unterstützung. Stattdessen scheinen die betroffene Finanzindustrie, libertäre Kritiker und populistische Parteien die Diskussion zu bestimmen.
Ausblick
Es ist von essentieller Bedeutung, das Projekt des digitalen Euro zu verwirklichen, da es den Weg für die Etablierung einer paneuropäischen Zahlungsinfrastruktur ebnen wird. Zahlungsverkehr und Zahlungssysteme gehören zweifelsfrei zur kritischen Infrastruktur. Es ist problematisch, wenn der grenzüberschreitende Zahlungsverkehr im Eurosystem nur von außereuropäischen Zahlungsdienstleistern gemanagt wird und wenn außereuropäische Plattformen den elektronischen Einzelhandel in Europa dominieren, zugleich aber die Bargeldnutzung zunehmend an Bedeutung verliert. Zur Gewährleistung von Wettbewerb, Sicherheit, Resilienz und Zuverlässigkeit im Zahlungsverkehr ist die Einführung des digitalen Euro sinnvoll und notwendig, nicht zuletzt im Hinblick auf potentielle Krisensituationen.
Die Entwicklung des digitalen Euro ist jedoch von wesentlich größerer Tragweite als die bloße Harmonisierung der Zahlungssysteme. Der Euro ist einem Währungswettbewerb mit privaten und staatlichen Akteuren ausgesetzt. Die Hoheitsgewalt über den Zahlungsverkehr ist eine unabdingbare Voraussetzung für den Schutz der Souveränität. Die Möglichkeit, auf die Regieführung des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs einzuwirken, ist ein Machtfaktor in den internationalen Beziehungen. Notwendig ist daher eine geoökonomische Reflexion über die Position der EU im Hinblick auf die Entwicklung und Sicherheit ihrer digitalen Finanzarchitektur im Vergleich zu ihren Konkurrenten. Das europäische Projekt der digitalen Währung kann nur dann erfolgreich sein, wenn die EU ein ähnlich hohes Maß an Ehrgeiz an den Tag legt, wie es derzeit in China zu beobachten ist.
Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass à la longue auch potentielle Nutzer, die in Ländern außerhalb der Eurozone oder des EU-Binnenmarkts tätig sind, Zugang zum digitalen Euro erhalten. In diesem Kontext könnte das Projekt eine wichtige Rolle für die weitere Internationalisierung der Einheitswährung spielen.
Allerdings werden die Beschränkungen für die Entwicklung einer europäischen DZBG-Version auch im EU-Binnenmarkt noch viele Jahre bestehen bleiben. Hauptursache dafür ist das in vielen Ländern –vor allem auch in Deutschland – beharrliche mangelnde Vertrauen in digitales Geld und elektronische Zahlungen. Die Digitalisierung des Geldes ist ein vielschichtiger Prozess, der sich nicht auf Experimente mit Währungen oder Zahlungssystemen beschränkt. Der Prozess muss zudem inklusiv sein, das heißt, es muss sichergestellt werden, dass möglichst viele Menschen Zugang zum digitalen Euro erhalten und an den potentiellen Vorteilen teilhaben können. Dazu zählt auch die Vermittlung von Wissen über die Funktionsweise des Finanzsystems, die Risiken der Spekulation mit digitalen Vermögenswerten und die Sicherheit von Online- und Offline-Zahlungen.
Tatsächlich stellt Europa die einzige Jurisdiktion mit einem so starken Schutz von persönlichen Daten und Verbraucherrechten dar, was in Zukunft ein entscheidender Vorteil gegenüber konkurrierenden Projekten wie dem digitalen Yuan sein könnte. Voraussetzung dafür ist, dass die Entwicklung des digitalen Euro beschleunigt und die Ambitionen des Projekts erhöht werden. Dies sollte bei der Diskussion über die Wettbewerbsfähigkeit in der EU stärker beachtet werden.
Dr. Hanns Günther Hilpert ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Asien, Dr. Paweł Tokarski ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa.
Dieses SWP-Aktuell wurde verfasst im Rahmen der SWP-Themenlinie »Wirtschaftliche und technologische Transformationen«.
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DOI: 10.18449/2024A51