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Brexit: Verhärtung der Fronten in Großbritannien

Nach dem angekündigten Rücktritt von Theresa May wird sich Großbritannien im Brexit-Prozess weiter mit sich selbst beschäftigen. Mays Nachfolger oder Nachfolgerin wird auf Konfrontation mit der EU gehen. Diese sollte sich davon nicht beirren lassen, meint Nicolai von Ondarza.

Kurz gesagt, 29.05.2019 Forschungsgebiete

Nach dem angekündigten Rücktritt von Theresa May wird sich Großbritannien im Brexit-Prozess weiter mit sich selbst beschäftigen. Mays Nachfolger oder Nachfolgerin wird auf Konfrontation mit der EU gehen. Diese sollte sich davon nicht beirren lassen, meint Nicolai von Ondarza.

Es war ein lange überfälliger Abschied. Inmitten der Europawahlen kündigte Theresa May an, am 7. Juni als Parteichefin der Konservativen abzutreten. Wenn die Parteibasis ihren Nachfolger bzw. ihre Nachfolgerin bestimmt hat, will sie auch das Amt der Premierministerin übergeben. Fast drei Jahre nach dem Austrittsvotum hat der Brexit die britische Politik fast vollständig lahmgelegt. Dreimal hat das Parlament den von Theresa May mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag abgelehnt, sich gleichzeitig aber entschieden gegen einen ungeordneten No-Deal-Brexit ausgesprochen. Alle anderen Varianten – Verbleib in der EU, einen weicheren Brexit mit Zollunion und/oder Binnenmarktbeteiligung oder ein zweites Referendum – haben ebenfalls keine Mehrheit im Unterhaus. Worauf muss sich die EU nun einstellen?

 

Nach dem Stillstand kommt die Konfrontation

Als die EU im April dieses Jahres mit der britischen Regierung eine Verlängerung des Austrittsprozesses bis zum 31. Oktober 2019 vereinbarte, warnte EU-Ratspräsident Tusk noch: »Please do not waste this time«. Stattdessen verbrachte May die ersten Wochen mit erfolglosen Verhandlungen mit der oppositionellen Labour-Partei und dem Versuch, dem Parlament ihr Austrittsabkommen ohne substantielle Änderungen ein viertes Mal vorzulegen. Während die EU bis heute am vorliegenden Vertrag festhält, gilt er in Großbritannien als gescheitert. Die meisten Brexit-Befürworter halten die von May gemachten Kompromisse für Verrat.

Nach Mays Rücktritt ist erneut mit einem langwierigen internen Prozess zu rechnen. Bis Ende Juli wollen sich die Konservativen Zeit nehmen, die Nachfolge bei der Parteiführung zu bestimmen; angesichts der Parlamentspause wird die neue Regierung frühestens im September handlungsfähig sein. Nach den Regeln der Konservativen Partei wählen deren Abgeordnete aus allen innerparteilichen Bewerbern zunächst zwei Kandidaten aus. Die letzte Entscheidung haben die etwa 160 000 Mitglieder der Partei, und diese haben sich im Laufe des Brexit-Prozesses in Bezug auf die EU zunehmend radikalisiert. Während die Partei vor dem Referendum 2016 in EU-Fragen noch gespalten war, sprachen sich in der jüngsten YouGov-Umfrage mittlerweile 81 Prozent der Tory-Mitglieder für den Brexit aus. Wichtiger noch ist, dass nur 27 Prozent von ihnen Theresa Mays Austrittsabkommen für akzeptabel halten. Die überwältigende Mehrheit von 66 Prozent hingegen will einen möglichst raschen No-Deal-Brexit. Der Erfolg der Brexit Party von Nigel Farage und der Absturz der Konservativen bei den Europawahlen hat diese Dynamik noch einmal verstärkt.

Kurzum: Unter dem Druck der Brexit Party und mit Blick auf die konservativen Mitglieder werden sich die Bewerber und Bewerberinnen um die Nachfolge von Theresa May mit steilen Forderungen überbieten. Boris Johnson, der parteiinterne Favorit, hat am Tag von Mays Rücktritt bereits die Richtung vorgegeben: Mit ihm werde Großbritannien den Deal neu aushandeln oder die EU ohne Einigung am 31. Oktober verlassen. Die EU-27 müssen sich insofern auf die nächste Konfrontation im Brexit-Prozess einstellen.

 

Die Blockade im Parlament bleibt bestehen

Ein Hardliner als Premier dürfte jedoch durch die politische Blockade im Parlament ausgebremst werden. Zur Erinnerung: Theresa May hat auch deshalb so viele Abstimmungen verloren, weil sie eine Minderheitsregierung anführt. Selbst mit ihrem Mehrheitsbeschaffer, der nordirischen DUP – die das vorliegende Austrittsabkommen fundamental ablehnt – reichen nach jüngsten Parteiaustritten bereits drei Abweichler, um die Mehrheit der Konservativen zu kippen. Die einzige klare Mehrheit in den zahlreichen Brexit-Abstimmungen war die durchgehende Ablehnung eines No-Deal-Brexits. Hier sind jeweils auch zahlreiche konservative Abgeordnete mitgegangen, selbst wenn sie dafür gegen die Regierung stimmen und zum Teil sogar von Ministerämtern zurücktreten mussten.

Diese Blockadesituation wird sich ohne Neuwahlen mit einem Premier, der sich klar zu einem No-Deal-Brexit bekennt, noch weiter zuspitzen. Mit einer Regierungsmehrheit dürfte in dieser Situation nicht mehr zu rechnen sein. Zwar folgt ein ungeordneter No-Deal-Brexit gemäß Art. 50 EUV automatisch, falls sich die EU und Großbritannien weder über einen Austrittsvertrag noch über eine erneute Verlängerung einigen. Hierfür braucht Mays Nachfolger bzw. Nachfolgerin keine aktive Parlamentsmehrheit. Doch Unterhaus-Sprecher John Bercow hat bereits angekündigt, dem Parlament in jedem Fall eine Gelegenheit geben zu wollen, einen No-Deal-Brexit zu verhindern. Die oppositionelle Labour, die bei der Europawahl ebenfalls katastrophal abgeschnitten, aber ihre Wähler vor allem an die pro-europäischen Liberaldemokraten verloren hat, ringt sich nun endgültig zur Unterstützung eines zweiten Referendums durch. Mit einem neuen konservativen Premier wird Labour daher auf volle Konfrontation gehen. Damit sind die Fronten verhärteter als zuvor, weitere Grabenkämpfe programmiert.

 

Die EU sollte mit stoischer Geduld reagieren

In diesen Grabenkämpfen gewinnen die Befürworter der extremen Auswege aus dem Brexit-Prozess – No-Deal-Brexit oder No-Brexit über ein zweites Referendum – in ihren jeweiligen Lagern die Oberhand. Die Mittellösung, der geregelte Austritt mit Abkommen, hat kaum öffentliche Unterstützer. Anstelle einer Kompromisslösung ist daher zu erwarten, dass sich die politische Krise des Landes bis zur nächsten Brexit-Deadline im Oktober 2019 vergrößern wird. Versprechungen von konservativen Kandidaten wie Boris Johnson zum Trotz wird Großbritannien bis dahin weder einen geregelten Weg aus der EU finden noch für einen No-Deal-Brexit bereit sein. Die EU kann auf diese britische Krise von außen nur begrenzt einwirken und sollte daher mit stoischer Geduld reagieren: Indem sie sich weiter auf einen potentiellen No-Deal-Brexit vorbereitet, sich nicht von ihren wichtigen Richtungsentscheidungen ablenken lässt, an den zentralen Elementen des Austrittsabkommens festhält und im Rahmen europäischer Interessen gesprächsbereit bleibt. Das sollte auch die Bereitschaft zu einer weiteren Verschiebung des Brexit-Termins nicht ausschließen, um die Auflösung der politischen Krise in Großbritannien über Neuwahlen und/oder ein zweites Referendum zu ermöglichen.