Internationale Beratungsfirmen spielen im öffentlichen Sektor der arabischen Welt eine bedeutende Rolle, und sie weiten ihre dortige Tätigkeit massiv aus. So haben Consultancies etwa die saudische »Vision 2030« und ein Jahrzehnt zuvor Marokkos »Grüne Agenda« mitentworfen. Aktuell wächst ihr Einfluss auf staatliche Energie- und Klimastrategien. In der Regel geschieht dies ohne öffentliche Einflussnahme vor Ort. Dies mindert Legitimität und Qualität der erarbeiteten Politiken und unterminiert die lokale Entwicklung. Jenseits der Folgen für die Länder selbst tangieren die internationalen Beratungen auch deutsche und europäische Interessen, selbst wenn die Firmen durch hiesige Akteure oder internationale Organisationen beauftragt werden. Um negative Effekte zu vermeiden, bräuchte es mehr Kenntnisse und Transparenz zu den Aktivitäten der Consultancies. Kritisch zu hinterfragen gilt, ob, wann und in welchem Maße es sinnvoll ist, internationale Beratungsfirmen zu mandatieren.
Eine lebendige Gesellschaft, eine blühende Wirtschaft und eine ehrgeizige Nation – dies sind die drei Kernziele von Saudi-Arabiens »Vision 2030«, die 2016 beschlossen wurde und eine holistische Transformation des Landes vorsieht. Ähnlich wie schon bei Bahrains »Economic Vision 2030« oder dem marokkanischen »Plan Maroc Vert«, beide von 2008, stammt der Plan jedoch nicht (allein) aus lokaler Feder, sondern wurde vom Consulting-Giganten McKinsey mitentworfen. Solche Consultancies sind profitorientierte, global agierende und dabei stets aus dem Westen stammende Beratungsunternehmen. Unter anderem erhalten sie Mandate von öffentlichen Entscheidungsträgern, etwa für Entwurf, Umsetzung und Evaluation von Reformen. Zu diesen Firmen gehören klassische Vertreter wie McKinsey, Booz Allen Hamilton und die Boston Consulting Group (BCG), aber auch die inzwischen breiter beratenden – »Big Four« genannten – Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Deloitte, Ernst & Young, KPMG und PwC.
Der Einsatz von Consultancies ist auch anderswo üblich, nimmt in der arabischen Welt jedoch eine einzigartige Stellung ein. Die Projektvolumen sind gigantisch: So war Saudi-Arabien bis vor kurzem der weltweit größte Klient von BCG; zuletzt waren die dortigen Ausgaben für Beratungsdienstleistungen binnen eines Jahres um stolze 17,5 Prozent auf nahezu 2 Milliarden Euro jährlich gewachsen. Und auch wenn finanziell schwächere Staaten wie Marokko, Jordanien oder Ägypten die Consultancies anders als die wohlhabenden Golfstaaten eher punktuell nutzen, reichen entsprechende Mandate in öffentlichen Sektoren der arabischen Welt meist deutlich weiter als andernorts, was ihre Tiefe, Breite und Institutionalisierung angeht. Bei den erwähnten nationalen Visionen etwa stellen Berater grundlegende Weichen für die Zukunft des betreffenden Staates. Und ihre Tätigkeit geht über bloße Strategieentwicklung hinaus. So war BCG exklusiver Berater Ägyptens für die Ausrichtung der 27. Weltklimakonferenz, feilt am Sozialversicherungssystem Marokkos mit und spielt eine maßgebliche Rolle bei Saudi-Arabiens 700 Milliarden Euro schwerem Staatsfonds.
Dieses Engagement ist nicht nur teuer. Es geht auch auf Kosten von Legitimität und Qualität der Politiken, und es behindert auf mehreren Ebenen die lokale Entwicklung. Für Deutschland und Europa haben die Aktivitäten der Consultancies ebenfalls Implikationen. Diese mischen wenig transparent und ohne Rechenschaftspflicht in Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik mit, bis hinein in den Verteidigungssektor. Beispielsweise sind mehr als 20 westliche Beraterfirmen – darunter PwC, Ernst & Young und McKinsey – Hauptakteure in der Cybersecurity-Szene der Golfstaaten, und die mittlerweile an einen Konkurrenten verkaufte Nahostsparte von Booz Allen Hamilton hat die saudische Marine unterstützt.
Ursprünge, Motivation, Muster
Die Wurzeln externer Politikgestaltung in der Region reichen bis zur Kolonialzeit zurück. 1926 setzte die britische Krone im Zuge der indirect rule in Bahrain einen »Berater« ein, der als De-facto-Herrscher das Land weitgehend nach Belieben gestaltete. Dieses System wurde in nachfolgenden Jahrzehnten – mit ungleichem Ausmaß und Erfolg – auf benachbarte Staaten übertragen. In das nie formal kolonialisierte Saudi-Arabien gelangten Berater 1957 per Mandat des Internationalen Währungsfonds; gut ein Jahrzehnt später wurde der erste Entwicklungsplan des Königreichs von einem Team amerikanischer Experten konzipiert, die unter anderem von der Stanford-Universität kamen. Moderne Consultancies folgten bald; so gibt etwa PwC an, seit mehr als 40 Jahren in der Region tätig zu sein. Heute bewegen sich Consultancies, lokale Eliten und Herrscher sowie staatliche Akteure aus dem Westen in einem fluiden und dynamischen Geflecht von Interessen und Abhängigkeiten.
Motivation der Consultancies
Für die Beratungsfirmen steht der eigene Profit im Vordergrund. Um Aufträge zu erlangen, gehen sie strategisch auf empfängliche Regierungsangehörige zu. So hat McKinsey in den 2000er Jahren neben seinem Einsatz für Bahrain und Saudi-Arabien gezielt Herrschersöhne in Jemen und Libyen umgarnt, die in entsprechenden Reformagenden eine Chance sahen, sich für ihre baldige »Thronfolge« zu profilieren. In Marokko wurden Consultancies für den »Plan Maroc Vert« und die Sozialversicherungsstrategie des aktuellen Premiers und ehemaligen Agrarministers eingebunden, bei dem es sich um einen der reichsten Geschäftsmänner des Landes mit Nähe zum König handelt.
Doch die Unternehmen arbeiten nicht nur kurzfristig Konzepte, Strategien und Gesetze aus. Mit der Durchführung, Überwachung und Evaluation von Projekten gewinnen sie so viel Einfluss, dass sie sich als semistaatlicher Akteur institutionalisieren. So haben saudische Beamte dem Ministerium für Wirtschaft und Planung zwischenzeitlich den Spitznamen »McKinsey-Ministerium« verpasst. Teilweise kommt es sogar zur Schaffung neuer staatlicher Institutionen bzw. zur Verdrängung bestehender. So wurde die Bechtel Corporation – das größte Bau- und Anlagenbau-Unternehmen der USA mit engen Kontakten zur saudischen Königsfamilie – beauftragt, in der Golfmonarchie eine nationale Organisation für Projektmanagement (Mashroat) zu etablieren und zu betreiben. Diese verwaltet ressortübergreifend Kapitalausgaben für Infrastrukturprojekte im Rahmen des Nationalen Transformationsprogramms.
Motivation lokaler Stakeholder
Dass Macht dergestalt zentralisiert und auf andere Ebenen verschoben wird, ist symptomatisch für das Wirken der Consultancies. Dieses Vorgehen stößt häufig auf Abneigung bei mittleren Führungskräften der betreffenden Länder sowie lokalen Akteuren und Eliten, die sich übergangen fühlen. Umgekehrt ist die Mandatierung von Consultancies eine Chance für aufstrebende Stakeholder vor Ort, die meist jünger, im Westen ausgebildet und (wirtschafts-)liberal ausgerichtet sind. Von dieser Seite wird der Einsatz von Beratungsfirmen vielfach aktiv vorangetrieben – um wirtschaftliche und soziokulturelle Reformagenden durchzusetzen, aber auch um selbst an Einfluss zu gewinnen. Wie Consultancies berichten, sind ihre Auftraggeber und Ansprechpartner in der Region oft selbst ehemalige Mitarbeiter multinationaler Konzerne oder Absolventen namhafter westlicher MBA-Programme. Es wäre daher falsch zu glauben, dass die Unternehmen ihre Politiken den betreffenden Ländern »aufzwingen« würden; vielmehr finden sie dort auch Unterstützung.
Motivation der Regierenden
Herrscher in der arabischen Welt nutzen Consultingfirmen aus mehreren Gründen. Meist messen sie »importiertem Wissen« mehr Prestige zu als lokalem. Dieser Bias ist ein koloniales Erbe – arabische Entscheidungsträger verbinden Fortschritt und Modernisierung nach wie vor mit externem Know-how. Begründet wird der Einsatz von Beratern gemeinhin mit einem Mangel an Personal oder Expertise. Dies steht aber in gewissem Widerspruch zu Realitäten in der Region. Die Arbeitslosigkeit wächst dort auch unter Hochqualifizierten, am Golf wird eine Nationalisierung des Arbeitsmarktes angestrebt, und von Oman bis Marokko gibt es zunehmend hervorragende lokale Institutionen und Fachleute, die Strategien für öffentliche Sektoren erarbeiten können. Dennoch wird solche Expertise von den eigenen Regierungen meist erst dann ernst genommen, wenn Consultingfirmen sie aufgreifen. Selbst aus der Region stammende Experten und Wissenschaftler, die im Ausland ansässig sind, beklagen sich darüber, dass sie im Gegensatz zu den großen Beraterfirmen ihre Expertise nur pro bono und mit geringerem Gewicht einbringen können.
Auch gelten westliche Consultancies bei den Herrschern grundsätzlich als »neutral«. Regionale Beratungsinstitutionen und Fachleute leiden unter der im arabischen Raum omnipräsenten Politisierung von Wirtschaft und Wissenschaft. Ihnen werden nationale Agenden unterstellt, denn auch Wissenschaftler und private Akteure werden als politische Vertreter ihres Landes wahrgenommen. Vor allem aber nutzen Herrscher die externen Kräfte (in klassischer betriebswirtschaftlicher Logik), um Widerstände zu überwinden. So können sie kontroverse Maßnahmen durchsetzen, etwa umfassende Wirtschafts- und Gesellschaftstransformationen oder Verwaltungsreformen.
Besonders reizvoll für die Herrscher ist, dass Consultancies quasi unsichtbar arbeiten. Vorgaben, Kosten sowie lokale Informationen, die berücksichtigt werden – all das entzieht sich weitgehend der Öffentlichkeit. Auftraggeber können so Prozesse und Daten verschleiern (sogar gegenüber eigenen Regierungsmitgliedern), die Mitsprache auf ein Minimum beschränken und Einmischung in »innere Angelegenheiten« vermeiden. Vor allem Letzteres macht Beratungsfirmen für arabische Machthaber attraktiver als staatlich finanzierte westliche Entwicklungsagenturen wie die United States Agency for International Development (USAID), die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) oder die politischen Stiftungen der Bundesrepublik, die Ziele wie Demokratieförderung verfolgen. Den Consultancies lässt sich das Mandat vorgeben, und bei ihnen befürchten die Machthaber weder normative Agenden noch politische Konditionierung.
Anreize durch externe Akteure
Es sind aber auch internationale Institutionen und westliche Regierungen, die direkt oder indirekt Anreize für den vermehrten Einsatz von Consultancies in der Region setzen. Sie sehen Beraterfirmen als neutrale oder sogar gleichgesinnte Akteure, die nach westlichen Vorstellungen agieren, nicht in lokale Vetternwirtschaft involviert sind und keiner politischen Agenda folgen. Geberinstitutionen legen im Interesse von vermeintlicher Objektivität einen Fokus auf quantitative (etwa ökonometrische) Arbeit. Der Trend, internationale Entwicklung auf allen Ebenen zu »messen«, wurde insbesondere durch die Nachhaltigen Entwicklungsziele der UN angeheizt, ungeachtet der teils begrenzten Aussagekraft genutzter Größen. Internationale Beraterfirmen können diese Anforderungen häufig besser bedienen als staatlich geförderte Entwicklungsakteure.
Generell genießen von Consultancies erarbeitete Pläne hohe internationale Glaubwürdigkeit. So erhöht der Einsatz dieser Firmen die Chancen für externe Reformfinanzierung, aber ebenso die Bonität der Staaten, was wiederum die Kosten öffentlicher Schulden verringert. Es werden also finanzielle Anreize gesetzt.
Westliche Entwicklungsagenturen und internationale Organisationen greifen auch direkt auf den Rat von Consultancies zurück, wie viele Beispiele zeigen. So kooperiert etwa die GIZ in Tunesien mit Deloitte, um die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt zu erhöhen; USAID finanzierte, ebenfalls in Tunesien, PwC zur Erarbeitung von Fiskalreformen, und auch in Jordanien bekommen Consultancies häufig Aufträge von westlichen Entwicklungsagenturen. Nicht zuletzt um die Wirtschaftlichkeit staatlich finanzierter Entwicklungsprojekte zu evaluieren, ziehen Geberländer Beratungsfirmen hinzu, etwa im Jemen, wo externe Akteure seit Kriegsbeginn neben Wirtschaftsprüfung häufig auch Projektmonitoring übernehmen.
Folgen für die Region
Der Einsatz internationaler Beratungsfirmen kann durchaus sinnvoll sein, etwa wenn tatsächlich lokales Know-how fehlt, dysfunktionale Strukturen überwunden werden müssen oder Entwicklungsagenturen nicht auf dem notwendigen technologischen Stand sind. Zugleich birgt es signifikante Risiken, dass externe Consultancies öffentliche Politiken erarbeiten. Für andere Weltregionen und einzelne Politikfelder ist dies zunehmend erforscht (und wird kritisiert, etwa jüngst im Kontext des Afrikanischen Klimagipfels). Für die arabische Welt gilt das allerdings eher weniger – nicht zuletzt, weil entsprechende Informationen nur eingeschränkt zugänglich sind.
Interviews mit Wissenschaftlern, Beamten und (ehemaligen) Beratern zeigen indes eine Reihe von Problemen auf, die mit der Beschäftigung von Consultancies in öffentlichen Sektoren einhergehen. Sie reichen von mangelnder Legitimität der betreffenden Politiken über fragwürdige Qualität bis hin zu Entwicklungshemmnissen.
Fehlende Legitimität
Um flexibel und schnell Ergebnisse zu produzieren, arbeiten Consultancies in kleinen Teams mit privilegiertem Zugang zu jeweils relevanten Akteuren. Die Experten, oft eingeflogen, verrichten ihre Tätigkeit unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle. Lokale Akteure in Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft werden nur punktuell und im Ermessen der Berater konsultiert, öffentliche Debatten sind nicht vorgesehen.
Das führt zu Defiziten bei Legitimität und Ownership. Die Partizipation an politischen Prozessen und öffentlichen Vorhaben ist in der Region ohnehin stark eingeschränkt. Consultancies umgehen jedoch zusätzlich Institutionen. Zum einen belastet das die – auch in Autokratien wichtige – Legitimation des Staates, selbst wenn hier der Erfolg der Politik mehr zählt als die Frage, wer sie erstellt hat. Zum anderen erschwert der Mangel an Ownership die Umsetzung, gerade in größeren Transformationsprozessen: Wenn sich Verwaltungen und Bevölkerung damit nicht identifizieren, besteht ein Compliance-Problem. Dies zeigt etwa der Versuch der RAND Corporation, Katars primären und sekundären Bildungssektor zu reformieren, eines der meiststudierten Beispiele für fehlgeschlagene Beratereinsätze. Nach einem Jahrzehnt musste die Reform infolge von Kritik und mangelhaften Ergebnissen weitgehend revidiert werden. Als Grund gilt unter anderem die unzureichende Partizipation von Lehrkräften in der Transformation.
Mangelnde Beratungsqualität
Für Beratungsfirmen besteht ein grundlegendes Dilemma. Sie müssen ihre Klienten zufriedenstellen, um Folgeaufträge zu bekommen – während die Klienten in der Region jedoch häufig nur Resultate möchten, die ihr Handeln nicht grundlegend in Frage stellen, sondern eine allgemeine Stoßrichtung bestätigen. Dies schränkt das Spektrum an Empfehlungen ein.
Überdies beklagen lokale Offizielle wie auch Wissenschaftler oftmals die mangelnde Qualität der Beratungsdienstleistungen. Dies betrifft unter anderem wenig plausible Ratschläge, banale Power-Point-Präsentationen als Endprodukt, Inkonsistenzen in Berichten oder gar grobe Fehler im Umgang mit Zahlen und Sachverhalten. In Marokko machten Ökonomen 2011 massive Kritik am »Plan Maroc Vert« öffentlich, den McKinsey federführend erarbeitet hatte. Dies führte dazu, dass die öffentliche Auftragsvergabe an Consultancies tendenziell nicht mehr kommuniziert wurde, obwohl sie auch in den Jahren danach breit zum Einsatz kamen. In den Golfstaaten haben Beamte moniert, dass einige der Berichte in Teilen oder zur Gänze wörtliche Kopien aus Deliverables für andere Staaten sind – mitunter wurde sogar vergessen, den Landesnamen anzupassen.
Die negativen Folgen dieser Copy-Paste-Beratung zeigen sich eindrucksvoll. Empfehlungen weichen nur selten von bekannten Leitmotiven ab, auch weil die weitgehend homogene Consulting-Industrie zum Groupthink neigt. Agenden und Reformen drehen sich meist um Privatisierung, Liberalisierung und das »Modell Dubai«, obwohl Letzteres (bzw. infrastrukturgetriebenes Wachstum allgemein) in der Literatur kritisch betrachtet wird und eine unbedachte Privatisierung vorhandene Oligopolstrukturen wachstumsfeindlich stärkt. Fallen industriepolitische Empfehlungen stets identisch aus, etwa zugunsten von Tourismus oder IT, so ist die Folge, dass arabische Länder sich nicht gemäß nationalen Unterschieden und komparativen Vorteilen spezialisieren, sondern erbittert um neue Sektoren konkurrieren. Dieser ruinöse Wettbewerb ist nicht nur teuer, sondern gefährdet auch wichtige Vorhaben zur Diversifizierung in Richtung ölferner Bereiche.
Ohnehin zeugen die Empfehlungen der Consultancies oftmals von mangelndem Kontextwissen und fehlender Sensibilität für soziale, kulturelle und politische Zusammenhänge. Lösungen orientieren sich an vermuteten »best practices«, welche für die Region schlicht übernommen werden. So sollte im Fall der katarischen Bildungsreform das nach dortigem Staatsverständnis abwegige US-Konzept von teilprivatisierten Charter Schools imitiert werden. Dabei wurde »vergessen«, dass weibliche Lehrkräfte häufig nur in geschlechtergetrennten öffentlichen Schulen unterrichten wollten. Ein anderes banales Beispiel sind Empfehlungen zum Thema Energieeffizienz, die Beratungsfirmen unabhängig voneinander Offiziellen in Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten gaben. Dort hieß es, dass Klimaanlagen ruhig heruntergeregelt werden könnten und sich die Bevölkerung dann schlicht freizügiger kleiden solle – entgegen jeder religiösen und sozialen Konvention der Länder.
In der Vergangenheit wurden die Berater fast ausschließlich eingeflogen und verfügten kaum über Regionalkompetenz oder Interesse für lokale Gesellschaften. In jüngerer Zeit rekrutieren Consultingfirmen, auch auf Verlangen der Mandatsgeber, für ihre regionalen Büros primär Personen aus der Region. Damit hat eine partielle Verschiebung von westlichen Akteuren hin zu lokalen Eliten stattgefunden – und zumindest vordergründig eine Arabisierung der Unternehmen. Fehlende soziale Diversität und maskierter Kolonialismus verbleiben jedoch, denn Berater aus der Region entstammen meist privilegierten, urbanen Verhältnissen und sollten westliche Eliteuniversitäten absolviert haben. Damit dürften Sichtweisen weniger privilegierter sowie konservativerer Bevölkerungsteile im Land weiterhin unberücksichtigt bleiben. Consultancies drohen so die bestehende Kluft zwischen modernem, globalisiertem Zentrum und ruraler, »rückständiger« Peripherie zu reproduzieren.
Hemmnisse für Entwicklung
Mangelhafte Beratungsqualität kann sich auf die langfristige Entwicklung eines Landes auswirken. Vor allem wenn – wie beschrieben – industriepolitische Weichen falsch gestellt werden oder Reformen inkompatibel mit der lokalen Arbeitskultur sind, ist die Entwicklung nachhaltig gefährdet. Doch auch darüber hinaus schafft es Risiken für die arabischen Länder, wenn sie Consultancies mandatieren.
Ein Entwicklungshemmnis stellen bereits die enormen Kosten für die Berater dar, vor allem in Staaten mit begrenzter Liquidität. Und inwieweit lokal generierte Gewinne versteuert werden, ist offen. Die marokkanische Presse berichtete 2022, das lokale McKinsey-Büro habe trotz Einnahmen von rund 27 Millionen Euro keine Steuern bezahlt. Überdies äußern einige Mandatsgeber am Golf die Vermutung, es komme zu Preisabsprachen unter den Consultancies.
Gemäß dem Imperativ, sich möglichst große und langfristige Aufträge zu sichern, müssen die Firmen ihre Klienten zufriedenstellen und dafür auch enge Beziehungen zu ihnen aufbauen. Je enger die Kooperation, desto schwieriger ist es für Consultancies, redlich zu bleiben – sprich Dynamiken von Vetternwirtschaft und Korruption nicht (ungewollt) zu verstärken. Diese Gefahr, wie sie generell im Umweltbereich von Subsahara-Afrika besteht, offenbarte etwa der Einsatz von McKinsey in Südafrika.
Folgenreich für die Entwicklung ist auch die Tatsache, dass Consultancies dazu neigen, für den Auftraggeber unbequeme oder irrelevante Akteure auszuschließen. Damit konterkarieren sie nicht nur Anstrengungen westlicher staatlicher Entwicklungsagenturen zu breiterer Inklusion in Entwicklungsprozessen. Vielmehr tragen sie zu Machtkonsolidierung und Zentralisierung bei und klammern so lokale Perspektiven und möglicherweise wichtige Korrektive aus.
Besonders schwerwiegend ist das Problem von Braindrain und einer ausbleibenden Stärkung lokaler Kapazitäten. Wenn »indigenous knowledge« strukturell vernachlässigt wird und keine Wertschätzung erfährt, trägt dies dazu bei, dass Barrieren zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft auf der einen sowie Verwaltung und Politik auf der anderen Seite bestehen bleiben. Import, Monopolisierung und Privatisierung von Wissen sind für Braindrain mitverantwortlich. Fachleute wandern ins Ausland ab, wo ihre Expertise gefragt ist bzw. sie nicht nur als Zulieferer von Einzeldaten oder als Wegbereiter für Empfehlungen der Consultancies dienen. Andererseits sorgt externe Beschaffung von Expertise dafür, dass sich lokale Kräfte nicht weiterbilden. Es entsteht ein Teufelskreis der Abhängigkeit von Consultancies, denn der fehlende Kapazitätsausbau vor Ort liefert Entscheidungsträgern wiederum eine Rechtfertigung dafür, auf Potentiale von außen zurückzugreifen.
Allerdings zeigen sich hier durchaus Unterschiede in der Region. Dass in Marokko Beratungsfirmen im öffentlichen Bereich nicht flächendeckend tätig sind, liegt nicht nur an begrenzten Finanzressourcen, sondern auch den Bestrebungen des Palastes, nachhaltig eigene Kapazitäten aufzubauen. Das 2021 vorgestellte »Neue Entwicklungsmodell« des Landes ist bewusst nur von marokkanischen Akteuren erarbeitet worden. In Saudi-Arabien wurden Behörden 2019 angewiesen, verstärkt inländische Beraterfirmen zu engagieren. Und in Algerien haben die als neoliberal geltenden westlichen Consultancies ohnehin einen schweren Stand, weil sie dort auf eine etatistische Wirtschaftslogik und antikoloniale Reflexe treffen. 2022 sprach die algerische Regierung temporäre Betätigungsverbote gegen drei Firmen der »Big Four« aus und leitete Ermittlungsverfahren ein – laut Beobachtern ein politischer Schritt zum Schutz des lokalen Beratermarktes.
Fazit: Bewusstsein schärfen und Einsätze überprüfen
Unter dem Mandat wohlwollender Entscheidungsträger können Beraterfirmen in der arabischen Welt durchaus helfen, neues Wissen zu vermitteln oder korrupte Strukturen zu umgehen. Letztlich sind es die jeweiligen Regierungen, die sie beauftragen und die Entwicklung der Länder verantworten. Consultancies reagieren bloß auf das politische Ökosystem. Zudem betreffen viele der genannten Problemaspekte ebenso staatliche Entwicklungsagenturen und internationale Organisationen. Auch sie sind nicht davor gefeit, unwillentlich Abhängigkeiten zu schaffen und fahrlässige Empfehlungen zu geben.
Der Unterschied ist, dass sich Consultancies in der arabischen Welt weitgehend unter dem öffentlichen Radar bewegen können und profitorientiert arbeiten müssen. Zudem wächst in dieser Region der Einfluss von Beratern, vor allem auch im Zusammenhang mit Energie- und Klimathemen. So arbeitet BCG mit gleich mehreren Regierungen an nationalen Klimaneutralitätsstrategien; auch an Wasserstoffstrategien feilen meist Consultancies mit.
Europäische Entscheidungsträger müssen einen Umgang mit diesen hochrelevanten Akteuren finden, zumal deren Wirken europäische Kerninteressen in der Region betrifft – und dies nicht nur in Ländern wie Marokko, Jordanien oder Tunesien, wo ein direktes entwicklungspolitisches Engagement besteht. Erstens können Consultancies, wie beschrieben, Entwicklungshürden schaffen und damit europäische Ziele konterkarieren. Zweitens bedingt die Geschäftslogik der Beratungen enge und anwaltschaftliche Beziehungen zu ihren Klienten, was europäischer wertegeleiteter Politik entgegenstehen kann, etwa wenn autoritäre Machtstrukturen gestärkt und im Extremfall staatliche Repressionskampagnen gefördert werden. Saudi-Arabien etwa hat Informationen von McKinsey genutzt, um Oppositionelle zu verfolgen – ein Betroffener hat deshalb ein Verfahren gegen das Unternehmen angestrengt. Drittens können Beratungsfirmen auch mit Blick auf Wissensmanagement und Technologietransfer deutsche und europäische Interessen tangieren. Es ist kaum transparent, wie und an wen entsprechende Daten weitergegeben werden, etwa wenn nacheinander oder gleichzeitig Behörden in Europa und arabischen Ländern beraten werden.
Diese und einige andere der erwähnten Problematiken, die mit der Arbeit globaler Consultancies einhergehen, sind struktureller Natur und finden sich weltweit. Die Sache verschärft sich aber in Regionen wie der arabischen Welt, wo es an unabhängigen Strukturen staatlicher Marktaufsicht ebenso mangelt wie an politischer und fiskalischer Kontrolle durch Parlamente und Rechnungshöfe. Insofern sollte erwogen werden, mit Beratungsfirmen proaktiver umzugehen – auch wenn dies nicht ohne Fallstricke ist.
Risiken minimieren. Das »Geheimwissen« der Consultancies ist für verschiedene Regierungen attraktiv. So droht nicht nur ausländische Industriekonkurrenz gefördert zu werden, es könnten sogar Kenntnisse zu kritischen Infrastrukturen wie Energie, Wasser oder Cybernetzen weitergegeben werden. Beratungen versuchen zwar, bei parallelen Einsätzen solche Risiken zu minimieren, indem sie eine »Chinese Wall« einrichten, das heißt eine Trennung des Informationsflusses bei Interessenkonflikten. Staatliche Akteure aus Europa sollten dennoch eigene Bedingungen einbauen, wenn sie Mandate an Consultancies vergeben – ohne dass sich europäische Sicherheitsinteressen damit vollständig schützen ließen.
Transparenzregeln verstärken. Da die Arbeit von Consultancies nationale Interessen westlicher Staaten zumindest potentiell beeinträchtigt, wäre prinzipiell zu erwägen, den Einsatz solcher Firmen stärker zu regulieren, bis hin zu gewissen Tätigkeits- und Ortbeschränkungen. Dies würde jedoch einen schwerwiegenden Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit darstellen, bei den gut vernetzten Unternehmen wohl auf starken Widerstand stoßen und letztlich vor allem zu Ausweichmanövern führen, etwa der Auslagerung von Tätigkeiten in Schwesterfirmen. Dennoch sollten europäische Staaten allein schon aus einem sicherheits- und außenpolitischen Imperativ einfordern, dass Consultancies bei ihren Aktivitäten in der arabischen Welt und anderswo deutlich mehr Transparenz an den Tag legen.
Lokale Beratungen ausbauen. Für arabische Länder ist essentiell, dass sie eigene Beratungskapazitäten aufbauen und nutzen können, die eine Alternative zu multinationalen Consultancies bilden. Deutschland und andere europäische Akteure könnten dies durch Regierungszusammenarbeit oder über Entwicklungsagenturen unterstützen. Solche Maßnahmen sind jedoch heikel, da sie einen paternalistischen Anstrich haben, den Vorwurf des Neokolonialismus hervorrufen können und möglicherweise auch zu neuen Abhängigkeitsstrukturen führen. Obendrein schlagen sie fehl, wenn sie nicht den Ansprüchen der Herrschenden entsprechen, also nicht beauftragt werden. Anstelle von Neugründungen gilt es deshalb eher bestehende Institutionen zu fördern.
Lokale Akteure mandatieren. Der direkteste Hebel für Deutschland und Europa besteht darin, in den von ihnen ausgestellten Mandaten – etwa zu humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit – mehr Obacht walten zu lassen oder sogar einen Paradigmenwechsel voranzutreiben. Unabhängige, aber lokale Organisationen privater oder öffentlicher Art sollten gegenüber multinationalen gezielt bevorzugt werden. Dabei ist das Argument gegenstandslos, Transparenz, Qualität und Korruptionsbekämpfung erforderten internationale Dienstleister. Selbst internationale Organisationen sind vor Korruption nicht gefeit, wie etwa die Skandale um Entwicklungshilfe im Jemen gezeigt haben. Es bedarf stets Anstrengungen, um Missstände zu verhindern, egal wer beauftragt wird. Erhalten lokale Organisationen das Mandat, fördert dies aber zumindest Kapazitätsbildung und »Agency«. Und es gibt regionale Beispiele mit Leuchtturmpotential, so etwa im Energiebereich das intergouvernementale, panarabische Regional Center for Renewable Energy and Energy Efficiency (RCREEE) und den regierungsnahen Think-Tank KAPSARC in Saudi-Arabien, die beide vom Westen unabhängige, aber hochangesehene Beratungsdienstleistungen erbringen.
Umsichtig mandatieren. Wie erläutert, kann der Einsatz von Consultancies durchaus positiv sein. Dies ist jedoch situationsabhängig und sollte genau geprüft werden, was von den Firmen deutlich mehr Transparenz erfordert. Zu überdenken ist auch die »Quantifizierung« von Projektevaluationen, die in den letzten Dekaden massiv ausgebaut wurde. Sie ist qualitativen Formaten nicht zwingend überlegen, kann aber in eine teure Abhängigkeit von Beraterfirmen führen.
Den Blick schärfen. Das Bewusstsein für die Relevanz der Beratungsfirmen ist bei europäischen Entscheidungsträgern und Ministerien bisher nur schwach ausgebildet. Zum einen ist mehr theoretisches Wissen notwendig. Die (klassische) Politikwissenschaft hat sich Consultancies kaum gewidmet, da sie kein traditioneller Akteur in Staat oder Gesellschaft sind. Entsprechende Forschung theoretischer wie auch empirischer Art gilt es daher zu fördern. Zum anderen sollten staatliche Organe ein deutlich wacheres Auge entwickeln, was das Wirken der Beratungsfirmen und mögliche Überschneidungen mit bestehender Politik betrifft.
Dr. Dawud Ansari ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen und Teil des Projekts »Geopolitik der Energiewende – Wasserstoff«, das vom Auswärtigen Amt finanziert wird. Dr. Isabelle Werenfels ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.
© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2023
Alle Rechte vorbehalten
Das Aktuell gibt die Auffassung der Autoren wieder.
SWP-Aktuells werden intern einem Begutachtungsverfahren, einem Faktencheck und einem Lektorat unterzogen. Weitere Informationen zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP-Website unter https://www. swp-berlin.org/ueber-uns/ qualitaetssicherung/
SWP
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit
Ludwigkirchplatz 3–4
10719 Berlin
Telefon +49 30 880 07-0
Fax +49 30 880 07-100
www.swp-berlin.org
swp@swp-berlin.org
ISSN (Print) 1611-6364
ISSN (Online) 2747-5018
DOI: 10.18449/2023A53