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Akteure im Schatten: Westliche Consultancies in der arabischen Welt

Wie multinationale Beratungsfirmen öffentliche Politik gestalten

SWP-Aktuell 2023/A 53, 30.08.2023, 8 Seiten

doi:10.18449/2023A53

Forschungsgebiete

Internationale Beratungsfirmen spielen im öffentlichen Sektor der arabischen Welt eine bedeutende Rolle, und sie weiten ihre dortige Tätigkeit massiv aus. So haben Consultancies etwa die saudische »Vision 2030« und ein Jahrzehnt zuvor Marokkos »Grüne Agenda« mitentworfen. Aktuell wächst ihr Einfluss auf staatliche Energie- und Klimastrategien. In der Regel geschieht dies ohne öffentliche Einflussnahme vor Ort. Dies mindert Legitimität und Qualität der erarbeiteten Politiken und unterminiert die lokale Entwicklung. Jenseits der Folgen für die Länder selbst tangie­ren die internationalen Beratungen auch deutsche und europäische Interessen, selbst wenn die Firmen durch hiesige Akteure oder internationale Organisationen beauftragt wer­den. Um negative Effekte zu vermeiden, bräuchte es mehr Kenntnisse und Transparenz zu den Aktivitäten der Consultancies. Kritisch zu hinterfragen gilt, ob, wann und in welchem Maße es sinnvoll ist, internationale Beratungsfirmen zu mandatieren.

Eine lebendige Gesellschaft, eine blühende Wirtschaft und eine ehrgeizige Nation – dies sind die drei Kernziele von Saudi-Arabiens »Vision 2030«, die 2016 beschlossen wurde und eine holistische Transformation des Landes vorsieht. Ähnlich wie schon bei Bahrains »Economic Vision 2030« oder dem marokkanischen »Plan Maroc Vert«, beide von 2008, stammt der Plan jedoch nicht (allein) aus lokaler Feder, sondern wurde vom Consulting-Giganten McKinsey mitentworfen. Solche Consultancies sind profitorientierte, global agierende und da­bei stets aus dem Westen stammende Bera­tungsunternehmen. Unter anderem erhal­ten sie Mandate von öffentlichen Entscheidungsträgern, etwa für Entwurf, Umsetzung und Evaluation von Reformen. Zu die­sen Firmen gehören klassische Vertreter wie McKinsey, Booz Allen Hamilton und die Boston Consulting Group (BCG), aber auch die inzwischen breiter beratenden – »Big Four« genannten – Wirtschaftsprüfungs­gesellschaften Deloitte, Ernst & Young, KPMG und PwC.

Der Einsatz von Consultancies ist auch anderswo üblich, nimmt in der arabischen Welt jedoch eine einzigartige Stellung ein. Die Projektvolumen sind gigantisch: So war Saudi-Arabien bis vor kurzem der weltweit größte Klient von BCG; zuletzt waren die dortigen Ausgaben für Beratungsdienstleistungen binnen eines Jahres um stolze 17,5 Prozent auf nahezu 2 Milliarden Euro jährlich gewachsen. Und auch wenn finan­ziell schwächere Staaten wie Marokko, Jordanien oder Ägypten die Consultancies anders als die wohlhabenden Golfstaaten eher punktuell nutzen, reichen entsprechende Mandate in öffentlichen Sektoren der arabischen Welt meist deutlich weiter als andernorts, was ihre Tiefe, Breite und Institutionalisierung angeht. Bei den er­wähnten nationalen Visionen etwa stellen Berater grundlegende Weichen für die Zu­kunft des betreffenden Staates. Und ihre Tätigkeit geht über bloße Strategieentwicklung hinaus. So war BCG exklusiver Berater Ägyptens für die Ausrichtung der 27. Welt­klimakonferenz, feilt am Sozialversicherungssystem Marokkos mit und spielt eine maßgebliche Rolle bei Saudi-Arabiens 700 Milliarden Euro schwerem Staatsfonds.

Dieses Engagement ist nicht nur teuer. Es geht auch auf Kosten von Legitimität und Qualität der Politiken, und es behindert auf mehreren Ebenen die lokale Entwicklung. Für Deutschland und Europa haben die Aktivitäten der Consultancies ebenfalls Im­plikationen. Diese mischen wenig trans­parent und ohne Rechenschaftspflicht in Außen-, Sicherheits- und Entwicklungs­politik mit, bis hinein in den Verteidigungs­sektor. Beispielsweise sind mehr als 20 west­li­che Beraterfirmen – darunter PwC, Ernst & Young und McKinsey – Haupt­akteure in der Cybersecurity-Szene der Golf­staaten, und die mittlerweile an einen Kon­kurrenten verkaufte Nahostsparte von Booz Allen Hamilton hat die saudische Marine unterstützt.

Ursprünge, Motivation, Muster

Die Wurzeln externer Politikgestaltung in der Region reichen bis zur Kolonialzeit zurück. 1926 setzte die britische Krone im Zuge der indirect rule in Bahrain einen »Bera­ter« ein, der als De-facto-Herrscher das Land weitgehend nach Belieben gestaltete. Dieses System wurde in nachfolgenden Jahrzehnten – mit ungleichem Ausmaß und Erfolg – auf benachbarte Staaten übertragen. In das nie formal kolonialisierte Saudi-Arabien gelangten Berater 1957 per Mandat des Internationalen Währungsfonds; gut ein Jahrzehnt später wurde der erste Entwicklungsplan des Königreichs von einem Team amerikanischer Experten konzipiert, die unter anderem von der Stanford-Universität kamen. Moderne Consultancies folgten bald; so gibt etwa PwC an, seit mehr als 40 Jahren in der Region tätig zu sein. Heute bewegen sich Consultancies, lokale Eliten und Herrscher sowie staatliche Akteure aus dem Westen in einem fluiden und dynami­schen Geflecht von Interessen und Abhän­gigkeiten.

Motivation der Consultancies

Für die Beratungsfirmen steht der eigene Profit im Vordergrund. Um Aufträge zu er­langen, gehen sie strategisch auf empfängliche Regierungsangehörige zu. So hat McKinsey in den 2000er Jahren neben sei­nem Einsatz für Bahrain und Saudi-Arabien gezielt Herrschersöhne in Jemen und Libyen umgarnt, die in entsprechenden Reform­agenden eine Chance sahen, sich für ihre baldige »Thronfolge« zu profilieren. In Marokko wurden Consultancies für den »Plan Maroc Vert« und die Sozialversicherungsstrategie des aktuellen Premiers und ehemaligen Agrarministers eingebunden, bei dem es sich um einen der reichsten Ge­schäftsmänner des Landes mit Nähe zum König handelt.

Doch die Unternehmen arbeiten nicht nur kurzfristig Konzepte, Strategien und Gesetze aus. Mit der Durchführung, Über­wachung und Evaluation von Projekten gewinnen sie so viel Einfluss, dass sie sich als semistaatlicher Akteur institutionalisieren. So haben saudische Beamte dem Minis­terium für Wirtschaft und Planung zwi­schenzeitlich den Spitznamen »McKinsey-Ministerium« verpasst. Teilweise kommt es sogar zur Schaffung neuer staatlicher Insti­tutionen bzw. zur Verdrängung bestehender. So wurde die Bechtel Corporation – das größte Bau- und Anlagenbau-Unterneh­men der USA mit engen Kontakten zur saudischen Königsfamilie – beauftragt, in der Golfmonarchie eine nationale Organisation für Projektmanagement (Mashroat) zu etablieren und zu betreiben. Diese verwal­tet ressortübergreifend Kapitalausgaben für Infrastrukturprojekte im Rahmen des Natio­nalen Transformationsprogramms.

Motivation lokaler Stakeholder

Dass Macht dergestalt zentralisiert und auf andere Ebenen verschoben wird, ist sympto­matisch für das Wirken der Consultancies. Dieses Vorgehen stößt häufig auf Abneigung bei mittleren Führungskräften der be­treffenden Länder sowie lokalen Akteuren und Eliten, die sich übergangen fühlen. Umgekehrt ist die Mandatierung von Con­sultancies eine Chance für aufstrebende Stakeholder vor Ort, die meist jünger, im Westen ausgebildet und (wirtschafts-)liberal ausgerichtet sind. Von dieser Seite wird der Einsatz von Beratungsfirmen vielfach aktiv vorangetrieben – um wirtschaftliche und soziokulturelle Reformagenden durchzusetzen, aber auch um selbst an Einfluss zu gewinnen. Wie Consultancies berichten, sind ihre Auftraggeber und Ansprechpartner in der Region oft selbst ehemalige Mit­arbeiter multinationaler Konzerne oder Absolventen namhafter westlicher MBA-Programme. Es wäre daher falsch zu glau­ben, dass die Unternehmen ihre Politiken den betreffenden Ländern »aufzwingen« würden; vielmehr finden sie dort auch Unterstützung.

Motivation der Regierenden

Herrscher in der arabischen Welt nutzen Consultingfirmen aus mehreren Gründen. Meist messen sie »importiertem Wissen« mehr Prestige zu als lokalem. Dieser Bias ist ein koloniales Erbe – arabische Entscheidungsträger verbinden Fortschritt und Modernisierung nach wie vor mit externem Know-how. Begründet wird der Einsatz von Beratern gemeinhin mit einem Mangel an Personal oder Expertise. Dies steht aber in gewissem Widerspruch zu Realitäten in der Region. Die Arbeitslosigkeit wächst dort auch unter Hochqualifizierten, am Golf wird eine Nationalisierung des Arbeitsmarktes angestrebt, und von Oman bis Marokko gibt es zunehmend hervorragende lokale Institutionen und Fachleute, die Stra­tegien für öffentliche Sektoren erarbeiten können. Dennoch wird solche Expertise von den eigenen Regierungen meist erst dann ernst genommen, wenn Consultingfirmen sie aufgreifen. Selbst aus der Region stam­mende Experten und Wissenschaftler, die im Ausland ansässig sind, beklagen sich darüber, dass sie im Gegensatz zu den gro­ßen Beraterfirmen ihre Expertise nur pro bono und mit geringerem Gewicht einbrin­gen können.

Auch gelten westliche Consultancies bei den Herrschern grundsätzlich als »neutral«. Regionale Beratungsinstitutionen und Fach­leute leiden unter der im arabischen Raum omnipräsenten Politisierung von Wirtschaft und Wissenschaft. Ihnen werden nationale Agenden unterstellt, denn auch Wissenschaftler und private Akteure werden als politische Vertreter ihres Landes wahrgenommen. Vor allem aber nutzen Herrscher die externen Kräfte (in klassischer be­triebs­wirtschaftlicher Logik), um Wider­stände zu überwinden. So können sie kon­troverse Maßnahmen durchsetzen, etwa umfassende Wirtschafts- und Gesellschaftstransforma­tionen oder Verwaltungsreformen.

Besonders reizvoll für die Herrscher ist, dass Consultancies quasi unsichtbar arbei­ten. Vorgaben, Kosten sowie lokale Infor­mationen, die berücksichtigt werden – all das entzieht sich weitgehend der Öffentlichkeit. Auftraggeber können so Prozesse und Daten verschleiern (sogar gegenüber eigenen Regierungsmitgliedern), die Mit­sprache auf ein Minimum beschränken und Einmischung in »innere Angelegenheiten« vermeiden. Vor allem Letzteres macht Bera­tungsfirmen für arabische Machthaber attraktiver als staatlich finanzierte westli­che Entwicklungsagenturen wie die United States Agency for International Development (USAID), die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) oder die politischen Stiftungen der Bundesrepublik, die Ziele wie Demokratieförderung ver­folgen. Den Consultancies lässt sich das Mandat vorgeben, und bei ihnen befürchten die Machthaber weder normative Agen­den noch politische Konditionierung.

Anreize durch externe Akteure

Es sind aber auch internationale Insti­tutio­nen und westliche Regierungen, die direkt oder indirekt Anreize für den ver­mehrten Einsatz von Consultancies in der Region setzen. Sie sehen Beraterfirmen als neutrale oder sogar gleichgesinnte Akteure, die nach westlichen Vorstellungen agieren, nicht in lokale Vetternwirtschaft involviert sind und keiner politischen Agenda folgen. Geber­institutionen legen im Interesse von ver­meintlicher Objektivität einen Fokus auf quantitative (etwa ökonometrische) Arbeit. Der Trend, internationale Entwicklung auf allen Ebenen zu »messen«, wurde insbesondere durch die Nachhaltigen Entwicklungsziele der UN angeheizt, ungeachtet der teils begrenzten Aussagekraft genutz­ter Größen. Internationale Beraterfirmen können diese Anforderungen häufig besser bedienen als staatlich geförderte Entwicklungsakteure.

Generell genießen von Consultancies er­arbeitete Pläne hohe internationale Glaub­würdigkeit. So erhöht der Einsatz dieser Firmen die Chancen für externe Reform­finanzierung, aber ebenso die Bonität der Staa­ten, was wiederum die Kosten öffent­licher Schulden verringert. Es werden also finan­zielle Anreize gesetzt.

Westliche Entwicklungsagenturen und internationale Organisationen greifen auch direkt auf den Rat von Consultancies zurück, wie viele Beispiele zeigen. So kooperiert etwa die GIZ in Tunesien mit Deloitte, um die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt zu erhöhen; USAID finanzierte, eben­falls in Tunesien, PwC zur Erarbeitung von Fiskalreformen, und auch in Jordanien bekommen Consultancies häufig Aufträge von westlichen Entwicklungsagenturen. Nicht zuletzt um die Wirtschaftlichkeit staatlich finanzierter Entwicklungsprojekte zu evaluieren, ziehen Geberländer Bera­tungsfirmen hinzu, etwa im Jemen, wo externe Akteure seit Kriegsbeginn neben Wirt­schaftsprüfung häufig auch Projektmonitoring übernehmen.

Folgen für die Region

Der Einsatz internationaler Beratungs­firmen kann durchaus sinnvoll sein, etwa wenn tatsächlich lokales Know-how fehlt, dysfunktionale Strukturen überwunden werden müssen oder Entwicklungsagenturen nicht auf dem notwendigen technologischen Stand sind. Zugleich birgt es signifi­kante Risiken, dass externe Consultancies öffentliche Politiken erarbeiten. Für andere Weltregionen und einzelne Politikfelder ist dies zunehmend erforscht (und wird kriti­siert, etwa jüngst im Kontext des Afrikanischen Klimagipfels). Für die arabische Welt gilt das allerdings eher weniger – nicht zuletzt, weil entsprechende Informationen nur eingeschränkt zu­gänglich sind.

Interviews mit Wissenschaftlern, Beamten und (ehemaligen) Beratern zeigen indes eine Reihe von Problemen auf, die mit der Beschäftigung von Consultancies in öffent­lichen Sektoren einhergehen. Sie reichen von mangelnder Legitimität der betreffenden Politiken über fragwürdige Qualität bis hin zu Entwicklungshemmnissen.

Fehlende Legitimität

Um flexibel und schnell Ergebnisse zu pro­duzieren, arbeiten Consultancies in kleinen Teams mit privilegiertem Zugang zu jeweils relevanten Akteuren. Die Experten, oft ein­geflogen, verrichten ihre Tätigkeit unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle. Lokale Akteure in Politik, Verwal­tung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft werden nur punktuell und im Ermessen der Berater konsultiert, öffentliche Debatten sind nicht vorgesehen.

Das führt zu Defiziten bei Legitimität und Ownership. Die Partizipation an politi­schen Prozessen und öffentlichen Vorhaben ist in der Region ohnehin stark eingeschränkt. Consultancies umgehen jedoch zusätzlich Institutionen. Zum einen belas­tet das die – auch in Autokratien wichtige – Legitimation des Staates, selbst wenn hier der Erfolg der Politik mehr zählt als die Frage, wer sie erstellt hat. Zum anderen er­schwert der Mangel an Ownership die Um­setzung, gerade in größeren Transforma­tionsprozessen: Wenn sich Verwaltungen und Bevölkerung damit nicht identifizieren, besteht ein Compliance-Problem. Dies zeigt etwa der Versuch der RAND Corporation, Katars primären und sekundären Bildungssektor zu reformieren, eines der meiststudierten Beispiele für fehlgeschlagene Beratereinsätze. Nach einem Jahrzehnt musste die Reform infolge von Kritik und mangelhaften Ergebnissen weitgehend revidiert werden. Als Grund gilt unter ande­rem die unzureichende Partizipation von Lehrkräften in der Transformation.

Mangelnde Beratungsqualität

Für Beratungsfirmen besteht ein grundlegendes Dilemma. Sie müssen ihre Klienten zufriedenstellen, um Folgeaufträge zu be­kommen – während die Klienten in der Region jedoch häufig nur Resultate möch­ten, die ihr Handeln nicht grundlegend in Frage stellen, sondern eine allge­meine Stoß­richtung bestätigen. Dies schränkt das Spek­trum an Empfehlungen ein.

Überdies beklagen lokale Offizielle wie auch Wissenschaftler oftmals die mangelnde Qualität der Beratungsdienstleistungen. Dies betrifft unter anderem wenig plausible Ratschläge, banale Power-Point-Präsentatio­nen als Endprodukt, Inkonsistenzen in Be­rich­ten oder gar grobe Fehler im Umgang mit Zahlen und Sachverhalten. In Marokko machten Ökonomen 2011 massive Kritik am »Plan Maroc Vert« öffentlich, den McKin­sey federführend erarbeitet hatte. Dies führte dazu, dass die öffentliche Auftragsvergabe an Consultancies tendenziell nicht mehr kommuniziert wurde, obwohl sie auch in den Jahren danach breit zum Einsatz kamen. In den Golfstaaten haben Beamte moniert, dass einige der Berichte in Teilen oder zur Gänze wörtliche Kopien aus Deliverables für andere Staaten sind – mit­unter wurde sogar vergessen, den Landesnamen anzupassen.

Die negativen Folgen dieser Copy-Paste-Beratung zeigen sich eindrucksvoll. Emp­fehlungen weichen nur selten von bekann­ten Leitmotiven ab, auch weil die weitgehend homogene Consulting-Industrie zum Groupthink neigt. Agenden und Reformen drehen sich meist um Privatisierung, Libe­ralisierung und das »Modell Dubai«, ob­wohl Letzteres (bzw. infrastrukturgetriebenes Wachstum allgemein) in der Literatur kri­tisch betrachtet wird und eine unbedachte Privatisierung vorhandene Oligopolstrukturen wachstumsfeindlich stärkt. Fal­len in­dustriepolitische Empfehlungen stets iden­tisch aus, etwa zugunsten von Touris­mus oder IT, so ist die Folge, dass arabische Län­der sich nicht gemäß nationalen Unterschie­den und komparativen Vorteilen spezialisieren, sondern erbittert um neue Sektoren konkurrieren. Dieser ruinöse Wettbewerb ist nicht nur teuer, sondern gefährdet auch wichtige Vorhaben zur Diversifizierung in Richtung ölferner Bereiche.

Ohnehin zeugen die Empfehlungen der Consultancies oftmals von mangelndem Kontextwissen und fehlender Sensibilität für soziale, kulturelle und politische Zu­sammenhänge. Lösungen orientieren sich an vermuteten »best practices«, welche für die Region schlicht übernommen werden. So sollte im Fall der katarischen Bildungs­reform das nach dortigem Staatsverständnis abwegige US-Konzept von teilprivatisierten Charter Schools imitiert werden. Dabei wurde »vergessen«, dass weibliche Lehrkräfte häu­fig nur in geschlechtergetrennten öffent­lichen Schulen unterrichten wollten. Ein anderes banales Beispiel sind Empfehlungen zum Thema Energieeffizienz, die Bera­tungsfirmen unabhängig voneinander Offiziellen in Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten gaben. Dort hieß es, dass Klimaanlagen ruhig heruntergeregelt werden könnten und sich die Bevölkerung dann schlicht freizügiger kleiden solle – entgegen jeder religiösen und sozialen Kon­vention der Länder.

In der Vergangenheit wurden die Berater fast ausschließlich eingeflogen und verfüg­ten kaum über Regionalkompetenz oder Interesse für lokale Gesellschaften. In jün­gerer Zeit rekrutieren Consultingfirmen, auch auf Verlangen der Mandatsgeber, für ihre regionalen Büros primär Personen aus der Region. Damit hat eine partielle Ver­schiebung von westlichen Akteuren hin zu lokalen Eliten stattgefunden – und zumin­dest vordergründig eine Arabisierung der Unternehmen. Fehlende soziale Diversität und maskierter Kolonialismus verbleiben jedoch, denn Berater aus der Region ent­stammen meist privilegierten, urbanen Verhältnissen und sollten westliche Elite­universitäten absolviert haben. Damit dürf­ten Sichtweisen weniger privilegierter so­wie konservativerer Bevölkerungsteile im Land weiterhin unberücksichtigt bleiben. Consultancies drohen so die bestehende Kluft zwischen modernem, globalisiertem Zentrum und ruraler, »rückständiger« Peri­pherie zu reproduzieren.

Hemmnisse für Entwicklung

Mangelhafte Beratungsqualität kann sich auf die langfristige Entwicklung eines Lan­des auswirken. Vor allem wenn – wie beschrieben – industriepolitische Weichen falsch gestellt werden oder Reformen in­kompatibel mit der lokalen Arbeitskultur sind, ist die Entwicklung nachhaltig gefähr­det. Doch auch darüber hinaus schafft es Risiken für die arabischen Länder, wenn sie Consultancies mandatieren.

Ein Entwicklungshemmnis stellen bereits die enormen Kosten für die Bera­ter dar, vor allem in Staaten mit begrenzter Liquidi­tät. Und inwieweit lokal generierte Ge­win­ne versteuert werden, ist offen. Die marokka­nische Presse berichtete 2022, das lokale McKinsey-Büro habe trotz Einnahmen von rund 27 Millionen Euro keine Steuern be­zahlt. Überdies äußern einige Mandatsgeber am Golf die Vermutung, es komme zu Preisabsprachen unter den Consultancies.

Gemäß dem Imperativ, sich möglichst große und langfristige Aufträge zu sichern, müssen die Firmen ihre Klienten zufriedenstellen und dafür auch enge Beziehungen zu ihnen aufbauen. Je enger die Koopera­tion, desto schwieriger ist es für Consultancies, redlich zu bleiben – sprich Dynamiken von Vetternwirtschaft und Korruption nicht (ungewollt) zu verstärken. Diese Ge­fahr, wie sie generell im Umweltbereich von Subsahara-Afrika besteht, offenbarte etwa der Einsatz von McKinsey in Südafrika.

Folgenreich für die Entwicklung ist auch die Tatsache, dass Consultancies dazu nei­gen, für den Auftraggeber unbequeme oder irrelevante Akteure auszuschließen. Damit konterkarieren sie nicht nur Anstrengungen westlicher staatlicher Entwicklungsagenturen zu breiterer Inklusion in Ent­wicklungsprozessen. Vielmehr tragen sie zu Machtkonsolidierung und Zentralisierung bei und klammern so lokale Perspektiven und möglicherweise wichtige Korrektive aus.

Besonders schwerwiegend ist das Problem von Braindrain und einer ausbleibenden Stärkung lokaler Kapazitäten. Wenn »indigenous knowledge« strukturell ver­nachlässigt wird und keine Wertschätzung erfährt, trägt dies dazu bei, dass Barrieren zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft auf der einen sowie Verwaltung und Politik auf der anderen Seite bestehen blei­ben. Import, Monopolisierung und Privati­sierung von Wissen sind für Braindrain mit­verantwortlich. Fachleute wandern ins Aus­land ab, wo ihre Expertise gefragt ist bzw. sie nicht nur als Zulieferer von Einzeldaten oder als Wegbereiter für Empfehlungen der Consultancies dienen. Andererseits sorgt ex­terne Beschaffung von Expertise dafür, dass sich lokale Kräfte nicht weiterbilden. Es ent­steht ein Teufelskreis der Abhängigkeit von Consultancies, denn der fehlende Kapazitätsausbau vor Ort liefert Entscheidungsträgern wiederum eine Rechtfertigung dafür, auf Potentiale von außen zurückzugreifen.

Allerdings zeigen sich hier durchaus Unterschiede in der Region. Dass in Marok­ko Beratungsfirmen im öffentlichen Bereich nicht flächendeckend tätig sind, liegt nicht nur an begrenzten Finanzressourcen, son­dern auch den Bestrebungen des Palastes, nachhaltig eigene Kapazitäten aufzubauen. Das 2021 vorgestellte »Neue Entwicklungsmodell« des Landes ist bewusst nur von marokkanischen Akteuren erarbeitet wor­den. In Saudi-Arabien wurden Behörden 2019 angewiesen, verstärkt inländische Be­raterfirmen zu engagieren. Und in Alge­rien haben die als neoliberal geltenden westli­chen Consultancies ohnehin einen schwe­ren Stand, weil sie dort auf eine etatistische Wirtschaftslogik und antikoloniale Reflexe treffen. 2022 sprach die algerische Regie­rung temporäre Betätigungsverbote gegen drei Firmen der »Big Four« aus und leitete Ermittlungsverfahren ein – laut Beobachtern ein politischer Schritt zum Schutz des lokalen Beratermarktes.

Fazit: Bewusstsein schärfen und Einsätze überprüfen

Unter dem Mandat wohlwollender Ent­scheidungsträger können Beraterfirmen in der arabischen Welt durchaus helfen, neues Wissen zu vermitteln oder korrupte Struk­turen zu umgehen. Letztlich sind es die je­weiligen Regierungen, die sie beauftragen und die Entwicklung der Länder verantworten. Consultancies reagieren bloß auf das politische Ökosystem. Zudem betreffen viele der genannten Problemaspekte ebenso staatliche Entwicklungsagenturen und internationale Organisationen. Auch sie sind nicht davor gefeit, unwillentlich Ab­hängigkeiten zu schaffen und fahrlässige Empfehlungen zu geben.

Der Unterschied ist, dass sich Consultancies in der arabischen Welt weitgehend unter dem öffentlichen Radar bewegen kön­nen und profitorientiert arbeiten müssen. Zudem wächst in dieser Region der Einfluss von Beratern, vor allem auch im Zusammenhang mit Energie- und Klimathemen. So arbeitet BCG mit gleich mehreren Regie­rungen an nationalen Klimaneutralitätsstrategien; auch an Wasserstoffstrategien feilen meist Consultancies mit.

Europäische Entscheidungsträger müssen einen Umgang mit diesen hochrelevanten Akteuren finden, zumal deren Wirken europäische Kerninteressen in der Region betrifft – und dies nicht nur in Ländern wie Marokko, Jordanien oder Tunesien, wo ein direktes entwicklungspolitisches Enga­gement besteht. Erstens können Consultancies, wie beschrieben, Entwicklungshürden schaffen und damit europäische Ziele kon­terkarieren. Zweitens bedingt die Geschäftslogik der Beratungen enge und anwaltschaftliche Beziehungen zu ihren Klienten, was europäischer wertegeleiteter Politik entgegenstehen kann, etwa wenn autoritäre Machtstrukturen gestärkt und im Extremfall staatliche Repressionskampagnen geför­dert werden. Saudi-Arabien etwa hat Infor­mationen von McKinsey genutzt, um Oppo­sitionelle zu verfolgen – ein Betroffener hat deshalb ein Verfahren gegen das Unter­nehmen angestrengt. Drittens können Bera­tungsfirmen auch mit Blick auf Wissensmanagement und Technologietransfer deut­sche und europäische Interessen tangieren. Es ist kaum transparent, wie und an wen entsprechende Daten weitergegeben wer­den, etwa wenn nacheinander oder gleich­zeitig Behörden in Europa und arabischen Ländern beraten werden.

Diese und einige andere der erwähnten Problematiken, die mit der Arbeit globaler Consultancies einhergehen, sind struktureller Natur und finden sich weltweit. Die Sache verschärft sich aber in Regionen wie der arabischen Welt, wo es an unabhängigen Strukturen staatlicher Marktaufsicht ebenso mangelt wie an politischer und fis­kalischer Kontrolle durch Parlamente und Rechnungshöfe. Insofern sollte erwo­gen werden, mit Beratungsfirmen proaktiver umzugehen – auch wenn dies nicht ohne Fallstricke ist.

Risiken minimieren. Das »Geheimwissen« der Consultancies ist für verschiedene Regierungen attraktiv. So droht nicht nur ausländische Industriekonkurrenz gefördert zu werden, es könnten sogar Kenntnisse zu kritischen Infrastrukturen wie Energie, Wasser oder Cybernetzen weitergegeben werden. Beratungen versuchen zwar, bei parallelen Einsätzen solche Risiken zu minimieren, indem sie eine »Chinese Wall« einrichten, das heißt eine Trennung des In­formationsflusses bei Interessenkonflikten. Staatliche Akteure aus Europa sollten den­noch eigene Bedingungen einbauen, wenn sie Mandate an Consultancies vergeben – ohne dass sich europäische Sicherheitsinteressen damit vollständig schützen ließen.

Transparenzregeln verstärken. Da die Arbeit von Consultancies nationale Interessen westlicher Staaten zumindest potentiell beeinträchtigt, wäre prinzipiell zu erwägen, den Einsatz solcher Firmen stärker zu regu­lieren, bis hin zu gewissen Tätigkeits- und Ortbeschränkungen. Dies würde jedoch einen schwerwiegenden Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit darstellen, bei den gut vernetzten Unternehmen wohl auf starken Widerstand stoßen und letztlich vor allem zu Ausweichmanövern führen, etwa der Auslagerung von Tätigkeiten in Schwesterfirmen. Dennoch sollten europäische Staa­ten allein schon aus einem sicherheits- und außenpolitischen Imperativ einfordern, dass Consultancies bei ihren Aktivitäten in der arabischen Welt und anderswo deutlich mehr Transparenz an den Tag legen.

Lokale Beratungen ausbauen. Für arabische Länder ist essentiell, dass sie eigene Bera­tungskapazitäten aufbauen und nutzen können, die eine Alternative zu multina­tionalen Consultancies bilden. Deutschland und andere europäische Akteure könnten dies durch Regierungszusammenarbeit oder über Entwicklungsagenturen unterstützen. Solche Maßnahmen sind jedoch heikel, da sie einen paternalistischen Anstrich haben, den Vorwurf des Neokolonialismus hervor­rufen können und möglicherweise auch zu neuen Abhängigkeitsstrukturen führen. Obendrein schlagen sie fehl, wenn sie nicht den Ansprüchen der Herrschenden entspre­chen, also nicht beauftragt werden. Anstelle von Neugründungen gilt es deshalb eher bestehende Institutionen zu fördern.

Lokale Akteure mandatieren. Der direkteste Hebel für Deutschland und Europa besteht darin, in den von ihnen ausgestellten Man­daten – etwa zu humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit – mehr Obacht walten zu lassen oder sogar einen Paradigmenwechsel voranzutreiben. Un­abhängige, aber lokale Organisationen privater oder öffentlicher Art sollten gegen­über multinationalen gezielt bevor­zugt werden. Dabei ist das Argument gegen­standslos, Transparenz, Qualität und Kor­ruptionsbekämpfung erforderten interna­tionale Dienstleister. Selbst internationale Organisationen sind vor Korruption nicht gefeit, wie etwa die Skandale um Entwicklungshilfe im Jemen gezeigt haben. Es be­darf stets Anstrengungen, um Missstände zu verhindern, egal wer beauftragt wird. Erhalten lokale Organisationen das Mandat, fördert dies aber zumindest Kapazitätsbildung und »Agency«. Und es gibt regionale Beispiele mit Leuchtturmpotential, so etwa im Energiebereich das intergouvernementale, panarabische Regional Cen­ter for Renew­able Energy and Energy Effi­ciency (RCREEE) und den regierungsnahen Think-Tank KAPSARC in Saudi-Arabien, die beide vom Westen unabhängige, aber hoch­angesehene Beratungsdienstleistungen erbringen.

Umsichtig mandatieren. Wie erläutert, kann der Einsatz von Consultancies durch­aus positiv sein. Dies ist jedoch situationsabhängig und sollte genau geprüft werden, was von den Firmen deutlich mehr Trans­parenz erfordert. Zu überdenken ist auch die »Quantifizierung« von Projektevaluationen, die in den letzten Dekaden massiv aus­gebaut wurde. Sie ist qualitativen Formaten nicht zwingend überlegen, kann aber in eine teure Abhängigkeit von Beraterfirmen führen.

Den Blick schärfen. Das Bewusstsein für die Relevanz der Beratungsfirmen ist bei euro­päischen Entscheidungsträgern und Minis­terien bisher nur schwach ausgebildet. Zum einen ist mehr theoretisches Wissen not­wendig. Die (klassische) Politikwissenschaft hat sich Consultancies kaum gewid­met, da sie kein traditioneller Akteur in Staat oder Gesellschaft sind. Entsprechende Forschung theoretischer wie auch empirischer Art gilt es daher zu fördern. Zum anderen sollten staatliche Organe ein deut­lich wacheres Auge entwickeln, was das Wirken der Bera­tungsfirmen und mögliche Überschneidungen mit bestehender Politik betrifft.

Dr. Dawud Ansari ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen und Teil des Projekts »Geopolitik der Energiewende – Wasserstoff«, das vom Auswärtigen Amt finanziert wird. Dr. Isabelle Werenfels ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.

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