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Krise in Bosnien-Herzegowina: Jahrelanger Machtkampf spitzt sich zu

Kurz gesagt, 25.07.2023 Research Areas

Die jüngste institutionelle Krise in Bosnien-Herzegowina ist der vorläufige Höhepunkt der Unabhängigkeitsbestrebungen der Republika Srpska. Die EU muss entschiedener handeln, um dem Separatismus auf dem Balkan Einhalt zu gebieten, meint Marina Vulović.

Seit Jahren schürt der Präsident der Republika Srpska (RS), Milorad Dodik, ethnische Spannungen und treibt seine Sezessionsbestrebungen voran. Die Ende Juni in der RS verabschiedeten Gesetze sind jedoch einer der schwersten Verstöße gegen das Friedensabkommen von Dayton und die Verfassung von Bosnien-Herzegowina seit 1995. Auf Dodiks Betreiben hin beschloss das Parlament der RS, die Entscheidungen des Verfassungsgerichts von Bosnien-Herzegowina nicht anzuerkennen und die Vorgaben des Hohen Repräsentanten (HR) für Bosnien-Herzegowina, Christian Schmidt, zu umgehen. Schmidt kann mit seinen Bonner Befugnissen verfassungsgefährdende Entscheidungen aufheben. Davon machte er auch Gebrauch: Er erklärte die Beschlüsse des Parlaments der RS für ungültig und drohte mit Strafen. Dodik erklärte seinerseits die Entscheidungen des HR für rechtswidrig – und stellt damit die EU vor ein ernsthaftes Problem.

Die RS ist eine der beiden Entitäten von Bosnien-Herzegowina, wird mehrheitlich von Serben bewohnt und von Milorad Dodik regiert. Mit seinem Streben nach Wiedervereinigung mit Serbien fährt er der serbischen Regierung oft in die Parade, vor allem jetzt, wo Serbien sich als ein konstruktiver Akteur im Dialog mit Kosovo inszenieren möchte.

Zunächst einmal ist dieser jüngste Versuch Dodiks, Wege zur Abspaltung zu suchen, nicht neu. Seit Juli 2021 boykottieren Vertreter der RS ​​die Arbeit der Institutionen Bosnien-Herzegowinas, nachdem der ehemalige HR Valentin Inzko Gesetzesänderungen durchgesetzt hatte, die die Genozidleugnung verbieten. Ende 2021 kündigte Dodik den Rückzug der RS aus der gemeinsamen Armee, der obersten Justiz und der Steuerverwaltung von Bosnien-Herzegowina an. Diese Pläne wurden dann als Reaktion auf die russische Invasion auf die Ukraine auf Eis gelegt, um zu verhindern, dass »die politische Lage der RS unter komplexen geopolitischen Umständen noch komplizierter wird«, so Dodik.

 

Warum die Lage in der RS ernst genommen werden sollte

Die Umstände, unter denen Dodik seine Entscheidungen getroffen hat, unterscheiden sich jedoch von denen früherer Krisen. Die EU sollte die gegenwärtige Krise in Bosnien-Herzegowina daher ernster nehmen, auch wenn sie nur eine Fortsetzung der jahrelangen Separationsbestrebungen der RS ist. Was ist also anders?

An erster Stelle ist Russlands Krieg gegen die Ukraine zu nennen, dessen Verlauf und Folgen die Entscheidungen in der RS beeinflussen. Dodik selbst hat bereits Parallelen zwischen dem Krieg und den Entscheidungen der RS gezogen. Je länger der Krieg in der Ukraine andauert und je weiter Russland voranschreitet, desto intensiver wird Dodik versuchen, die Grenzen des Westens gegenüber seiner separatistischen Politik auszutesten. Methoden wie die Bonner Befugnisse oder US-Sanktionen gegen Dodik wegen Untergrabung der Staatsordnung von Bosnien-Herzegowina haben sich bisher als ineffektiv erwiesen. Mit seinen jüngsten Entscheidungen hat Dodik den HR de facto aus der RS verwiesen. Da die Polizei den Entitäten untersteht, hat der HR auch keine Möglichkeit, seine Entscheidungen in der RS durchzusetzen. Das EU-Parlament hat den Rat kürzlich aufgefordert, EU-Sanktionen gegen Dodik zu verhängen. Diese könnten wirksamer als US-Sanktionen sein, da Bosnien-Herzegowina (sicherheits-)politisch und wirtschaftlich viel enger mit der EU verbunden ist als mit den USA. Entscheidend wird jedoch sein, wie effektiv sich der Westen der russischen Aggression in der Ukraine entgegensetzen kann. Wenn vor allem die EU beweisen kann, dass sie in der Lage ist, einheitliche, koordinierte und vor allem zügige sicherheitspolitische Entscheidungen zu treffen, dann wird Dodik mehr Angst vor möglichen Konsequenzen haben als jetzt. Dabei wird auch eine Rolle spielen, wie die territorialen Fragen in der Ukraine nach dem Krieg gelöst werden.

An zweiter Stelle sind die regionalen Sicherheitsdynamiken zu nennen, insbesondere die Unruhen im Nordkosovo, die im Mai 2023 in gewaltsamen Auseinandersetzungen gipfelten. Die aktuelle Situation im Nordkosovo zeigt die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit der EU, eine effektive Lösung zwischen Belgrad und Pristina zu vermitteln, was Dodik weiter ermutigen könnte. Wenn die EU dort seit Jahren nur Krisenmanagement betreibt, aber nicht in der Lage ist, Belgrad und Pristina von den Vorteilen einer friedlichen Lösung zu überzeugen, wird Dodik ihr Handlungspotential als nicht allzu groß wahrnehmen. Das bedeutet: Je länger der Konflikt im Nordkosovo ungelöst bleibt, desto größer wird die Gefahr, dass er sich auf Bosnien-Herzegowina ausweitet.

 Dodik verschärft die aktuelle Situation auch deshalb, weil seine Machtposition in der RS bedroht ist. Krisen waren bisher ein bewährtes Mittel, um seine Popularität zu steigern. Die jüngsten Wahlen in der RS gewann er nur knapp gegen eine angeblich von Belgrad unterstützte Oppositionskandidatin. Schon länger wird in den politischen Debatten im Westbalkan vermutet, dass Serbiens Präsident Aleksandar Vučić unzufrieden mit Dodik ist, obwohl er ihn öffentlich unterstützt. Die separatistische Politik der RS kommt Serbien gerade nicht zugute, da Serbien selbst unter dem Druck des Westens steht, sich außen- und sicherheitspolitisch der EU anzunähern, und die Kosovo-Frage endlich zu lösen. Diese Prioritäten sind für die EU seit Februar 2022 angesichts des veränderten geopolitischen Umfelds wichtiger geworden.

 

Die EU muss sich durchsetzen

Es ist daher entscheidend, dass die EU es endlich wagt, ihre »hard power« in der RS und gegen Dodik einzusetzen. Entscheidungen des HR, die in der RS nicht durchgesetzt werden können, bleiben Makulatur. Auch wenn EU-Sanktionen im Rat an Ungarn scheitern sollten, da Ungarn gute Beziehungen zu Dodik pflegt, sollten bilaterale Sanktionen veranlasst und in der RS klar kommuniziert werden. Eine konfrontative Politik der EU gegenüber Dodik birgt natürlich das Risiko, die Lage weiter zu verschärfen und Dodik noch erratischer handeln zu lassen. Jedoch sind alle anderen bisherigen Versuche gescheitert. Das Blatt muss daher gewendet werden. Gleichzeitig muss die EU entschiedener im Kosovo-Serbien-Dialog vermitteln und eine Deeskalation der Situation im Nordkosovo sowie die vollständige Umsetzung des Normalisierungsabkommens vom Februar und März erwirken. Es muss klar gemacht werden, dass der Separatismus auf dem Balkan ein Ende hat.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2023

 

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