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Außen- und sicherheitspolitische Beziehungen der Westbalkanländer mit externen Akteuren

Geostrategische Konkurrenz für die EU oder lokale Machtkämpfe?

SWP-Aktuell 2023/A 05, 27.01.2023, 8 Pages

doi:10.18449/2023A05

Research Areas

Schon jetzt sind die sechs Westbalkanländer (WB6) politisch eng mit der EU verbunden. Doch seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine rückt nun auch die Frage einer Annäherung der WB6 an die Gemeinsame Außen- und Sicherheits­politik (GASP) stärker in den Fokus. Die EU sollte dabei die Zusammenarbeit der WB6 mit anderen externen Akteuren, wie Russland, China oder der Türkei, differenziert betrachten. Unter den sechs Staaten gibt es zwei »Ausreißer« – Serbien und Bosnien-Herzegowinas Republika Srpska –, die ihre außen- und sicherheitspolitischen Bezie­hungen, beispielweise mit Russland, für eigene politische Ziele nutzen. Serbien sucht Unterstützung für seine Kosovo-Politik und die Republika Srpska bemüht sich um Rückhalt für ihre separatistischen Tendenzen. Es ist nicht zu erwarten, dass die WB6 ihre Kooperation mit den genannten externen Akteuren in naher Zukunft komplett einstellen werden. In einer veränderten geopolitischen Lage muss die EU allerdings Prioritäten setzen, um die Ausreißer in GASP-Fragen enger an sich zu binden.

Obwohl die Übereinstimmung der Länder des West­balkans (WB) mit der GASP über­wiegend sehr groß ist, gibt es in der Region doch einige Akteure, die man als Konkur­renten der EU bezeichnen könnte: Russ­land, China und die Türkei. Die USA treten dort zwar als Partner der Union auf, haben aber unter Präsident Trump gezeigt, dass sie im Balkan mitunter eigene, von der EU ab­weichende Ziele verfolgen. Deutlich wurde dies zum Beispiel mit dem sogenannten »Washington Agreement« (2020), in dessen Kontext sich Serbien und Kosovo dazu be­kannten, ihre Botschaften in Israel nach Jerusalem zu verlegen, ein Schritt, der der GASP der EU zuwiderlaufen würde. Auch die Unterstützung der USA für die Wahl­gesetzreform in Bosnien-Herzegowina 2022 stimmt nicht ganz mit der Linie der EU über­ein. Die USA befürworteten die Gesetzes­änderung, weil damit Russland-nahe Par­teien geschwächt werden sollten. Die EU war über diesen Vorstoß nicht begeistert, da damit lokale Reformbemühungen durch eine uni­laterale Entscheidung des Hohen Repräsentanten untergraben worden wären. Allerdings betrachtet Brüssel die USA der­zeit nicht als Konkurrenten im Westbalkan. Beide Akteure handeln meistens komplementär und sind wichtige Partner im Bel­grad-Pristina-Dialog. Die Biden-Adminis­tration hat erkennen lassen, dass sie zur tradi­tionellen Politik der USA im Balkan zurückkehren will.

Russlands Rolle im Balkan wird oft als die eines Spoilers definiert, das heißt als eines Akteurs, dessen Strategie die Destabi­lisierung der westlichen liberalen Ordnung ist. Moskau kann in der Region keine signi­fikante wirtschaftliche oder politische Alter­native zur EU bieten. Es ist somit primär daran interessiert, die weitere Integration der Westbalkanstaaten in die EU zu obstru­ieren und eine Nato-Expansion zu verhindern. Allerdings verfügt Russland besonders in Serbien, in der Republika Srpska und in Montenegro wegen der gemeinsamen Zu­gehörigkeit zur Orthodoxen Kirche und der damit einhergehenden kulturellen Ver­bindungen über ausgeprägte »soft power«. Chinas Aktivitäten richten sich hauptsächlich auf den wirtschaftlichen Bereich (bei­spielweise in Infrastruktur- oder Bergbauprojekten). Es hat dadurch im Balkan aber auch außen- und sicherheitspolitisch an Relevanz gewonnen. Besonders hervor­zuheben ist der Handel mit Rüstungsgütern und Chinas Präsenz in Serbiens Über­wachungsinfrastruktur. Das Nato-Mit­glied Türkei konkurriert in der Region letztlich nicht auf sicher­heitspolitischem Terrain mit der EU. Jedoch spielt die Türkei dort im Rahmen von kulturellen Kooperationen ihre ebenfalls vorhandene »soft power« aus.

Außenpolitik, Diplomatie und kulturelle Kooperation

Inhalte und Intensität der außenpolitischen Zusammenarbeit zwischen den WB6 und externen Akteuren lassen sich gut auf der Bühne der internationalen Organisationen betrachten. Von besonderer Bedeutung ist hier der UN‑Sicherheitsrat (SR). Als dessen ständige Mitglieder haben China und Russ­land beispielweise Serbien unterstützt und die Anerkennung des Kosovo abgelehnt. Mit ihren Vetorechten verhindern China und Russland immer noch eine neue Resolution, die den finalen Status des Kosovo definieren würde. Diese Obstruktion ist ein wichtiger Grund, warum Kosovo von vielen Staaten immer noch nicht anerkannt wurde und es bis jetzt kein UN-Mitglied geworden ist. Allerdings haben fünf EU-Mitgliedstaaten (Spanien, Griechenland, Zypern, Rumänien und Slowakei) Kosovo ebenfalls nicht an­erkannt, aus Sorge, Teile ihres Territoriums zu verlieren, in denen große Minderheiten Selbstbestimmung fordern könnten.

Serbien hat 2015 bzw. 2017 auch die Mit­gliedschaft Kosovos in der Unesco und bei Interpol verhindern können, indem es sich diplomatisch eng mit Russland und anderen Staaten abgestimmt hat. Solange es keinen internationalen Konsens über den Status Kosovos gibt, wird diese Frage für Serbien immer ein Hebel zur Zusam­men­arbeit mit Moskau und Peking sein. Auch Russlands Angriff auf die Ukraine hat diese Koopera­tion nicht bedeutend eingeschränkt: Am Rande der UN-Generalversammlung haben Serbien und Russland am 23. September 2022 einen Konsultationsplan der Außenministerien beider Länder für die nächsten zwei Jahre unterschrieben, ein Akt, den die EU und die USA äußerst negativ aufgenom­men haben. Jedoch hat Serbien kürzlich ein ähnliches Abkommen auch mit den USA unterzeichnet. Zwar hat Serbien für einige UN-Resolutionen gestimmt, die die Invasion verurteilen, doch insgesamt ist seine Zustim­mung zu den Erklärungen des Hohen Ver­treters der GASP von 64 Prozent im Jahr 2021 auf 45 Prozent (2022) gefallen, vor allem da es sich nicht den Sanktionen gegen Russland angeschlossen hat. Das einzige andere WB-Land, das nur mit Einschränkungen mit der GASP übereinstimmt, ist Bosnien-Herze­gowina, weil die Republika Srpska für eine neutrale Haltung gegenüber der russischen Aggression plädierte. Alle anderen WB6-Staaten harmonieren zu 100 Prozent mit der GASP. Kosovos Rate wird nicht offiziell gemessen. Sein Anschluss an die Sanktionen hätte aber keine prak­tische Bedeutung, da es nicht von Russland anerkannt wird.

Russland hat auch kontinuierlich die Arbeit des Peace Implementation Council (PIC) obstruiert, der die Amtsführung des Hohen Repräsentanten für Bosnien-Herze­gowina beaufsichtigt. Allein in den fünf Jahren zwischen 2017 und 2022 hat Moskau im UN-SR sein Veto gegen die Ernennung des jetzigen Hohen Repräsentanten Chris­tian Schmidt eingelegt, sich der Erklärung des PIC widersetzt, dass die Republika Srpska kein Recht auf Sezession hat, und die Legi­timität der Urteile des Internatio­nalen Straf­gerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien in Frage gestellt. Russland ver­folgt das Ziel, das Büro des Hohen Repräsentanten abzu­schaffen und den westlichen Einfluss auf die Institutionen Bosnien-Herzegowinas zu mindern. An dieser Strategie erkennt man Moskaus Potential als Spoiler, die Macht­habern wie Milorad Dodik zugutekommt.

Fast alle Länder des Westbalkans pflegen enge kulturelle Beziehungen mit der Türkei. Ankara engagiert sich intensiv bei der Erhal­tung des osmanischen Kulturerbes im Bal­kan und finanziert über das Türkische Prä­sidium für Internationale Kooperation und Koordination die Renovierung von Denk­mälern und Moscheen bzw. den Bau neuer Gotteshäuser in den Teilen der Region, in denen überwiegend Menschen muslimischen Glaubens leben. Dies ist der Fall in der Föderation von Bosnien-Herzegowina, im Sandžak im Südwesten Serbiens und Nordosten Montenegros, im westlichen Teil Nord-Mazedoniens, in Albanien und im Kosovo. Darüber hinaus stellt die Türkei dort Mittel bereit für kulturelle Zentren und für Sprachkursangebote. Auch andere Länder aus dem Mittleren Osten, vor allem Golfstaaten wie Saudi-Arabien und die Ver­einigten Arabischen Emirate (VAE), inves­tieren in den Bau von Moscheen in Bosnien-Herzegowina oder in Immobilien und touris­tische Einrichtungen im WB. Ilidža, eine populäre Feriendestination nahe Sarajevo, wird umgangssprachlich auch »Kuwait City« genannt wegen ihres ausgeprägten arabischen Charakters. Bosnien-Herze­gowina pflegt gute Bezie­hungen zu vielen muslimischen Staaten, wie zum Beispiel Malaysia.

Die kulturelle Kooperation zwischen China und dem WB erstreckt sich primär auf institutionelle Einrichtungen wie das Kon­fuzius-Institut, das es an Universitäten in allen WB-Ländern gibt, außer im Kosovo. Das Konfuzius-Institut wurde in vielen Län­dern der EU in den letzten Jahren geschlos­sen, da es als ein Propaganda-Instrument der Kommunistischen Partei Chinas angese­hen wird. In Serbien wird gerade am Ort des Nato-Bombenanschlags auf die chine­sische Botschaft im Jahr 1999 ein neues chinesisches Kulturinstitut gebaut. Es wird das größte seiner Art in ganz Europa sein. Serbien unterhält besonders gute kulturelle und außenpolitische Beziehungen zu China, teils wegen der Unterstützung Pekings für die serbische Kosovo-Politik, teils wegen der strategischen Partnerschaft, die seit 2009 zwischen beiden Ländern besteht.

Belgrad hält weiterhin an seiner Ost-West-Balancepolitik fest, die auf der Idee der vier Säulen der serbischen Außenpolitik aufbaut, nämlich gute Beziehungen zu Russland, China, den USA und der EU zu pflegen. Allerdings ist so eine Politik nach der russischen Invasion auf die Ukraine nicht nachhaltig. Nach einer Studie des Belgrade Centre for Security Policy von 2020 wird in Serbien China als zweitwichtigster außenpolitischer Partner wahrgenommen, direkt hinter Russland. Laut derselben Studie beurteilten 90 Prozent der Befragten Chinas Einfluss im Land positiv und 75 Pro­zent glauben, dass China Serbiens größter Unterstützer im Kampf gegen die Pandemie war. Den Fakten zufolge war der größte Geber die EU, was nur 3 Prozent der Befrag­ten erkennen. Chinas Corona-Diplomatie war in Serbien sehr effektiv, aber man sollte im Auge behalten, dass Serbien sich durch diese Hilfen und durch die Impfstoffspenden und ‑käufe aus Russland, China, aber auch den USA, als regionale Macht profilieren konnte, indem es die Vakzine an seine Nachbarländer, die über keine flächendeckenden Bestände verfügten, weiterreichte.

Was die politische Zusammenarbeit zwischen Parteien oder zwischen einzelnen politischen Persönlichkeiten angeht, stechen Nord-Mazedonien, Serbien, Bosnien-Herze­gowina und Montenegro heraus. In Nord-Mazedonien stellte sich nach dem Angriff auf die Ukraine die Oppositionspartei Levica auf die Seite Russlands. Auch die ehemals regierende VMRO-DPMNE mit ihrem frühe­ren Vorsitzenden (und Ministerpräsidenten) Nikola Gruevski pflegt gute politische Be­ziehungen zu Russland und Putin. Die regierende Serbische Fortschrittspartei (SNS) hat seit 2018 eine Kooperationsvereinbarung mit der russischen Partei Einiges Russland (ER), die de facto von Wladimir Putin ge­führt wird. Amerikanische Geheimdienste haben im September 2022 einen Bericht vorgestellt, in dem sie behaupten, dass die Demokratische Front Montenegros (DF), die die Regierung zwischen 2020 und 2022 unterstützt hat, und der Präsident der Republika Srpska Milorad Dodik heimlich von Russland finanziert werden. Allerdings sollte betont werden, dass die DF und Dodik sehr eng mit der SNS kooperieren, die Ein­fluss auf die politische Landschaft in Monte­negro und in der Republika Srpska nimmt. Die SNS unter Serbiens Präsident Aleksan­dar Vučić nutzt ihre Kooperation mit Russ­land auch dazu, um ihre eigenen Ziele in der Region zu verfolgen.

Was Medienpräsenz und Medienkooperation betrifft, ist als wichtigster Fakt zu nennen, dass Russland in der Region mit dem Sender Sputnik präsent ist, der seit 2015 von Serbien aus arbeitet und dessen In­halte in fast allen WB-Ländern von lokalen Medien reproduziert werden. Ser­bien hat eine Medienkooperationsverein­barung mit China, das auch in Bosnien-Herzegowina durch das Online-Portal China Heute (kina-danas.com) präsent ist. Der türkische öffentlich-rechtliche Sender TRT hat 2022 TRT Balkan gestartet, der in allen Spra­chen der Region ausstrahlt.

Sicherheitspolitische Verflechtungen

Wenn man sich die sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen den WB6 und externen Akteuren anschaut, sticht heraus, dass alle Länder außer Kosovo OSZE-Mit­glieder und drei davon Nato-Mitglieder (Albanien, Montenegro und Nord-Mazedo­nien) sind. Kosovo ist ein Spezialfall, da es selbst eine OSZE- und eine Nato-Mission (KFOR) beherbergt, die nach dem Ende des Kosovo-Kriegs 1999 etabliert wurden. Ein enger Verbündeter des Kosovo sind die USA, die sich auch sicherheitspolitisch engagieren, indem sie Kosovos Bestreben unterstützen, eine eigene Armee aufzubauen, auch gegen die Empfehlung der Nato. Die Bezie­hungen zwischen Pristina und Washington sind seit dem Kosovo-Krieg 1999 eng. Die USA unterstützen Kosovo bei der Wahrung seiner Souveränität (auch in der Verteidigung) seither bedingungslos.

Die anderen zwei Nicht-Nato-Mitglieder Bosnien-Herzegowina und Serbien haben verschiedene Gründe für Ihre Nicht-Zu­gehörigkeit zum Bündnis. Bosnien-Herzego­winas Ministerrat hat neulich das Reformprogramm ratifiziert, dessen Unterzeichnung ein wichtiger Schritt zur Mitglied­schaft in der Allianz ist. Allerdings blockt die Republika Srpska, die sich an Belgrads Positionen orien­tiert, seit Jahren den Bei­tritt. Serbien ist seit 2006 ein militärisch neutrales Land. Seine Bevölkerung unter­stützt eine potentielle Nato-Mitgliedschaft nur zu 11 Prozent, 77 Prozent sind dagegen. Dies liegt vor allem an der Bombardierung des Landes durch die Nato wäh­rend des Kosovo-Kriegs. Dem Westen und der Nato wird auch oft die Schuld gegeben für den Verlust Kosovos. Es ist diese Anti-Nato- und antiwestliche Hal­tung, die hauptsächlich Belgrads prorussische Politik erklärt. Serbien ist auch Beobachter in der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), einem Militärbündnis, das von Russland an­geführt wird. Obwohl es mit diesem Status nicht die Verpflichtungen eines Voll­mitglieds hat, nimmt serbisches Militär­personal regelmäßig an militärischen Schulungen der OVKS teil. Serbien beteiligt sich auch regu­lär an der sogenannten »Slavic Brotherhood«-Übung, einem tri­lateralen Manöver mit Teilnehmenden der serbischen, russischen und weißrussischen Streitkräfte, das seit 2015 einmal jährlich durchgeführt wird, in den Jahren 2016 und 2019 in Serbien. Zwischen Ser­bien und Russland besteht seit 2013 auch eine strate­gische Partnerschaft.

Was Waffenhandel betrifft, ist hervorzuheben, dass Russland innerhalb des WB nur nach Serbien Waffen exportiert. Serbien ist das einzige WB-Land, das von Russland und China Waffen kauft. Es ist auch das einzige WB-Land, das Waffen in die VAE exportiert. Alle Länder außer Nord-Maze­donien kaufen Waffen von den USA, aller­dings hat Nord-Mazedonien (zusammen mit Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Kosovo) im Sep­tember 2022 Waffenspenden von den USA bekommen, bestimmt für Länder, die von Russ­land bedroht werden könnten. Die Türkei exportiert ihre Waffen in fast alle WB-Staaten. Allerdings importieren diese auch viel aus der EU: Albanien beispielweise aus Italien, Deutschland und Frankreich; Montenegro aus Österreich; Nord-Mazedonien aus Irland; Serbien aus Deutschland und Frankreich.

Ihre Sicherheit organisieren die WB6-Staaten auch innerregional, in Form von bilateralen Verträgen. Mit der Türkei hat Albanien ein militärisches Kooperations­abkommen, Nord-Mazedonien ein Abkommen über militärisch-finanzielle Zusammenarbeit und Montenegro eines über Rüstungskooperation. Die Türkei hat auch technische Ausrüstung an Kosovo gespendet und mit Serbien einen militärischen Rahmenvertrag abgeschlossen. Serbien ist das einzige WB-Land, das militärische Kooperations­abkommen mit Russland und mit China unterzeichnet hat. Diese zwei Vereinbarungen sind substantieller als die Abkommen der anderen Länder mit der Türkei, die sich überwiegend auf den Han­del von Verteidigungsgütern, logistische Unterstützung und gegenseitigen Beistand in Notfall­situationen bezie­hen. Gemäß seinen Verträgen teilt Serbien unter ande­rem strategische Informationen mit Russ­land und nimmt an gemeinsamen mili­tärischen Übungen teil. Auch die Republika Srpska nutzt ihre Beziehungen zu Moskau, um ihre separatistischen Ziele zu verfolgen. Sie hat ein Trainingszentrum für die Polizei der bosnisch-serbischen Entität eröffnet, des­sen Ausbildungsprogramm von russi­schen Spezialeinheiten geleitet wird.

Chinas sicherheitspolitisches Engagement in Serbien ist auch nicht zu ignorieren. Besonders zu beachten sind die chine­sische Präsenz in der serbischen Überwachungsinfrastruktur, gemeinsame Polizeipatrouil­len in serbischen Städten und eine zuneh­mend intensivere militärische Zusammenarbeit, deren sichtbarster Ertrag zuletzt der Kauf des chinesischen FK-3-Luftverteidigungs­systems war. Der EU-Beitrittskandidat Ser­bien ist für China ein gutes Testobjekt für einen potentiellen Eintritt in den europäischen Verteidigungsmarkt. Dabei sollte Chinas Einfluss auf die Über­wachungs­infrastruktur aus sicherheitspolitischer Perspektive als am kritischsten bewertet werden. Im Rahmen des soge­nannten Safe-City-Projekts, für das 2011 Serbien einen Vertrag mit dem chinesischen Technologieunternehmen Huawei unterzeichnet hat, wurden 1.000 Überwachungskameras an 800 geheimen Standorten in Belgrad instal­liert. Ausgestattet mit High-End-Gesichts- und Nummernschilderkennungssoftware öffnen solche Kameras eine technologische Hinter­tür für China, durch die es in die lokale Infrastruktur eindringen, ver­trau­liche Daten extrahieren und im schlimmsten Fall auch kritische Bereiche der Daseins­vorsorge lahmlegen kann.

Bedenken in Bezug auf hybride Bedrohun­gen sollten im Hinblick auf den Ukraine-Krieg nicht ignoriert werden. Sender wie Sputnik verbreiten Desinformationen, die von lokalen russlandaffinen Medien repro­duziert werden. Letztere berichten über das Geschehen in der Ukraine vorwiegend aus russischer Perspektive. Zu Anfang des Krie­ges haben rechtsextreme Organisationen im Balkan zahlreiche Pro-Russland-Kund­gebungen abgehalten, zum Beispiel in Belgrad, Banja Luka und Podgorica. Anfang Oktober 2022 waren in Belgrad Reklame­tafeln mit Putins Gesicht zu sehen, auf denen die konservativ-nationalistische Bewegung »Naši« dem russischen Prä­siden­ten zum Geburtstag gratulierte, mit dem Buchstaben »Z« auf dem Poster. Putin hat eine große Fangemeinde in Serbien und in der Republika Srpska, wo viele konservative bis rechtsextreme Gruppen gute Verbindun­gen zu Russland haben.

In Serbien gibt es auch fragwürdige Orga­nisationen wie den »Russian-Serbian Huma­nitarian Center« nahe Niš, circa 250 Kilo­meter von der Nato-Militärbasis Camp Bond­steel im Kosovo entfernt. Manche westliche Militäranalysten sehen in dem Zentrum einen Spionage-Außenposten des Kremls. Des Weiteren haben Serbien und Russland im Oktober 2020 vereinbart, dass das russi­sche Verteidigungsministerium in Serbien ein Büro eröffnen darf, ein Akt, der poten­tiell der militärischen Neutralität zuwider­laufen würde, zu der sich das serbische Par­lament 2007 verpflichtet hat. Darüber hin­aus gab es Berichte über die Einmischung Russlands in die internen Angelegenheiten von Nord-Mazedonien und Montenegro, vor allem offenbar mit dem Ziel, die beiden Länder von einer Nato-Mitgliedschaft ab­zuhalten. Diesen Informationen zufolge versuchte Russland schon seit 2008, poli­tischen Zwist in Mazedonien zu stiften, und stand hinter dem mutmaß­lichen Putsch­versuch in Montenegro im Jahr 2016, ein Jahr, bevor das Land Nato-Mitglied wurde. Russland fördert auch die separatistischen Bestrebungen der Republika Srpska und Serbiens Politik im Nordkosovo. Seine Aktivitäten haben durchaus das Potential, diese Regionen zu destabilisieren und die Sicherheit dort zu gefährden.

Allerdings sollte der Einfluss Russlands oder Chinas in all diesen Politikfeldern nicht überschätzt werden, denn die WB6 sind fest in europäische und überwiegend in euro-atlantische Strukturen integriert. Alle Länder sind entweder Kandidaten oder potentielle Kandidaten für den EU-Beitritt und haben Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU unterschrieben. Im Endeffekt sind es überschaubare Kräfte im WB, die die Beziehungen mit Russland und China instrumentalisieren, um ihre politischen Ziele zu erreichen.

Handlungsempfehlungen für die EU

Die WB6 werden nicht aufhören, mit den genannten externen Akteuren zusammenzuarbeiten, solange sie im »Warteraum« der EU sitzen. Doch hat die Kooperation mit Russland seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs eine neue Bedeutung be­kommen. Daher stellt sich die Frage, was die EU tun kann, um die Differenzen in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, die externe Akteure ausnutzen (wozu ihnen lokale Ak­teure die Bühne bieten) zu überwinden oder zumindest zu verringern. Die Sonderwege, die einige der WB6 auf diesem Politikfeld beschreiten, eröffnen sich hauptsächlich wegen des Fehlens einer realistischen EU-Beitrittsperspektive für diese Länder und das dadurch fehlende Reformengagement in der Region. Die EU sollte daher auf folgende Punkte mehr Aufmerksamkeit verwenden:

1. Erhöhung der Glaubwürdigkeit der EU im WB durch Reformen und Er­füllung von Verspre­chen. Die EU kämpft im Westbalkan mit einem Verlust an Glaubwürdigkeit, vor allem wegen des aktuellen Stands der Erweite­rungspolitik. Kaum ein Land im WB glaubt heutzutage, dass es eine wirkliche Beitrittschance hat, ungeachtet der oft wiederholten Floskeln, wonach die Zukunft des West­balkans in Europa liege. Die sechs Staaten werden nicht ewig im EU-Warte­raum sitzen, ohne mit externen Akteuren zusam­men­zuarbeiten, von denen sie unmittelbare Vorteile erhalten. In den inter­nationalen Beziehungen nennt man ein solches Ab­sicherungsverhalten »hedging«. Der WB kann nur durch einen absehbaren EU-Bei­tritt außen- und sicherheitspolitisch enger an die EU gebunden werden, nicht zuletzt weil die Erfüllung des Kapitels 31 (GASP) der Beitrittsverhandlungen eine Voraus­setzung für die Aufnahme ist.

Die Erfahrung mit der Konditionalität im Beitrittsprozess war für Nord-Mazedonien und Albanien negativ, denn mit der Weige­rung der EU, Verhandlungen mit den zwei Ländern aufzunehmen, hat Brüssel falsche Signale in die Region gesendet. Nämlich, dass Reformen unwichtig sind, sobald es einen EU-Mitgliedstaat gibt, der den Erwei­terungsprozess blockieren kann, wie in diesem Fall Bulgarien. Das Beitrittsverfahren muss reformiert werden, nicht nur um die EU wieder glaubwürdiger im WB zu machen, sondern auch um die langfristige Funk­tionsfähigkeit der EU nach einer eventuellen neuen Erweiterung zu gewähr­leisten. Die Einführung von Mehrheits­entscheidungen im Rat bei Erweiterungsfragen oder ein schrittweiser EU-Beitritt wären mögliche Lösungen.

2. Strategische Kommunikation der EU im WB. Es ist entscheidend, dass die EU mit einer Stimme im WB kommu­niziert – nicht nur für ihre Glaubwürdigkeit, son­dern auch um den Einfluss externer Akteure zu minimieren, die den öffent­lichen Diskurs durch Desinformationen über die EU prä­gen können. Das Gebot einer strategischen Kommunikation bezieht sich sowohl auf den Diskurs über die EU im WB, als auch auf den über den WB in den EU-Ländern. Die EU sollte mehr Mittel bereitstellen, um demo­kratisch orientierte zivilgesellschaft­liche Organisationen und unabhängige Medien im WB zu fördern, und darauf achten, dass die Kommunikation zwischen den einzelnen EU-Institu­tionen im WB besser miteinander abgestimmt ist.

3. Verstärkte EU-Vermittlung beim Normalisierungsabkommen zwischen Serbien und Kosovo, in Kooperation mit den USA. Im November 2022 hat sich wieder gezeigt, dass die Lage im Nordkosovo immer ein Eskalations­potential bergen wird, solange Serbien und Kosovo kein umfassendes Normalisierungsabkommen geschlossen haben. Ein Beispiel ist der Streit um KFZ-Kennzeichen. Die Re­gie­rung in Pristina hatte zunächst beschlossen, Ser­ben aus dem Kosovo, die an ihren Fahr­zeugen weiterhin in Serbien ausgestellte Nummern­schilder für Städte im Kosovo verwenden, zu sanktionieren. Daraufhin verließen die Kosovoserben kollektiv die kosovarischen Institutionen im Norden und in Pris­tina. Die EU schaffte es nur mit Hilfe der USA, eine Lösung des Konflikts zu ver­mitteln. Allerdings sind bisher nur die Ser­ben in Pristina ins Parlament zurückgekehrt, im Norden verfolgen sie noch immer ihre Boykottpolitik. Deshalb wäre es wichtig, dass die EU auf der seit 2013 vereinbarten Etablierung des Verbands der Kommunen mit serbischer Mehrheit im Kosovo besteht, denn die Implementierung dieser Organisation könnte die Reinte­gration der Serben in die Kosovo-Institutionen bewir­ken. Auch bei den jüngsten Protesten und Straßen­blockaden in Nordkosovo im Dezember 2022 hat sich gezeigt, dass die Gemeindevereinigung eine wichtige Rolle bei der Eingliederung der Kosovoserben spielt.

Große Fragen sind aber weiterhin offen, etwa die gegenseitige Anerkennung Ser­biens und Kosovos und dessen internatio­naler Status. Der erste Schritt in die richtige Richtung wurde jüngst mit dem deutsch-französischen Vorschlag gemacht, der für Serbien und Kosovo ein ähnliches Modell vorsieht wie das, welches die Bezie­hungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR geregelt hat. Bonn akzeptierte, dass beide deutsche Staaten Mitglieder der UN wurden, ohne dass es die DDR de jure als Staat anerkannte. Die Bundes­republik konnte also ihre Rechtsauffassung bewah­ren, musste aber zugleich akzeptieren, dass die DDR auf internationalem Parkett als souveräner Staat auftrat.

Eine derartige Lösung für den Serbien-Kosovo-Normalisierungsprozess könnte bewirken, dass Belgrad seine Bemühungen um russische und chine­sische Unterstützung im UN-SR beendet und seine außenpolitische Kooperation mit diesen Akteuren vermindert. Allerdings ist zu beachten, dass – auch wenn ein Normalisierungsabkommen zu­stande kommt – Russland im SR immer noch sein Veto gegen die Anerkennung Kosovos einlegen könnte, um ein Junktim herzustellen mit der Anerkennung seiner Herrschaft über die Krim oder den Donbas. Das heißt, ein Abkommen könnte Serbiens außenpolitische Abhängigkeit von Russland reduzieren, aber keine Lösung dar­stellen für Kosovos Stre­ben nach inter­nationaler Anerkennung.

4. Verstärkte EU-Vermittlung bei institutio­nellen Reformen in Bosnien-Herzegowina. Reformen der Wahl- und Grundgesetz­gebung sind notwendig, bevor Bos­nien-Herzegowina der EU beitreten oder die EU überhaupt Verhandlungen eröffnen kann. Es ist wichtig, dass diese Novellierungen nicht durch unilaterale Beschlüsse des Hohen Repräsentanten zustande kom­men. Christian Schmidts Entscheidung, das Wahl­gesetz inmitten des Wahlprozesses zu ändern, hat im Europäischen Parlament und im Deutschen Bundestag negative Re­aktionen hervorgerufen. »Local ownership« kann nur durch verstärkte Konsultationen mit allen Parteien (inkl. der nicht-konstitu­tiven Minderheiten), eventuell sogar auch den Bürgerinnen und Bürgern realisiert werden. Legislative Beschlüsse sollten letzt­endlich nicht von außen, sondern von innen kommen. Eine Reform des Grund­gesetzes sollte auch die unilateralen Hand­lungs­potentiale der Republika Srpska minimieren. Damit würden deren politische Verbindungen mit Russland irrelevanter für die Funktionsfähigkeit des Staates.

5. Durch Alternativen und Anreize Serbiens Übereinstimmung mit der GASP fördern. Diese Strategie könnte beispielweise im Energiesektor verfolgt werden. Für diesen Bereich hat die EU den WB6 schon 1 Milliarde Euro versprochen. Serbien ist nicht nur vom russischen Gas abhängig, sondern auch von Russlands Unterstützung für seine Kosovo-Politik. Dies ist auch der Hauptgrund, warum sich Serbien nicht an die GASP annähert. Eine Möglichkeit, wie man diese Abhängig­keiten mitigieren kann, ist beispielweise die Verstärkung der Investitionen in erneuer­bare Energien, die Aufnahme Serbiens in EU-gemeinsame Käufe von Energieträgern und parallel dazu das kontinuierliche Engagement im Normalisierungsprozess mit Kosovo. Die EU sollte im Hinblick auf Serbien zurückhaltend mit Strafmaßnahmen sein, denn das Narrativ, Opfer des »Westens« zu sein, ist in der Gesellschaft tief verankert, weshalb Sanktionen Russland direkt in die Hände spielen könnten. Eine große Mehrheit der Menschen in Serbien betrach­tet nach diversen repräsentativen Umfragen Russland als dasjenige Land, auf das sich die eigene Regierung außenpolitisch orien­tieren sollte. Russ­land wird auch in den Medien als der positivste Akteur dar­gestellt (die Hal­tungen zur EU sind dagegen ausgeglichen). Die Mehr­heit der Befragten würde keine Sank­tionen gegen Russland mittragen, auch wenn das einen schnelleren EU-Bei­tritt be­deuten würde. In dieser Stimmung könnten Strafmaßnahmen leicht das prorussische Narra­tiv im Land – das auch von Präsident Vučić verbreitet wird – verstärken. Die EU muss sich auch fragen, welche Signa­le sie sendet, wenn sie Serbien erst im Kontext der Sank­tionspolitik gegen Russ­land bestraft statt für seine jahrelange Weigerung, Refor­men im Bereich Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit um­zuset­zen. Es wäre klüger, Druck an bestimmten Stellen wie dem Nor­malisierungsprozess mit Kosovo auszuüben.

Fazit

Für die WB6 bleibt die einzige realistische Option für institutionalisierte Kooperation immer noch die EU-Mitgliedschaft, da exter­ne Akteure nur so viel außen- und sicher­heitspolitisches Handlungspotential haben, wie ihnen durch lokale Defizite geboten wird, wie zum Bei­spiel die Nicht­anerken­nung Kosovos von Seiten Serbiens oder die ethnisch organisierte Aufstellung der Institu­tionen in Bosnien-Herzegowina. Geopolitische Rivalitäten mit Russland dürfen indes nicht dazu führen, dass die unerlässlichen Reformen im WB durch »Easy Fix«-Lösun­gen überbrückt werden. Das heißt, mit Serbiens Einführung von Sank­tionen gegen Russland wird das Kosovo-Problem nicht gelöst. Die EU muss daher intensiver an diesen Fronten arbeiten. Sie sollte auch in viel höherem Maße lokale Akteure wie Vučić oder Dodik als Haupttreiber der pro­russischen Politik auf dem Balkan ansprechen, anstatt das Einmischungspotential Russlands dort zu überschätzen. Es braucht am Ende immer Kräfte vor Ort, die sich mit der Politik exter­ner Akteure identifizieren können und sie im eigenen Land relevant machen.

Dr. Marina Vulović ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt »Geostrategische Konkurrenz für die EU im west­lichen Balkan«.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2023

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