Die EU ist nach wie vor eine treibende Kraft im globalen Klimaschutz. Das für 2030 vereinbarte Emissionsminderungsziel von netto 55 Prozent (im Vergleich zu 1990) sichert der EU in der Gruppe der Industrieländer einen Spitzenplatz. Bei der Frage der EU-internen Differenzierung treten jedoch immer wieder erhebliche Konflikte auf, zwischen den ambitionierten Mitgliedstaaten Nordwesteuropas und den weniger ehrgeizigen Regierungen Mittelosteuropas, aber auch fluiden Allianzen, die sich je nach Thema zusammenfinden. Dies zeigte sich auch bei den Verhandlungen über ein Treibhausgasneutralitätsziel bis 2050 sowie über die Verschärfung der Zielmarke für Emissionsminderungen bis 2030. Mit Blick auf die Fortschreibung der klimapolitischen Architektur für 2031-2040 steht die EU vor schwierigen politischen Entscheidungen – insbesondere mit Blick auf die »schwer vermeidbaren« Emissionen in der Industrie und der Landwirtschaft.
Seit 2019 verfolgt die EU-Kommission eine Neuausrichtung der Klimapolitik entlang des von der EU-Kommission konzipierten »Green Deal«. Dabei wurden verschiedene Politikfelder wie die Finanz-, Agrar-, Handels- und die Entwicklungspolitik einbezogen und ausführliche Gesetzespakete auf den Weg gebracht. Angesichts der Corona-Pandemie und der russischen Invasion in der Ukraine sah sich die europäische Energie- und Klimapolitik einer neuen politischen Lage konfrontiert. Der Weiterentwicklung und Ambitionssteigerung der Klimapolitik wurde jedoch nicht aufgehalten: das Gesetzespaket »Fit-for-55« wurde in weiten Teilen erfolgreich umgesetzt.
Die Europäische Union wird mit ihren internationalen Partnern daran arbeiten müssen, die wichtigsten Beschlüsse des Pariser Abkommens mit Leben zu füllen und gleichzeitig die Neuausrichtung der außen- und sicherheitspolitischen Interessen damit zu verknüpfen. In den Klimaverhandlungen geht es dabei um Beiträge zum fünfjährigen Überprüfungszyklus (global stocktake) der »nationally determined contributions« (NDCs) der 196 Vertragsstaaten, und um Technologieoptionen zur Erreichbarkeit des 2-Grad bzw. des 1,5-Grad-Ziels. Die Kosten der sicherheitspolitischen und ökonomischen Krisenbewältigung in Europa werden den politischen Druck erhöhen, der Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz von Versorgungsketten mehr Bedeutung beizumessen. Ob dies zu Lasten eines ambitionierten Klimaschutzes geht, wird sich mit der Verabschiedung des 2040-Zwischenziels und der anschließenden Fortschreibung des klimapolitischen Instrumentariums bis 2040 entscheiden.
Die EU-Klimapolitik hat noch nicht adressiert, wie die CO₂-Entnahme angereizt und reguliert werden soll. Mark Preston von Bellona Europa und Felix Schenuit von der Stiftung Wissenschaft und Politik empfehlen, die Debatte nicht auf eine ETS-Integration zu verengen.
doi:10.5771/9783748944614-51
Klimaexperte Felix Schenuit über den Green Deal der EU und warum er trotz des Widerstands der Landwirtschaft und eines möglichen Rechtsrucks nach den Wahlen keinen Rollback befürchtet.