Nach der Liquidierung des IS-Anführers Baghdadi durch US-Spezialkräfte beginnt eine neue Phase der Terrorismus-Bekämpfung, die vor allem vom Rückzug der USA aus Syrien geprägt sein wird. Die Europäer müssen die entstehende Lücke nun schließen, meint Guido Steinberg.
Am Sonntag verkündete US-Präsident Trump, dass amerikanische Spezialkräfte den Anführer des Islamischen Staates (IS) bei einer Operation in der nordwestsyrischen Provinz Idlib getötet hätten. Bei der Liquidierung von Abu Bakr al-Baghdadi alias Kalif Ibrahim handelt es sich um den vielleicht größten Erfolg westlicher Terrorismusbekämpfung seit dem Tod von al-Qaida-Chef Usama Bin Laden im März 2011 im pakistanischen Abottabad.
Baghdadi war seit 2010 Anführer der irakischen Organisation Islamischer Staat im Irak (ISI), die damals nicht einmal mehr tausend Kämpfer zählte und kurz vor der Zerschlagung stand. Infolge des amerikanischen Abzugs aus dem Irak, der im Dezember 2011 beendet wurde, schaffte er es innerhalb von nur drei Jahren, aus der arg gebeutelten Gruppe eine terroristische Armee zu formen, die weite Teile Ostsyriens und des Nordwestirak einnahm und dort einen Dschihadistenstaat aufbaute. Spätestens als Baghdadi sich im Juni 2014 zum Kalifen ernannte und den »Islamischen Staat« ausrief, machten sich zehntausende Freiwillige aus aller Herren Länder auf den Weg, um sich ihm anzuschließen. Nie vorher hatte eine dschihadistische Organisation einen solchen Zulauf aus so vielen verschiedenen Ländern. Auch wenn der IS mit dem Tod seines Kalifen nicht geschlagen ist, wird es ihm schwerfallen, seinen Anführer durch eine ähnlich starke Persönlichkeit zu ersetzen und seine Attraktivität für junge Rekruten zu bewahren.
Die Tötung des Terrorkalifen zeigt zum wiederholten Male, wie wichtig die USA für die Bekämpfung von islamistischen Terroristen weltweit sind und wie verlässlich das US-Militär, die CIA und die NSA agieren. Dies gilt auch dann, wenn – wie im Falle Baghdadis und des IS – die Terroristen weniger für die USA als für ihre Verbündeten eine Bedrohung darstellen. In Europa gelangen der Organisation große Anschläge wie die von Paris am 13. November 2015, als ein aus Syrien entsandtes IS-Kommando 130 Menschen tötete. In den USA hingegen schaffte es die Organisation gerade einmal, einige wenige Einzeltäter zu überzeugen, in ihrem Namen zu operieren. Die Operation in Idlib diente deshalb weit mehr der europäischen inneren Sicherheit als der der Vereinigten Staaten; die in Deutschland verbreitete These von der neuen Unzuverlässigkeit der Amerikaner trifft zumindest für die Terrorismusbekämpfung nicht zu. Als unzuverlässig hat sich vielmehr Deutschland erwiesen, das sich nicht nennenswert am Kampf gegen den IS im Irak und Syrien beteiligt hat und nicht einmal bereit war, einige deutsche IS-Kämpfer aus syrisch-kurdischer Haft zu übernehmen und in ihrer Heimat vor Gericht zu stellen.
Dass die Tötung von Baghdadi offenbar unter Zeitdruck erfolgte, ist bedenklich. Es zeigt, dass die US-Geheimdienste erwarten, dass sie infolge des Rückzugs der amerikanischen Truppen aus Syrien schon bald weniger Informationen aus dem Land erhalten. Das ist vor allem für Europa gefährlich, denn in Syrien operieren immer noch tausende Dschihadisten in den Reihen von IS, Nusra-Front und kleineren Formationen, die noch dazu viele europäische Kämpfer in ihren Reihen haben. Zwar können sich die meisten Gruppierungen noch in der Provinz Idlib halten, doch zeichnet sich die Einnahme der Gegend durch Regimetruppen und ihre russischen Unterstützer bereits seit langem ab. Sollten die Militanten von dort vertrieben werden, bleibt vor allem die Flucht in die Türkei, von wo es nicht allzu schwierig ist, nach Europa zu gelangen. Ohne nachrichtendienstliche Informationen aus den USA werden die Europäer große Probleme haben, die Reisebewegungen der Dschihadisten rechtzeitig aufzuklären. Denn insbesondere Deutschland hat seine Auslandsaufklärung weitestgehend an die US-Dienste ausgelagert.
Das wichtigste Problem der europäischen Terrorismusbekämpfung bleibt aber die Türkei. Dies zeigt sich an dem Ort der Operation in Idlib, der sich nahe Barisha und damit nur rund fünf Kilometer von der türkischen Grenze entfernt befand. Das türkische Militär unterhält Beobachtungsposten in der Provinz und pflegt enge Beziehungen zu den syrischen Aufständischen dort, so dass es türkischen Diensten leicht möglich gewesen wäre, von der Präsenz Baghdadis und seines Gefolges zu erfahren. Sogar in irakischen Sicherheitskreisen in Bagdad wurde seit Monaten kolportiert, Baghdadi halte sich in Idlib auf, während die Türkei angeblich nichts wusste. Dies fügt sich in das Bild türkischer Politik seit 2013, die den IS nicht nur nie entschlossen bekämpft hat, sondern ihn auch zumindest passiv unterstützt hat. Der Nachschub des IS an Kämpfern und Versorgungsgütern lief seit 2013 ganz ohne Probleme über das Nachbarland, das auch die Nutzung seines Staatsgebiets als Ruheraum zuließ. Außerdem gestattete Ankara einen regen Handel mit dem IS-Territorium. Dies erklärt, warum sich Baghdadi nahe der türkischen Grenze in Idlib sicherer fühlte als in seinem Heimatland Irak oder im syrischen Osten.
Gelingt es den Europäern nicht, die Türkei von der Notwendigkeit einer entschlossenen gemeinsamen Bekämpfung des IS und anderer Dschihadisten zu überzeugen, wird es nach dem amerikanischen Abzug aus Syrien auch für Europa gefährlicher. In den nächsten Monaten und Jahren gilt es deshalb, die Beziehungen zur Türkei soweit möglich auf eine neue Grundlage zu stellen, die Kontrolle der EU-Außengrenzen zu gewährleisten und die Arbeit der europäischen Nachrichtendienste in Syrien und seinen Nachbarländern (einschließlich der Türkei) zu intensivieren. Die militärische Niederlage des IS und der Tod von Baghdadi sind auch für die Europäer der Beginn einer neuen Phase in der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus. Sie wird vor allem von dem Rückzug der USA aus Syrien geprägt werden und die Europäer zwingen, mehr für ihre eigene Sicherheit zu tun.
Dieser Text ist auch unter Tagesspiegel.de und Zeit.de erschienen.
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