Die Bundesregierung plant massive Einsparungen bei Krisenprävention und Friedensförderung. Diese Kürzungen sind jedoch nicht mit den außen- und sicherheitspolitischen Erfordernissen einer gewaltsamen Welt im Umbruch zu vereinbaren, meint Gerrit Kurtz.
Die Stabilisierung der ukrainischen Energieinfrastruktur, der Wiederaufbau im Irak nach den Zerstörungen von Da‘esh, oder die Unterstützung der UN-Vermittlungsarbeit im Jemen: Deutschland finanziert weltweit Projekte ziviler Konfliktbearbeitung. Spätestens seit dem spektakulären Scheitern in Afghanistan und Mali ist allseits bekannt, dass diese Friedensarbeit schwierig ist. Doch sie trägt ebenso wie die angestrebte Vollausrüstung der Bundeswehr zur Sicherheit Deutschlands bei.
Dennoch setzt die Bundesregierung nun die haushaltspolitische Axt an diese Arbeit. Bereits im Haushalt 2024 kürzte sie die dafür vorgesehenen Mittel des Auswärtigen Amtes (AA) und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ): allein 29% im entsprechenden Titel im AA. Der Kabinettsbeschluss vom 17. Juli 2024 sieht erneute massive Streichungen für das kommende Jahr vor: weitere 18% im genannten AA-Titel, 38% bei der Krisenbewältigung im BMZ, sowie über 50% im Bereich humanitäre Hilfe, die oft in Konfliktregionen eingesetzt wird. Diese Kürzungen fallen überproportional stark aus, weil die meisten anderen Titel des AA und BMZ nicht kurzfristig angepasst werden können.
Gleichzeitig überarbeiten die Ressorts derzeit turnusgemäß das strategische Grundlagendokument in diesem Bereich, die Leitlinien »Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern« von 2017. Die Leitlinien stellen das staatliche Handeln unter ein Friedensleitbild und nennen grundlegende Handelsprinzipien, Ziele, Instrumente und Aufgabenfelder für die zivile Konfliktbearbeitung im Ausland. Die Bundesregierung muss sich fragen, ob sie weiterhin die Vermeidung von Krieg und Gewalt als „deutsche Staatsraison“ bezeichnen kann (O-Ton Leitlinien), wenn sie Mittel dafür in so hohem Maße zusammenstreicht.
Die Welt, in der wir leben, wird unsicherer. Es gibt es derzeit so viele bewaffnete Konflikte wie nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die sich immer mehr beschleunigende Klimakrise heizt Ressourcenkonflikte an. Transaktional agierende Mittelmächte wie die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emiraten prägen eine Weltordnung im Wandel, indem sie etwa in Afrika Waffen und Drohnen an Konfliktakteure liefern. Die neo-imperiale Aggression Russlands ist ungezügelt.
Deutschland kann es sich daher schlichtweg nicht leisten, weniger in Prävention, Diplomatie und Friedensförderung zu investieren.
Bereits jetzt kann sich Deutschland weniger als bisher auf die multilateralen Organisationen und Alliierten verlassen, denen es in der Vergangenheit weitgehend die Führungsrolle zugesprochen hat. Zudem haben diese Partner immer wieder, aus deutscher (und lokaler) Sicht, problematische Schwerpunkte gesetzt, wie die USA in Afghanistan, Frankreich in Mali oder die Afrikanische Union in Sudan. Die Europäische Union unterstützt einerseits zivilgesellschaftliche Friedensbemühungen und andererseits die Migrationsabwehr autoritärer Staaten wie Libyen, Tunesien und Ägypten, welche Geflüchtete misshandeln und zurück in Konfliktgebiete wie Sudan schicken.
Geld allein reicht daher nicht. Deutschland sollte auch mehr prinzipiengeleitete Führung zeigen. In jedem Konflikt, ob in der Ukraine oder in Sudan, sind vor allem politische Strategien gefragt. Um diese auszuarbeiten, abzustimmen und umzusetzen braucht es jedoch das entsprechende Personal, belastbare Koordinationsmechanismen und die Nachfrage der jeweiligen Hausspitze. Der Bundestag sollte sowohl in den Haushaltsberatungen nachsteuern als auch die Entwicklung eines stärker abgestimmten Vorgehens der Ressorts einfordern.
Die Leitlinien hingegen sollten noch stärker die Grenzen deutscher Handlungsmöglichkeiten sowie postkoloniale Perspektiven anerkennen. Zielkonflikte sind der Normallfall in der Konfliktbearbeitung, sie können nicht ohne Weiteres aufgelöst werden. Wie mit ihnen umzugehen ist, sollten primär Akteure vor Ort entscheiden, die mit den Folgen von Krieg, Armut und Repression leben. In einer Zeit, in der das Zusammenleben auch in Deutschland und Europa spannungsgeladener wird, können wir noch Einiges von Gesellschaften lernen, die schon länger mit Polarisierung, Desinformation und Radikalisierung kämpfen.