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TTIP muss nicht zum Blankoscheck für die Einfuhr von Chlorhühnern & Co. werden

Die Angst der Verbraucherschützer vor den Folgen des TTIP ist groß. Doch die EU hat langjährige Erfahrungen damit, die eigenen Standards zu halten. Sie zeigen, dass ein Wettlauf nach unten nicht zwingend ist, meint Bettina Rudloff.

Kurz gesagt, 05.06.2014 Forschungsgebiete

Die Angst der Verbraucherschützer vor den Folgen des TTIP ist groß. Doch die EU hat langjährige Erfahrungen damit, die eigenen Standards zu halten. Sie zeigen, dass ein Wettlauf nach unten nicht zwingend ist, meint Bettina Rudloff.

Am 23. Mai endete in Arlington, USA, die fünfte Verhandlungsrunde für das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP, die wieder von massiver öffentlicher Kritik begleitet war. Diese kommt vor allem von Verbraucherschützern, die befürchten, dass das TTIP die strengen EU-Standards für Nahrungsmittel unterlaufen könnte und damit doch noch die bei uns verbotenen gentechnisch veränderten Nahrungsmittel, Hormonsteaks oder Chlorhähnchen auf den Tisch bringt. Und mehr noch: es besteht die Sorge, dass im TTIP jetzt grundlegende Mechanismen vereinbart werden, mit denen noch gar nicht zu ermessende Verbraucherschutzfragen erst später und an der Öffentlichkeit vorbei entschieden werden könnten.

Bestehende Prinzipien für den Umgang mit unterschiedlichen Verbraucherstandards

Rechtliche Grundlage für alle bilaterale Freihandelsabkommen sind die Bestimmungen der World Trade Organization (WTO), die auch für Nahrungsstandards generelle Prinzipien rechtlich einklagbar definiert hat: ihr SPS-Abkommen etwa regelt sanitäre und phytosanitäre Standards. Trotz prinzipieller nationaler Entscheidungsfreiheit über das Verbraucherschutzniveau verlangt es, dass Standards »wissenschaftsbasiert« sein müssen. Dabei werden die Standards von drei internationalen Organisationen als völkerrechtlich verbindliche Referenzstandards herangezogen. Jede Abweichung nach oben muss durch eine Risikoschätzung gerechtfertigt werden. Damit unterliegen strengere Standards dem Risiko einer Verurteilung. Die EU etwa ist auf eben dieser Grundlage für ihre Importverbote bzw. Zulassungsbeschränkungen im Hormonfleisch- und Gentechnikstreit mit den USA verurteilt worden. Durch das hohe Verurteilungsrisiko entsteht großer Druck, Standards auf Referenzniveau zu harmonisieren.

Kommt eine Harmonisierung nicht in Betracht, empfiehlt die WTO die wechselseitige Anerkennung von Maßnahmen zur Erreichung bestimmter Schutzniveaus als »gleichwertig« oder »äquivalent«. Die Beweispflicht liegt dabei beim exportierenden Staat. Entsprechende Äquivalenzabkommen decken oft Prozessstandards wie Kontrollverfahren in Molkereien oder Schlachthöfen ab. Bestehen nämlich substanzielle Unterschiede beim Schutzniveau selber, etwa in Form verschiedener Belastungswerte im Endprodukt, ist dessen Anerkennung kaum zu erzielen.

Neben der Risikoschätzung und der wechselseitigen Anerkennung gibt es die Möglichkeit, sich sein höheres Schutzniveau mit einem Ausgleich zu erkaufen. Dies ist zum Beispiel nach dreißig Jahren Hormonfleischstreit geschehen, in denen die EU trotz Verurteilung und der Zahlung von US-Strafzöllen in Höhe von über 100 Mio. US-Dollar pro Jahr weiter an ihrem Einfuhrverbot für jegliches amerikanisches Rindfleisch festgehalten hatte. Man einigte sich schließlich darauf, dass die USA eine bestimmte Menge an zertifiziertem, hormonfreiem Rindfleisch in die EU einführen, wofür ihnen diese im Gegenzug Zollfreiheit gewährt. Eine solche Win-win-Situation ist aber nur dann möglich, wenn es Spielraum für Vergünstigungen gibt. Werden Zölle stark abgebaut, wie im TTIP vorgesehen, müssen andere Anreize gefunden werden, etwa vereinfachte Kontrollverfahren.

Die bereits mit Hilfe der WTO-Maschinerie hart erkämpften Lösungen werden durch das TTIP wohl nicht in Frage gestellt. Ganz im Gegenteil können sie sogar bei ähnlichen Fällen helfen – so ist etwa die Rindfleischlösung auch für den Konflikt um gechlorte Hühnchen denkbar, deren Import die EU untersagt. Ein WTO-Urteil zu diesem Fall steht noch aus.

Als generell problematisch wird von vielen jedoch die im EU-Verhandlungsmandat angestrebte transatlantische »regulatorische Kooperation« angesehen, wenn diese als prinzipielle Lösung für alle heute noch gar nicht absehbaren Verbraucherfragen herhalten soll. In einem Regulierungsrat sollen sich Experten aus der EU und den USA im Sinne eines »lebenden Abkommens« laufend über Standards austauschen und Lösungsmöglichkeiten, zum Beispiel wechselseitige Anerkennungen, ausloten. Kritiker sehen die Gefahr, dass dieses Gremium zu einer Art Blankoscheck wird, mit dem niedrigere amerikanische Schutzniveaus durchgedrückt werden.

Regulatorische Kooperation senkt nicht automatisch das Schutzniveau

Die Idee eines solchen Gremiums ist auch für die EU nicht neu. Zumindest in ihren neueren Handelsabkommen hat sie sich auf unterschiedliche Formate bilateraler Gremien auch zu Nahrungsstandards geeinigt – etwa mit Chile, Korea, Peru und Kolumbien. Auch das bereits seit 1999 bestehende transatlantische Veterinärabkommen ist Ergebnis einer regulatorischen Kooperation – und definiert als »lebendes Abkommen« fortlaufend sehr konkret und produktgenau wechselseitige Anerkennung der Gleichwertigkeit. Gerade dieses Abkommen aber kann die Sorge vor einem Wettlauf nach unten entkräften, denn es zeigt, dass die gegenseitige Anerkennung nicht zum Automatismus werden muss. Vor allem die EU bewies hier Hartnäckigkeit: während die USA für 28 von insgesamt 73 Produktgruppen europäische Schutzmaßnahmen als gleichwertig anerkannten, tat die EU dies umgekehrt in nur drei Fällen. Das Veterinärabkommen kennt auch bedingte Äquivalenz, auf deren Grundlage Anerkennung erst dann gewährt wird, wenn der Exportstaat bestimmte Bedingungen erfüllt hat. Zudem können ganze Bereiche komplett von der Möglichkeit einer Anerkennung ausgeschlossen werden. Die EU hat dieses Recht für mehr als die Hälfte aller Produktgruppen in Anspruch genommen.

Um auch im TTIP sicherzustellen, dass die regulatorische Kooperation nicht zu einer automatischen Anpassung führt, sollte sich die EU selbstbewusst an ihrer bisherigen Äquivalenztradition orientieren. Wichtig ist zudem, wie der Regulierungsrat besetzt wird: neben der Industrie sollte unbedingt auch die Zivilgesellschaft in den Aushandlungsprozess eingebunden werden. Dies würde dafür sorgen, dass nicht nur die reinen Handelswirkungen neuer Standards bzw. gegenseitiger Anerkennungen berücksichtigt würden, sondern auch die Auswirkungen auf Gesundheit und Verbraucherschutz. Auch hierzu gibt es bereits ein Vorbild in der EU: das ebenfalls handelspolitisch motivierte Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den Cariforum-Staaten bindet mit seinem Beratungsausschuss die Zivilgesellschaft ein.

Der Text ist auch bei EurActiv.de erschienen.