Der Streit zwischen den USA und der Europäischen Union über den Umgang mit Iran betrifft nicht nur die Wahl außenpolitischer Mittel und Instrumente, sondern auch grundlegendere Ziele der Politik. Er könnte Vorbote einer neuen Geschäftsgrundlage zwischen Amerika und Europa sein, meint Marco Overhaus.
Kurz gesagt, 28.05.2018 ForschungsgebieteDer Streit zwischen den USA und der Europäischen Union über den Umgang mit Iran betrifft nicht nur die Wahl außenpolitischer Mittel und Instrumente, sondern auch grundlegendere Ziele der Politik. Er könnte Vorbote einer neuen Geschäftsgrundlage zwischen Amerika und Europa sein, meint Marco Overhaus.
Die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, das Nuklearabkommen mit Iran zu brechen, und die jüngste Rede von Außenminister Mike Pompeo zur Iran-Politik seines Landes haben eine europäische Illusion endgültig platzen lassen. In Berlin, London, Paris und anderen EU-Hauptstädten herrschte lange der Glaube oder zumindest die Hoffnung vor, dass man trotz unterschiedlicher Bewertungen des Nuklearabkommens noch zu einer gemeinsamen transatlantischen Politik gegenüber Teheran kommen könne. Fortschritte in den Gesprächen zwischen Washington und den EU-3 auf Arbeitsebene deuteten tatsächlich auf die Möglichkeit eines Kompromisses hin. So kamen beide Seiten gemeinsamen Ansätzen zum Umgang mit dem iranischen Raketenprogramm sowie mit der Rolle Irans in Regionalkonflikten wie in Syrien und Jemen näher. Auch bei der Kernfrage, wie mit den zeitlichen Beschränkungen für iranische Atomaktivitäten umzugehen ist, wurde von den transatlantischen Unterhändlern an Kompromissformeln gefeilt. Am Ende setzt sich daher auf europäischer Seite der Eindruck fest, dass die Lösung nur noch ein paar Meter weiter über die Ziellinie hätte bugsiert werden müssen. Doch dann kam Trump.
Aus dem Zerwürfnis der USA und Europas über Iran lassen sich drei zentrale Schlüsse ziehen: Erstens mussten Berlin, London, Paris und andere EU-Partner erkennen, dass die Differenzen mit Washington nicht nur die Wahl der Mittel und Instrumente betreffen, sondern auch grundlegende Ziele der Politik. Es stimmt zwar, dass sowohl Amerikaner als auch Europäer eine nukleare Bewaffnung Irans unbedingt verhindern und regionale Rüstungsdynamiken eingrenzen wollen. Die Europäer setzen auch auf wirtschaftlichen Druck, um Iran zu einer verantwortlichen Politik im Mittleren Osten zu bringen, sie verfolgen aber letztendlich das Ziel, Iran – auch in seiner gegenwärtigen politischen Verfasstheit – als Teilhaber und Mitspieler regionaler Zusammenhänge zu integrieren. Die Trump-Administration verfolgt das gegenteilige Ziel: Sie will Teheran mit Unterstützung Israels und der arabischen Golf-Staaten umfassend, d.h. politisch, wirtschaftlich und sicherheitspolitisch, eindämmen, um so den Einfluss Irans in der Region zurückzudrängen. Eine Abkehr von diesem Ziel setzt aus Sicht Washingtons einen Regimewechsel in Teheran oder eine völlige Kehrtwende der iranischen Außenpolitik voraus. Das hat die lange Liste der Forderungen deutlich gemacht, die Pompeo in seiner Iran-Rede aufgeführt hat.
Zweitens hat der Bruch des Nuklearabkommens durch Washington Europa und die USA in eine Lose-lose-Situation geführt, denn beide haben durch die US-amerikanische Entscheidung verloren. Für die USA wird es ohne die Unterstützung der Europäer (sowie der Russen und Chinesen) wesentlich schwerer als vor dem Inkrafttreten des Iran-Abkommens, ein wirkungsvolles Sanktionsregime gegenüber Teheran aufzubauen. Aus Sicht der EU rückt das Ziel, das von Iran ausgehende atomare Risiko zu eliminieren und das Land zu einer verantwortlicheren Politik in der Region zu bewegen, in noch weitere Ferne.
Drittens ist Europa nun gezwungen, einen schwierigen Drahtseilakt zu vollziehen: Jeder Versuch, das Nuklearabkommen zu retten, muss von nun an zwangsläufig gegen Washington gerichtet sein. Gleichzeitig bestehen gegenseitige wirtschaftliche und sicherheitspolitische Abhängigkeiten und auch einige gemeinsame Interessen mit den USA fort. Um all dem gerecht zu werden, muss die EU äußerst pragmatisch vorgehen. Einige der in der öffentlichen Debatte genannten Maßnahmen gegen Washington ergeben wenig Sinn. So birgt die Androhung oder Umsetzung von Zöllen auf US-Exporte in die EU als Reaktion auf US-Sekundärsanktionen ein zu großes Eskalationspotential. Das transatlantische Verhältnis ist derzeit von einer ganzen Reihe von Konflikten belastet – Strafzölle auf Aluminium und Stahl, Nordstream-2-Gaspipeline, Lastenteilung in der NATO –, um nur die wichtigsten zu nennen. Es ist gut möglich, dass sich diese einzelnen Tiefdruckgebiete zu einem großen Sturm verbinden, der erheblichen Schaden diesseits und jenseits des Atlantiks anrichtet. Andere Maßnahmen erscheinen pragmatischer, weniger konfrontativ und besser umzusetzen, wie beispielsweise der Vorschlag, durch europäische Kreditanstalten bzw. Entwicklungsagenturen Infrastrukturprojekte im Iran zu unterstützen. Ob Ideen wie diese am Ende ausreichen, den Iran zum Verbleib im Nuklearabkommen zu bewegen, steht auf einem anderen Blatt.
Einiges deutet darauf hin, dass der Fall Iran der Vorbote einer neuen Geschäftsgrundlage der transatlantischen Beziehungen ist. Auch bei Streitigkeiten über handelspolitische Fragen, wie zuletzt über Strafzölle auf Stahl und Aluminium, stellt sich die Frage, inwiefern sich die Differenzen mit Washington lediglich auf Instrumente und Mittel oder auch auf fundamentale Ziele erstrecken. Europäische Versuche, Washington von der Einführung der Strafzölle abzuhalten, fußten auf der Erwartung, dass auch die USA letztlich weiterhin ein grundlegendes Interesse an einem freien Handel über den Atlantik haben. Dies ist jedoch fragwürdig. Sollte es tatsächlich zu einem Handelskrieg kommen, würden sowohl die USA als auch Europa verlieren. Auch mit Blick auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik erscheint es vielen Politikern in Europa bislang schwer vorstellbar, dass es zwischen Europäern und Amerikanern wirklich zum Bruch über Fragen der fairen militärischen Lastenteilung kommt. Russland würde in einem solchen Fall kaum zögern, den einen Teil des Westens gegen den anderen auszuspielen – auch hier wären beide Seiten des Atlantiks am Ende Verlierer.
Ähnlich wie beim Umgang mit Iran wird Europa auch in anderen Themenfeldern der transatlantischen Beziehungen gezwungen sein, zwar einerseits für die eigenen, der US-Politik gegenläufigen Ziele einzutreten, dies aber angesichts der fortbestehenden wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Abhängigkeiten im Verhältnis zu den USA auf eine pragmatische Weise zu tun. Auf einen großen Sturm sollte Europa es nicht ankommen lassen.
Dieser Text ist auch bei EurActiv.de erschienen.
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