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Südafrikas neue Einheitsregierung

Mehr Spielraum für die bilaterale Zusammenarbeit

SWP-Aktuell 2024/A 39, 24.07.2024, 8 Seiten

doi:10.18449/2024A39

Forschungsgebiete

Nach herben Verlusten bei den Wahlen Ende Mai 2024 wurde der African National Congress (ANC) zum ersten Mal in der Geschichte des demokratischen Südafrikas ge­zwungen, eine Koalitionsregierung einzugehen. Unter Führung von Cyril Ramaphosa (ANC) haben sich zehn Parteien auf die Bildung einer Regierung der nationalen Ein­heit (Government of National Unity, GNU) verständigt. Wegen der Dominan­z des ANC in dieser Koalition sind kaum gravierende Umbrüche zu erwarten. Erste politische Entscheidungen der GNU deuten sogar darauf hin, dass die Zusammenarbeit mit Süd­afrika für Deutschland und die EU in den nächsten Jahren einfacher werden könnte. Deutsche und europäische Akteure sollten diesen Moment nutzen, um die bilateralen Beziehungen zu intensivieren und neue außenpolitische Initiativen vorzubereiten, vor allem in der Rohstoffkooperation.

Am 29. Mai 2024 wählten die Bürger:innen Südafrikas die Nationalversammlung und die Provinzversammlungen der neun Pro­vinzen. Die Nationalversammlung, eine von zwei Kammern im politischen System Südafrikas, wird nach Verhältniswahlrecht gewählt. Erstmals in der Geschichte des demokratischen Südafrikas hat der ANC seine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verloren, mit nur 40,2 Prozent der Stimmen auf nationaler Ebene. Bei der letzten Wahl im Jahr 2019 hatte es der ANC noch geschafft, 57,5 Pro­zent der Stimmen zu erlangen und ohne Koalitionspartner zu regieren. Die deutlichen Verluste zwingen den ANC zum ersten Mal in eine Koalitionsregierung. Die süd­afrikanische Verfassung von 1996 lässt wenig Zeit für Koalitions­verhandlungen: Zwei Wochen nach Ver­kün­dung des Wahlergebnisses müssen sowohl der Präsident, der zu­gleich Staats- und Regierungschef ist, als auch die Perso­nen für die wichtigsten Posten im Parlament gewählt werden. Das setzt eine trag­fähige Mehrheit im Parlament voraus. Die Parteien müssen sich nach einer Wahl also zügig auf Koalitionen einigen.

Der ehemalige und mittlerweile wieder amtierende Präsident Cyril Ramaphosa (ANC) schlug vor, statt umfassender Koali­tionsverhandlungen mit verschiedenen Parteien eine nationale Einheitsregierung (Government of National Unity, GNU) zu bilden: Alle Parteien, die ins Parlament gewählt wurden, waren eingeladen, sich an der GNU zu beteiligen. Damit vermied Ramaphosa, seine Präferenz für eine Koali­tion mit der wirtschaftsliberalen Demo­cratic Alliance (DA) offenzulegen, die ihm Widerstände im ANC eingebracht hätte. Gleichzeitig eröffnete er der DA, mit 21,8 Pro­zent zweitstärkste Kraft, die Option mit­zuregieren. Für seine Wahl zum Präsidenten am 14. Juni konnte er sich neben der Unterstützung der DA auch die Stimmen der konservativen Inkatha Freedom Party (IFP) sichern, die bei der Parlamentswahl 3,9 Prozent erhalten hatte. Inzwischen haben sich sieben wei­tere kleine Parteien der Einheitsregierung angeschlossen. Ramaphosa hat erfolgreich darauf spekuliert, dass sich die beiden populistischen Parteien uMkhonto weSizwe Party (MKP) und Eco­nomic Free­dom Fighters (EFF) nicht an der GNU betei­ligen würden.

Im Kabinett behält der ANC in vielen bedeutsamen Ministerien die Kontrolle und bestimmt auch den stellvertretenden Präsi­denten. Von den 32 Ministerposten der neuen Regierung wurden 24 vom ANC und zwölf von anderen Parteien besetzt. Die DA bekam sechs dieser zwölf Ministerien, dar­unter einige, die strategisch wichtig für die Transformation der Wirtschaft sind, wie das Landwirtschaftsministerium und das Ressort für öffentliche Ausschreibungen und Infra­struktur (Department of Public Works and Infra­structure). Zudem wurden 43 Posten für stell­vertretende Minister geschaffen, von denen viele mit Personen aus anderen GNU-Partei­en besetzt sind. Das hat die Vorbehalte die­ser Parteien gegenüber einer Domi­nanz des ANC im Kabinett besänftigt. Das neue Kabi­nett ist das größte in der Ge­schichte Süd­afrikas. Die Konstruktion, dass Stellvertreter:innen von Minister:innen aus anderen Parteien kom­men, birgt das Risiko, dass der Handlungsspielraum der Ministerien im Fall von Konflikten eingeschränkt wird. Doch bisher vermittelt die Einigung auf eine Koalitionsregierung in Südafrika den Eindruck politi­scher Stabilität.

Das Ende der Dominanz des ANC

Die Formierung einer nationalen Einheitsregierung in Südafrika hat historische Bezüge. Bei den ersten demokratischen Wahlen im Jahr 1994 erhielt der ANC 62,6 Prozent der Stimmen. Der damalige Präsident Nelson Mandela hätte die erste Regierung allein aus den Reihen des ANC besetzen können, lud aber andere Parteien ein, gemeinsam zu regieren. Die damalige GNU bestand neben dem ANC aus der National Party (NP) und der IFP. Ramaphosa knüpft an diese historische Erfahrung an. Die GNU soll in einer wirtschaftlich und finanziell schwieri­gen Phase Südafrikas Kontinuität sichern und dem ANC weiterhin Einfluss ermög­lichen, obwohl die Partei politisch angeschlagen ist.

Seit 1994 erreichte der ANC zwar durchweg die absolute Mehrheit, doch ist die Un­zufriedenheit mit der ehemaligen Befreiungsbewegung stetig gewachsen. Versprechungen über die Verminderung sozialer Ungleichheit, die der ANC nach dem Ende der Apartheid gemacht hatte, wurden nicht eingehalten. Südafrika gehört nach wie vor zu den Ländern mit der größten sozialen Ungleichheit und der höchsten Jugend­arbeitslosigkeit der Welt. Die systematische Unterwanderung des Staates durch ein Netzwerk staatlicher und privater Akteure mit dem Ziel der eigenen Vorteilsnahme (State Capture) in der Regierungszeit Jacob Zumas (2009–2018) hat ihre Spuren hinter­lassen. In den Ministerien und Insti­tutionen wurden Korruption befördert und notwendi­ge Investitionen in Infrastruktur verhindert. Diese fast ein Jahrzehnt währende Periode systemischer Korruption hat den Staat grundlegend geschwächt, das Wirtschaftswachstum rapide verringert sowie Arbeitslosigkeit und Armut ansteigen lassen.

Ramaphosa trat 2018 mit dem Versprechen eines Neuanfangs an, nach­dem Zuma wegen eines drohenden parla­mentarischen Misstrauensvotums als Präsident zurück­getreten war. Ramaphosa verkündete, die Korruption im ANC zu beenden, Reformen anzustoßen, die Infrastruktur zu modernisieren und Südafrika zukunftsfähig zu machen. Obwohl er in den sechs Jahren seiner Amtszeit einige Fortschritte erzielt hat, war der Neuanfang nicht ent­schlossen und vor allem nicht schnell genug. Um eine Spaltung des ANC zu ver­meiden, ging Ramaphosa sehr behutsam gegen Personen in der eigenen Partei vor, denen unterstellt wurde, die State Capture orchestriert zu haben. Eine Kommission (Commission of In­quiry into Allegations of State Capture) arbeitete über mehrere Jahre die Hintergründe auf. Zuma musste sich mehr­fach vor Gericht verantworten; weitere Verhandlungen stehen aus. Doch seine Handlungen bilden nur die Spitze des Eis­bergs, denn die gras­sierende Korruption wurde aus einem Netzwerk bestechlicher Personen im ANC, aber auch in anderen Institutionen sowie in der Wirtschaft orga­nisiert. Einige bekannte Gesichter wurden aus dem ANC ausgeschlossen, doch bisher waren die Versuche zu zögerlich, um die Korruption in der eigenen Organisation energisch zu bekämp­fen und das beschädig­te Vertrauen in den ANC wieder aufzubauen. Ramaphosas eigene Verwicklung in einen Skandal, bei dem ihm vorgeworfen wird, Einnahmen nicht ordnungsgemäß deklariert zu haben, hat seinem Ansehen zusätzlich geschadet.

Die Enttäuschungen über die letzte Regierungsperiode liefern möglicherweise eine Erklärung, warum die Wahlbeteiligung mit 58,6 Prozent so niedrig lag wie noch nie in der Geschichte des demokratischen Südafrikas. Umfragen vor den Wah­len deuteten zudem darauf hin, dass der ANC seine absolute Mehrheit verlieren und sich zwischen 40 und 45 Prozent einpendeln würde. Nun hat die Partei das untere Ende dieser Vorhersagen erreicht. Das Aus­maß der Verluste und das Ergebnis von 40,2 Prozent überraschten selbst viele Ana­lyst:innen. Die gegenwärtige Führungsriege des ANC hat die Niederlage akzeptiert. Die Bedeutung eines sol­chen demokratischen Regierungswechsels – auch waren die Wahlen laut allen Wahlbeobachter­missionen frei und fair – kann kaum hoch genug ein­geschätzt werden. Die Anerkennung der Niederlage untermauert zusätzlich das Bekenntnis der aktuellen Führungs­riege des ANC zur demokratischen Willens­bildung. Damit geht aus Südafrika ein wichtiges Signal an andere Länder im süd­lichen Afrika, in denen demokratische Regierungswechsel verhindert wurden, wenn bislang dominanten Parteien der Machtverlust drohte. Gleichzeitig sind die Machteinbußen für den ANC zwar ein­schneidend, aber weniger gravierend, als die Zah­len auf den ersten Blick vermuten lassen.

Keine systematischen Veränderungen in der Parteienlandschaft

Eine tiefergehende Analyse der Wahlergebnisse verdeutlicht, dass es wenig systematische Veränderungen in der südafrikanischen Parteienlandschaft gibt. Die Dominanz des ANC wurde nicht durch eine Wählerwande­rung gebrochen, sondern durch eine Ab­splitterung von Zumas Unterstützer:innen. Wesentliche Teile aus dem Zuma-Flügel traten bei diesen Wahlen zum ersten Mal mit der neu gegründeten Partei MKP an. Sie erreichte auf Anhieb 14,6 Prozent der Stimmen, also fast so viele, wie dem ANC nun verloren gingen. Diese Abspaltung schwächt den ANC zwar kurzfristig, könnte sich mittel- und langfristig aber als Glücks­fall erweisen, weil sie parteiinternen Macht­kämpfen vorbeugt und der Parteiführung möglicherweise mehr Handlungsspielraum für parteiinterne Reformen sowie die Umsetzung von Regierungsprogrammen eröffnen wird.

Zudem ist die MKP bisher eher eine regionale Partei. Ihre höchsten Gewinne verzeichnete sie bis heute in Jacob Zumas Heimatprovinz KwaZulu-Natal (KZN). Zuma, der zur Gruppe der Zulus gehört, galt bereits in seiner Zeit im ANC als Garant für politische Mehrheiten in KZN. Im länd­lichen Raum ist er politisch und gesell­schaftlich gut vernetzt, nämlich über seine Zugehörigkeit und engen Verbindungen zu lokalen Zulu-Eliten. Auch bei den Wah­len zur Provinzversammlung in KZN wurde die MKP stärkste Kraft. Doch verhinderte eine Koalition aus ANC, DA und IFP, dass die MKP an der loka­len Regierung beteiligt wurde. Gerade die IFP hat ein starkes Inter­esse, den Einfluss der MKP in KZN zurückzudrängen, weil sie sich traditionell selbst als jene Partei sieht, welche die Gruppe der Zulu vertritt. Die Zusammen­arbeit mit der IFP, die der ANC forciert hat, ist eine strate­gische Alli­anz, die auch darauf ausgerichtet ist, den Einfluss der MKP weiter einzudäm­men. Den Parteien ist es gelungen, die MKP von Regierungsverantwortung auf natio­naler Ebene sowie in den Provinzen fern­zuhalten.

Dennoch werden die starken Gewinne der MKP das politische System in Südafrika auf die Probe stellen. Die 58 Abgeordneten, die nun für die MKP ins südafrikanische Parlament einziehen, werden die Abläufe dort höchstwahrscheinlich negativ beein­flussen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Partei und ihre Führungsfigur Jacob Zuma vorrangig auf eine Mischung aus ge­sellschaftlicher Destabilisierung und Popu­lismus setzen. Zuma wettert gern gegen das politische Establishment und die demo­kratischen Institutionen und zieht damit klassische Protestwähler:innen an. Es über­rascht daher nicht, dass die MKP als einzige Partei die Wahlergebnisse anzweifelte, die Klage vor einem Gericht allerdings zurück­zog.

Südafrika ist Störungen der parlamentarischen Abläufe gewohnt. In den letzten beiden Legislaturperioden war es die Frak­tion der EFF, die durch Protestaktionen oder Beleidigungen auffiel. Ihre Abgeordneten wurden regelmäßig von Sitzungen aus­geschlossen. Doch diese Strate­gie der Partei erwies sich als wenig erfolgreich. Julius Malema, ehemaliger Präsident der Jugendorganisation des ANC, hatte die EFF im Jahr 2013 mit der Ansage gegründet, die Domi­nanz des ANC brechen zu wollen. Bei den letzten Wahlen verlor die EFF jedoch 1,3 Prozentpunkte im Vergleich zu 2019 und erhielt 9,5 Prozent der Stimmen. Im Gegensatz zur MKP akzeptierte die EFF das Wahlergebnis. Sie stellte allerdings derart hohe und unrealistische Ansprüche an eine mögliche Beteiligung an der GNU, dass eine solche eigentlich von Beginn an unmöglich schien – ein Umstand, der Ramaphosa recht sein dürfte. In der kommenden Legis­laturperiode wird interessant sein zu beob­achten, welches Verhältnis die beiden Oppositionsparteien MKP und EFF, die ein politisch ähnliches Profil haben, zu­einander ent­wickeln. Beide Parteien bedienen sich einer linksradikalen Rhetorik und wollen gemeinsam als »progressive Frak­tion« (progressive caucus) in der Opposition fungieren.

Die DA als zweitstärkste Kraft regiert in der GNU zwar mit, hat es aber nicht ge­schafft, ihre Wählerbasis zu verbreitern. Zwar erhielt sie in vielen urbanen Zentren die meisten Stimmen und avanciert dort zu einem scharfen Konkurrenten des ANC. Zusätzlichen Einfluss hat sie dadurch, dass sie die Regierung in der Provinz Westkap alleine stellt, sowie durch die Beteili­gung an der GNU-Koalition in KZN. Damit ist sie auch stärker im National Council of Provinces vertreten, neben der National­versammlung die zweite Kammer im süd­afrikanischen System, die auch ein Gesetz­gebungsrecht für die Provinzen hat. Aller­dings errang die DA bei der Wahl lediglich 21,8 Prozent und hat faktisch nur drei Abgeordnete mehr im Parlament als in der vorherigen Legislaturperiode. Ein wesent­licher Grund liegt darin, dass die aktuelle Führungsstruktur der DA wenig divers ist und mit ihrem politischen Programm, das Mitte-Rechts zu verorten ist und wenig Vorschläge zur Überwindung der sozialen Ungleichheit enthält, nicht die Breite der südafrikanischen Gesellschaft erreicht. Es gelingt ihr also nicht, ihr Wählerpotential über ihre Stammprovinz Westkap und die urbanen Zentren hinaus zu erwei­tern. Mit der Beteiligung an der GNU sichert sich die DA aber die Möglichkeit, auf natio­naler Ebene mitzuregieren. Neben den sechs Mini­sterien besetzt sie einflussreiche Posi­tionen im Par­lament, wie den Posten des stellvertreten­den Sprechers und den Vorsitz wichtiger Ausschüsse.

Wirtschaftliche Stabilisierung und Good Governance

Eine der wichtigsten Aufgaben für die neue Regierung besteht darin, die angeschlagene Wirtschaft in Südafrika zu stabilisieren, die in den letzten Jahren kaum gewachsen ist. Mit der Einigung auf die GNU-Konstellation hat Südafrika die erste Hürde bereits genommen: Viele Investoren wollten die Wahlen abwarten, um zu sehen, ob Rama­phosas Regierung den wirtschaftsliberalen Kurs der vergangenen Legislaturperio­de fortsetzen würde. Die rasche Verständigung auf eine Regierung ohne die EFF und die MKP, die sich für Enteignungen von Land und die Verstaatlichung von Minen ein­setzen, hat Märkte und internationale Investoren beruhigt und einen weiteren Einbruch der Währung Rand verhindert.

Nun muss die neue Regierung die näch­sten Weichen stellen, um die Investitionsbedingungen zu verbessern. Nach seiner jähr­lichen Konsultation mit der südafrikanischen Regierung 2023 kam der Internatio­nale Währungsfonds (IWF) zu dem Schluss, die größte Herausforderung für die südafri­kanische Regierung bei diesem Unterfangen sei die Bewältigung der Energiekrise. Ramaphosa hat dafür bereits Umstrukturierungen in seinem neuen Kabinett vorgenom­men, den Bereich Energie aus dem Bergbau­ministerium herausgelöst und ein Ministe­rium für Energie und Elektrizität geschaf­fen, geleitet von Kgosientho Ramok­gopa (ANC). Der neue Minister kün­digte einen massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien (EE) an. Südafrika solle auf dem afrikanischen Kontinent führend bei EE werden.

Damit unterscheidet sich Ramokgopas Position zum Ausbau der EE fundamental von der Position seines Parteigenossen Gwede Mantashe, der in der letzten Legis­laturperiode die Energiepolitik im Bergbauministerium zu verantworten hatte. Mantashe hatte sich stark für den Erhalt des Kohlebergbaus eingesetzt und blockierte den EE-Ausbau sogar. Dies bekamen in den vergangenen Jahren auch deutsche und europäische Politiker:innen bei Reisen nach Südafrika zu spüren, weil sich Mantashe mit seiner Unterstützung für den Kohle­sektor nicht zurückhielt. Er konterkarierte damit auch Ramaphosas eigene Ambitionen, die Klima- und Energietransformation in Südafrika voranzutreiben. Denn der Staatspräsident hatte das Thema mit der Einrichtung einer Presidential Climate Commission 2020 zur Chefsache erklärt.

Mit dem neuen Zuschnitt des Energie­ressorts und der Ernennung Ramokgopas zu dessen Chef vergrößert Ramaphosa den Handlungsspielraum, um die dringend notwendige Dezentralisierung der süd­afrikanischen Energieversorgung zu be­schleunigen und so die Potentiale privater Energieanbieter im Bereich EE wirkungs­voller zu nutzen. Das Land leidet seit Jahren unter regelmäßigen, geplanten Stromabschaltungen (load shedding), da die Grundlast nicht gedeckt werden kann. Reformen der verkrusteten Struktur des staatlichen Energieversorgers Eskom gingen in der letzten Legislaturperiode zu langsam voran. 2023 stellte die Regierung aber entscheidende Weichen für private Strom­anbieter, damit diese ihren Strom aus Erneuerbaren unabhängig von ihrer Größe ohne Lizenz ins Stromnetz einspeisen können. Nun stehen weiterreichende Refor­men der Gesetzgebung an, welche die Rahmenbedingungen für private Anbieter verbessern und dazu beitragen können, das Monopol von Eskom aufzubrechen. Dass die DA den Ausbau der EE in Südafrika massiv unterstützt und auch die IFP sich dem Ausbau nicht entgegenstellt, gibt Ramaphosa zusätzlichen Rückenwind.

Über die Reform der Energieinfrastruktur hinaus lautet eine wesentliche Aufgabe, Korruption zu bekämpfen und Governance­strukturen zu verbessern. Grundvoraus­setzung dafür ist, dass der ANC auch gegen Bestechlichkeit in den eigenen Reihen rigoroser vorgeht, zumal er auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene wichtige Posten besetzt. Der Abgang der Zuma-Fraktion im ANC erweitert Ramaphosas Gestaltungsmöglichkeiten im ANC, weil damit auch einige korrupte Netzwerke aus der Partei in die MKP abgewandert sind. Bemühungen, gegen die Korruption im ANC anzugehen, wurden von diesen Grup­pen systematisch verhindert und könnten nun neuen Auftrieb erfahren. Zu erwarten ist, dass die DA nachdrücklich auf das Thema Korruptionsbekämpfung in öffent­lichen Institutionen, Ministerien und Wirtschaft setzen wird. Die Partei hat sich dem Thema Good Governance verschrieben und in der Provinz Westkap Erfolge erzielt. Es ist davon auszugehen, dass die Partei besonders energisch auf Verbesserungen in diesem Bereich drängen wird. Die Zugewin­ne der DA in einigen Metropolen erleichtern es zudem, wirksamer auf lokaler Ebene anzusetzen, wo Korruption ein großes Pro­blem ist. Nach ihrer ersten Kabinettsklausur kündigte die GNU bereits radikale Schritte gegen dysfunktionale Kommunen an. Man wolle Möglichkeiten in der südafrikanischen Verfassung nutzen, um besonders schlecht funktionierende Gemeinderegierungen aufzulösen und schon vor den Kommunalwahlen, die 2026 anstehen, neu wählen lassen.

Wirksame Korruptionsbekämpfung ist überdies unabdingbar, um weitere Refor­men der öffentlichen Infrastruktur auf nationaler Ebene zu forcieren. Das gilt besonders für den Verkehrs- und Transportsektor, wo die State Capture unter Zuma ebenfalls gravierende Folgen hinterlassen hat. Im Brennpunkt stehen hier besonders zwei staatliche Institutionen: Transnet, das für den Betrieb von Eisenbahnen, Häfen und Pipelines zuständig ist, und PRASA (Passenger Rail Agency of South Africa), das für den Personenverkehr verantwortlich zeichnet. Verkehrsministerin Barbara Creecy, die bereits in Ramaphosas vorherigem Kabinett als Umweltministerin amtier­te, hat angekündigt, das Transportwesen für private Akteure zu öffnen, um auch hier das Monopol der Staatsbetriebe auf­zubrechen. Auch dabei folgt die GNU den einschlägigen Empfehlungen des IWF.

Die Regierung signalisiert mit diesen Ankündigungen, dass sie den Erwartungen von Investoren und der internationalen Gemeinschaft entgegenkommt und die Bedingungen für wirtschaftliche Zusammenarbeit verbessern will. Hierzu gehört die Entscheidung des neuen Innen­ministers Leon Schreiber (DA), die Visa ausländischer Staatsbürger:innen zu ver­längern, deren Visaanträge noch nicht bearbeitet wurden. Dieser Beschluss könnte mit einer weiteren Öffnung des restriktiven südafrikanischen Arbeitsmigrationsregimes verbunden sein. Sie könnte auch die rund 2000 europäischen Firmen, darunter 600 deutsche, ent­lasten, die in Südafrika tätig sind.

Kontinuität und Kurskorrektur in der Außenpolitik

Auch das Außenministerium zählt Wirt­schaftsdiplomatie sowie intensivere wirt­schaftliche Beziehungen auf dem afrikanischen Kontinent und weltweit zu seinen Prioritäten. Südafrikas neuer Außenmini­ster Ronald Lamola gehört mit seinen 40 Jahren zur jüngeren Generation im ANC und gilt ebenfalls als loyaler Unterstützer des Staatspräsidenten. Lamola hat erklärt, dass er den bisherigen außenpolitischen Kurs fortsetzen wird. Er verfolgt eine Politik des active non-alignment, das heißt ohne Parteinahme für bestimmte Akteure im internationalen System bei gleichzeitig aktiver Teilnahme in verschiedenen Foren wie AU, BRICS+ und G20.

Außenpolitisch ist an vielen Stellen also mit Kontinuität der südafrikanischen Posi­tion zu rechnen. Dafür spricht auch, dass zentrale Posten im Ministerium nicht ver­ändert wurden. Alvin Botes (ANC), der schon in der letzten Legislaturperiode stell­vertretender Außenminister war, wird sein Amt behalten. Auch der Generaldirektor (Director-General, Äquivalent zu deutschem verbeamtetem Staatssekretär) Zane Dangor, der zuletzt die südafrikanische Klage gegen Israel beim Internationalen Gerichtshof vorbereitet und vorangebracht hat, wird in seiner Position bleiben. In ers­ten Statements von Außenminister Lamola wurde deutlich, dass Südafrika an seiner Klage gegen Israel und der kritischen Posi­tion gegen die Gaza-Offensive festhalten wird. Da die südafrikanische Regierung im eige­nen Land große Unterstützung für diese Politik genießt, ist auch kein Gegenwind vonseiten der neuen Koalitionspartner DA und IFP zu erwarten.

Anders sieht es bei der Haltung zu Russland aus. Es ist realistisch anzunehmen, dass die GNU mehr auf Distanz zu Putin und der russischen Regierung geht, nachdem sich schon im letzten Jahr eine leichte Verschiebung der südafrikanischen Position angedeutet hat. Südafrika hat den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zwar als völkerrechtswidrig verurteilt, doch seitdem eher einen Schlingerkurs mit Blick auf Russland gefahren. Mitglieder der letz­ten Regierung trafen sich regelmäßig mit ihren Gegenübern in Russland. Südafrika hat sich zudem aktiv und offensiv für die Erweiterung der BRICS-Gruppe (BRICS+) eingesetzt. Sie wird vor allem in den USA als antiwestliches Gremium betrachtet. Deshalb wurde in der US-Administra­tion der Vorstoß unternommen, Südafrikas Glaubwürdigkeit als Partner im Handelsprogramm African Growth and Opportunity Act (AGOA) zu überprüfen.

Die Politik gegenüber Russland stieß in Wirtschaft und Zivilgesellschaft Südafrikas auf viel Kritik: Der ANC riskiere aufgrund seiner historischen Verbindungen zu Russ­land die politische und wirtschaftliche Glaubwürdigkeit. Russland sei ökonomisch für Südafrika kaum relevant, während das Land in den vergangenen Jahren vom AGOA enorm profitiert habe. Allen voran die DA, eng verbunden mit westlichen Akteuren, hat den Russlandkurs in der Vergangenheit gegeißelt.

Um das Verhältnis zu den USA zu verbessern, will die GNU eine Delegation nach Washington senden. Sie soll umfassende Gespräche über die bilateralen Bezie­hun­gen führen und sich für den südafrikanischen Verbleib im AGOA einsetzen. Rama­phosa telefonierte unmittelbar nach seinem Amtsantritt mit Präsident Biden und signa­lisierte damit auch, welch hohen Stellenwert die Beziehungen zu den USA für Süd­afrika haben.

Dass Südafrikas Engagement in der Gruppe BRICS+ zum Erliegen kommen wird, ist allerdings wenig wahrscheinlich. BRICS+ wird vor allem aufgrund ihrer Bindungskraft zwischen den Staaten im Globalen Süden als wichtiges Gremium angesehen und ist außerdem für die Zu­sammenarbeit mit China wesentlich. Die eminente Bedeutung Chinas als Wirt­schafts- und Handelspartner stellt keine der anderen südafrikanischen Parteien in Frage, zumal dies das Hauptziel der Regierung konterkarieren würde, nämlich ausländische Investitionen anzuziehen. Es ist davon auszugehen, dass Südafrika seine Gratwanderung in der Außenpolitik fortsetzen und versuchen wird, im systemischen Wett­bewerb zwischen China und den USA eine Sprachregelung zu finden, mit der keiner der beiden Akteure verprellt wird.

Politikempfehlungen für die europäisch-südafrikanische Zusammenarbeit

Die Zusammenarbeit zwischen Südafrika und Deutschland und der EU war in den letzten Jahren ergebnisorientiert und kon­struktiv, trotz unterschiedlicher Positionen in zentralen außenpolitischen Themen. Die bilaterale Zusammenarbeit umfasst mehrere Bereiche, unter anderem die Energie­kooperation, die Wirtschafts- und Infrastrukturentwicklung und die Förderung von Good Governance. Hinsichtlich der vielfältigen Herausforderungen, welche die südafrikanische Regierung in der neuen Legislatur zu bewältigen hat, sind diese Schwerpunkte bilateraler Zusammenarbeit gut gewählt und benötigen keine Korrek­turen. Deutschland und die neu gewählte EU-Kommission sollten an diesen Schwerpunkten festhalten und das bestehende Portfolio eher noch erweitern.

Eines der Flaggschiffe der deutschen und europäischen Zusammenarbeit mit Süd­afrika ist die Just Energy Transition Partner­ship (JETP). Ein Geberkonsortium, bestehend aus Deutschland, Frankreich, Großbritan­nien, den USA und der EU, unterstützt die südafrikanische Dekarbonisierung mit 8,5 Milliarden US-Dollar. Schwer­punkte der JETP liegen auf der Transformation des Energiesystems mit dem Ziel, den Anteil der EE am Energiemix zu erhöhen sowie die Wasserstoffproduktion und die Elektro­mobilität auszubauen. Deutschland und die EU sollten der südafrikanischen Regierung nun ergänzend zur JETP eine Zusammen­arbeit bei metallischen Rohstoffen anbie­ten. Auf EU-Ebene sollte sich die Bundes­regierung zudem für die Gründung einer Rohstoffpartnerschaft mit Südafrika einsetzen. Denn die Transformation des Energie­sektors in Südafrika ist untrennbar mit der des Rohstoffsektors verbunden, da das Land seine Energie überwiegend aus heimischer Kohleförderung gewinnt.

Die Erschließung wirtschaftlicher Möglichkeiten und die Schaffung neuer Arbeits­plätze gehören zu den Hauptzielen der GNU. Im Bereich metallische Rohstoffe liegen ungenutzte Potentiale für die wirt­schaft­liche Entwicklung. Über die Kohle­reserven hinaus beherbergt Südafrika viele metallische Rohstoffe, die für die Produk­tion von EE und Wasserstoff sowie für die Batterie- und Automobilproduktion bedeutsam sind. Viele dieser Rohstoffe werden bereits lokal abgebaut. Nun will das Land seine Kapazitäten für die Weiter­verarbeitung von Rohstoffen vergrößern und möchte erkunden, ob noch höhere Stufen der Liefer­kette in Südafrika angesie­delt werden können. Dabei sollen Möglichkeiten aus­gelotet werden, die Förderung metallischer Rohstoffe mit grünen Tech­nologien zu verknüpfen und auf diese Weise verschiedene Lieferketten zu verbin­den. Zudem kann grüne Energie für den energieintensiven Bergbau genutzt werden, um den Rohstoffsektor und die Weiter­verarbeitung von Rohstoffen zu dekarbo­nisieren.

Auf die Bedeutung des Ausbaus metal­lischer Lieferketten haben Kabinetts­mitglieder der GNU bereits hingewiesen. Das lässt erahnen, dass die südafrika­nische Regierung einen Schwerpunkt darauf legen wird. Für deutsche und euro­päische Akteu­re liegt die Zusammenarbeit in diesem Bereich im eigenen Interesse. Erstens könnte die Unterstützung für den Abbau metallischer Rohstoffe die Widerstände gegen die Energiewende in Süd­afrika verringern und der Umsetzung der JETP Auftrieb geben. Denn ein Hindernis dafür ist die Sorge vor weiteren Arbeitsplatzverlusten im Kohlesektor. Kohle wird besonders in den Provin­zen Mpumulanga und Limpopo gefördert, wo die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist und der Bergbau relativ sichere Arbeitsplätze bietet. Eine verstärkte Zusammenarbeit könnte dazu beitragen, durch die Schaffung von Arbeits­plätzen im Bereich metallische Rohstoffe die Unterstützung von Bergbau­minister Gwede Mantashe zu sichern, auch wenn er nicht mehr für den Bereich Energie zuständig ist. Er bleibt ein wichti­ger Politi­ker im ANC, wo er immer wieder als Mehr­heitsbeschaffer für Rama­phosa diente. Auch deswegen hält ihn der Präsi­dent als Bergbauminister im Amt.

Zweitens werden im südlichen Afrika verschiedene Rohstoffe abgebaut, die auch für die Produktion von Batterien und von Wasserstoff essentiell sind. Eine verstärkte Förderung und Weiterverarbeitung in der Region könnte perspektivisch auch für die Herstellung von Elektrofahrzeugen in Süd­afrika relevant werden. Präsident Rama­phosa hat verkündet, dass die Regierung die Infrastruktur zur Nutzung von Elektro­autos ausbauen will. Das könnte den Markt für Elektroautos in Südafrika öffnen und neue Impulse für regionale Wirtschaftsentwicklung in den Ländern der Entwicklungs­gemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) mit sich bringen. Zu denken wäre hier beson­ders an die Erzeugung von Komponenten für die Auto­mobilproduk­tion sowie an andere Bereiche der Zuliefer­industrie. Dies ist nicht nur von Interesse für die süd­afrikanische Regierung, sondern auch attraktiv für deutsche und europäische Firmen, die im südafrikanischen Auto­mobil­sektor bereits präsent sind.

Dr. Melanie Müller ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.

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