Mitte Februar haben sich die beteiligten Bundesministerien auf einen Entwurf für ein Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten geeinigt. Dies ist ein wichtiger Schritt, damit deutsche Unternehmen umfassende Verantwortung für die Lieferketten ihrer Waren und Dienstleistungen übernehmen. Deutschland hat sich damit in die Riege europäischer Länder wie Frankreich und die Niederlande eingereiht, die verbindliche Regulierungsrahmen schon gesetzt haben. Gleichwohl hat die Bundesregierung mit der Absage an eine zivilrechtliche Haftung auf einen entscheidenden Hebel verzichtet, um Unternehmen, die ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkommen, gezielt zu sanktionieren. Um dem Gesetz die größtmögliche Wirkung zu verleihen, sollten Bundestag und Bundesregierung daher weitere flankierende Maßnahmen beschließen, die über die rechtlichen Regelungen im Gesetzentwurf hinausgehen. Deutschland kann zudem auf europäischer und internationaler Ebene dazu beitragen, dass Unternehmen in der EU und im globalen Maßstab mehr Verantwortung in Lieferketten übernehmen.
Das von der Bundesregierung geplante Sorgfaltspflichtengesetz soll Unternehmen dazu verpflichten, Menschenrechtsrisiken in ihren Lieferketten zu analysieren, damit verbundene Sorgfalts- und Berichtspflichten einzuhalten und Beschwerdemechanismen einzurichten. Sonst drohen Bußgelder. Generell kann der Gesetzgeber die jeweiligen Sorgfaltspflichten unterschiedlich weit definieren; beispielsweise durch die Einbeziehung menschenrechtlicher Ziele und von Umweltfolgen unternehmerischen Handelns. Gleiches gilt für die zivilrechtliche Haftung, die sich aus der Vernachlässigung von Risiken bzw. deren fehlender Abstellung ergibt. Im Gesetzentwurf konnten sich die beteiligten Ressorts dazu nicht durchringen, man entschied sich für eine eingeschränkte Variante.
Die Bausteine des Gesetzentwurfs
Schon 2011 haben die Vereinten Nationen (UN) Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (United Nations Guiding Principles on Business and Human Rights, UNGP) definiert. Mit dem »Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte« (NAPWiMr) hatte die Bundesregierung 2016 einen ersten Schritt zur Umsetzung der UN‑Vorgaben zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht getan. Die Unternehmen sollten fortan – je nach ihrer Größe – die menschenrechtlichen Risiken in ihren Lieferketten ermitteln und ihnen begegnen. Darüber hinaus sollten sie über die von ihnen getroffenen Maßnahmen berichten und Beschwerdemechanismen einrichten, die auch externen Akteuren die Möglichkeit geben, auf etwaige Risiken oder Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen. Der NAPWiMr basierte auf Freiwilligkeit: Unternehmen drohten keine Sanktionen, wenn sie den Erwartungen nicht nachkamen.
Eine von der Bundesregierung durchgeführte Untersuchung aus dem Jahr 2020 kam allerdings zu dem Schluss, dass lediglich zwischen 13 bis 17 Prozent der befragten Unternehmen die Anforderungen erfüllten und entsprechende Verfahren umsetzten. Mit der Verabschiedung eines Lieferkettengesetzes will die Bundesregierung nun einen verpflichtenden Rahmen für die Firmengeschäftstätigkeit setzen. Die erzielte Grundsatzeinigung sieht folgende Punkte vor:
Betroffene Unternehmen: Ab 2023 soll das Gesetz für Unternehmen mit mehr als 3 000 Beschäftigten gelten, was auf etwa 600 deutsche Unternehmen zutrifft. Ab 2024 sind dann auch Unternehmen mit mindestens 1 000 Beschäftigen betroffen.
Reichweite des Gesetzes: Unternehmen müssen dafür Sorge tragen, dass es in ihrem unmittelbaren Geschäftsbereich und bei ihren direkten Zulieferern nicht zu Menschenrechtsverletzungen kommt. Eine Risikoanalyse der weiteren Lieferkette, also der mittelbaren Zulieferer, wird dann relevant, wenn ein deutsches Unternehmen Kenntnis von einer Menschenrechtsverletzung erhält. In einem solchen Fall muss das Unternehmen ebenfalls eine Risikoanalyse durchführen und Präventionsmaßnahmen ergreifen. Allerdings sind diese in einem solchen Fall weniger weitgehend.
Menschenrechtlicher Geltungsbereich: Der Geltungsbereich umfasst vor allem soziale und politische Rechte der beteiligten Arbeitskräfte sowie unmittelbarer Betroffener. Konkret handelt es sich um das Recht auf Leben, Gesundheit, gerechte Arbeitsbedingungen, einen angemessenen Lebensstandard, Kinderschutz, Freiheit von Sklaverei und sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen, um das Vereinigungs- und Versammlungsrecht sowie das Recht auf Schutz vor Folter. Im Hinblick auf die umweltbezogenen Rechte werden nur der Schutz vor den negativen Folgen einer Exposition gegenüber Quecksilber und persistenten organischen Schadstoffen (wie sie im Stockholmer Übereinkommen definiert sind) berücksichtigt und Umweltschäden, die individuelle Menschenrechte beeinträchtigen.
Prozessstandschaft: Bei Verstößen gegen Menschenrechts- und Umweltstandards am unteren Ende von Lieferketten, zum Beispiel bei Rohstoffproduzenten, können Nichtregierungsorganisationen (NROs) und Gewerkschaften Betroffene aus dem Ausland vor Gericht vertreten, die selbst nicht die Möglichkeit dazu haben. Diese Befugnis, im eigenen Namen das Recht eines Dritten einzuklagen und den Prozess zu führen, bezeichnet man als Prozessstandschaft.
Sanktionsmöglichkeiten: Anstelle einer zivilrechtlichen Haftung sieht der Gesetzentwurf Zwangs- und Bußgelder für Unternehmen vor, die ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkommen. Die Höhe der Bußgelder ist derzeit noch Gegenstand der Verhandlungen. Die Gelder sollen zur Förderung der menschenrechtlichen Sorgfalt in der globalen Wirtschaft eingesetzt und vom Bund mit eigenen Mitteln aufstockt werden.
Kontrolle: Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) ist zuständig für die Überwachung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht und die Verhängung von Bußgeldern. Es untersteht dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.
Zum Unterschied von Sorgfaltspflicht und Lieferkettenverantwortung
Mit dem vorliegenden Gesetzesvorschlag ist Deutschland im europäischen Vergleich einen deutlichen Schritt vorangegangen. Das Gesetz verpflichtet große Unternehmen dazu, Vorkehrungen zur Verhütung von Menschenrechtsrisiken und -verletzungen zu treffen. Kommen Unternehmen dieser Sorgfaltspflicht in ihrem eigenen und unmittelbaren Geschäftsumfeld nach, entsteht Druck auf Zulieferer und Geschäftspartner, ihre Produktion ebenfalls an menschenrechtlichen Standards auszurichten.
Die deutsche Wirtschaft ist dabei ein wichtiger Akteur. Deutschland ist die drittgrößte Importnation mit einem Anteil am Welthandel von 6,4 Prozent, dies entspricht einem Volumen von 1.234,2 Milliarden US-Dollar. Damit liegt es nur hinter China (10,8 Prozent) und den USA (13,4 Prozent, jeweils Stand 2019). Mit der Beschränkung der Sorgfaltspflicht auf die unmittelbare Lieferkette und auf Unternehmen mit über 3 000 Beschäftigten verfolgt die Bundesregierung das Ziel, die bürokratischen Hürden für die Unternehmen nicht zu hoch zu setzen und lediglich Firmen in die Pflicht zu nehmen, die die notwendigen Kapazitäten zur Umsetzung der neuen Anforderungen haben. Dabei setzt die Bundesregierung auf eine Hebelwirkung, die bereits durch die Einbindung der erwähnten 600 größten Unternehmen entstehen und dann auf die kleineren Unternehmen überspringen soll.
Die Beschränkung der unternehmerischen Risikoanalysen auf den eigenen Geschäftsbereich und direkte Zulieferer begrenzt die Reichweite des Gesetzes jedoch erheblich. Was das bedeutet, zeigt sich zum Beispiel im Bereich der Metallimporte. 2019 führte Deutschland Metalle im Wert von 56,86 Milliarden Euro und Metallerzeugnisse im Wert von 30,89 Milliarden Euro ein. Deutsche Firmen beziehen Metallteile nur selten aus der Mine, sondern kaufen diese in der Regel in vorverarbeiteter Form an. Die meisten Menschenrechtsverletzungen in diesen Lieferketten entstehen jedoch in den Minen selbst. Und auch Umweltschäden sind eine häufige Begleiterscheinung des Bergbaus. Dies zeigt, dass eine Konzentration auf das unmittelbare Geschäftsumfeld nicht ausreicht, um Nachhaltigkeit in der gesamten Lieferkette zu erreichen.
Potentiale eines »Smart Mix«
Die gesetzlich angestrebte Sorgfaltspflicht soll laut Koalitionskompromiss über firmeneigene Risikoanalysen und Präventions- und Abhilfemaßnahmen gewährleistet werden. Durch einen »Smart Mix«, ähnlich wie bei dem 2019 eingeführten »Grünen Knopf«, könnten die Berichtslast der Firmen verringert und bereits existierende Brancheninitiativen gestärkt werden. Ein »Smart Mix« sieht vor, dass Firmen jenseits der gesetzlichen Bestimmungen über die Zertifizierung mit privaten Standards oder Siegeln partiell die Erfüllung von Umwelt- und Sozialstandards nachweisen können. Solche Zertifizierungen sind vor allem aus dem Lebensmittel- und Textilsektor bekannt. Produkte mit Gewährleistungsmarken wie »Fair Trade« oder dem »Bio«-Siegel sind weit verbreitet. Entscheidend wäre, dass nur ambitionierte Standards anerkannt würden, die unter Beteiligung verschiedener Akteure, zum Beispiel Firmen, NROs und Gewerkschaften (sogenannte Multi-Stakeholder-Initiativen), festgelegt worden sind. Damit würde verhindert, dass die zugrunde gelegten Standards lediglich einzelne Menschenrechts- und Umweltaspekte abdecken. Die Einbeziehung solcher Standards setzt eine staatliche Akkreditierung, Beaufsichtigung und Auditierung der anerkannten Zertifizierungen voraus.
Ein »Smart Mix« hätte mehrere Vorteile. Erstens würden Unternehmen mit ambitionierten Zielen für ihr Engagement bei der Neuaufstellung ihrer Lieferkette belohnt. Zweitens würde die Verbreitung und Etablierung von weitreichenden Standards gefördert. Drittens könnten in Branchendialogen mit dem BAFA, Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteuren neue verbindliche branchenspezifische Standards entwickelt werden. Diese hätten dann Effekte auf kleinere Unternehmen, die aktuell noch nicht von dem Gesetz betroffen sind. Das BAFA könnte einer unübersichtlichen Vielfalt parallel entwickelter Standards entgegenwirken; den Unternehmen bliebe dennoch ein gewisser Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung ihrer Sorgfaltspflichten.
Zivilgesellschaftliche Beteiligung stärken
Durch die Möglichkeit, Geschädigte im Rahmen einer Prozessstandschaft zu vertreten, sieht das angestrebte Gesetz die Beteiligung von NROs und Gewerkschaften an einer zentralen Stelle vor. Für eine effektive Umsetzung des Gesetzes ist die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure an weiteren Stellen unabdingbar.
Analyse und Prävention von Risiken: Die Durchführung von Risikoanalysen und Präventionsmaßnahmen stellt die Firmen zwar vor neue operative und logistische Herausforderungen; die Verpflichtung dazu bietet ihnen jedoch auch eine Chance, sich einen besseren Überblick über ihre Lieferketten zu verschaffen und eventuelle Risiken zu minimieren. Letztere werden aber nur dann adäquat eingeschätzt und zuverlässig abgewehrt werden können, wenn die Expertise von diversen Akteuren entlang der Lieferketten miteinbezogen wird. Um das bereits existierende Wissen dieser Akteure zu verwerten, ist der Austausch im Rahmen von Multi-Stakeholder-Foren zentral.
Überwachung von Sorgfaltspflichten: Es ist sicherlich sinnvoll, dass mit dem BAFA eine staatliche Stelle mit einem robusten Mandat für die Überwachung der Einhaltung von unternehmerischen Sorgfaltspflichten ausgestattet wurde. Das ermöglicht den Aufbau von Kompetenzen und Wissen auf staatlicher Seite. Die Prüfung der Einhaltung von Sorgfaltspflichten erfordert umfassende Kenntnisse über unterschiedliche Rohstoffe, globale Lieferketten und deren Akteure sowie über Abbau- und Produktionsbedingungen und typischerweise damit verbundene Menschenrechtsverletzungen. Fehleinschätzungen, wie etwa bei der Gewährung von Ungebundenen Finanzkrediten (UFK-Garantien), die Kredite von in Deutschland ansässigen Banken für Rohstoffförderungsprojekte gegen politische und wirtschaftliche Ausfallrisiken absichern, haben gezeigt, dass diese Kompetenzen auf staatlicher Ebene (noch) nicht ausreichend vorhanden sind. Die Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen Akteuren mit einer zusätzlichen Kontrollfunktion ist daher eine wichtige Ergänzung.
Steuerung der Mittel zur Stärkung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht: Die Mitwirkung von zivilgesellschaftlichen Akteuren bei der Ermittlung von Risiken in Lieferketten, der Überwachung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht und der Vertretung von Betroffenen vor Gericht erfordert zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen. Hierfür könnten die Gelder zur Stärkung menschenrechtlicher Sorgfalt eingesetzt werden. Die Entscheidung über die Verwendung der Gelder sollte ebenfalls einem Multi-Stakeholder-Design unter Beteiligung von Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Unternehmensvertretern folgen. Die Ausgestaltung eines solchen »Fonds« könnte zur Nagelprobe für die Ernsthaftigkeit des Bestrebens werden, verschiedene Interessenträger einzubeziehen und damit ein innovatives Element der Gesetzesgestaltung zu schaffen. Zudem könnte ein auf diese Weise modellierter Fonds Unterstützungsangebote finanzieren und Personen, die von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind, gezielt beistehen. Die Unterstützung von Geschädigten würde der staatlichen Mitverantwortung Deutschlands für Verstöße gegen die Menschenrechte Rechnung tragen. Eine solide Beteiligung von unterschiedlichen Akteuren ist nur denkbar, wenn der Fonds sich nicht nur aus Bußgeldern und Aufstockungsmitteln speist, sondern seine Arbeit mit einer stabilen Grundfinanzierung aufnehmen kann.
Organisationen vor Ort stärken
Die im Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten der Beschwerde und der Prozessstandschaft sind wichtige Instrumente, um marginalisierten Gruppen, die von Menschenrechtsverletzungen durch wirtschaftliches Handeln betroffen sind, Repräsentation zu verschaffen. Die Vorbereitung von Klagen und Beschwerden erfordert die Bündelung von Wissen und Belegen über Menschenrechtsverletzungen vor Ort und einen gewissen Organisationsgrad der Betroffenen auf lokaler Ebene. Zudem setzt sie die Bildung transnationaler Netzwerke zwischen deutschen NROs, Gewerkschaften und den Betroffenen bzw. deren Interessenverbänden voraus. Hier bieten sich Ansatzpunkte für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit, welche die Teilhabe von lokalen Akteuren durch entsprechende Maßnahmen stärken könnte. Dazu würde die Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen oder Forschungseinrichtungen vor Ort gehören, die Betroffene von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden vertreten, Informationen zusammentragen oder die Vorbereitung von Klagen und Beschwerden übernehmen. Weitere begleitende Maßnahmen seitens der Entwicklungspolitik könnten sich auf den Aus- und Aufbau von lokalen Institutionen richten, beispielsweise von Ombudsstellen für Menschenrechte oder nationalen Menschenrechtsinstituten, die Beschwerden sammeln. Derartige Institutionen tragen unter anderem in Peru und Chile zur Wahrung der Grundrechte im Bergbau bei und genießen eine hohe Legitimität in der Bevölkerung.
Solche lokalen Einrichtungen unterstützen potentielle Opfer, sind für Unternehmen jedoch gleichzeitig eine wichtige Anlaufstelle für eine angemessene Risikoanalyse und Prävention. Die einzelnen Stufen der Lieferkette mit ihren zahlreichen Akteuren sind für die Unternehmen in ihrer Komplexität oft nur schwer nachzuvollziehen. Interessenkonflikte zwischen Akteuren bedeuten meist ein erhöhtes Risiko für die Resilienz der Lieferkette und somit auch für die Firmen. Gibt es eine einheitliche Interessenvertretung auf lokaler Ebene, haben die Unternehmen verbindliche Ansprechpartner, was wiederum das Potential für eine fruchtbare Zusammenarbeit und mehr Transparenz erhöht. Lokale Organisationen zu stärken ist demnach nicht nur im Interesse der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sondern auch im Interesse der Unternehmen.
Unterschiede zwischen der deutschen und der europäischen Debatte
Mit einer Verabschiedung des deutschen Sorgfaltspflichtengesetzes würde sich Deutschland unter EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich und die Niederlande einreihen, die ein vergleichbares Gesetz bereits in Kraft gesetzt haben. Das französische Gesetz »Loi de Vigilance« wird bereits seit 2017 umgesetzt und hat die zivilrechtliche Haftung verankert; erste Klagen werden dort bereits verhandelt. Auf europäischer Ebene scheint ein umfassender Konsens zu bestehen, eine anspruchsvolle Regelung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht zu erlassen: So ersuchte der Rat der EU Anfang Dezember 2020 die Kommission, im Laufe des Jahres 2021 einen Aktionsplan auf den Weg zu bringen. Dessen Schwerpunkt soll auf der nachhaltigen Gestaltung globaler Lieferketten und der Förderung von Menschenrechten liegen und auf der Festlegung von Standards für die soziale und ökologische Sorgfaltspflicht und für Transparenz. Der Rat rief die Kommission in seinen Schlussfolgerungen vom 1. Dezember 2020 ebenfalls dazu auf, einen Vorschlag für einen EU-Rechtsrahmen für eine nachhaltige Unternehmensführung vorzulegen, der auch branchenübergreifende Sorgfaltspflichten von Unternehmen entlang der globalen Lieferketten einschließen soll. Deutschland greift insoweit einer europäischen Regelung nicht einseitig vor, müsste aber nationale Bestimmungen an zukünftige rechtliche Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene anpassen. Die bisherige Diskussion über ein Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene unterscheidet sich im Vergleich zum deutschen Gesetzentwurf im Wesentlichen in zwei Punkten:
Reichweite des Gesetzes: Im Europäischen Parlament und auch in der Kommission wird über eine weitreichende Sorgfaltspflicht diskutiert, die sich sowohl auf unmittelbare als auch auf mittelbare Zulieferer erstrecken würde. Durch eine gestaffelte Ausgestaltung der Sorgfaltspflicht für direkte Zulieferer, Unterauftragsnehmer und Unternehmen, in die investiert wird, soll sichergestellt werden, dass die gesamte Wertschöpfungskette abgebildet wird. Umstritten ist noch die Anwendung eines Verhältnismäßigkeitsprinzips für unternehmerische Berichts- und Nachverfolgungspflichten je nach Risiko. Alternativ wird eine Staffelung nach Unternehmensgröße für die Verpflichtung zu formalisierten Verfahren bzw. zur Risikobewertung und ‑prävention diskutiert. Komplementär dazu könnten unabhängige Zertifizierungssysteme Dritter eingesetzt werden, um die Berichtslast der Unternehmen zu reduzieren.
Sanktionen: In einem parteiübergreifenden Votum hat der Rechtsausschuss im Europäischen Parlament einen »legislativen Initiativbericht« beschlossen, auf den die EU-Kommission nun mit einem Richtlinienentwurf reagieren muss. EU-Justizkommissar Didier Reynders hat mehrfach angekündigt, sektorübergreifende Regeln vorschlagen zu wollen. Die öffentliche Konsultation dazu ist gerade abgeschlossen worden, der Gesetzesvorschlag wird für das zweite Quartal 2021 erwartet. Im Vorschlag des Justizausschusses wird eine zivil- und verwaltungsrechtliche Haftung für Unternehmen erwogen. Damit wird eine klare Aussage in Richtung einer Haftungsverpflichtung der Unternehmen getroffen, die die Bundesregierung in ihrem jetzigen Entwurf ausgeschlossen hat. Auf europäischer Ebene wird zunächst eine Handlungspflicht für Unternehmen begründet, die im Sinne des aus der Bankenaufsicht bekannten »comply or explain«-Prinzips in einer europäischen Richtlinie durchgesetzt wird. Dieses Prinzip würde Firmen dazu verpflichten, die Nichterfüllung ihrer Sorgfaltspflicht gegenüber den nationalen Aufsichtsbehörden zu begründen. Mit der Festlegung von gemeinsamen Mindestanforderungen an die Sorgfaltspflichten und Haftungsregeln soll einer regulatorischen Fragmentierung und materiell- und verfahrensrechtlichen Unterschieden im Binnenmarkt vorgebeugt werden. Andererseits soll nicht ausgeschlossen werden, dass die Mitgliedstaaten besondere, etwa branchenspezifische Sorgfaltsanforderungen beschließen, die über die EU-gemeinsamen Regelungen hinausgehen; Gleiches gilt für regional oder international vereinbarte oder noch zu vereinbarende Standards.
Im Vergleich zu dem hohen Anspruch, der nach derzeitigem Stand an ein europäisches Lieferkettengesetz gelegt wird, bleibt der deutsche Koalitionskompromiss in seiner Regelungstiefe und seinen Verpflichtungsanforderungen deutlich hinter den angestrebten Bestimmungen der europäischen Richtlinie zurück. Deren Rechtsfolgen könnten im konkreten Fall bis zur Beendigung der Zusammenarbeit mit bestimmten Zulieferern führen, wenn trotz entsprechender vorausgehender Risikoberichte keine Abhilfe geschaffen wird. In der Diskussion steht zudem ein Importverbot für Produkte, die im Zusammenhang mit schweren Menschenrechtsverletzungen (wie Kinderarbeit) hergestellt wurden.
Deutschlands mögliche Rolle im Rahmen der EU-Diskussion
Deutschland kann unterschiedliche Wege einschlagen: Die Bundesregierung könnte sich gemeinsam mit Gewerkschaften und jenen Unternehmen, die bereits jetzt entsprechende Sorgfaltspflichten erfüllen, als Wegbereiter für eine anspruchsvolle europäische Regelung starkmachen. Damit würden eine strengere Haftung und nachhaltige Sanktionierung von Verstößen möglich, nicht zuletzt, wenn es um die Umsetzung einer umfassenderen Richtlinie in nationale Gesetzgebung geht. Da der Initiativbericht des EU-Parlaments parteiübergreifende Zustimmung genießt, könnte der Zeitrahmen für eine Implementierung eng gehalten werden. Somit würden angelaufene Bemühungen unterstützt, Standards und Berichtspflichten mit ihren Kosten in die Unternehmensbilanzen einzustellen. Zudem würden die Potentiale eines Multi-Stakeholder-Ansatzes zur Steuerung von Sorgfaltsverfahren voll genutzt: Die Beteiligung gesellschaftlicher und staatlicher Interessenträger an Konsultations- und Beteiligungsprozessen würde die Unternehmen in der Umsetzung unterstützen – nicht zuletzt gegenüber dem Druck von Finanzmärkten oder Investoreninteressen.
Mit EU-einheitlichen Vorschriften sollte gewährleistet werden, dass ein europäisches Lieferkettengesetz die bereits bestehenden nationalen Rechtsvorschriften harmonisiert und unfairen Wettbewerbsvorteilen in der Europäischen Union vorbeugt. Dazu muss sichergestellt werden, dass die Regelungen gleichermaßen für EU-Unternehmen wie auch für Nicht-EU-Unternehmen gelten, die auf dem europäischen Binnenmarkt tätig sind. Eine europäische Richtlinie könnte eine sinnvolle Erweiterung für die deutschen Vorgaben darstellen – die bisherigen Lücken im deutschen Gesetz würden nachgebessert. Zudem könnte die im deutschen Beschluss vorgesehene Verwendung von Bußgeldern zur Stärkung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht ein wertvolles Element sein, das die europäischen Überlegungen bereichern könnte.
Als zentrale Handelsmacht könnte Deutschland mit der Übernahme der Rolle eines Wegbereiters in der EU eine aktive Führungsrolle einnehmen. Mit einem umfassenden Lieferkettengesetz könnten Deutschland und die EU den Druck auf China erhöhen, das ein zentraler Knotenpunkt in vielen Lieferketten ist, und so auf die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards drängen. Die chinesische Regierung hat in den vergangenen Jahren selbst Leitlinien für nachhaltiges Wirtschaften verabschiedet, die sich an den bestehenden OECD-Standards orientieren. Doch mangelt es bislang an der Umsetzung, weil der Druck von Seiten der autoritären Führung nicht hoch genug ist.
Eine reservierte Haltung der Bundesregierung, die sich auf die Befürchtung von Teilen der Unternehmerschaft gründet, dass Berichte und Nachforschungen zu hohe Kosten generieren und den Handelsverkehr belasten könnten, würde das europäische Mandat auch auf internationaler Ebene schwächen – beispielsweise bei den Verhandlungen über einen verbindlichen Rechtsrahmen auf UN-Ebene im Kontext des sogenannten »Binding Treaty on Business and Human Rights«-Prozesses. Deutschland wäre weniger anschlussfähig an die Interessen von Akteuren in Staaten des Globalen Südens. Das Argument, dass starke menschenrechtliche Verpflichtungen insbesondere zu Lasten dieser Länder gingen, weil sie durch höhere Standards unter Druck gerieten, kann kaum überzeugen: Weltweit haben Staaten die UNGP durch die Einführung Nationaler Aktionspläne für Wirtschaft und Menschenrechte in nationales Recht gegossen oder diskutieren darüber, dies zu tun. Für OECD-Länder wie Chile oder Beitrittskandidaten wie Peru gelten ohnehin bereits die ambitionierteren OECD-Standards. Auch in der »Agenda 2063«, der Entwicklungsagenda der Afrikanischen Union (AU), ist die Umsetzung von Umwelt- und Sozialstandards als Ziel verankert.
Nächste Schritte
Sich für hohe Umwelt- und Sozialstandards einzusetzen, ist nicht nur aus menschenrechtlichen Erwägungen heraus wichtig. Für nachhaltige und fair gehandelte Produkte ist in den letzten Jahren ein stetig wachsender Markt entstanden. Eine Umfrage von Infratest dimap vom September 2020 zeigt zudem, dass sich 75 Prozent der Bundesbürger für ein Lieferkettengesetz aussprechen. 91 Prozent der Befragten sehen es als Aufgabe der Bundesregierung an, dafür zu sorgen, dass deutsche Unternehmen bei ihren Auslandsgeschäften Umwelt- und Sozialstandards achten.
Plädoyer für ein starkes deutsches Gesetz
Es ist wichtig, die Einwände einiger Unternehmen gegen eine stärkere Regulierung wegen vermuteter Wettbewerbsnachteile und erhöhter Kosten ernst zu nehmen und Prozesse so zu gestalten, dass sie nicht zu einem zu hohen bürokratischen Aufwand führen. Doch spricht genau dies für ein starkes Gesetz, weil es den Unternehmen mit klaren und verbindlichen Regelungen einen Rahmen setzt und somit eine Orientierung für alle liefert. Die bisherigen Eckpunkte des Gesetzes sollten im Rahmen der Ressortabstimmung und bis zur Verabschiedung nicht weiter verwässert werden.
Flankierende Maßnahmen
Darüber hinaus sollte die Bundesregierung die Wirkung und Reichweite des Gesetzes durch flankierende Maßnahmen erhöhen. Dafür sollte sie auf eine Beteiligung von verschiedenen Akteuren entlang der Lieferkette setzen: bei den Risikoanalysen der Unternehmen, der Überwachung der Sorgfaltspflichten und der Steuerung der Gelder zur Stärkung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht. Die Beschränkung der Berichtspflicht auf die unmittelbaren Vertragspartner von Unternehmen darf nicht dazu führen, dass die weiteren Stufen der Lieferkette nur im Beschwerdefall in den Fokus rücken. Ziel muss es bleiben, solchen Fällen mit verbindlichen und umfangreichen Risikoanalysen präventiv entgegenzuwirken. Die Lieferkette gewinnt so auch für die deutschen Unternehmen an Transparenz und damit auch an Resilienz. Wichtig ist zudem die Unterstützung lokaler Institutionen, die Wissen über Menschenrechtsverletzungen durch unternehmerisches Handeln zusammentragen und Betroffene unterstützen.
Deutschland auf europäischer Ebene
Die Bundesregierung sollte auf europäischer Ebene auf eine starke Regulierung pochen und sicherstellen, dass gleiche Spielregeln für EU- und Nicht-EU-Unternehmen gelten und die EU auch auf internationaler Ebene als richtungweisender Akteur auftreten kann. Darüber hinaus sollte sie sich dafür einsetzen, dass umweltbezogene Menschenrechte im europäischen Gesetz hinreichend verankert werden. Die Beschränkung des deutschen Gesetzentwurfs auf ausgewählte Schadstoffe und auf Umweltschäden, die individuelle Menschenrechte beeinträchtigen, deckt das Ausmaß an Umweltschäden durch unternehmerisches Handeln nur unzureichend ab. Im Dialog mit den Partnerländern im Globalen Süden sollten zudem Ansätze zur Stärkung der Um- und Durchsetzung von Menschenrechtsstandards entwickelt werden.
Komplementarität mit Handelspolitik
Im Dienste einer kohärenten Gestaltung ihrer Außenbeziehungen sollte die EU sich darum bemühen, die Komplementarität von Lieferkettenregulierung und Handelspolitik in den Blick zu nehmen. Der präventive Charakter eines Lieferkettengesetzes, das auf die Regulierung des Verhaltens von Unternehmen setzt, findet seine Ergänzung in handelspolitischen Vereinbarungen zwischen Staaten auf bilateraler, interregionaler oder internationaler Ebene. Das könnte bedeuten, dass vorhandene Handelsabkommen zu aktualisieren oder entsprechende Regelungen in den multilateralen handelspolitischen Acquis aufzunehmen wären. Mit einer Wiederbelebung der Welthandelsorganisation (WTO) könnten auch hier neue Ansatzpunkte für eine europäische Initiative entstehen.
Die deutsche G7-Präsidentschaft nutzen
Die Bundesregierung könnte darüber hinaus ihren für das Jahr 2022 anstehenden Vorsitz bei den G7 nutzen, um das Thema der nachhaltigen Gestaltung von Rohstofflieferketten mit anderen G7-Partnern zu diskutieren und einen gemeinsamen Handlungsrahmen zu entwickeln.
Prof. Dr. Günther Maihold ist Stellvertretender Direktor der SWP und Leiter des SWP-Anteils am Forschungsnetzwerk Nachhaltige Globale Lieferketten. Dr. Melanie Müller ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika und leitet das Projekt »Transnationale Governance-Ansätze für nachhaltige Rohstofflieferketten im Andenraum und im südlichen Afrika«. Dr. Christina Saulich und Svenja Schöneich sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in diesem Projekt. Das Projekt wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert.
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doi: 10.18449/2021A19