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Rohstoffpartner Kanada: ein (nahezu) perfekter Match

Die europäisch-kanadische Rohstoffkooperation in Zeiten des Friendshoring

SWP-Aktuell 2024/A 27, 21.06.2024, 8 Seiten

doi:10.18449/2024A27

Forschungsgebiete

Die EU setzt für ihre Versorgung mit sogenannten kritischen Rohstoffen auf eine Verstärkung der Kooperation mit gleichgesinnten Staaten. Als »perfect match« sieht EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen in diesem Zusammenhang Kanada an, ein rohstoffreicher und verlässlicher Partner, der die geopolitischen Interessen und Nach­haltigkeitsziele der EU teilt. Kanada will seine Lieferketten diversifizieren und dem Einfluss chinesischer Akteure in seiner Bergbauindustrie durch eine Politik des Friendshoring entgegenwirken. Dabei zeigt sich die kanadische Regierung weitaus offener als die US-Regierung für eine Zusammenarbeit mit der EU in Rohstofflieferketten und Schlüsselindustrien. Eine Vertiefung der Kooperation ist für beide Seiten vorteilhaft. Um die Rohstoffpartnerschaft wirklich zu einem perfekten Match zu machen, sollte die EU jedoch stärkere finanzielle Anreize setzen für die Verzahnung der europäischen und kanadischen Industrien, den wissenschaftlichen Austausch und die technische Zusammenarbeit fördern und sich für starke unternehmerische Sorgfaltspflichten in Lieferketten einsetzen.

Die Mobilitäts- und Energiewende und auch die Digitalisierung werden zukünftig zu einer verstärkten Nachfrage nach bestimmten mineralischen und metallischen Roh­stoffen führen. Die EU ist beim Zugang zu diesen Rohstoffen zu großen Teilen ab­hängig von Importen aus dem außereuropäischen Ausland. Deshalb hat sich die EU-Kommission im Rahmen des Critical Raw Materials Act (CRMA) neben dem Ausbau des europäischen Bergbaus auch die Ver­tiefung internationaler Partnerschaften mit rohstoffreichen Ländern zum Ziel gesetzt. Mit Kanada, einem rohstoffreichen Land mit langer Tradition im Bergbau, verbindet die Union bereits seit 2021 eine »strategische Rohstoffpartnerschaft«. Als eines der wenigen Länder der westlichen Hemisphäre, das große Vorkommen all jener Rohstoffe beherbergt, die für die Produktion von Lithium-Ionen-Batterien benötigt werden, ist Kanada für die EU ein wichtiger Partner für die grüne und digitale Transformation. Darüber hinaus lässt sich die verstärkte Fokussierung auf Kanada und seine Res­sourcen auf eine zunehmende Geopolitisierung internationaler Rohstofflieferketten zurückführen, die insbesondere seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu beobachten ist. Ein zentrales Element dieser Entwicklung ist dabei das sogenannte Friendshoring, ein vor allem von den USA unterstützter außenwirtschaftspolitischer Ansatz, dem zufolge Lieferketten möglichst auf Länder ausgerichtet werden sollen, die die eigenen Werte und Interessen teilen. Kanada und die EU betrachten sich in diesem Sinne gegenseitig als gleichgesinnte Akteure; EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen bezeichnete die Partnerschaft gar als »perfect match«. Die Voraussetzung für eine verstärkte Zusammenarbeit im Roh­stoffsektor und einigen nachgelagerten Lieferketten scheint gut. Doch bei der Um­setzung stellen sich einige Herausforderungen, ins­besondere mit Blick auf die Finan­zierung von Rohstoffprojekten als auch auf Nachhaltigkeitsaspekte und Sorgfalts­pflichten im Bergbausektor.

Kanadas Rohstoffstrategie

Der Bergbau hat in Kanada eine lange Tradi­tion. Anfang des 18. Jahrhunderts öffnete die erste industrielle Eisenmine in der öst­lichen Provinz Quebec. Heute werden in rund 200 Minen 60 unterschiedliche Mine­rale und Metalle abgebaut, darunter solche, die inzwischen von vielen Industriestaaten als kritisch bzw. strategisch eingestuft werden. Im Jahr 2021 machte der Bergbausektor etwa 5 Prozent des nominalen BIP und fast ein Viertel der gesamten Exporte Kanadas aus. Rund die Hälfte der börsen­notierten Bergbauunternehmen weltweit haben ihren Sitz in Kanada. Im internationalen Roh­stoff­handel zählt das Land zu den wichtigsten Börsenplätzen.

Ende 2021 veröffentlichte die kanadische Regierung eine nationale Strategie für kriti­sche Rohstoffe mit drei konkreten Zielen. Erstens die Stärkung heimischer Rohstoff­lieferketten, von der Exploration bis zum Recycling, zweitens die Förderung des Aus­söhnungsprozesses mit den indigenen Völkern Kanadas im Rah­men von Rohstoffprojekten sowie drittens eine verstärkte Kooperation mit gleichgesinnten Partnern, sowohl auf bi- als auch auf multi­lateraler Ebene.

Die Stärkung des heimischen Bergbaus

In der kanadischen Rohstoffstrategie werden 34 Rohstoffe als kritisch klassifiziert, von denen 26 im eigenen Land abgebaut werden. Vierundzwanzig dieser 34 Rohstoffe werden auch in der EU als kritisch eingestuft, 13 da­von sogar als strategisch. (In der EU werden. kritische Rohstoffe zusätzlich als strategisch klassifiziert, wenn ihre Nachfrage exponen­tiell wachsen dürfte und ein großes Ver­sorgungsrisiko mit ihnen verknüpft ist.)

In Kanada gelten sechs Rohstoffe als stra­tegisch besonders bedeutsam für die kana­di­sche Wirtschaft und Industrie: Lithium, Graphit, Nickel, Kobalt, Kupfer und Seltene Erden. Alle sechs lagern in Kanada, werden aber derzeit in sehr unterschiedlichem Um­fang abgebaut und verarbeitet. Während Nickel und Kupfer schon heute in großen Mengen gefördert werden, wurden Lithium, Graphit, Kobalt und Seltenen Erden in der Vergangenheit nur in kleinen Mengen abgebaut – obwohl zu­mindest bei Lithium und Seltenen Erden große Vorkommen im Land vermutet wer­den. Der Ausbau des heimischen Bergbaus soll sich daher zu­künftig besonders auf diese sechs Rohstoffe konzentrieren.

Der Entschluss der kanadischen Regierung, den nationalen Bergbau anzukurbeln, ist auch von den geopolitischen Entwicklungen der letzten Jahre beeinflusst. So soll Kanadas Bergbauindustrie nicht nur geför­dert, sondern auch kritisch auf Akteure hin überprüft werden, die den wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen der kanadischen Regierung entgegenwirken. Vor allem chinesische Investoren und Firmen haben im kanadischen Bergbausektor in den letz­ten zwei Jahrzehnten stark an Einfluss ge­wonnen. An zwei der größten kanadischen Minenkonzerne sind staatlich kontrollierte chinesische Unternehmen als Hauptaktionäre beteiligt. Das chinesische Unter­nehmen Shenghe kaufte vor kurzem An­teile an Kanadas einziger Mine für Seltene Erden. Im zentralkanadischen Manitoba unterhält die chinesische Firma Sinomine eine der beiden Lithium-Minen Kanadas. Der dort gewonnene Rohstoff wird anschließend zur Weiterverarbeitung nach China expor­tiert. Seit 2019 betreibt Sinomine außerdem die einzige Cäsium-Mine Amerikas und Europas. Dadurch, dass Sinomine den Roh­stoff direkt vor Ort weiterverarbeitet und ihn dann auf dem nordamerikanischen Markt verkauft, hat die Firma quasi die komplette Kontrolle über die Lieferkette und den Rohstoffpreis.

Als Reaktion auf die wachsende Präsenz chinesischer Akteure im kanadischen Berg­bausektor beschloss die kanadische Regie­rung Ende 2022, ausländische Investitionen in kritische Rohstoffprojekte zukünftig unter dem Blickwinkel nationaler Sicherheitsinteressen zu prüfen. Im gleichen Zug zwang sie drei chinesische Bergbaufirmen, ihre Anteile an zwei kanadischen Lithium-Explorationsunternehmen zu verkaufen. Den Wegfall chinesischer Investitionen in der heimischen Bergbauindustrie will die Regierung auch mit staatlichen Subventionen auffangen. Die nationale Rohstoff­strategie wird deshalb mit fast 4 Milliarden kanadischen Dollar (CAD, etwa 2,7 Mrd. Euro) und Steuergutschriften für Inves­ti­tionen in kritische Rohstofflieferketten flankiert. Ein Großteil der Subventionen soll in den Aufbau von Infrastruktur für kritische Rohstoffe, in die Rohstoffexploration sowie in die Unterstützung indigener Gemeinden fließen.

Während der US-amerikanische Inflation Reduction Act (IRA) in der EU für Verärgerung sorgte, dürfte Kanada davon in gro­ßem Maße profitieren. Durch das Freihandels­abkommen mit den USA qualifizieren sich kanadische Unternehmen für US-amerika­nische Subventionen und Steuergutschriften. Seit der Verabschiedung des IRA und der kanadischen Rohstoffstrategie kann das Land eine ganze Reihe neuer Investitionen verbuchen. Der schwedische Batterieherstel­ler Northvolt kündigte an, seine erste außer­europäische Lithium-Ionen-Gigafabrik in Quebec anzusiedeln; Volkswagen will 7 Mil­liarden CAD in den Aufbau einer Batterie­fabrik in Ontario investieren und sich zu­dem direkt an mehreren kanadischen Minen beteiligen, um so Zugang zu Batterierohstof­fen zu erhalten.

In der zentralkanadischen Provinz Sas­kat­chewan sollen Kanadas erste Verarbeitungsstätten für Seltene Erden errichtet werden. Die im nördlichen Yukon abgebauten Selte­nen Erden sollen zur Weiterverarbeitung nach Saskatoon und dann über eine nor­wegische Firma nach Europa gelangen. Dies wäre die erste Lieferkette von Seltenen Erden, die direkt von Nordamerika nach Europa führt, ohne Zwischenstopp in China. Auch in der Nachbarprovinz Manitoba soll eine Lieferkette entstehen, die China gänz­lich außen vor lässt. Im Norden Manitobas soll die erste vollelektrische Lithium-Mine eröffnet werden, die zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben wird. Das dort gewonnene Lithium soll anschließend vom südkoreanischen Unternehmen LG verarbeitet und direkt weiter an amerika­nische und europäische Autohersteller geliefert werden.

Laut einer Analyse des Instituts Bloomberg New Energy Finance (BNEF) verfügt Kanada mittlerweile über die besten Vor­aussetzungen für die Erschließung von Batterielieferketten – noch vor China. Die Kombination aus einem gut etablierten Rohstoffsektor, einer engen Verzahnung mit der US-amerikanischen Automobil­industrie und hohen Nachhaltigkeits­standards verschaffen dem Land einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Rohstoffproduzenten. Dennoch bleibt das schwächste Glied in Kanadas Rohstoffliefer­ketten die Weiterverarbeitung. So gibt es im Land derzeit zwar mehr als 400 Projekte für den Abbau von Lithium, doch die Planungen für neue Anlagen zur Weiter­verarbeitung des Rohstoffs verlaufen schlep­pend. Ausgerechnet Sinomine hat für sei­nen Lithiumabbau in Manitoba nun einen Antrag auf Bau einer Weiterverarbeitungsanlage gestellt. Damit will das chinesische Unternehmen auch ein politisches Signal an Ottawa senden, dass es durchaus dazu bereit ist, das in Kanada gewonnene Mate­rial in die nordamerikanische Lieferkette einzuspeisen, anstatt es unmittelbar nach China zu exportieren. Bei den Seltenen Erden zeigen sich ähnliche Hürden. Eines der beiden Projekte für den Bau von Weiter­verarbeitungsstätten für Seltene Erden in Saskatchewan ist mittlerweile auf Eis ge­legt. Die Anlage, die bereits zur Hälfte er­richtet und mit staat­lichen Subventionen gefördert worden war, musste aus finanziellen Gründen letztendlich zu Teilen an ein chinesisches Unternehmen verkauft werden.

Auch bei der Graphitverarbeitung hakt es weiterhin vor allem an der Finanzierung. Nachdem China Ende 2023 weitere Be­schrän­kungen für den Export von Graphit erlassen hat, steigt der Druck auf den nordamerika­nischen Markt, seine eigene Produktion an­zukurbeln und vor allem seine Kapazitäten für die Weiterverarbeitung des Metalls zu er­weitern. Doch der Aufbau einer Anlage zur Herstellung von Kathodenaktivmaterial (CAM), ein wichtiger Bestandteil von Li­thi­um-Ionen-Batterien, kostet in Nordamerika drei bis vier Mal so viel wie in China.

Die Finanzierung neuer Rohstoffprojekte ist daher die größte Herausforderung, vor der die kanadische Bergbauindustrie nun steht. Chinesische Firmen haben zwischen 1993 und 2023 rund 21 Milliarden CAD in den kanadischen Bergbausektor investiert. Damit waren sie einer der wichtigsten Finanziers, insbesondere für Junior-Berg­bau­unternehmen (kleine bis mittelgroße Firmen, die sich auf die Exploration und Entwicklung neuer Bergbauprojekte kon­zen­trieren). Das von der kanadischen Regierung forcierte Divestment von chine­sischen Firmen stieß deshalb in der Berg­baubranche auf scharfe Kritik, denn, so wird argumentiert, die Regierung beraube vor allem Junior-Unternehmen der Möglich­keit, dringend benötigte Liquidität zu er­halten, ohne ihnen eine adäquate Alter­native zu bieten. Die kanadische Regierung steht somit vor einem Dilemma, mit dem sich auch die EU konfrontiert sieht: Auf der einen Seite will Kanada als enger Verbün­deter der USA, Japans und der EU dem aktuellen Credo »weniger China, mehr Sicherheit« folgen und sich langfristig zu­mindest teil­weise von chinesischen Firmen entkoppeln. Gleichzeitig braucht das Land für sein Bestreben, Marktführer bei kriti­schen Rohstofflieferketten zu werden, das, was chinesische Investoren bislang bereit­willig geliefert haben: Geld, und das mög­lichst schnell, denn das Rennen um die Rohstoffe ist be­reits in vollem Gange und das Gelegenheitsfenster für Kanada nicht unbegrenzt offen.

ESG+I: Das Indigenous in ESG

Die zweite Säule der kanadischen Rohstoff­strategie besteht in der Förderung von Nach­haltigkeitsstandards im Bergbausektor. Um sich im Wettbewerb um kritische Rohstoffe von Akteuren wie China oder Russland ab­zugrenzen, setzt Kanada auch auf das ge­stie­gene Bewusstsein für Nachhaltigkeit und unternehmerische Verantwortung in (Rohstoff-)Lieferketten. Neben sozialen, öko­logischen und Governance-bezogenen Krite­rien (oft unter dem Akronym ESG zusammen­gefasst), spielt die Versöhnung mit den indigenen Völkern Kanadas dabei eine besonders wichtige Rolle (ESG+I).

Die Beziehungen zwischen dem kanadischen Staat und den indigenen Völkern, die auf dem Territorium Kanadas leben, sind geprägt von systematischer Unterdrückung und Diskriminierung, Zwangsumsiedlung und -assimilation in sogenannten Residential Schools sowie anhaltender Gewalt, vor allem gegen indigene Frauen. Die Aufarbeitung dieser Leidensgeschichte findet seit 2008 im Rahmen einer Wahrheits- und Ver­söhnungskommission (TRC) statt. Der TRC-Prozess umschließt dabei die Anerkennung, Aufarbeitung und (finanzielle) Wiedergutmachung historischer Ungerechtigkeiten gegen indigene Völker sowie ein Bekenntnis zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen der kanadischen Regierung, Wirtschaft und indigenen Gemeinschaften.

Die Bergbauindustrie spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Der Großteil der Lager­stätten kriti­scher Rohstoffe befindet sich in Gebieten, die von indigenen Gemeinden bewohnt werden. Zu den größten Konfliktpunkten zwischen der indigenen Bevölkerung und dem Bergbausektor zählen Strei­tigkeiten um Landrechte, negative Umwelt­auswirkungen und (sexuelle) Gewalt gegen Indigene. Doch die Bergbauindustrie bietet gleich­zeitig auch Chancen für die indigene Com­munity, die stark von Arbeitslosigkeit und damit von Armut betroffen ist und deren Lebensräume von einer mangel­haften Transport- und Energieinfrastruktur geprägt sind. So hat sich der Bergbausektor über die Jahre zum größten privaten Arbeit­geber indigener Menschen in Kanada ent­wickelt; auch nimmt der Anteil der »Owner­ship« Indigener im Sektor zu: Über 200 in­digene Unternehmen beliefern mittlerweile die kanadische Rohstoffindustrie.

Mit der nationalen Rohstoffstrategie will die kanadische Regierung genau daran an­knüpfen und die Ausweitung des Rohstoff­sektors als Chance nutzen, um die Versöh­nung mit der indigenen Bevölkerung des Landes voranzubringen. In diesem Sinne hat sie kürzlich ein nationales »Benefits-Sharing Framework« erarbeitet. Zukünftig soll so mehr in die Ausbildung indigener Menschen im Rohstoffsektor investiert werden; indigenen Gemeinden soll der Zu­gang zu Kapital erleichtert werden, das es ihnen ermöglicht, sich finanziell stärker an Bergbauprojekten zu beteiligen; ebenso sollen die indigenen Gemeinden in die Pla­nung und Entscheidungsfindung von Berg­bauprojekten stärker einbezogen werden.

Dass die Versöhnung mit der indigenen Bevölkerung Kanadas in der nationalen Roh­stoffstrategie einen so großen Platz ein­nimmt, wird von vielen Indigenen durch­aus als positiv wahrgenommen. Auch sie haben ein Interesse daran, vom Wachstum des kanadischen Rohstoffsektors zu pro­fitieren; und doch enthält die kanadische Rohstoffstrategie einen Zielkonflikt. Auf der einen Seite bekennen sich die Regierung und die Privatwirtschaft zu einer ver­tieften Zusammenarbeit mit indigenen Gemeinden und zu der Verpflichtung zu einem fairen, transparenten und offenen Konsultationsprozess. Auf der anderen Seite wird das Zeitfenster, in dem Kanada seinen globalen Führungsanspruch im Rohstoff­sektor geltend machen kann, immer enger. Deshalb besteht die Sorge, dass die Rechte der Indigenen am Ende doch hinter den ambitionierten Plänen der Regierung zu­rückbleiben werden. Erste Anzeichen dafür gibt es bereits im Ring of Fire, einem beson­ders rohstoffreichen Gebiet im nördlichen Ontario, in dem viele indigene Communities ansässig sind. Ein 2023 beschlossenes Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren zur Erschließung neuer Minen und deren Infrastruktur würde – so der Vorwurf von Kritikern – Untersuchungen zur Umweltverträglichkeit unterminieren und indigene Gemeinden zu wenig mit einbeziehen. Tatsächlich hat sich die Zahl vorläufiger Bergbaulizenzen im Ring of Fire im letzten Jahr um fast 30 Prozent erhöht, ohne dass die betroffenen Gemeinden dazu konsultiert wurden. Zudem hat der UN-Menschenrechtskommissar (UNHCR) die kanadische Regierung erst kürzlich dafür gerügt, dass sie die Rechte der Indigenen auf sauberes Wasser und Sanitärversorgung, vor allem in Gegenden in denen Bergbau statt­findet, weiterhin nur unzureichend schütze.

Europäisch-kanadische Zusammen­arbeit in globalen Rohstoffliefer­ketten – ein »perfect match«?

Der dritte Baustein der kanadischen Roh­stoffstrategie ist die vertiefte Zusammen­arbeit mit gleichgesinnten Partnern, ganz im Einklang mit dem Konzept des Friend­shoring. Gemeinsam mit seinen Verbündeten will Kanada die Diversifizierung von Rohstofflieferketten abseits von China vorantreiben und »kollektive Antworten« finden auf Herausforderungen wie Preis­manipulationen und Überproduktion durch nicht-gleichgesinnte Staaten. Die EU schloss 2021 ihre erste Rohstoffpartnerschaft mit Kanada. Seitdem wurden sieben gemein­same Projekte realisiert, da­runter privatwirtschaftliche Investitionen in die Batterie­fertigung, das Batterierecycling und die Lithiumverarbeitung. Daneben sind sowohl Kanada als auch die EU Mitglied in der Min­erals Security Partnership (MSP), einem von den USA initiierten multilateralen Forum zur Koordinierung und Förderung gemeinsamer internationaler Rohstoffprojekte.

Die von der EU im Critical Raw Materials Act formulierten Ziele zur Rohstoffversor­gung lassen sich nur durch Importe aus roh­stoffreichen Ländern wie Kanada erreichen. Die kanadische Bergbauindustrie bietet hierfür zahlreiche Anknüpfungspunkte. Ihr Fokus auf Rohstoffe, die für die Produktion grüner Technologien, von Halbleitern und Dauermagneten benötigt werden, bietet große Schnittmengen mit jenen Industriezweigen, die im Blickpunkt des europäi­schen Net-Zero Industry Act stehen. Für Kanada wiederum ist die EU ein attraktiver Absatzmarkt und eine wichtige Investoren­landschaft. Bereits heute ist die EU Kanadas zweitgrößter Exportmarkt für mineralische und metallische Rohstoffe. Eine verstärkte Zusammenarbeit mit Kanada im Rohstoff­sektor und nachgelagerten Lieferketten würde daher beiden Parteien zugutekommen und sollte sich vor allem auf vier Bereiche stützen.

Verzahnung gemeinsamer Rohstofflieferketten

Die Zielvorgaben des CRMA wie auch der kanadischen Rohstoffstrategie setzen vor­aus, dass (Bergbau-)Unternehmen ihre Geschäfte künftig wieder stärker in euro­päische und nordamerikanische Industriestaaten verlagern. Dabei stehen diese vor der Herausforderung, die durch höhere Arbeitslöhne, Energiepreise und steigende ESG-Anforderungen entstehenden Mehr­kosten zu tragen und gleichzeitig den poli­tisch bedingten Rückgang chinesischer Investitionen zu kompensieren. Weder die kanadischen Subventionen noch die Roh­stofffonds, die einige EU-Mitgliedstaaten einrichten wollen, werden diese Finanzierungslücke kurzfristig schließen können. Die gegenwärtig vom Decoupling bzw. De­risking geprägte politische Debatte darf nicht an dieser Realität vorbeilaufen. Auch wenn das Bewusstsein für die Risiken hoher Abhängigkeit von einzel­nen Akteuren und für die Bedeutung der Geopolitik auch in der Industrie zunimmt, orientieren sich Unternehmen weiterhin primär an wirt­schaftlichen Faktoren. Ein gutes Beispiel hierfür ist das deutsch-kanadische Startup Rock Tech Lithium, das zusätzlich zu seinen Rohstoffprojekten in Kanada und Deutschland kürzlich ein Rohstofflieferabkommen mit einem chinesischen Großkonzern ge­schlossen hat (während ihm gleichzeitig die Förderung für den Bau einer Anlage zur Weiterverarbeitung von Lithium durch das deutsche Wirtschaftsministerium wegen fehlender Gelder versagt wurde).

Wenn die EU und Kanada zusammen mit den anderen Mitgliedern der Mineral Security Partnership das Ziel verfolgen, stra­tegische Rohstofflieferketten zu diversifizieren und Kapazitäten außerhalb Chinas auf­zubauen, müssen sie auch dazu bereit sein, die Mehrkosten für diese Sicherheitsinvesti­tion auf sich zu nehmen. Die EU sollte des­halb ein Zeichen setzen, dass sie ent­schlos­sen ist, mehr in den Aufbau gemeinsamer Lieferketten zu investieren. Dazu sollte sie ihren Critical Raw Materials Act mit eigenen finanziellen Anreizen für privatwirtschaftliche Investitionen flankieren, beispiels­weise durch einen Rohstofffonds auf EU-Ebene. Bei der Auswahl sogenannter strate­gischer Projekte sollte der Fokus auf Junior-Bergbauunternehmen gelegt werden, da diese aufgrund des hohen Risikos von Ex­plorationsprojekten besonders große Schwierigkeiten haben, an das notwendige Kapital zu gelangen. Zugleich sollten vor allem Pro­jekte zur Erhöhung der Kapazitäten zur Weiterverarbeitung von kritischen Roh­stoffen gefördert werden, da in diesem Bereich die größten Abhängigkeiten und Versorgungsrisiken sowohl für die EU als auch für Kanada bestehen.

Angesichts der Tatsache, dass die EU ihre Verhandlungen mit den USA über ein ge­sondertes Rohstoffabkommen bislang noch nicht abschließen konnte, ist eine Vertiefung der Zusammenarbeit mit Kanada um­so sinnvoller. Das Land ist bereits heute ein verlässlicher Partner der EU. Auch nach einem möglichen Regierungswechsel wird es an der Kooperation mit der EU im Roh­stoff­sektor festhalten; dazu agiert die kana­dische Regierung im Wettbewerb um kriti­sche Rohstoffe und bei der Zusammenarbeit in Schlüssellieferketten weitaus weniger offensiv als die USA. Das Freihandels­abkom­men zwischen der EU und Kanada (CETA) bietet hier eine gute Grundlage für eine stärkere Verzahnung sowohl im Roh­stoff­bereich als auch in nachgelagerten Liefer­ketten. Kanada als rohstoffreiches Land mit Expertise im Bergbausektor und günstiger und überwiegend grüner Energie kann dabei vor allem die Up- und Midstream-Stufe dieser Lieferketten stärken. Die EU könnte mit ihrer etablierten Chemie-, Auto­mobil- und Stahlindustrie gut an die Mid- und Downstream Lieferkette anschließen.

Um potentielle Synergien und Anknüpfungspunkte zu identifizieren, sollte die EU zuerst die Koordination unter ihren Mitglied­staaten ankurbeln und diese dazu bewegen, sich sowohl hinsichtlich der jeweiligen Be­darfe an kritischen Rohstoffen als auch mit Blick auf Kooperationsmöglichkeiten zwischen europäischen und kanadischen Unternehmen abzustimmen. Dabei können die Mitgliedstaaten auf etablierte Netzwerke wie die Außenhandelskammern und auf bilaterale Vereinigungen, wie die Deutsch-Kanadische Gesellschaft, zurückgreifen.

Zusammenarbeit bei internatio­nalen Rohstoffprojekten

Obwohl die EU auf absehbare Zeit auf Roh­stoffimporte aus dem außereuropäischen Ausland angewiesen sein wird, halten sich europäische Unternehmen bei Investitionen in Rohstoffprojekte in Drittländern nach wie vor zurück. Dies liegt zum einen daran, dass nur wenige international agierende Bergbau­konzerne in der EU ansässig und europäi­sche Unternehmen in der Regel am Ende der Lieferkette als Abnehmer aktiv sind. Zum anderen scheuen sich viele europäische Firmen vor Investitionen in risikoreiche Rohstoffprojekte, vor allem in strukturell schwächeren Bergbauregionen, wo bei der Erfüllung von ESG-Standards oft höhere Herausforderungen zu bewältigen sind.

Kanadische Bergbaufirmen hingegen sind in fast 100 Ländern der Welt aktiv. Mit vielen dieser Länder hat auch die EU in­zwischen Rohstoffpartnerschaften geschlossen, darunter Sambia, die Demokratische Republik Kongo, Chile, Argentinien und Namibia. In Sambia werden drei der sieben größ­ten Minen von kanadischen Bergbaukonzernen betrieben, in der DR Kongo ist eine der größten Kupferminen der Welt in kanadischer Hand. Die EU sollte deshalb die Zusam­menarbeit mit kanadischen Unter­nehmen auch bei Projekten in Drittländern stärker in den Blick nehmen. Kanada ver­fügt mittlerweile nicht nur über ein breites Ökosystem von Junior-Bergbaufirmen, son­dern hat in vielen dieser Länder bereits gut etablierte Strukturen sowie lokales und rechtliches Know-how aufgebaut. Darüber hinaus würde die Vernetzung öffentlicher und privatwirtschaftlicher Finanzierungsmöglichkeiten beider Seiten dazu beitragen, die Risiken für Investitionen in Rohstoffprojekte in den genannten Drittländern zu minimieren und so die Hürden für eine Beteiligung europäischer Unternehmen zu senken. Die G7-Partnerschaft für Globale Infrastruktur und Investment, der EU Critical Raw Materials Club und auch das Mineral Security Partnership Forum eignen sich als Foren für die Identifizierung und Finanzierung gemeinsamer Projekte und die Vernetzung von Unternehmen.

Förderung von internationalen Nachhaltigkeitsstandards

Die EU und Kanada haben sich zu hohen Nachhaltigkeitsstandards in globalen Roh­stofflieferketten bekannt. Diese Selbst­verpflichtung soll den Industriestaaten des Globalen Nordens auch als Wett­bewerbs­vorteil gegenüber Akteuren wie China oder Russland dienen. Rohstoffreichen Ländern des Globalen Südens soll signalisiert wer­den, dass der Abbau kritischer Rohstoffe künftig umweltfreundlicher gestaltet werden und ihnen mehr wirtschaftliche und soziale Vor­teile bringen soll. Dies in die Praxis umzusetzen wird angesichts des bereits er­wähnten Zielkonflikts zwischen Schnellig­keit und Sorgfalt nicht leicht werden. Doch wenn die EU und Kanada ihre selbstgesetz­ten Nachhaltigkeitsziele am Ende nicht einhalten, schaden sie damit nicht nur der Umwelt oder den Rechten indigener Gemeinden, sondern büßen auch ihre Glaubwürdigkeit in Produzentenländern des Globalen Südens ein.

Die EU und Kanada sollten sich deshalb gemeinsam dafür einsetzen, dass aus Ab­sichtserklärungen konkrete Zielsetzungen werden und sich beide Seiten auf messbare Instrumente für mehr Nachhaltigkeit und unternehmerische Verantwortung in glo­balen Rohstofflieferketten verständigen. Zwar kann Kanada im eigenen Land durch­aus Fortschritte bei der »Sustainabilization« seines Bergbausektors vorweisen; kanadischen Unternehmen, die in Drittsaaten agie­ren, werden jedoch immer wieder Verstöße gegen Menschenrechte und Umweltschutz vorgeworfen, insbesondere gegenüber in­digenen und lokalen Gemeinden. Gerade wenn die EU in Drittländern mit kanadischen Firmen kooperiert, muss sie die Ein­haltung hoher Nachhaltigkeitsstandards zur Bedingung machen. Die EU sollte sich da­her in Anlehnung an die kürzlich beschlossene EU Corporate Sustainability Due Dili­gence Directive (CSDDD) auch bei ihren MSP-Partnern für verbindliche Sorgfaltspflichten in globalen Lieferketten stark machen.

Stärkung der technischen und wissenschaftlichen Kooperation

Als rohstoffreiches Land mit langer Bergbau­tradition verfügt Kanada über umfassende Erfahrung und qualifiziertes Fachwissen in der Bergbauindustrie. Gleichzeitig unterliegt der Rohstoffsektor derzeit grundlegenden Veränderungen, vor allem hinsichtlich der fortschreitenden Digitalisierung, Auto­matisierung und Dekarbonisierung des Bergbaus. Um diese Entwicklungen voran­zutreiben und aktiv mitzugestalten, sollte die EU die technische Zusammenarbeit so­wohl unter ihren Mitgliedstaaten als auch mit Kanada stärken, angefangen bei der Rohstoffexploration, über die Forschung an neuen und effizienteren Abbaumethoden, bis hin zur Weiterentwicklung von Techno­logien zur Gewinnung von Rohstoffen aus Abfallströmen und Recycling. Die Aufnahme Kanadas in das neue Horizon Europe Programm sollte gezielt auch für gemein­same Forschungsprojekte im Rohstoff­bereich genutzt werden. Desgleichen sollten bilaterale Kooperationsformate, wie etwa das deutsch-kanadische Förderprogramm im Bereich der Batterieforschung, auch um die Bereiche Exploration und Abbau von Rohstoffen ergänzt werden. Parallel dazu sollte der Austausch zwischen geologischen Diensten und Ausbildungsstätten verstärkt werden.

Doch auch an anderer Stelle kann die EU von Kanadas langer Erfahrung im Bergbau profitieren, um ihre eigene Versorgung mit kritischen Rohstoffen zu verbessern: Die im CRMA gesteckten Ziele sehen einen signifi­kanten Ausbau des innereuropäischen Berg­baus vor. Besonders bei der Erschließung neuer Minen wird es dabei unweigerlich zu Widerständen aus der Zivilgesellschaft und in betroffenen Gemeinden kommen, wie sich bereits jetzt in Spanien oder Portugal abzeichnet. Die Einbindung lokaler Gemein­den in Rohstoffprojekte ist ein zentraler Be­standteil der kanadischen Rohstoffstrategie. Wissen­schaftliche Erkenntnisse zu Betei­ligungssystemen (benefit sharing frameworks) und zur Einbindung der indigenen Communities in Kanada können für die EU-Mitgliedstaaten wichtige Wegweiser und Impulse für den Umgang mit der eigenen Bevölkerung liefern. Der Austausch mit der kanadischen Wissenschaft und Wirtschaft sowie mit Vertretern indigener Gemeinden über die Zusammenarbeit im Rohstoff­sektor sollte daher gezielt gefördert werden.

Inga Carry ist Wissenschaftlerin im Projekt »Forschungsnetzwerk Nachhaltige globale Lieferketten«, das vom Bundes­ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert wird.

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