Die EU setzt für ihre Versorgung mit sogenannten kritischen Rohstoffen auf eine Verstärkung der Kooperation mit gleichgesinnten Staaten. Als »perfect match« sieht EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen in diesem Zusammenhang Kanada an, ein rohstoffreicher und verlässlicher Partner, der die geopolitischen Interessen und Nachhaltigkeitsziele der EU teilt. Kanada will seine Lieferketten diversifizieren und dem Einfluss chinesischer Akteure in seiner Bergbauindustrie durch eine Politik des Friendshoring entgegenwirken. Dabei zeigt sich die kanadische Regierung weitaus offener als die US-Regierung für eine Zusammenarbeit mit der EU in Rohstofflieferketten und Schlüsselindustrien. Eine Vertiefung der Kooperation ist für beide Seiten vorteilhaft. Um die Rohstoffpartnerschaft wirklich zu einem perfekten Match zu machen, sollte die EU jedoch stärkere finanzielle Anreize setzen für die Verzahnung der europäischen und kanadischen Industrien, den wissenschaftlichen Austausch und die technische Zusammenarbeit fördern und sich für starke unternehmerische Sorgfaltspflichten in Lieferketten einsetzen.
Die Mobilitäts- und Energiewende und auch die Digitalisierung werden zukünftig zu einer verstärkten Nachfrage nach bestimmten mineralischen und metallischen Rohstoffen führen. Die EU ist beim Zugang zu diesen Rohstoffen zu großen Teilen abhängig von Importen aus dem außereuropäischen Ausland. Deshalb hat sich die EU-Kommission im Rahmen des Critical Raw Materials Act (CRMA) neben dem Ausbau des europäischen Bergbaus auch die Vertiefung internationaler Partnerschaften mit rohstoffreichen Ländern zum Ziel gesetzt. Mit Kanada, einem rohstoffreichen Land mit langer Tradition im Bergbau, verbindet die Union bereits seit 2021 eine »strategische Rohstoffpartnerschaft«. Als eines der wenigen Länder der westlichen Hemisphäre, das große Vorkommen all jener Rohstoffe beherbergt, die für die Produktion von Lithium-Ionen-Batterien benötigt werden, ist Kanada für die EU ein wichtiger Partner für die grüne und digitale Transformation. Darüber hinaus lässt sich die verstärkte Fokussierung auf Kanada und seine Ressourcen auf eine zunehmende Geopolitisierung internationaler Rohstofflieferketten zurückführen, die insbesondere seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu beobachten ist. Ein zentrales Element dieser Entwicklung ist dabei das sogenannte Friendshoring, ein vor allem von den USA unterstützter außenwirtschaftspolitischer Ansatz, dem zufolge Lieferketten möglichst auf Länder ausgerichtet werden sollen, die die eigenen Werte und Interessen teilen. Kanada und die EU betrachten sich in diesem Sinne gegenseitig als gleichgesinnte Akteure; EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen bezeichnete die Partnerschaft gar als »perfect match«. Die Voraussetzung für eine verstärkte Zusammenarbeit im Rohstoffsektor und einigen nachgelagerten Lieferketten scheint gut. Doch bei der Umsetzung stellen sich einige Herausforderungen, insbesondere mit Blick auf die Finanzierung von Rohstoffprojekten als auch auf Nachhaltigkeitsaspekte und Sorgfaltspflichten im Bergbausektor.
Kanadas Rohstoffstrategie
Der Bergbau hat in Kanada eine lange Tradition. Anfang des 18. Jahrhunderts öffnete die erste industrielle Eisenmine in der östlichen Provinz Quebec. Heute werden in rund 200 Minen 60 unterschiedliche Minerale und Metalle abgebaut, darunter solche, die inzwischen von vielen Industriestaaten als kritisch bzw. strategisch eingestuft werden. Im Jahr 2021 machte der Bergbausektor etwa 5 Prozent des nominalen BIP und fast ein Viertel der gesamten Exporte Kanadas aus. Rund die Hälfte der börsennotierten Bergbauunternehmen weltweit haben ihren Sitz in Kanada. Im internationalen Rohstoffhandel zählt das Land zu den wichtigsten Börsenplätzen.
Ende 2021 veröffentlichte die kanadische Regierung eine nationale Strategie für kritische Rohstoffe mit drei konkreten Zielen. Erstens die Stärkung heimischer Rohstofflieferketten, von der Exploration bis zum Recycling, zweitens die Förderung des Aussöhnungsprozesses mit den indigenen Völkern Kanadas im Rahmen von Rohstoffprojekten sowie drittens eine verstärkte Kooperation mit gleichgesinnten Partnern, sowohl auf bi- als auch auf multilateraler Ebene.
Die Stärkung des heimischen Bergbaus
In der kanadischen Rohstoffstrategie werden 34 Rohstoffe als kritisch klassifiziert, von denen 26 im eigenen Land abgebaut werden. Vierundzwanzig dieser 34 Rohstoffe werden auch in der EU als kritisch eingestuft, 13 davon sogar als strategisch. (In der EU werden. kritische Rohstoffe zusätzlich als strategisch klassifiziert, wenn ihre Nachfrage exponentiell wachsen dürfte und ein großes Versorgungsrisiko mit ihnen verknüpft ist.)
In Kanada gelten sechs Rohstoffe als strategisch besonders bedeutsam für die kanadische Wirtschaft und Industrie: Lithium, Graphit, Nickel, Kobalt, Kupfer und Seltene Erden. Alle sechs lagern in Kanada, werden aber derzeit in sehr unterschiedlichem Umfang abgebaut und verarbeitet. Während Nickel und Kupfer schon heute in großen Mengen gefördert werden, wurden Lithium, Graphit, Kobalt und Seltenen Erden in der Vergangenheit nur in kleinen Mengen abgebaut – obwohl zumindest bei Lithium und Seltenen Erden große Vorkommen im Land vermutet werden. Der Ausbau des heimischen Bergbaus soll sich daher zukünftig besonders auf diese sechs Rohstoffe konzentrieren.
Der Entschluss der kanadischen Regierung, den nationalen Bergbau anzukurbeln, ist auch von den geopolitischen Entwicklungen der letzten Jahre beeinflusst. So soll Kanadas Bergbauindustrie nicht nur gefördert, sondern auch kritisch auf Akteure hin überprüft werden, die den wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen der kanadischen Regierung entgegenwirken. Vor allem chinesische Investoren und Firmen haben im kanadischen Bergbausektor in den letzten zwei Jahrzehnten stark an Einfluss gewonnen. An zwei der größten kanadischen Minenkonzerne sind staatlich kontrollierte chinesische Unternehmen als Hauptaktionäre beteiligt. Das chinesische Unternehmen Shenghe kaufte vor kurzem Anteile an Kanadas einziger Mine für Seltene Erden. Im zentralkanadischen Manitoba unterhält die chinesische Firma Sinomine eine der beiden Lithium-Minen Kanadas. Der dort gewonnene Rohstoff wird anschließend zur Weiterverarbeitung nach China exportiert. Seit 2019 betreibt Sinomine außerdem die einzige Cäsium-Mine Amerikas und Europas. Dadurch, dass Sinomine den Rohstoff direkt vor Ort weiterverarbeitet und ihn dann auf dem nordamerikanischen Markt verkauft, hat die Firma quasi die komplette Kontrolle über die Lieferkette und den Rohstoffpreis.
Als Reaktion auf die wachsende Präsenz chinesischer Akteure im kanadischen Bergbausektor beschloss die kanadische Regierung Ende 2022, ausländische Investitionen in kritische Rohstoffprojekte zukünftig unter dem Blickwinkel nationaler Sicherheitsinteressen zu prüfen. Im gleichen Zug zwang sie drei chinesische Bergbaufirmen, ihre Anteile an zwei kanadischen Lithium-Explorationsunternehmen zu verkaufen. Den Wegfall chinesischer Investitionen in der heimischen Bergbauindustrie will die Regierung auch mit staatlichen Subventionen auffangen. Die nationale Rohstoffstrategie wird deshalb mit fast 4 Milliarden kanadischen Dollar (CAD, etwa 2,7 Mrd. Euro) und Steuergutschriften für Investitionen in kritische Rohstofflieferketten flankiert. Ein Großteil der Subventionen soll in den Aufbau von Infrastruktur für kritische Rohstoffe, in die Rohstoffexploration sowie in die Unterstützung indigener Gemeinden fließen.
Während der US-amerikanische Inflation Reduction Act (IRA) in der EU für Verärgerung sorgte, dürfte Kanada davon in großem Maße profitieren. Durch das Freihandelsabkommen mit den USA qualifizieren sich kanadische Unternehmen für US-amerikanische Subventionen und Steuergutschriften. Seit der Verabschiedung des IRA und der kanadischen Rohstoffstrategie kann das Land eine ganze Reihe neuer Investitionen verbuchen. Der schwedische Batteriehersteller Northvolt kündigte an, seine erste außereuropäische Lithium-Ionen-Gigafabrik in Quebec anzusiedeln; Volkswagen will 7 Milliarden CAD in den Aufbau einer Batteriefabrik in Ontario investieren und sich zudem direkt an mehreren kanadischen Minen beteiligen, um so Zugang zu Batterierohstoffen zu erhalten.
In der zentralkanadischen Provinz Saskatchewan sollen Kanadas erste Verarbeitungsstätten für Seltene Erden errichtet werden. Die im nördlichen Yukon abgebauten Seltenen Erden sollen zur Weiterverarbeitung nach Saskatoon und dann über eine norwegische Firma nach Europa gelangen. Dies wäre die erste Lieferkette von Seltenen Erden, die direkt von Nordamerika nach Europa führt, ohne Zwischenstopp in China. Auch in der Nachbarprovinz Manitoba soll eine Lieferkette entstehen, die China gänzlich außen vor lässt. Im Norden Manitobas soll die erste vollelektrische Lithium-Mine eröffnet werden, die zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben wird. Das dort gewonnene Lithium soll anschließend vom südkoreanischen Unternehmen LG verarbeitet und direkt weiter an amerikanische und europäische Autohersteller geliefert werden.
Laut einer Analyse des Instituts Bloomberg New Energy Finance (BNEF) verfügt Kanada mittlerweile über die besten Voraussetzungen für die Erschließung von Batterielieferketten – noch vor China. Die Kombination aus einem gut etablierten Rohstoffsektor, einer engen Verzahnung mit der US-amerikanischen Automobilindustrie und hohen Nachhaltigkeitsstandards verschaffen dem Land einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Rohstoffproduzenten. Dennoch bleibt das schwächste Glied in Kanadas Rohstofflieferketten die Weiterverarbeitung. So gibt es im Land derzeit zwar mehr als 400 Projekte für den Abbau von Lithium, doch die Planungen für neue Anlagen zur Weiterverarbeitung des Rohstoffs verlaufen schleppend. Ausgerechnet Sinomine hat für seinen Lithiumabbau in Manitoba nun einen Antrag auf Bau einer Weiterverarbeitungsanlage gestellt. Damit will das chinesische Unternehmen auch ein politisches Signal an Ottawa senden, dass es durchaus dazu bereit ist, das in Kanada gewonnene Material in die nordamerikanische Lieferkette einzuspeisen, anstatt es unmittelbar nach China zu exportieren. Bei den Seltenen Erden zeigen sich ähnliche Hürden. Eines der beiden Projekte für den Bau von Weiterverarbeitungsstätten für Seltene Erden in Saskatchewan ist mittlerweile auf Eis gelegt. Die Anlage, die bereits zur Hälfte errichtet und mit staatlichen Subventionen gefördert worden war, musste aus finanziellen Gründen letztendlich zu Teilen an ein chinesisches Unternehmen verkauft werden.
Auch bei der Graphitverarbeitung hakt es weiterhin vor allem an der Finanzierung. Nachdem China Ende 2023 weitere Beschränkungen für den Export von Graphit erlassen hat, steigt der Druck auf den nordamerikanischen Markt, seine eigene Produktion anzukurbeln und vor allem seine Kapazitäten für die Weiterverarbeitung des Metalls zu erweitern. Doch der Aufbau einer Anlage zur Herstellung von Kathodenaktivmaterial (CAM), ein wichtiger Bestandteil von Lithium-Ionen-Batterien, kostet in Nordamerika drei bis vier Mal so viel wie in China.
Die Finanzierung neuer Rohstoffprojekte ist daher die größte Herausforderung, vor der die kanadische Bergbauindustrie nun steht. Chinesische Firmen haben zwischen 1993 und 2023 rund 21 Milliarden CAD in den kanadischen Bergbausektor investiert. Damit waren sie einer der wichtigsten Finanziers, insbesondere für Junior-Bergbauunternehmen (kleine bis mittelgroße Firmen, die sich auf die Exploration und Entwicklung neuer Bergbauprojekte konzentrieren). Das von der kanadischen Regierung forcierte Divestment von chinesischen Firmen stieß deshalb in der Bergbaubranche auf scharfe Kritik, denn, so wird argumentiert, die Regierung beraube vor allem Junior-Unternehmen der Möglichkeit, dringend benötigte Liquidität zu erhalten, ohne ihnen eine adäquate Alternative zu bieten. Die kanadische Regierung steht somit vor einem Dilemma, mit dem sich auch die EU konfrontiert sieht: Auf der einen Seite will Kanada als enger Verbündeter der USA, Japans und der EU dem aktuellen Credo »weniger China, mehr Sicherheit« folgen und sich langfristig zumindest teilweise von chinesischen Firmen entkoppeln. Gleichzeitig braucht das Land für sein Bestreben, Marktführer bei kritischen Rohstofflieferketten zu werden, das, was chinesische Investoren bislang bereitwillig geliefert haben: Geld, und das möglichst schnell, denn das Rennen um die Rohstoffe ist bereits in vollem Gange und das Gelegenheitsfenster für Kanada nicht unbegrenzt offen.
ESG+I: Das Indigenous in ESG
Die zweite Säule der kanadischen Rohstoffstrategie besteht in der Förderung von Nachhaltigkeitsstandards im Bergbausektor. Um sich im Wettbewerb um kritische Rohstoffe von Akteuren wie China oder Russland abzugrenzen, setzt Kanada auch auf das gestiegene Bewusstsein für Nachhaltigkeit und unternehmerische Verantwortung in (Rohstoff-)Lieferketten. Neben sozialen, ökologischen und Governance-bezogenen Kriterien (oft unter dem Akronym ESG zusammengefasst), spielt die Versöhnung mit den indigenen Völkern Kanadas dabei eine besonders wichtige Rolle (ESG+I).
Die Beziehungen zwischen dem kanadischen Staat und den indigenen Völkern, die auf dem Territorium Kanadas leben, sind geprägt von systematischer Unterdrückung und Diskriminierung, Zwangsumsiedlung und -assimilation in sogenannten Residential Schools sowie anhaltender Gewalt, vor allem gegen indigene Frauen. Die Aufarbeitung dieser Leidensgeschichte findet seit 2008 im Rahmen einer Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) statt. Der TRC-Prozess umschließt dabei die Anerkennung, Aufarbeitung und (finanzielle) Wiedergutmachung historischer Ungerechtigkeiten gegen indigene Völker sowie ein Bekenntnis zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen der kanadischen Regierung, Wirtschaft und indigenen Gemeinschaften.
Die Bergbauindustrie spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Der Großteil der Lagerstätten kritischer Rohstoffe befindet sich in Gebieten, die von indigenen Gemeinden bewohnt werden. Zu den größten Konfliktpunkten zwischen der indigenen Bevölkerung und dem Bergbausektor zählen Streitigkeiten um Landrechte, negative Umweltauswirkungen und (sexuelle) Gewalt gegen Indigene. Doch die Bergbauindustrie bietet gleichzeitig auch Chancen für die indigene Community, die stark von Arbeitslosigkeit und damit von Armut betroffen ist und deren Lebensräume von einer mangelhaften Transport- und Energieinfrastruktur geprägt sind. So hat sich der Bergbausektor über die Jahre zum größten privaten Arbeitgeber indigener Menschen in Kanada entwickelt; auch nimmt der Anteil der »Ownership« Indigener im Sektor zu: Über 200 indigene Unternehmen beliefern mittlerweile die kanadische Rohstoffindustrie.
Mit der nationalen Rohstoffstrategie will die kanadische Regierung genau daran anknüpfen und die Ausweitung des Rohstoffsektors als Chance nutzen, um die Versöhnung mit der indigenen Bevölkerung des Landes voranzubringen. In diesem Sinne hat sie kürzlich ein nationales »Benefits-Sharing Framework« erarbeitet. Zukünftig soll so mehr in die Ausbildung indigener Menschen im Rohstoffsektor investiert werden; indigenen Gemeinden soll der Zugang zu Kapital erleichtert werden, das es ihnen ermöglicht, sich finanziell stärker an Bergbauprojekten zu beteiligen; ebenso sollen die indigenen Gemeinden in die Planung und Entscheidungsfindung von Bergbauprojekten stärker einbezogen werden.
Dass die Versöhnung mit der indigenen Bevölkerung Kanadas in der nationalen Rohstoffstrategie einen so großen Platz einnimmt, wird von vielen Indigenen durchaus als positiv wahrgenommen. Auch sie haben ein Interesse daran, vom Wachstum des kanadischen Rohstoffsektors zu profitieren; und doch enthält die kanadische Rohstoffstrategie einen Zielkonflikt. Auf der einen Seite bekennen sich die Regierung und die Privatwirtschaft zu einer vertieften Zusammenarbeit mit indigenen Gemeinden und zu der Verpflichtung zu einem fairen, transparenten und offenen Konsultationsprozess. Auf der anderen Seite wird das Zeitfenster, in dem Kanada seinen globalen Führungsanspruch im Rohstoffsektor geltend machen kann, immer enger. Deshalb besteht die Sorge, dass die Rechte der Indigenen am Ende doch hinter den ambitionierten Plänen der Regierung zurückbleiben werden. Erste Anzeichen dafür gibt es bereits im Ring of Fire, einem besonders rohstoffreichen Gebiet im nördlichen Ontario, in dem viele indigene Communities ansässig sind. Ein 2023 beschlossenes Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren zur Erschließung neuer Minen und deren Infrastruktur würde – so der Vorwurf von Kritikern – Untersuchungen zur Umweltverträglichkeit unterminieren und indigene Gemeinden zu wenig mit einbeziehen. Tatsächlich hat sich die Zahl vorläufiger Bergbaulizenzen im Ring of Fire im letzten Jahr um fast 30 Prozent erhöht, ohne dass die betroffenen Gemeinden dazu konsultiert wurden. Zudem hat der UN-Menschenrechtskommissar (UNHCR) die kanadische Regierung erst kürzlich dafür gerügt, dass sie die Rechte der Indigenen auf sauberes Wasser und Sanitärversorgung, vor allem in Gegenden in denen Bergbau stattfindet, weiterhin nur unzureichend schütze.
Europäisch-kanadische Zusammenarbeit in globalen Rohstofflieferketten – ein »perfect match«?
Der dritte Baustein der kanadischen Rohstoffstrategie ist die vertiefte Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Partnern, ganz im Einklang mit dem Konzept des Friendshoring. Gemeinsam mit seinen Verbündeten will Kanada die Diversifizierung von Rohstofflieferketten abseits von China vorantreiben und »kollektive Antworten« finden auf Herausforderungen wie Preismanipulationen und Überproduktion durch nicht-gleichgesinnte Staaten. Die EU schloss 2021 ihre erste Rohstoffpartnerschaft mit Kanada. Seitdem wurden sieben gemeinsame Projekte realisiert, darunter privatwirtschaftliche Investitionen in die Batteriefertigung, das Batterierecycling und die Lithiumverarbeitung. Daneben sind sowohl Kanada als auch die EU Mitglied in der Minerals Security Partnership (MSP), einem von den USA initiierten multilateralen Forum zur Koordinierung und Förderung gemeinsamer internationaler Rohstoffprojekte.
Die von der EU im Critical Raw Materials Act formulierten Ziele zur Rohstoffversorgung lassen sich nur durch Importe aus rohstoffreichen Ländern wie Kanada erreichen. Die kanadische Bergbauindustrie bietet hierfür zahlreiche Anknüpfungspunkte. Ihr Fokus auf Rohstoffe, die für die Produktion grüner Technologien, von Halbleitern und Dauermagneten benötigt werden, bietet große Schnittmengen mit jenen Industriezweigen, die im Blickpunkt des europäischen Net-Zero Industry Act stehen. Für Kanada wiederum ist die EU ein attraktiver Absatzmarkt und eine wichtige Investorenlandschaft. Bereits heute ist die EU Kanadas zweitgrößter Exportmarkt für mineralische und metallische Rohstoffe. Eine verstärkte Zusammenarbeit mit Kanada im Rohstoffsektor und nachgelagerten Lieferketten würde daher beiden Parteien zugutekommen und sollte sich vor allem auf vier Bereiche stützen.
Verzahnung gemeinsamer Rohstofflieferketten
Die Zielvorgaben des CRMA wie auch der kanadischen Rohstoffstrategie setzen voraus, dass (Bergbau-)Unternehmen ihre Geschäfte künftig wieder stärker in europäische und nordamerikanische Industriestaaten verlagern. Dabei stehen diese vor der Herausforderung, die durch höhere Arbeitslöhne, Energiepreise und steigende ESG-Anforderungen entstehenden Mehrkosten zu tragen und gleichzeitig den politisch bedingten Rückgang chinesischer Investitionen zu kompensieren. Weder die kanadischen Subventionen noch die Rohstofffonds, die einige EU-Mitgliedstaaten einrichten wollen, werden diese Finanzierungslücke kurzfristig schließen können. Die gegenwärtig vom Decoupling bzw. Derisking geprägte politische Debatte darf nicht an dieser Realität vorbeilaufen. Auch wenn das Bewusstsein für die Risiken hoher Abhängigkeit von einzelnen Akteuren und für die Bedeutung der Geopolitik auch in der Industrie zunimmt, orientieren sich Unternehmen weiterhin primär an wirtschaftlichen Faktoren. Ein gutes Beispiel hierfür ist das deutsch-kanadische Startup Rock Tech Lithium, das zusätzlich zu seinen Rohstoffprojekten in Kanada und Deutschland kürzlich ein Rohstofflieferabkommen mit einem chinesischen Großkonzern geschlossen hat (während ihm gleichzeitig die Förderung für den Bau einer Anlage zur Weiterverarbeitung von Lithium durch das deutsche Wirtschaftsministerium wegen fehlender Gelder versagt wurde).
Wenn die EU und Kanada zusammen mit den anderen Mitgliedern der Mineral Security Partnership das Ziel verfolgen, strategische Rohstofflieferketten zu diversifizieren und Kapazitäten außerhalb Chinas aufzubauen, müssen sie auch dazu bereit sein, die Mehrkosten für diese Sicherheitsinvestition auf sich zu nehmen. Die EU sollte deshalb ein Zeichen setzen, dass sie entschlossen ist, mehr in den Aufbau gemeinsamer Lieferketten zu investieren. Dazu sollte sie ihren Critical Raw Materials Act mit eigenen finanziellen Anreizen für privatwirtschaftliche Investitionen flankieren, beispielsweise durch einen Rohstofffonds auf EU-Ebene. Bei der Auswahl sogenannter strategischer Projekte sollte der Fokus auf Junior-Bergbauunternehmen gelegt werden, da diese aufgrund des hohen Risikos von Explorationsprojekten besonders große Schwierigkeiten haben, an das notwendige Kapital zu gelangen. Zugleich sollten vor allem Projekte zur Erhöhung der Kapazitäten zur Weiterverarbeitung von kritischen Rohstoffen gefördert werden, da in diesem Bereich die größten Abhängigkeiten und Versorgungsrisiken sowohl für die EU als auch für Kanada bestehen.
Angesichts der Tatsache, dass die EU ihre Verhandlungen mit den USA über ein gesondertes Rohstoffabkommen bislang noch nicht abschließen konnte, ist eine Vertiefung der Zusammenarbeit mit Kanada umso sinnvoller. Das Land ist bereits heute ein verlässlicher Partner der EU. Auch nach einem möglichen Regierungswechsel wird es an der Kooperation mit der EU im Rohstoffsektor festhalten; dazu agiert die kanadische Regierung im Wettbewerb um kritische Rohstoffe und bei der Zusammenarbeit in Schlüssellieferketten weitaus weniger offensiv als die USA. Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) bietet hier eine gute Grundlage für eine stärkere Verzahnung sowohl im Rohstoffbereich als auch in nachgelagerten Lieferketten. Kanada als rohstoffreiches Land mit Expertise im Bergbausektor und günstiger und überwiegend grüner Energie kann dabei vor allem die Up- und Midstream-Stufe dieser Lieferketten stärken. Die EU könnte mit ihrer etablierten Chemie-, Automobil- und Stahlindustrie gut an die Mid- und Downstream Lieferkette anschließen.
Um potentielle Synergien und Anknüpfungspunkte zu identifizieren, sollte die EU zuerst die Koordination unter ihren Mitgliedstaaten ankurbeln und diese dazu bewegen, sich sowohl hinsichtlich der jeweiligen Bedarfe an kritischen Rohstoffen als auch mit Blick auf Kooperationsmöglichkeiten zwischen europäischen und kanadischen Unternehmen abzustimmen. Dabei können die Mitgliedstaaten auf etablierte Netzwerke wie die Außenhandelskammern und auf bilaterale Vereinigungen, wie die Deutsch-Kanadische Gesellschaft, zurückgreifen.
Zusammenarbeit bei internationalen Rohstoffprojekten
Obwohl die EU auf absehbare Zeit auf Rohstoffimporte aus dem außereuropäischen Ausland angewiesen sein wird, halten sich europäische Unternehmen bei Investitionen in Rohstoffprojekte in Drittländern nach wie vor zurück. Dies liegt zum einen daran, dass nur wenige international agierende Bergbaukonzerne in der EU ansässig und europäische Unternehmen in der Regel am Ende der Lieferkette als Abnehmer aktiv sind. Zum anderen scheuen sich viele europäische Firmen vor Investitionen in risikoreiche Rohstoffprojekte, vor allem in strukturell schwächeren Bergbauregionen, wo bei der Erfüllung von ESG-Standards oft höhere Herausforderungen zu bewältigen sind.
Kanadische Bergbaufirmen hingegen sind in fast 100 Ländern der Welt aktiv. Mit vielen dieser Länder hat auch die EU inzwischen Rohstoffpartnerschaften geschlossen, darunter Sambia, die Demokratische Republik Kongo, Chile, Argentinien und Namibia. In Sambia werden drei der sieben größten Minen von kanadischen Bergbaukonzernen betrieben, in der DR Kongo ist eine der größten Kupferminen der Welt in kanadischer Hand. Die EU sollte deshalb die Zusammenarbeit mit kanadischen Unternehmen auch bei Projekten in Drittländern stärker in den Blick nehmen. Kanada verfügt mittlerweile nicht nur über ein breites Ökosystem von Junior-Bergbaufirmen, sondern hat in vielen dieser Länder bereits gut etablierte Strukturen sowie lokales und rechtliches Know-how aufgebaut. Darüber hinaus würde die Vernetzung öffentlicher und privatwirtschaftlicher Finanzierungsmöglichkeiten beider Seiten dazu beitragen, die Risiken für Investitionen in Rohstoffprojekte in den genannten Drittländern zu minimieren und so die Hürden für eine Beteiligung europäischer Unternehmen zu senken. Die G7-Partnerschaft für Globale Infrastruktur und Investment, der EU Critical Raw Materials Club und auch das Mineral Security Partnership Forum eignen sich als Foren für die Identifizierung und Finanzierung gemeinsamer Projekte und die Vernetzung von Unternehmen.
Förderung von internationalen Nachhaltigkeitsstandards
Die EU und Kanada haben sich zu hohen Nachhaltigkeitsstandards in globalen Rohstofflieferketten bekannt. Diese Selbstverpflichtung soll den Industriestaaten des Globalen Nordens auch als Wettbewerbsvorteil gegenüber Akteuren wie China oder Russland dienen. Rohstoffreichen Ländern des Globalen Südens soll signalisiert werden, dass der Abbau kritischer Rohstoffe künftig umweltfreundlicher gestaltet werden und ihnen mehr wirtschaftliche und soziale Vorteile bringen soll. Dies in die Praxis umzusetzen wird angesichts des bereits erwähnten Zielkonflikts zwischen Schnelligkeit und Sorgfalt nicht leicht werden. Doch wenn die EU und Kanada ihre selbstgesetzten Nachhaltigkeitsziele am Ende nicht einhalten, schaden sie damit nicht nur der Umwelt oder den Rechten indigener Gemeinden, sondern büßen auch ihre Glaubwürdigkeit in Produzentenländern des Globalen Südens ein.
Die EU und Kanada sollten sich deshalb gemeinsam dafür einsetzen, dass aus Absichtserklärungen konkrete Zielsetzungen werden und sich beide Seiten auf messbare Instrumente für mehr Nachhaltigkeit und unternehmerische Verantwortung in globalen Rohstofflieferketten verständigen. Zwar kann Kanada im eigenen Land durchaus Fortschritte bei der »Sustainabilization« seines Bergbausektors vorweisen; kanadischen Unternehmen, die in Drittsaaten agieren, werden jedoch immer wieder Verstöße gegen Menschenrechte und Umweltschutz vorgeworfen, insbesondere gegenüber indigenen und lokalen Gemeinden. Gerade wenn die EU in Drittländern mit kanadischen Firmen kooperiert, muss sie die Einhaltung hoher Nachhaltigkeitsstandards zur Bedingung machen. Die EU sollte sich daher in Anlehnung an die kürzlich beschlossene EU Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) auch bei ihren MSP-Partnern für verbindliche Sorgfaltspflichten in globalen Lieferketten stark machen.
Stärkung der technischen und wissenschaftlichen Kooperation
Als rohstoffreiches Land mit langer Bergbautradition verfügt Kanada über umfassende Erfahrung und qualifiziertes Fachwissen in der Bergbauindustrie. Gleichzeitig unterliegt der Rohstoffsektor derzeit grundlegenden Veränderungen, vor allem hinsichtlich der fortschreitenden Digitalisierung, Automatisierung und Dekarbonisierung des Bergbaus. Um diese Entwicklungen voranzutreiben und aktiv mitzugestalten, sollte die EU die technische Zusammenarbeit sowohl unter ihren Mitgliedstaaten als auch mit Kanada stärken, angefangen bei der Rohstoffexploration, über die Forschung an neuen und effizienteren Abbaumethoden, bis hin zur Weiterentwicklung von Technologien zur Gewinnung von Rohstoffen aus Abfallströmen und Recycling. Die Aufnahme Kanadas in das neue Horizon Europe Programm sollte gezielt auch für gemeinsame Forschungsprojekte im Rohstoffbereich genutzt werden. Desgleichen sollten bilaterale Kooperationsformate, wie etwa das deutsch-kanadische Förderprogramm im Bereich der Batterieforschung, auch um die Bereiche Exploration und Abbau von Rohstoffen ergänzt werden. Parallel dazu sollte der Austausch zwischen geologischen Diensten und Ausbildungsstätten verstärkt werden.
Doch auch an anderer Stelle kann die EU von Kanadas langer Erfahrung im Bergbau profitieren, um ihre eigene Versorgung mit kritischen Rohstoffen zu verbessern: Die im CRMA gesteckten Ziele sehen einen signifikanten Ausbau des innereuropäischen Bergbaus vor. Besonders bei der Erschließung neuer Minen wird es dabei unweigerlich zu Widerständen aus der Zivilgesellschaft und in betroffenen Gemeinden kommen, wie sich bereits jetzt in Spanien oder Portugal abzeichnet. Die Einbindung lokaler Gemeinden in Rohstoffprojekte ist ein zentraler Bestandteil der kanadischen Rohstoffstrategie. Wissenschaftliche Erkenntnisse zu Beteiligungssystemen (benefit sharing frameworks) und zur Einbindung der indigenen Communities in Kanada können für die EU-Mitgliedstaaten wichtige Wegweiser und Impulse für den Umgang mit der eigenen Bevölkerung liefern. Der Austausch mit der kanadischen Wissenschaft und Wirtschaft sowie mit Vertretern indigener Gemeinden über die Zusammenarbeit im Rohstoffsektor sollte daher gezielt gefördert werden.
Inga Carry ist Wissenschaftlerin im Projekt »Forschungsnetzwerk Nachhaltige globale Lieferketten«, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert wird.
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DOI: 10.18449/2024A27