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NSA-Debatte: Spionage und Überwachung getrennt verhandeln

Deutschland und die USA sollten in der NSA-Debatte die Themen Spionage und anlasslose Überwachung der Bevölkerung getrennt voneinander behandeln, meint Johannes Thimm. Denn bei der anlasslosen Überwachung scheint eine Annäherung möglich.

Kurz gesagt, 02.07.2015 Forschungsgebiete

Deutschland und die USA sollten in der NSA-Debatte die Themen Spionage und anlasslose Überwachung der Bevölkerung getrennt voneinander behandeln, meint Johannes Thimm. Denn bei der anlasslosen Überwachung scheint eine Annäherung möglich.

Dieser Tage sorgen wieder einmal Veröffentlichungen von Wikileaks über die Spionage-Aktivitäten der NSA gegenüber europäischen Regierungen für Empörung. Die nun schon über zwei Jahre andauernde Debatte, die die USA und Deutschland über die NSA-Affäre führen, kommt jedoch nicht voran. Dies könnte sich ändern, wenn man zwei Aspekte der elektronischen Aufklärung von Kommunikation getrennt voneinander diskutieren würde, die üblicherweise vermischt werden: die gezielte Spionage gegen Regierungen und Unternehmen anderer Länder einerseits und das anlasslose Sammeln und Auswerten von Daten der Bevölkerung andererseits. Dass diese beiden Aspekte vermischt werden, ist kein Zufall. Beide Aktivitäten fallen unter die elektronische Aufklärung, die sogenannte »Signals Intelligence«, für die in den USA primär die NSA zuständig ist. Teilweise kommen dieselben technischen Mittel zum Einsatz, zum Beispiel das Anzapfen von Internetleitungen. Zudem hat die NSA bewusst zur Verwirrung beigetragen, indem sie lange versuchte, trotz ihres sehr viel breiteren Mandats alle ihre Aktivitäten vor allem mit der Verhinderung von Terroranschlägen zu rechtfertigen.

Spionage gilt in den USA als legitim – auch gegenüber Partnern. »Wir tun nur, was alle tun, und wir werden uns nicht dafür entschuldigen, dass wir es besser machen als andere«, lautet die mehr oder weniger offen ausgesprochene Standardantwort auf Kritik an der Auslandsaufklärung. Dabei gibt es keine Regeln außer der, sich möglichst nicht erwischen zu lassen. Der gescheiterte Versuch eines No-Spy-Abkommens zeigt, wie aussichtslos die Absicht ist, Spionage international zu verbieten. Selbst wenn Washington selbst Opfer von Spionage wird, wird dies aus Regierungskreisen meist nicht skandalisiert. Ein Telefonat der Abteilungsleiterin für Europa im Außenministerium Victoria Nuland mit dem US-Botschafter in Kiew wurde mitgeschnitten und ins Internet gestellt; der BND schnappte bei der elektronischen Aufklärung in Afghanistan wohl auch einige Telefonate der damaligen Außenministerin Hillary Clinton aus dem Flugzeug auf; Israel spionierte die Atomverhandlungen der EU3+3 mit dem Iran aus. In keinem der Fälle wurde nach dem Bekanntwerden in den USA viel Aufhebens gemacht. Auch Whistleblower aus den Reihen der NSA von William Binney bis Edward Snowden hätten der NSA wohl nicht den Rücken gekehrt, wenn diese sich allein auf gezielte Spionage gegen ausländische Regierungen konzentriert hätte. In der US-Bevölkerung ist ebenfalls wenig kontrovers, dass Nachrichtendienste sich auch der Spionage bedienen.

Auch in Deutschland hält nach einer Umfrage von Allensbach (FAZ vom 18.06.2015) eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Spionage für notwendig. Dennoch haben es die Fälle klassischer Spionage, anders als in den USA, auf die Titelseiten geschafft und die Bundeskanzlerin genötigt, öffentlich Stellung zu beziehen. Als bekannt wurde, dass die NSA das Handy der Kanzlerin angezapft oder – womöglich mit Hilfe des BND – gespeicherte Kommunikationsdaten gezielt nach Informationen über deutsche und europäische Unternehmen durchsucht hat, war die Empörung groß. Ob Spionage unter Partnern legitim ist, wird in Berlin offensichtlich anders bewertet als in Washington.

In der Frage des anlasslosen Sammelns von Daten liegen die Diskurse dagegen näher beieinander. Die umfassende Speicherung und Auswertung von Daten stellt eine neue Qualität der Kontrollmöglichkeiten durch den Staat dar. Entgegen hierzulande verbreiteter Annahmen wächst dafür auch in den USA das Bewusstsein. Umfragen des Pew Research Center zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der US-Bevölkerung den Schutz ihrer Privatsphäre für wichtig hält. Gleichzeitig haben die wenigsten von ihnen Vertrauen in den wirksamen Schutz ihrer Daten, Sorge vermischt sich mit einer gewissen Resignation. Das spiegelt ziemlich genau auch den Gemütszustand der Deutschen wider. Dass Enthüllungen über Überwachung hierzulande nicht die Sprengkraft entwickeln wie solche über Spionage, liegt auch an einem verbreiteten Gefühl der Machtlosigkeit. Prominente Stellungnahmen, welche Überwachungsmaßnahmen – egal ob seitens der NSA oder des BND – im Sinne der Terrorismusbekämpfung nötig sind und welche »gar nicht gehen«, gab es zwar vom Europäischen Gerichtshof, aber nicht von der Bundeskanzlerin. Die Lesart, dass den Deutschen der Schutz ihrer Privatsphäre aufgrund ihrer besonderen Geschichte wichtiger sei als den Amerikanern, trifft nur begrenzt zu. So ist mit der Verabschiedung des sogenannten Freedom Act ist in den USA ein erster Schritt unternommen worden, um die Kompetenzen der Nachrichtendienste zu beschränken. Bei den Maßnahmen zum Schutz der Privatsphäre werden zunehmend auch die Bürger von Verbündeten berücksichtigt.

Fragen des Schutzes von Bürgerrechten, der richtigen Balance zwischen Sicherheit und Freiheit und der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste beschäftigen uns hüben wie drüben. Bei deren Beurteilung verlaufen die Trennungslinien weniger zwischen den USA und Deutschland als zwischen den Exekutiven und Bürgerrechtlern auf beiden Seiten des Atlantiks. Das eröffnet Möglichkeiten einer transatlantischen Debatte darüber, was den Nachrichtendiensten im Hinblick auf Überwachung erlaubt sein sollte und was nicht. Um gemeinsame Ergebnisse zu ermöglichen, sollte das Thema Spionage dabei ausgeklammert bleiben.

Der Text ist auch bei EurAktiv.de erschienen.