Der ehemalige Nato-General Petr Pavel hat sich bei den Präsidentschaftswahlen in Tschechien gegen den früheren Regierungschef Andrej Babiš durchgesetzt. Das Staatsoberhaupt dürfte trotz begrenzter Zuständigkeiten spürbare Akzente setzen, meint Kai-Olaf Lang.
Die tschechischen Präsidentschaftswahlen brachten am 28. Januar ein eindeutiges Votum: In der Stichwahl setzte sich der pensionierte Nato-General Petr Pavel mit mehr als 58 Prozent der Stimmen gegen den populistischen Ex-Regierungschef Andrej Babiš durch. Dass dieser derart klar unterlag, hat viel mit dem effektiven Wahlkampf des Pavel-Lagers zu tun, noch mehr aber mit den Fehlern Babišs.
Das Pavel-Team machte die Abstimmung zu einer Richtungsentscheidung über die Innen- und Außenpolitik des Landes. Dabei zeichnete es den umstrittenen Milliardär Babiš mit Blick auf seine Geschäftsinteressen und ambivalenten Äußerungen zu Tschechiens Rolle in der Nato in dunklen Farben. Die unterlegene Präsidentschaftskandidatin Danuše Nerudová, die Pavel nach ihrem Ausscheiden unterstützte, sprach vom »Bösen«, das Babiš repräsentiere. Mit derlei Zuschreibungen zeichnete das Pavel-Lager ein eigenes Bild von Gut und Böse, in dem es Pavel als Verfechter der Kräfte des Guten präsentierte – und als Garant dafür, Babiš, dem Exponenten allen Übels, den Weg auf die Prager Burg zu versperren. Mit diesem Manichäismus gelang es, zahlreiche Menschen an die Wahlurnen zu bringen – auch solche, die aufgrund seiner früheren Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei Vorbehalte gegen Pavel hatten.
Zur Niederlage Babišs trugen auch dessen eigene Ausrutscher und Irrtümer bei. Hatte sich der ANO-Vorsitzende zunächst versöhnlich und als Korrektiv gegenüber einer angeblich »unsozialen« Politik der Regierung präsentiert, ging er unmittelbar nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen in die Offensive und zeigte dabei seine dunkle Seite. So verglich er Pavel mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, da der frühere General wie jener einst eine nachrichtendienstliche Schulung durchlaufen habe. Zudem setzte Babiš auf das Thema »Krieg und Frieden«. Als früherer Soldat werde Pavel das Land in den Krieg Russlands gegen die Ukraine hineinziehen. Er, Babiš, hingegen werde selbst im Beistandsfall nach dem Nato-Vertrag keine Soldaten in Nato-Länder schicken. Bei letzter Äußerung ruderte er später zwar zurück. Dennoch dürfte er seinem Kontrahenten damit zahlreiche Wählerstimmen eingebracht haben. Der ehemalige Regierungschef verengte sich inhaltlich auf das Thema Frieden, spielte es dilettantisch und vernachlässigte sein Image als sozialer »Kümmerer«.
Das Wahlresultat stärkt die Mitte-Rechts-Regierung von Ministerpräsident Petr Fiala. Mit Babiš als Sieger, hätte die Regierungskoalition mit einem Unruheherd auf der Prager Burg zurechtkommen müssen. Das Staatsoberhaupt wäre weiterhin der starke Mann der größten Oppositionspartei gewesen und hätte alles dafür getan, dass die ANO-Partei bei der nächsten Parlamentswahl eine möglichst günstige Ausgangsposition bekommen hätte. Mit Pavel, den die liberalkonservativen Parteien des Regierungslagers unterstützt haben, wird die Exekutive hingegen einen wohlwollenden Schirmherrn haben, der bei wichtigen Umbauprozessen wie etwa in der Klima- oder Energiepolitik für Verständnis werben kann. Voraussetzung ist, dass er eine nötige Distanz zum Regierungslager wahrt, das seine Kandidatur explizit oder indirekt befürwortet hatte. Der Staatspräsident hat im politischen System Tschechiens zwar nur begrenzte Zuständigkeiten. Doch der bisherige Amtsinhaber demonstrierte, dass durch extensive Kompetenzinterpretationen, die Nutzung bestehender Befugnisse oder gezielte Kommentare auch von dieser Position aus spürbare Akzente gesetzt werden können.
Nach außen wird Pavel den proatlantischen, Russland-kritischen und EU-freundlichen Kurs der Regierung aktiv flankieren. Er ließ in den vergangenen Wochen keinen Zweifel daran, dass er – wie Premier Fiala und sein Kabinett – für eine klare Westorientierung seines Landes steht und auch in Sachen Krieg die Linie der Solidarität mit der Ukraine gutheißt. Tschechien kann somit nach außen unisono auftreten. Versuche, von der Prager Burg aus zumindest in Ansätzen eine »alternative Außenpolitik« zu organisieren, wie dies in der Ära des ehemaligen Präsidenten Miloš Zeman gegenüber Russland bis zum 24. Februar und China der Fall war, gehören der Vergangenheit an.
In Mitteleuropa wird Pavel die Sonderbeziehungen zur Slowakei vertiefen wollen – seine Amtskollegin Zuzana Čaputová zeigte sich als Überraschungsgast auf der Wahlparty Pavels, um diesem zu gratulieren. Sein Ansinnen, nach der traditionell ersten Auslandsreise in die Slowakei das Nachbarland Polen zu besuchen, kann als Antwort auf Babišs Spiel mit der Nato-Bündnisverpflichtung gewertet werden, unterstreicht aber auch die engen sicherheitspolitischen Bande zwischen Prag und Warschau. Auch wenn sie ihm zufolge an Inhalt verloren hat, wird Pavel sicherlich auch an Gipfeln der Visegrád-Gruppe teilnehmen. Doch ähnlich wie die tschechische Regierung wird er eher eine vielschichtige Mitteleuropapolitik inklusive anderer Staaten der Region betreiben. Dazu gehört auch ein wohl eher zurückhaltend-korrektes Verhältnis zu Ungarn – zu dessen Regierungschef Viktor Orbán Andrej Babiš eine enge Bindung hegt.
Das neue Staatsoberhaupt ist zwar kein zentraler, aber doch symbolisch bedeutsamer Akteur, der das gutfunktionierende deutsch-tschechische Beziehungsgeflecht komplettiert –und sich künftig auch als zusätzlicher Gesprächspartner anbietet. Jenseits der großen bilateralen Themen wie der Sicherheitspolitik, Europapolitik und Wirtschafts- oder Energiekooperation gilt es im Kontakt mit Pavel auch strategische Fragen etwa im Verhältnis zu China anzusprechen. Pavels Telefonat mit der taiwanesischen Präsidentin Tsai Ing-wen am Montag nach der Wahl zeigt, dass er, wie auch bedeutsame Strömungen im Regierungslager, für eine wertegebundene Außenpolitik steht.
Während Tschechien in seiner EU-Ratspräsidentschaft im vergangenen Halbjahr ein wirkungsvoller Vermittler in Europa war, fehlt es dem Land im Inneren bisher an Brokern des Zusammenhalts. Der neue Präsident könnte diese Rolle übernehmen, wenn es ihm gelingt, die polarisierte Gesellschaft – das »leidende Tschechien« Andrej Babišs und das »optimistische Tschechien« in seiner Anhängerschaft – zusammenführen.
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