Nach den Präsidentschaftswahlen protestiert in Mosambik insbesondere die junge Generation gegen den mutmaßlichen Wahlbetrug der Regierungspartei FRELIMO. Die Spannungen verschärfen sich durch Polizeigewalt. Es besteht die Gefahr einer weiteren Eskalation, die in einen Bürgerkrieg münden könnte.
Am 9. Oktober 2024 wählte Mosambik einen neuen Präsidenten. Einen Tag nach der Wahl ernannte sich der unabhängige Kandidat Venâncio Mondlane, der von der im Mai gegründeten Optimistischen Partei für die Entwicklung Mosambiks (PODEMOS) unterstützt wird, zum Präsidenten. Die nationale Wahlkommission erklärte hingegen Daniel Chapo, den Kandidaten der Regierungspartei, FRELIMO, mit 70,67 Prozent der Stimmen zum Wahlsieger. Mondlane, der vor allem bei der jungen Bevölkerung beliebt ist, erhielt laut Wahlkommission nur 20,32 Prozent der Stimmen. Die finalen Ergebnisse sollen am 23. Dezember veröffentlicht werden.
Angesichts dieser Ergebnisse wirft Mondlane der Regierung Wahlbetrug vor. Nicht zu Unrecht: Oppositionsparteien, lokale Zivilgesellschaftsorganisationen und die einflussreiche mosambikanische Bischofskonferenz sprechen von schweren Unregelmäßigkeiten. Die EU hat auch auf Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen hingewiesen, bleibt aber in der Formulierung deutlich zurückhaltender als etwa die Commonwealth-Staaten, die schwere Unregelmäßigkeiten feststellten. Die Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika (SADC) bestätigten hingegen einen geordneten Ablauf der Wahlen.
Die politischen Spannungen verschärften sich weiter, nachdem zwei Politiker der PODEMOS-Partei von Unbekannten erschossen worden waren. Die EU, die USA und andere westliche Staaten verurteilten die Ermordung scharf, während die SADC lediglich eine Aufklärung der Morde forderte.
Tatsächlich sind die offiziellen Ergebnisse wenig glaubwürdig. Nach Recherchen, die die Autorin vor den Wahlen durchführte, äußerte sich die überwiegende Mehrheit der Gesprächspartner*innen unzufrieden mit der FRELIMO und gab an, für Mondlane stimmen zu wollen. Andere betonten, dass sie gar nicht erst zur Wahl gehen wollten, da die FRELIMO ohnehin nicht bereit sei, ihre Macht abzugeben. Diese Resignation spiegelt sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung von 43 Prozent wider.
Vorwürfe des Wahlbetrugs sind nicht neu und haben seit der Einführung der Mehrparteienwahlen im Jahr 1994 immer wieder zu Spannungen geführt. Im Jahr 2013 führten umstrittene Wahlergebnisse zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der FRELIMO und der bis dahin zweitstärksten Partei RENAMO. Beobachter betrachten deshalb die Wahlen stets als Lackmustest für die Stabilität des Friedens in dem ehemaligen Bürgerkriegsland (1977-1992). Neu ist, dass der Vorwurf auch von großen Teilen der Bevölkerung öffentlich erhoben wird.
Vor dem Hintergrund des vermuteten Wahlbetrugs rief Mondlane am 21. Oktober zu einem landesweiten Generalstreik und friedlichen Protesten auf, dem große Teile der Bevölkerung in allen Landesteilen folgten; und dies, obwohl Mondlane seit Wochen die verschiedenen Protestphasen lediglich über Social-Media-Plattformen orchestriert. Er selbst hält sich derzeit an einem unbekannten Ort auf.
Die Tatsache, dass vor allem junge Menschen auf die Straße gehen, hat vor allem zwei Gründe: Zum einen sind bei der älteren Generation, die den Bürgerkrieg miterlebt hat, also alle über 35-Jährigen, die Erinnerungen und damit auch die Angst vor einem neuen Krieg noch präsent. Die jüngere Generation hat keine Erinnerung daran und ist bereit, für bessere gesellschaftliche und politische Verhältnisse zu kämpfen. Zum anderen gibt es mit Mondlane nun einen Anführer, der die Proteste koordiniert und den jungen Demonstrierenden vor allem eines vermittelt: Hoffnung.
Denn Auslöser der Proteste war zwar der Wahlbetrug. Dahinter steht aber auch eine seit Jahren wachsende Unzufriedenheit mit der FRELIMO-Regierung, die - so der Vorwurf - lieber in die eigenen Taschen wirtschaftet, als wirtschaftliche Entwicklung und Perspektiven für die Bevölkerung zu schaffen. Das zeigen auch die Streikaktionen der letzten Wochen von Lehrer*innen und Ärzt*innen, die bessere Gehälter fordern. Vor allem die Jugend, die in Mosambik 80 Prozent der Bevölkerung ausmacht, ist nicht mehr bereit, die autoritäre Politik der FRELIMO mitzutragen. Sie setzt ihre Hoffnungen auf Mondlane und seine Partei PODEMOS, deren Akronym hoffnungsvoll „Wir schaffen das“ (Podemos) bedeutet.
Die Polizei begegnet den weitgehend friedlichen Protesten mit Repression: Hunderte wurden seit Beginn der Demonstrationen verletzt, mindestens 130 Menschen starben durch Polizeigewalt, mehrere Tausend Demonstrant*innen wurden verhaftet. Dies führt zu einer Eskalation der Situation und einer Radikalisierung der Demonstrant*innen.
Deutlich wird dies an den zunehmenden Angriffen auf Polizeistationen und Verwaltungsgebäude der FRELIMO im ganzen Land – auch in der Provinz Gaza, die bisher als Hochburg der FRELIMO galt. Dies zeigt das große Eskalationspotential der aktuellen Situation, die kaum mehr umkehrbar erscheint, sollte die Regierung ihre Strategie nicht ändern.
Aus heutiger Sicht gibt es vier mögliche Szenarien für den Ausgang der Proteste. Sie hängen maßgeblich von der Haltung der Regierung und dem offiziellen Wahlergebnis ab, das die Wahlkommission am 23. Dezember 2024 veröffentlichen will.
Sollte es bei dem jetzigen Wahlergebnis bleiben, wäre es denkbar, dass Mondlane und die Demonstrant*innen das Ergebnis akzeptieren und die Proteste beilegen, zumal die finanziellen Auswirkungen der Proteste auch in der Bevölkerung zunehmend spürbar werden. Dies ist jedoch eher unwahrscheinlich.
Sollte es bei dem jetzigen Wahlergebnis bleiben, die Proteste aber anhalten und die Regierung ihre Strategie der fortgesetzten Repression gegen Demonstrant*innen und Anhänger*innen der Zivilgesellschaft fortsetzen, wird es zu einer weiteren Eskalation mit unabsehbaren Folgen kommen. Dies scheint derzeit sehr wahrscheinlich, da es keine Anzeichen für eine Strategie der Deeskalation gibt.
Ein drittes denkbares Szenario wäre die Annullierung der Wahlen. Dies könnte einerseits das Vertrauen der Wähler*innen wieder herstellen. Andererseits würde Mondlane, der inzwischen wegen der Protestaktionen wegen Verschwörung und Verbrechen gegen die nationale Sicherheit angeklagt ist, in diesem Falle eine erneute Kandidatur verweigert werden. Dies könnte die Situation deutlich verschärfen.
Noch dramatischer wäre das vierte Szenario: ein politischer Mord an Mondlane. Damit hätte die Bevölkerung eine Führungspersönlichkeit verloren, was zwar zu einem Abflauen der Proteste führen könnte. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass dies angesichts der schon fortgeschrittenen Eskalationsstufe in eine sich zuspitzende Gewaltspirale führen würde, die der Beginn eines Bürgerkrieges sein könnte. Dieses Szenario ist angesichts der Zahl politisch motivierter Morde in der Geschichte Mosambiks zumindest nicht unwahrscheinlich und wird von Teilen der Bevölkerung befürchtet.
Eine Beilegung der Krise kann nur durch politische und strukturelle Veränderungen erreicht werden. Hier ist vor allem die Regierung gefordert, ein ehrliches Wahlergebnis zu akzeptieren. Ob Mondlane die Wahl tatsächlich gewonnen hat, ist nicht sicher. Sicher ist aber, dass er einen deutlich höheren Stimmenanteil hat undauch ein Sieg durchaus denkbar ist. Dafür spricht die große Unterstützung durch die anhaltenden Proteste von Bürger*innen, die seinen Streikankündigungen folgten und zeitweise das ganze Land lahmlegten. Aber auch die Tatsache, dass nach Recherchen der Autorin vor den Wahlen die überwiegende Mehrheit angab, für Mondlane stimmen zu wollen, spricht für die Möglichkeit eines Sieges von Mondlane. Die Anerkennung des Wähler*innenwillens würde zu einem Ende der Proteste führen, sofern dies zeitnah geschieht.
Langfristig sind jedoch grundlegende Veränderungen notwendig, um die Durchführung transparenter Wahlen zu gewährleisten. Dazu gehören eine wirklich unabhängige Wahlkommission, die Trennung von Partei und Staat und die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in einem Land, das bisher durch eine enge Verflechtung von Partei, Staat und Wirtschaft gekennzeichnet ist. In diesem Fall bestünde die historische Chance, einen politischen Wandel herbeizuführen und langfristig Frieden und Demokratie in Mosambik zu stärken.
Die starren Machtstrukturen und die mangelnde internationale Unterstützung der Proteste auch durch westliche Staaten könnten die Chance auf einen Wandel jedoch zunichtemachen und die Gefahr einer Eskalation der Situation erhöhen. Auch die SADC, die angesichts der eskalierenden Situation in Mosambik zwar am 7. November eine Sondersitzung einberief, unterstützte nicht nur das Wahlergebnis, sondern blieb zudem in ihrer Kritik bezüglich der Polizeigewalt zurückhaltend.
Um kurzfristig ein Umdenken auf Seiten der Regierung zu erreichen, sollten Deutschland und die EU ihre zurückhaltende Haltung in Bezug auf das Wahlergebnis und die Polizeigewalt aufgeben und Druck auf die mosambikanische Regierung ausüben. Ein erster Schritt wäre nicht nur das Feststellen von Unregelmäßigkeiten, sondern eine klare Verurteilung des Wahlbetrugs und der Polizeigewalt, wie dies etwa durch die USA und andere westliche Nicht-EU-Staaten, namentlich Kanada, Großbritannien, Norwegen und die Schweiz erfolgt ist. Weitere denkbare Schritte wären die Drohung, die finanzielle und entwicklungspolitische Unterstützung für das Land vorläufig einzufrieren. Dies wäre eine wirksame Maßnahme in einem Land, das stark von den Geberländern abhängig ist.
Gründe für die Zurückhaltung Deutschlands und der EU können mit übergeordneten Interessen begründet werden, insbesondere angesichts der 2017 entdeckten Öl- und Gasvorkommen im Norden des Landes. Dort kommt es seitdem vermehrt zu Terroranschlägen, zu deren Bekämpfung die EU kürzlich weitere 20 Millionen Euro bereitgestellt hat. Schließlich verdienen die Entwicklungen in Mosambik auch eine breitere Berichterstattung in den Medien. Angesichts der zunehmenden Polizeigewalt sollte der mediale und damit öffentliche Druck auf die Regierung erhöht werden, um ein Einlenken der gewaltvollen Reaktion gegen die Demonstranten zu ermöglichen.
Magdalena Freischlad ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Konstanz, sie forscht zu Versöhnungsprozessen und lokaler Wissensproduktion in Post-Konfliktgesellschaften, mit einem Fokus auf Mosambik.
Äthiopien, das mit Unterstützung des Internationalen Währungsfonds (IWF) ehrgeizige Wirtschaftsreformen in Angriff nimmt, steht vor der heiklen Aufgabe, ein Gleichgewicht zwischen Reformen und Stabilität herzustellen. Das Land sollte dabei Lehren aus den jüngsten Unruhen in den Nachbarländern Kenia und Sudan ziehen, wo vom IWF unterstützte Maßnahmen breite Proteste ausgelöst haben, schreibt Dawit Ayele Haylemariam.
While public engagement has contributed to enhancing social justice in Nakuru City, Kenia, challenges in improving governance effectiveness and legitimacy persist. This is due to limited responsiveness of local elites, political and legal loopholes, and restricted public participation.
doi:10.18449/2023MTA-PB18