Am 29. Februar 2020 einigten sich die Vereinigten Staaten und die Taliban in Doha auf ein »Agreement for Bringing Peace to Afghanistan«. In Verbindung damit gaben die USA und die afghanische Regierung am selben Tag eine gemeinsame Erklärung ab. Es handelt sich indes noch nicht um ein umfassendes Friedensabkommen, sondern lediglich um eine Art »Türöffner« zum Einstieg in innerafghanische Verhandlungen. Damit ist ein wichtiger erster Schritt hin zu einem möglichen Frieden in Afghanistan getan. Der Weg dahin wird allerdings steinig sein und birgt erhebliche Risiken. Erfolg oder Misserfolg dieses Abkommens werden nicht zuletzt auch über Umfang und Dauer des deutschen Afghanistan-Einsatzes entscheiden.
Die Vereinbarung, der als Bedingung eine siebentägige Phase der Gewaltreduktion vorausging, enthält erstens einen Zeitplan für einen konditionierten, phasenweise erfolgenden und vollständigen Abzug aller US- und Nato-Truppen binnen 14 Monaten, das heißt bis Ende April 2021. Zudem hat sich die Regierung Trump verpflichtet, die Zahl ihrer Truppen bereits innerhalb von 135 Tagen, also bis Mitte Juli 2020, von rund 12 000 auf 8600 zu verringern. Dies haben die USA bereits eingeleitet. Gleichzeitig sollen die in Afghanistan verbliebenen Nato-Partner, darunter auch Deutschland, proportional dazu ihre Truppenstärke abbauen. Als vertrauensbildende Maßnahme wurde ein Gefangenenaustausch vereinbart: Bis zum 10. März 2020 sollten 5000 Taliban und 1000 afghanische Sicherheitskräfte freikommen.
Zweitens verpflichten sich die Taliban im Gegenzug, dass sie terroristischen Gruppen einschließlich al‑Qaida verwehren werden, von afghanischem Territorium aus die Sicherheit der USA und ihrer Verbündeten zu bedrohen, und dass sie mit der afghanischen Regierung in Friedensgespräche eintreten. Ein vollständiger Truppenabzug hängt jedoch davon ab, dass die Taliban die im Text des Abkommens niedergelegten Garantien einhalten.
Drittens haben die beiden Seiten sich darauf verständigt, dass Taliban und afghanische Regierung binnen zehn Tagen gemeinsame Gespräche aufnehmen. Diese zielen darauf, die künftige Repräsentation der Aufständischen im politischen System Afghanistans auszuhandeln.
Viertens haben sich die Parteien darauf festgelegt, dass diese innerafghanischen Verhandlungen auch einen dauerhaften und umfassenden Waffenstillstand sowie Vereinbarungen zu dessen Umsetzung zum Ziel haben werden. Daneben haben die USA zugesichert, im VN-Sicherheitsrat dafür einzutreten, dass Mitglieder der Taliban bis zum 29. Mai 2020 von der entsprechenden Sanktionsliste der Vereinten Nationen genommen werden.
Dies sind die ersten greifbaren Ergebnisse nach intensiven Gesprächen zwischen den USA und den Taliban während der letzten 18 Monate. Zahlreiche offene Fragen werden erst in den folgenden innerafghanischen Friedensverhandlungen angesprochen werden können. Dazu gehören beispielsweise Dauer und Beginn des angestrebten Waffenstillstands, Beginn und Details des weiteren westlichen Truppenabzugs, Mechanismen des Aussöhnungsprozesses im Land, Aspekte einer möglichen Entwaffnung, Demobilisierung und eventuellen späteren Integration ehemaliger Taliban-Kämpfer in die afghanischen Sicherheitskräfte sowie die Bedingungen für die Aufnahme der Taliban in eine Übergangsregierung.
Politische Folgen für Afghanistan
Die siebentägige Phase der Gewaltreduktion vor Unterzeichnung des Abkommens hat im Wesentlichen ihren Zweck erfüllt. Anscheinend hat sie zu einer ersten Vertrauensbildung beigetragen, da es der Taliban-Führung gelang, entsprechenden Einfluss auf ihre Feldkommandeure auszuüben. Doch die Kämpfe sind zwischenzeitlich wieder aufgeflammt. Das lässt bereits Zweifel daran aufkommen, dass dieser Teil der Vereinbarung verstetigt werden kann, wie es die USA anstreben.
Ein weiterer Stolperstein bei der Umsetzung ist der geplante Gefangenenaustausch, der zeitlich mit dem Beginn der innerafghanischen Verhandlungen zusammenfällt. Er sollte zwar ein Schritt in Richtung weiterer Vertrauensbildung sein, wird aber schon jetzt vom afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani in Frage gestellt, da dieser in die Verhandlungen nicht einbezogen war.
Die Aufgabe, rasch einen politisch inklusiven Prozess zu beginnen, wird zudem vom strittigen Ausgang der Präsidentschaftswahl überlagert. Nach offiziellen Angaben hat Ghani die Wahl gewonnen. Sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah weigert sich jedoch bislang, das Ergebnis anzuerkennen, und hat nach der offiziellen Inauguration Ghanis als afghanischer Präsident eine Parallelregierung gebildet. Damit ist die Legitimität der Verhandlungspartner der Taliban erheblich in Zweifel gezogen.
Darüber hinaus ist das Verhältnis zu den Nachbarn in der Region zu bestimmen, vor allem zu Pakistan, das die Taliban unterstützt. US-Außenminister Pompeo hat in den vergangenen Monaten viel Aufwand betrieben, um die pakistanische Führung für das Abkommen zu gewinnen. Ihre Unterstützung ist jedoch weiterhin fraglich. Auch die Umsetzung des jüngst verkündeten Abkommens wird auf machtpolitische Erwägungen der Anrainer Afghanistans treffen, besonders Irans und Pakistans, die das Land in erster Linie als Forum ihrer regionalpolitischen Ambitionen begreifen. Nicht auszuschließen ist, dass das Machtvakuum, das USA und Nato mit ihrem konditionierten Abzug zu hinterlassen drohen, von anderen Akteuren gefüllt werden wird. Diese könnten ihre afghanischen Verbündeten stärker als bislang unterstützen und damit die innerafghanischen Verhandlungen beeinträchtigen oder gar zu deren Blockade beitragen.
Das Mandat der Bundeswehr
Die erzielte Vereinbarung wird auch die Debatte beeinflussen, welche über die Verlängerung des Bundeswehrmandats für die Resolute Support Mission (RSM) in Afghanistan zum 1. April 2019 geführt wird. Unter veränderten Vorzeichen wird darüber diskutiert werden müssen, ob, wann und wie der deutsche Afghanistan-Einsatz beendet werden kann. Auch hier sollte der geplante Abzug der US- und Nato-Truppen alle Überlegungen leiten.
Das Mandat des Deutschen Bundestages für die »Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am Nato-geführten Einsatz Resolute Support« läuft am 31. März 2020 aus. Der Antrag zur Mandatsverlängerung bis zum 31. März 2021 sieht unverändert vor, die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte »vorrangig auf der ministeriellen und der nationalen institutionellen Ebene« auszubilden, zu beraten und zu unterstützen. Ziel ist es, sie »zu befähigen, ihrer Sicherheitsverantwortung nachzukommen«. In diesem Sinne betätigen sich Kräfte der Bundeswehr überwiegend in Kabul, Bagram, Masar-e Scharif und Kundus, zeitlich begrenzt auch im übrigen Operationsgebiet. Des Weiteren ist die Bundeswehr damit beauftragt, »Verantwortung als Rahmennation für den Betrieb der sogenannten Speiche Nord in Masar-e Scharif« zu tragen, in dem Deutschland von 21 Nationen unterstützt wird. Besonders wichtig ist die Aufgabe, als Rahmennation »bis zum Ende der militärischen Präsenz im Norden Afghanistans« den militärischen Anteil des Flugbetriebs am Flugplatz Masar-e-Scharif aufrechtzuerhalten. Diese Festlegung bindet Kräfte der Bundeswehr und bestimmt die Rahmenbedingungen des deutschen Truppenabzugs.
Ein verlängertes Bundestagsmandat wäre flexibel genug, um allen denkbaren Herausforderungen gerecht zu werden, die aus dem ersten Teilabzug von US- und Nato-Truppen bis Mitte Juli 2020 sowie aus innerafghanischen Verhandlungen erwachsen. Zu überlegen wäre, das Mandat der Bundeswehr bis Ende April 2021 zu verlängern. Bis dahin, so heißt es im Abkommen zwischen den USA und den Taliban, sollen sämtliche US- und Nato-Truppen Afghanistan verlassen haben.
Konsequenzen für die Nato
Unabhängig von Details sind die Vereinbarung der USA mit den Taliban und die gemeinsame Erklärung Washingtons und Kabuls ein klares Signal an die Partner in der Nato, dass die Regierung Trump der Lage in Afghanistan keine strategische Bedeutung mehr beimisst und zum Handeln entschlossen ist. Nicht zuletzt mit Blick auf den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf deuten die politischen Zeichen in Richtung eines vollständigen Abzugs der US-Truppen aus Afghanistan – trotz fragiler Sicherheitslage, schwacher Sicherheitskräfte und einer politischen Landschaft, die entlang ethnischer Bruchlinien fragmentiert ist. Die Regierung Trump will die Verluste begrenzen und ein Wahlkampfversprechen einlösen, nämlich den als aussichtslos wahrgenommenen »Ewigkeitskrieg« beenden. Daher sollte es nicht verwundern, wenn Trump bis zu den Präsidentschaftswahlen am 3. November 2020 abrupt und ohne Absprache mit den Nato-Partnern weitere Abzugsschritte verkündet. Auch könnte er ein mögliches Treffen mit Taliban-Führern zu Wahlkampfzwecken nutzen.
Noch sind die militärischen Details der amerikanischen Abzugspläne nicht bekannt. Doch gerade die kleineren nationalen Kontingente der Allianz sind auf spezifische Fähigkeiten der USA angewiesen. Das gilt zum Beispiel beim strategischen Lufttransport, bei der Luftunterstützung, bei Special-Forces-Einsätzen, taktischer Hubschrauberunterstützung oder Notfallevakuierungen. Werden diese Fähigkeiten Schritt für Schritt abgebaut, würde das Beiträge anderer Nato-Staaten schwieriger oder gar wirkungslos machen.
In der Folge könnte sich die Sicherheitslage verschlechtern, so dass auch die Tätigkeit ausländischer Diplomaten, Entwicklungshelfer und weiteren zivilen Personals deutlich beeinträchtigt würde. Diese Akteure sind auf die Gefahreneinschätzung und im Notfall auf die Evakuierungsfähigkeiten der US-Streitkräfte angewiesen. Müssten zivile Akteure ihre Tätigkeit einstellen, könnte das in der afghanischen Bevölkerung den Eindruck verstärken, die internationale Gemeinschaft ziehe sich überstürzt aus dem Land zurück.
Empfehlungen für die deutsche Politik
Nach den geplanten Reduzierungen bis Mitte Juli 2020 auf eine Gesamtzahl von 8600 Soldaten wird die amerikanische Truppenstärke ungefähr so groß sein wie am Ende der Amtszeit Präsident Obamas im Januar 2017. Zu diesem Zeitpunkt lief der deutsche Einsatz im Rahmen von RSM schon mehr als zwei Jahre. Das Ausmaß der anvisierten Reduzierung amerikanischer Truppen bedeutet also nicht, dass die deutsche Beteiligung an RSM nicht fortgesetzt werden kann. Grundsätzlich wird die Bundeswehr ihre Aufgaben weiterhin wahrnehmen können, vielleicht mit kleinen Einschränkungen. Allerdings müsste im multilateralen Rahmen abgestimmt werden, wie die zum US-Kontingent proportionale Truppenreduzierung bei den Nato-Partnern, also auch Deutschland, vonstattengeht.
Daher sollte das beantragte Bundestagsmandat in der jetzt vorliegenden Form beschlossen werden, denn es gewährleistet die nötige Flexibilität, um den deutschen Anteil an RSM bis Ende April 2021 fortzuführen. In Anbetracht der weiterhin fragilen Sicherheitslage und der Tatsache, dass Fortschritte im Verhandlungsprozess an Bedingungen geknüpft und damit grundsätzlich reversibel sind, ist militärische Präsenz nach wie vor unabdingbar, um die erzielte Vereinbarung umzusetzen.
Ziehen die amerikanischen Truppen bis Ende April 2021 tatsächlich aus Afghanistan ab, ist die RSM in der bisherigen Form nicht mehr möglich. Es fehlt dann an der notwendigen Unterstützung für die RSM-Kräfte anderer Nato-Staaten und damit auch für ein deutsches Truppenkontingent. Angesichts der politischen Dynamik in Washington zugunsten eines vollständigen Abzugs wäre es eine grobe Fahrlässigkeit der deutschen Politik, nicht politisch wie militärisch für das Ende von RSM zu planen.
Auch wenn die USA ihre Afghanistan-Politik unter Präsident Trump bisher weitgehend ohne Konsultationen mit den Europäern betrieben haben, ist es aus deutscher Sicht unerlässlich, sich mit den USA ins Benehmen zu setzen. Nur dann kann es gelingen, den weiteren Truppenabbau möglichst synchron zu vollziehen – immer unter der Voraussetzung, dass auch die Taliban ihren Teil der Vereinbarungen erfüllen.
Einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan müsste Deutschland auch eng mit den anderen Bündnispartnern abstimmen, vor allem da es als Rahmennation Verantwortung in der sogenannten Speiche Nord in Masar-e-Scharif trägt. Alles andere wäre ein Verstoß gegen das Credo multilateralen Handelns in Afghanistan gemäß der Formel »Gemeinsam hinein, gemeinsam hinaus« und daher politisch sehr problematisch.
Zudem kommt es in der schwierigen Phase der innerafghanischen Friedensgespräche besonders darauf an, auf diplomatischen Wege eine multilaterale Abstimmung für das weitere Vorgehen in Afghanistan herzustellen. Das gilt für die unterschiedlichen internationalen Foren und Organisationen, die an dem Gesamtengagement, nicht nur militärisch, beteiligt sind.
Schließlich sollte der Bundestag angesichts des absehbaren Endes der deutschen Afghanistan-Operation die Weichen für eine kritische Bilanz der deutschen Beteiligung an dieser Mission stellen. Man muss nicht so weit gehen wie einige amerikanische Beobachter, die von einer Niederlage der USA und der Nato in Afghanistan sprechen. Doch kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass wichtige Ziele des Einsatzes bisher nicht erreicht worden sind. Für die Zukunft internationaler Militärinterventionen ließe sich viel daraus lernen. Losgelöst von vielen Detailfragen müsste dann auch – gut 18 Jahre nach dem ersten Afghanistan-Mandat für die Bundeswehr – die Frage nach Zielen, Kosten und Erfolg dieses deutschen Einsatzes politisch diskutiert werden.
Generalleutnant a. D. Rainer L. Glatz ist Senior Distinguished Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.
Dr. habil. Markus Kaim ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik und zur Zeit Helmut Schmidt Fellow der Zeit-Stiftung und des German Marshall Fund.
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doi: 10.18449/2020A18