Präsident Biden hat die unter seinem Vorgänger eingeleitete Ausrichtung amerikanischer Weltpolitik auf den Konflikt mit China weitergeführt. Eingebettet ist die »strategische Konkurrenz« mit China in ein Narrativ, dem zufolge sich die Welt in einer fundamentalen Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Autokratie befindet. Diese Erzählung beherrschte auch den »Summit for Democracy« im Dezember 2021. Die Ideologisierung der geopolitischen und geoökonomischen Hegemonialkonkurrenz mag nützlich sein, um andere Staaten in die Politik kollektiver Gegenmachtbildung einzubinden, die unter Präsident Biden Gestalt gewonnen hat. Innenpolitisch könnte dieses Narrativ jedoch den Republikanern in die Hände spielen. Zwar existiert im Kongress ein breiter überparteilicher Konsens zugunsten einer harten Linie. Allerdings verdeckt dieser die Unterschiede, die in der Frage des Umgangs mit China nach wie vor bestehen. China ist kein Thema, das der Polarisierung in den USA völlig entzogen ist. Die Demokraten bleiben der republikanischen Kritik ausgesetzt, in Sachen China »schwach« zu sein.
Für Präsident Biden ist es die Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Autokratie, um die es bei der Konkurrenz zwischen Amerika und China geht. Aus dieser Sicht sind die Autokratien global auf dem Vormarsch. Man stehe an einem Scheideweg, inmitten einer »fundamentalen Debatte über die künftige Richtung der Welt«. Mit welcher Regierungsform lassen sich die Herausforderungen besser meistern? Die USA und andere Demokratien müssten beweisen, dass das demokratische Modell kein »Relikt der Geschichte« ist.
Demokratie versus Autokratie: Präsident Bidens Narrativ
Die Biden-Administration verwebt zwei Dinge miteinander: das Erstarken eines Populismus mit antidemokratischen Zügen in zahlreichen Staaten, besonders den USA, und die ideologische Konkurrenz mit China. Diese Sicht, manchmal bereits als Biden-Doktrin bezeichnet, ist nicht nur Ausdruck eines unsicher gewordenen Glaubens an die Kraft der amerikanischen Demokratie. Sie bildet eine Art Projektion der eigentlichen, nämlich inneren Gefährdung der amerikanischen und anderer Demokratien nach außen.
Vielleicht ist das Narrativ von der fundamentalen Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Autokratie nur Rhetorik, um, wie bisweilen vermutet, nach den Trump-Jahren die Amerikaner von ihren Selbstzweifeln zu therapieren und den amerikanischen Führungsanspruch zu untermauern. Denn wieso sollten Staaten die USA im Konflikt mit China unterstützen, wenn sie keine militärische Bedrohung durch China fürchten müssen und es sie weitgehend kaltlässt, ob die USA ihre hegemoniale Position behalten oder China in die Führungsrolle aufrückt? Die ideologische Sicht, das Porträt des Konflikts als eines Wertekonflikts, könnte für manche Staaten attraktiv sein, wie mitunter in der amerikanischen Debatte argumentiert wird. Vielleicht meint es die Administration auch ernst mit dem Versuch, den Hegemonialkonflikt mit China in erster Linie als ideologische Einflusskonkurrenz zu führen.
Im Kontrast zur Demokratie-Rhetorik weist nichts darauf hin, dass Präsident Biden Bündnisse und Partnerschaften auf demokratische Staaten beschränken will. Biden neigt einem »pragmatischen Realismus« zu, wie sich besonders am Rückzug aus Afghanistan beobachten ließ. Mit Blick auf China bauen die USA ihre Beziehungen zu den autoritären Staaten Thailand und Vietnam ebenso aus wie zu Indien und den Philippinen, zwei Staaten, die als »illiberale Demokratien« bezeichnet werden könnten. Für militärische Operationen im Südchinesischen Meer sind die Philippinen von zentraler Bedeutung.
Das Dilemma einer Politik, welche die weltweite Unterstützung der Demokratie zum Ziel erklärt, ist offenkundig: Druck auf diktatorische Regime oder die Abkehr von ihnen wäre im Sinne einer konsistenten, weniger doppelzüngigen Politik gefordert. Doch der Preis dafür könnte sein, in der geopolitischen Auseinandersetzung mit China Einfluss aufzugeben. Wie Druck auf Staaten ausüben, demokratischer zu werden, ohne sie in Chinas Einflusszone zu treiben? Darauf hat amerikanische Außenpolitik keine Antwort. Was die Zusammenarbeit mit strategisch wichtigen Staaten betrifft, werden die USA in der Rivalität mit China wohl kaum wählerischer sein als einst im Kalten Krieg mit der Sowjetunion.
Der Konflikt mit China um die führende Rolle in der Welt wird in dieser ideologisch aufgeladenen Sicht zu einer Art »manichäischem Kampf zwischen Demokratie und Diktatur«, wie es der Economist auf den Punkt brachte. Die chinesische Führung mag sich bedroht sehen, doch ist das chinesische Modell wirklich eine Bedrohung für den Westen? Und noch weitere kritische Einwände gegen das Narrativ der Biden-Administration sind in der amerikanischen Debatte zu vernehmen: Eine Sicht, in der sich Demokratien und Autokratien in einem geradezu welthistorischen Konflikt gegenüberstehen, enge den Spielraum für Diplomatie ein und sei der Zusammenarbeit bei gemeinsamen Herausforderungen nicht förderlich. Werde die Trennung zwischen Demokratien und Autokratien zur neuen Konfliktlinie der Weltpolitik, dann bleibe eigentlich kein Platz für Zugeständnisse an eine Macht wie China, die eine größere Rolle einfordere, bislang aber »nur selektiv revisionistisch« sei. Wenn der Konflikt mit China vor allem durch das »ideologische Prisma« wahrgenommen werde, müsse eher politischer Wandel in China das Ziel sein.
In der Tat begünstigt die Ideologisierung des Konflikts eine essentialistische Sicht, der zufolge der chinesisch-amerikanische Antagonismus in der Herrschaft der Kommunistischen Partei Chinas wurzele. So hatte die Trump-Administration gegen Ende ihrer Amtszeit die Partei mit ihrer »totalitären Ideologie« zu einer Bedrohung für den amerikanischen »way of life«, ja für »Leben und Existenz« der Amerikaner stilisiert und scharf zwischen »freiheitsliebender« chinesischer Bevölkerung und der Kommunistischen Partei unterschieden. Eine solche Rhetorik, die einen Regimewechsel als Ziel amerikanischer Politik nahelegt, musste geradezu die tiefsitzende Angst der chinesischen Führung vor politischer Unruhe und vor Subversion nähren. Ja, sie sollte es wohl, denn führende Köpfe in der Trump-Administration waren offenbar bestrebt, die Politik des politischen und wirtschaftlichen Engagements mit China als Fehlschlag zu diskreditieren, sie daher zu beenden sowie eine wirtschaftlich-technologische Entkopplung und dauerhafte Konfrontation in Gang zu setzen. Aus der Biden-Administration sind jedoch bisher keinerlei Äußerungen zu vernehmen, die in Richtung Regimewechsel gehen. Im Gegenteil: Sicherheitsberater Jake Sullivan stellte im November 2021 klar, Ziel sei nicht »irgendeine fundamentale Transformation Chinas«.
Strategische Konkurrenz als Paradigma
Vielmehr geht es der Biden-Administration darum, wie es in der Interim National Security Strategic Guidance vom März 2021 heißt, »sich in der strategischen Konkurrenz mit China oder jeder anderen Nation durchzusetzen« (»prevail«). War unter Präsident Trump meist die Rede von »great power competition«, so wurde unter Präsident Biden »strategic competition« zu einer Art programmatischem Konzept für die Chinapolitik. Offensichtlich konnte sich die Biden-Administration dem Sog des Topos »competition« nicht entziehen, auch wenn zwei sicherheitspolitische Protagonisten im Weißen Haus, der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan und der Coordinator for Indo-Pacific Affairs Kurt Campbell, vielleicht nicht allzu glücklich darüber sind. Schließlich hatten sie in einem 2019 erschienenen Artikel einiges Kritische zu diesem Begriff geschrieben. Laut Sullivan und Campbell besteht die Gefahr, dass die Konkurrenz zum Selbstzweck werden könnte. Offen bleibe, wo überall diese Konkurrenz ausgetragen werden solle und was ihre Ziele seien. Aus ihrer Sicht ist Konkurrenz eher eine Realität, die gehandhabt werden müsse – und kein Problem, das gelöst werden könne. Nun ist unter Biden »competition« zum »vorherrschenden Paradigma« geworden, wie es Campbell formulierte, und Ziel sei, daraus eine »stabile, friedliche Konkurrenz« zu machen. Die amerikanisch-chinesischen Beziehungen sind zwar im Kern kompetitiv, aber darin mischen sich, wie Außenminister Antony Blinken anmerkte, Elemente der Konkurrenz, der Kooperation und der Gegnerschaft.
China will, so wird es in Washington wahrgenommen, stärkste wirtschaftliche und militärische Macht der Welt werden und strebt eine weltweite Führungsrolle an. Damit wird China zu einer Herausforderung für die regelbasierte, auf liberalen Werten beruhende internationale Ordnung, wie sie sich unter amerikanischer Führung herausgebildet hat. Nicht um die Eindämmung Chinas oder einen Regimewechsel geht es der Biden-Administration im eigenen Selbstverständnis, sondern um die Aufrechterhaltung der gewachsenen internationalen Ordnung. Nicht wirtschaftliche Entkopplung lautet das erklärte Ziel, sondern wirtschaftliche Interaktionen auf Basis von Reziprozität. Diese sollen indes gewisse Schranken haben: zum einen, was kritische Technologien und Investitionen angeht, zum anderen, wenn Handel und Investitionen Repression und Menschenrechtsverletzungen in China begünstigen. Mit ihrer Chinapolitik wollen die USA Bedingungen schaffen, unter denen die »Koexistenz« mit China amerikanische Interessen und Werte begünstigt.
Eines scheint auch unter Präsident Biden klar: Die USA wollen Führungsmacht bleiben, doch aus ihrer Sicht droht Chinas Aufstieg ihren Status als alleinige Supermacht in Frage zu stellen. Ihr relativer Machtverlust hat Befürchtungen geweckt, die USA könnten die Kontrolle über Entwicklungen in der internationalen Politik verlieren. Deshalb kommt es für die Biden-Administration zuallererst darauf an, dass die USA industriell und technologisch fähig werden, »die weltweite Konkurrenz mit China in den kommenden Jahren zu gewinnen«. Mit diesen Worten warb Präsident Biden für sein breit angelegtes Investitionsprogramm. Dass die Biden-Administration die China-Karte gezogen hat – wenn auch mit beschränktem Erfolg bei Republikanern im Kongress –, zeigt, wie sehr die Herausforderung durch China die amerikanische Politik prägt. Nicht ohne Grund wird an den »Sputnik-Schock« erinnert: In den 1950er Jahren hatten die Bedrohung durch die Sowjetunion und die Furcht, technologisch gegenüber dem Kontrahenten ins Hintertreffen zu geraten, massive Investitionen der USA in Infrastruktur, Technologie und Forschung zur Folge. Es war kein Zufall, dass Präsident Bidens Gespräch mit Chinas Präsident Xi Jinping unmittelbar nach Unterzeichnung des Infrastructure Investment and Jobs Act am 15. November 2021 stattfand. Es gibt eine überparteiliche Entschlossenheit, die Machtposition der USA zu stärken – so lautete die damit ausgesandte Botschaft, um der in China verbreiteten Wahrnehmung entgegenzuwirken, die USA seien im unaufhaltsamen Niedergang begriffen.
Selektive wirtschaftlich-technologische Distanzierung
Die eigene wirtschaftlich-technologische Basis zu stärken ist das eine, den technologischen Fortschritt Chinas zu behindern das andere. So übt die Biden-Administration unverändert Druck auf Huawei und andere chinesische Firmen aus und setzte weitere Unternehmen auf eine Sanktionsliste (Entity List). Bis Ende November 2021 hatte Bidens Handelsministerin Gina Raimondo nicht weniger als 66 chinesische Firmen neu aufgelistet – offensichtlich nicht genug für Republikaner wie Senator Tom Cotton, der Raimondo als »Secretary of the China Lobby« abstempelte. Ohne Genehmigung, die jedoch selten erteilt wird, dürfen amerikanische Unternehmen bestimmte Produkte nicht mehr an chinesische Firmen liefern, die auf der Entity List stehen. Die Regelung gilt auch für ausländische Firmen, wenn ihre Produkte in einem bestimmten Umfang amerikanische Komponenten enthalten. Mitte Dezember 2021 setzte das Handelsministerium 34 in China ansässige Einrichtungen auf die Entity List, darunter gut ein Dutzend im Bereich Biotechnologie arbeitender chinesischer Betriebe und Institute, da deren Forschung und deren Produkte für die Repression der uigurischen Minderheit und für militärische Zwecke eingesetzt würden.
Zudem weitete die Biden-Administration die Zahl jener chinesischen Firmen aus, in die Amerikaner wegen deren Verbindung zur Volksbefreiungsarmee nicht mehr investieren dürfen und aus denen sie ihre Investitionen abziehen müssen. Im Dezember 2021 setzte das Treasury Department weitere acht chinesische Betriebe auf die Non-SDN Chinese Military-Industrial Complex Companies List, auf der bereits 60 Firmen standen. In der Biden-Administration wird nun darüber beraten, ob und wie amerikanische Investitionen in China stärker kontrolliert werden. Erlaubt sind nämlich Investitionen in Unternehmen, die sich nicht auf der Liste befinden. Washington befürchtet, dass amerikanisches Kapital die Entwicklung auch militärisch nutzbarer Technologien unterstützt.
Amerikanische Firmen und Universitäten werden vom National Counterintelligence and Security Center vor den Risiken gewarnt, die aus einer Zusammenarbeit mit chinesischen Einrichtungen bei neuen Schlüsseltechnologien wie künstlicher Intelligenz, Biotechnologie und Quanten-Computing erwachsen können. Unter Biden setzt das FBI die unter Trump eingeleitete China Initiative fort, mit der chinesische Spionage in den USA unterbunden werden soll. Infolge dieser Initiative sind aus China stammende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an amerikanischen Universitäten ins Visier des FBI geraten.
Auch der Kongress treibt die wirtschaftliche Distanzierung der USA von China voran. So drängen die Republikaner im Repräsentantenhaus auf schärfere Exportkontrollen gegenüber China. Längst ist die Republikanische Partei nicht mehr der natürliche Ansprechpartner für jene amerikanischen Firmen, die eine weitere Verschlechterung in den amerikanisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen fürchten. Die Hoffnungen des US-China Business Council, der die Interessen von etwa 250 Unternehmen vertritt, richten sich mittlerweile auf eher progressive Abgeordnete und Senatoren. Daher hat er seine Argumentationslinie angepasst: Zögen sich immer mehr Firmen aus dem Chinageschäft zurück, verlören die USA auch in der Menschenrechtspolitik an Hebelkraft. Eine noch härtere Linie gegenüber China bereite den Boden für eine Konfrontation, in der die USA über Jahrzehnte hohe Militärausgaben bestreiten müssten.
Im Kongress spielt über Parteigrenzen hinweg die Menschenrechtssituation in China eine große Rolle. Der Senat verabschiedete im Juli 2021 ohne Gegenstimme seine Version des Uyghur Forced Labor Prevention Act, das Repräsentantenhaus mit einer Gegenstimme seinen Entwurf im Dezember 2021. Kurz vor Weihnachten setzte Präsident Biden seine Unterschrift unter die zwischen den beiden Häusern des Kongresses ausgehandelte Endfassung. In Zukunft gilt die »widerlegbare Vermutung« (»rebuttable presumption«), dass Produkte aus Xinjiang unter Zwangsarbeit hergestellt und daher nicht in die USA eingeführt werden dürfen, sofern nicht nachgewiesen werden kann, dass die Annahme nicht zutrifft. Vermutlich wird dieses Gesetz die Entscheidungen amerikanischer Firmen stark beeinflussen. Die Verlagerung von Lieferketten und Investitionen in andere Länder dürfte sich beschleunigen. Das Gesetz kollidiert mit der Klimapolitik, sofern es auch die Einfuhr von Polysilizium aus Xinjiang behindert, ein Material, das in Solaranlagen genutzt wird. Fünf bis zehn Jahre wird es nach Einschätzung der Administration dauern, bis die Abhängigkeit von Lieferungen aus Xinjiang überwunden ist. Für Republikaner wie Senator Marco Rubio ist John Kerry, Sondergesandter für Klimapolitik, der Verantwortliche, der hier zu blockieren versuchte. Kerry ist – dies zumindest trifft zu – jene Stimme in der Administration, die auf direkte Gespräche zwischen dem amerikanischen und dem chinesischen Präsidenten gedrängt hat, in der Hoffnung, dass sich die Voraussetzungen für eine kooperative Haltung Chinas in der Klimapolitik verbessern. Diese Einschätzung wird jedoch im Weißen Haus so nicht geteilt, auch nicht von Sicherheitsberater Sullivan. Weithin gilt es in der Administration als unrealistisch und inakzeptabel, in strittigen Bereichen Zugeständnisse zu machen, um China mehr Kooperation in der Klimapolitik abzuringen.
Taiwan: Abkehr von der »strategischen Zweideutigkeit«?
Nicht nur die Respektierung der Menschenrechte in China hat im US-Kongress seit Jahrzehnten großes Gewicht, sondern auch der Umgang mit Taiwan. In der Taiwan-Frage setzt die Biden-Administration die bereits unter Trump eingeleitete Verdichtung der Beziehungen zu Taipeh fort. Unter Biden wurden die Restriktionen für Treffen zwischen amerikanischen und taiwanesischen Diplomaten gelockert. Diese Beschränkungen hatte es seit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Taiwan 1979 gegeben (Trumps Außenminister Pompeo hatte diese Regelungen im Januar 2021 für null und nichtig erklärt, unter Biden wurde diese Komplettaufhebung rückgängig gemacht). Nicht nur in die diplomatischen Beziehungen war Bewegung gekommen. Laut Presseberichten im Oktober 2021 sind amerikanische Militärausbilder seit über einem Jahr in Taiwan tätig. Erstmals seit Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Peking im Jahre 1978 lud ein neuer US-Präsident den wirtschaftlichen und kulturellen Vertreter Taiwans in Washington zur Inauguration ein.
Wiederholt erweckte Präsident Biden in Äußerungen den Eindruck, die USA hätten eine Verpflichtung, Taiwan im Falle eines militärischen Angriffs zu unterstützen – was das Weiße Haus jeweils kurz darauf relativierte: Es gebe keine Abkehr von der bisher geltenden Politik, die als »strategische Zweideutigkeit« firmiert. Nachdem die USA ihre Beziehungen zur Volksrepublik China 1978 normalisiert hatten, kündigten sie den Verteidigungsvertrag mit Taiwan auf. Gemäß dem Taiwan Relations Act von 1979 lautet die Position der USA, jedweden Versuch, die Zukunft Taiwans anders als mit friedlichen Mitteln zu entscheiden, als Bedrohung des Friedens und der Sicherheit im westlichen Pazifik anzusehen. Zwar stellen die USA Antworten auf eine Bedrohung Taiwans in Aussicht, haben sich aber nicht auf eine Reaktion verpflichtet. Innenpolitisch ist die traditionelle Politik umstritten. Im Kongress artikuliert sich das Unbehagen etwa in dem nicht nur, aber vor allem von Republikanern initiierten Taiwan Invasion Prevention Act. Dieser gäbe dem Präsidenten eine Art Generalvollmacht zur militärischen Unterstützung Taiwans, um schnelles Handeln zu ermöglichen. Eine solche Vorabermächtigung des Präsidenten liefe indes dem Anliegen jener Senatoren und Abgeordneten zuwider, welche die Kriegsvollmachten des Präsidenten eher beschneiden als ausweiten wollen.
Neu im Blick: Nukleare Abschreckung und Instabilitätsrisiken
Der ungelöste Souveränitätskonflikt um Taiwan birgt das Risiko eines unter Umständen nuklear geführten Krieges zwischen USA und China. Entsprechend aufmerksam wird in den USA daher die chinesische Rüstungspolitik verfolgt. Beträchtlichen Wirbel löste Mitte Oktober 2021 ein auf anonymen Quellen beruhender Pressebericht aus. Dort hieß es, China habe wenige Monate zuvor erfolgreich eine nuklearfähige, die Erde umrundende und dann wieder in die Erdatmosphäre eintretende Hyperschallrakete getestet. Der Bericht kam vermutlich nicht zufällig zu einer Zeit, in der die Überprüfung der amerikanischen Nukleardoktrin, die sogenannte Nuclear Posture Review, in die Endphase ging. Offenbar schneller als auf amerikanischer Seite erwartet hat China Fortschritte bei Überschallraketen erzielt – im Kontrast zu den USA: Hier schlugen im Laufe des Jahres 2021 Tests mit Überschallgleitern fehl. Der chinesische Test (der, wie das Pentagon im Dezember 2021 bestätigte, im Juli stattgefunden hatte), aber auch vorangegangene Berichte über einen massiven Ausbau der Zahl chinesischer Raketensilos verfehlten ihre Wirkung auf die amerikanische Nukleardebatte nicht. Auftrieb erhielten jene, die mit dem Bedrohungsszenario einer möglichen chinesischen Erstschlagfähigkeit verhindern wollen, dass die Rolle amerikanischer Kernwaffen reduziert und Nuklearwaffenprogramme zusammengestrichen werden. Das sind nicht nur Republikaner im Kongress. Auch im Pentagon scheinen die Beharrungskräfte stark zu sein. Von einem »atemberaubenden Ausbau« der chinesischen Nuklearfähigkeiten und einem »strategischen Ausbruch« sprach der Kommandeur des U.S. Strategic Command, Admiral Charles Richard. Wenn dies so weitergehe, laufe es auf Chinas Erstschlagfähigkeit hinaus, meinte Luftwaffenminister Frank Kendall.
Im jüngsten Bericht des Pentagon vom November 2021 über die militärische Entwicklung in China heißt es, bis 2027 könne Peking 700 einsatzfähige Nukleargefechtsköpfe besitzen, bis 2030 sogar 1.000. Laut dem Bericht sei möglicherweise eine nukleare Triade Chinas (gemeint sind land-, luft- und seegestützte Waffen) »im Entstehen begriffen«. Zudem gebe es Indizien dafür, dass China die Einsatzfähigkeit seiner Nuklearwaffen durch die Hinwendung zu einem »launch-on-warning posture« erhöhe. Darunter wird die Fähigkeit verstanden, im Falle eines gegnerischen Erstschlages die eigenen Raketen zu starten, sobald Frühwarnsysteme einen solchen Angriff melden.
China scheint seine Zweitschlagfähigkeit sichern zu wollen. Das nukleare Modernisierungsprogramm der USA und ihre Projekte zur Raketenabwehr haben auf chinesischer Seite offenbar Zweifel hervorgerufen, ob die Zweitschlagfähigkeit nach einem amerikanischen (Nuklear-) Angriff noch gegeben wäre. Zudem argwöhnt Peking, in einer militärischen Auseinandersetzung um Taiwan könnten die USA Kernwaffen geringerer Sprengkraft gegen chinesische Kriegsschiffe einsetzen, die sich auf dem Weg nach Taiwan befinden. Auf amerikanischer Seite wiederum nährt die Aussicht auf ein größeres chinesisches Nuklearwaffenarsenal die Befürchtung, im Falle eines nuklearen Patts könne China risikobereiter werden. Beunruhigt ist die amerikanische Seite vor allem durch das folgende Szenario eines Angriffs der Volksrepublik China auf Taiwan: Peking hat die Fähigkeit erworben, in einem schnellen, konventionell geführten Krieg vollendete Tatsachen zu schaffen, und setzt darauf, die USA aufgrund wechselseitiger Verwundbarkeit von einem möglichen Ersteinsatz nuklearer Waffen abzuschrecken.
In Präsident Bidens Umfeld blickt man mit Sorge auf eine mögliche künftige Rüstungskonkurrenz zwischen China und den USA im Bereich von Überschall-, Cyber- und Weltraumwaffen. Mittlerweile haben Washington und Peking informelle Gespräche über nukleare Stabilität vereinbart. Zunächst soll es darum gehen, unbeabsichtigte militärische Konflikte zu vermeiden, zumal es keine festen Kommunikationskanäle zwischen dem amerikanischen und dem chinesischen Militär gibt. Danach soll über die Nuklearstrategien beider Länder ebenso geredet werden wie über Instabilitätsrisiken, die aus Cyber- und Anti-Satelliten-Angriffen entstehen können. Schließlich – und da rechnet man in Washington in Jahren von heute an – könnten Rüstungskontrollgespräche auf die Tagesordnung kommen.
Modulare Gegenmachtbildung
Auf internationaler Ebene betreibt die Biden-Administration eine Politik modularer Gegenmachtbildung. Ein »Gitterwerk von Bündnissen und Partnerschaften« soll entstehen, alte Bündnisse werden »überholt«, neue Komponenten hinzugefügt. So aktivierte die Biden-Administration den Quadrilateral Security Dialogue (Quad) zwischen USA, Indien, Japan und Australien. Das Gipfeltreffen in Washington im September 2021 sandte ein klares Signal dieser vier Staaten, chinesischen Einflussgewinnen in Asien entgegenzutreten. Was am Ende aus der geplanten Kooperation bei Impfstoffen, Infrastruktur und Technologie tatsächlich wird, bleibt indes abzuwarten. Neu geschaffen wurde AUKUS, eine Sicherheitspartnerschaft zwischen Australien, Großbritannien und den USA. Ihr wichtigstes Element ist die Vereinbarung, dass mit amerikanischer und britischer Unterstützung nukleargetriebene U-Boote in Australien gebaut werden sollen – ein komplexes Unterfangen, das in seinen Einzelheiten noch ausgearbeitet werden muss. Die Abkehr Australiens von dieselgetriebenen Booten hat strategische Bedeutung, denn U-Boote mit Nuklearantrieb erhöhen Reichweite und Offensivfähigkeiten der australischen Marine.
Aufgabe des ebenfalls neu geschaffenen US-EU Trade and Technology Council soll es sein, die jeweiligen Ansätze zu Technologie, Wirtschaft und Handel zu koordinieren und die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen auf der Grundlage demokratischer Werte zu vertiefen. Konkret geht es in erster Linie darum, Exportkontrollen und Investitionsscreening untereinander abzustimmen sowie Lieferketten zu sichern, vor allem bei Halbleitern. Im Rahmen des »Summit for Democracy« kündigte die Biden-Administration zusammen mit Australien, Dänemark und Norwegen die Export Controls and Human Rights Initiative an. Kanada, Frankreich, die Niederlande und Großbritannien erklärten ihre Unterstützung für das Vorhaben, die Exportkontrollpolitik für Schlüsseltechnologien zu koordinieren und einen freiwilligen Verhaltenskodex zu entwickeln. Wenn über Ausfuhrgenehmigungen für Technologien entschieden wird, die autoritäre Staaten zur Überwachung und Unterdrückung ihrer Bürger nutzen können, sollen Menschenrechtskriterien angewandt werden. Man hofft, weitere Staaten in diese Initiative einzubinden. Mit Japan und Südkorea haben die USA, wie es heißt, »bilaterale kooperative Partnerschaften bei kritischen und neu entstehenden Technologien« gestartet.
Perspektiven
Die Biden-Administration steht vor der Herausforderung, die geopolitische und geoökonomische Konkurrenz mit China und die Kooperation in globalen Fragen wie Klimapolitik und Nichtverbreitung in Einklang zu bringen. Zugleich muss Washington Regeln für die sich verschärfende militärische Gegnerschaft entwickeln. »Guardrails« – also Leitplanken, Absturzsicherungen – lautet der Begriff, den Präsident Biden und Mitglieder seiner Administration dafür gern verwenden.
Dies ist ohnehin keine leichte Aufgabe. Noch schwieriger wird sie dadurch, dass es vor dem Hintergrund der chinakritischen Grundstimmung politisch nicht opportun ist, irgendeinen Schritt zu tun, den die einer konfrontativen Eindämmungspolitik zuneigenden Republikaner im Kongress als »Schwäche« gegenüber China auslegen würden. Chinakritisch ist die Grundstimmung in der amerikanischen Öffentlichkeit schon seit längerem, hat sich mittlerweile aber noch weiter verhärtet. Neun von zehn Amerikanern sehen nach einer Umfrage vom Februar 2021 China als Konkurrenten oder Gegner an. Und laut einer Umfrage von Oktober/November 2021 glaubt gut die Hälfte der Amerikaner, dass China die größte Bedrohung für die USA darstellt. Doch hinter diesen Zahlen verbergen sich Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten, wie eine Umfrage vom Juli 2021 zeigt: Republikaner tendieren eher dazu, China als Gegner zu sehen, dessen globaler Einfluss beschränkt werden müsse. Mit großer Mehrheit befürworten sie Zölle auf chinesische Importe, auch wenn amerikanischen Verbrauchern damit höhere Kosten aufgebürdet werden.
Die Resonanz des Themas China nutzen beide Parteien. Allem Anschein nach wird es in den Zwischenwahlen zum Kongress im November 2022 breiten Raum einnehmen. Die Republikaner werden die Demokraten aller Voraussicht nach als »schwach« gegenüber China brandmarken, als nicht bereit, der von ihm ausgehenden geopolitischen und wirtschaftlichen Bedrohung entschieden zu begegnen. Die Demokraten wollen die ablehnende Haltung vieler Republikaner im Senat zum U.S. Innovation and Competition Act, mit dem die USA technologisch fit für die Konkurrenz mit China gemacht werden sollten, als Ausdruck der Schwäche gegenüber Peking anprangern.
Trotz unterschiedlicher Präferenzen hat sich in der amerikanischen Chinapolitik eine »Koalition für Konfrontation« etabliert. Weithin herrscht Einigkeit, dass die Politik des Engagements gescheitert sei. Daher bestehen keine Anreize für ein Verhalten, das als nachgiebig gegenüber China interpretiert werden könnte. Dieses politische Kalkül dürfte auch eine Rolle bei der Entscheidung der Biden-Administration gespielt haben, an den Zollsanktionen gegenüber China festzuhalten. Noch im Präsidentschaftswahlkampf 2020 hatte Biden sie wegen der Kosten für amerikanische Verbraucher und Firmen scharf kritisiert. Vermutlich wäre eine »Beschwichtigungspolitik« von chinesischer Seite notwendig, um die verhärteten Positionen im amerikanischen Diskurs aufzuweichen. Solange Pekings Politik aber amerikanische Bedrohungswahrnehmungen nährt, dürfte sich am Kurs der amerikanischen Chinapolitik wenig ändern. Sie wird dann wohl weiter in die Richtung einer strategischen und institutionellen Restrukturierung der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik auf den Weltkonflikt mit China steuern. Für das amerikanische Militär ist China zur erstrangigen Bedrohung geworden, auf die militärische Fähigkeiten ausgerichtet werden. Die CIA reorganisiert ihre Tätigkeit mit Blick auf China, indem sie ihre Ressourcen in einem China Mission Center bündelt. Der Kongress verlangt im jüngsten Autorisierungsgesetz für die Verteidigungsausgaben, dass die Administration eine »grand strategy with respect to China« vorlegt.
Sollte 2025 Donald Trump oder ein anderer Republikaner ins Weiße Haus einziehen, könnte Bidens Chinapolitik, das heißt seine multilateral angelegte Politik der Gegenmachtbildung, ein Intermezzo bleiben. Sie könnte von einer Politik konfrontativer Eindämmung abgelöst werden, die mit der Erwartung verbunden ist, Chinas Macht werde erodieren und die kommunistische Herrschaft implodieren.
Dr. Peter Rudolf ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Amerika.
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doi: 10.18449/2022A02