Wenn Grönland unabhängig von Dänemark werden will, muss es wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen. Dies könnte durch den Bergbau gelingen, doch der gerät angesichts von Umweltbelastungen zunehmend in die Kritik. Michael Paul über schwierige Abwägungen, die eine neue Regierung zu treffen hat.
Es waren drei Themen, die im grönländischen Parlamentswahlkampf im Mittelpunkt gestanden hatten: Die Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Insel, die Unabhängigkeit von Dänemark und der Umweltschutz. Letzterer gab schließlich den Ausschlag: Die bis dahin oppositionelle, linke Umweltpartei Inuit Ataqatigiit (Gemeinschaft der Inuit) landete bei den Neuwahlen am 6. April mit 37,4 Prozent der Stimmen auf Platz eins, während die sozialdemokratisch orientierte Regierungspartei Siumut (Vorwärts) mit 30 Prozent nur den zweiten Platz belegte.
Erbittert gestritten wurde über das Kvanefjeld-Minenprojekt, das die Oppositionspartei seit Jahren ablehnt. Denn der Abbau von Bodenschätzen im offenen Tagebau wäre mit einer erheblichen Umweltbelastung in einem landwirtschaftlich und touristisch genutzten Gebiet verbunden; nicht zuletzt deshalb war eine Genehmigung an drei aufeinanderfolgenden Umweltschutzprüfungen gescheitert. Auch die Bevölkerung war mehrheitlich gegen das Projekt: Einer Umfrage der grönländischen Zeitung Sermitsiaq zufolge lehnten 63 Prozent der Befragten das Minenprojekt ab; 29 Prozent sprachen sich generell gegen Bergbauprojekte aus.
Am Kvanefjeld, im Süden Grönlands, befindet sich eine der weltweit größten unerschlossenen Lagerstätten von Seltenen Erden (SE) außerhalb von China und eines der größten Uranvorkommen. Die Lizenzen für deren Abbau liegen bei dem australischen Unternehmen Greenland Minerals and Energy (GME), zu dessen Anteilseignern der chinesische »SE-Gigant« Shenghe Resources Holding Co. zählt. Eine Kooperationsvereinbarung, die Shenghe im Jahr 2019 mit der China National Nuclear Corporation (CNNC) traf, weckte das Misstrauen von Grönlands Oppositionspartei Inuit Ataqatigiit. Sie hinterfragte fortan sehr kritisch den Inhalt der Übereinkunft, deren Umweltauswirkungen und die chinesischen Interessen. Damit wurde die nukleare Komponente zum Anfang vom Ende des Minenprojektes. Siumut konnte sich schließlich nicht mit ihrem Wahlargument durchsetzen, dass das Projekt die wirtschaftliche und soziale Lage verbessern und das Land schneller zur Unabhängigkeit von Dänemark führen könnte.
Der Vorsitzende der neuen Regierungspartei Múte Bourup Egede bleibt bei seinem Wahlversprechen, dass die wirtschaftliche und soziale Erholung nicht auf Kosten der Umwelt gehen soll. Damit endet voraussichtlich »eine fantastische Geschichte«, wie der GME-Geschäftsführer Jørn Skov es einst nannte: Auf dem Kuannersuit-Plateau von Kvanefjeld hätten sich danach gleich drei Ziele realisieren lassen: 15-20 Prozent der weltweiten Nachfrage nach Seltenen Erden decken, damit weltweit den Übergang zu umweltfreundlichen Technologien fördern sowie Grönlands wirtschaftliche Probleme lösen. Tatsächlich aber war das Projekt weder klima- noch umweltverträglich, weshalb Grönland bislang nicht das Pariser Klimaschutzabkommen unterzeichnet hat. Auch hätten die geschätzten jährlichen Steuereinnahmen in Höhe von 200 Millionen US-Dollar kaum alle wirtschaftlichen Probleme gelöst, sondern allenfalls mittelfristig reduziert. Was Grönland aber braucht, sind Wirtschaftszweige, die im Falle einer Unabhängigkeit die Zahlungen Dänemarks kompensieren können.
Gemäß Autonomievertrag hat Grönland zwar das Recht auf Unabhängigkeit, doch kann es sich diese noch nicht leisten. Das Königreich Dänemark trägt mit der sogenannten Blocksubvention von jährlich umgerechnet fast 500 Millionen Euro etwa die Hälfte der öffentlichen Ausgaben; diese Gelder entfallen bei einem Gang in die Unabhängigkeit. Die Einnahmen aus dem Fischfang, der rund 95 Prozent der grönländischen Exporte ausmacht, die Jagd und der Tourismus können dies nicht ausgleichen. Fischerei und Fischverarbeitung sind der zweitwichtigste Arbeitsmarkt hinter dem extensiven öffentlichen Sektor, der rund 40 Prozent aller Arbeitsplätze bereitstellt. Doch die Fischerei ist kein Wachstumssektor: Die Fischbestände sind gefährdet, und der Sektor ist hochreguliert. Die Förderung von Rohstoffvorkommen hingegen könnte den Ausfall der dänischen Zahlungen ausgleichen.
Prinzipiell eröffnen Bergbauprojekte Grönland bessere Aussichten auf wirtschaftliche Diversifizierung als die Förderung von Öl und Gas, mit der anfangs große Erwartungen verbunden waren. Grönland setzte daher bislang auf den Abbau von Bodenschätzen. Derzeit sind über 70 Projekte zu Exploration und Abbau genehmigt, meist im Tagebau zur oberflächennahen Gewinnung von Ressourcen. Sie liegen größtenteils im Süden der Insel, wo sich auch die reichste Biodiversität und ein Großteil der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche befinden. Angesichts dessen nehmen die Umweltbedenken zu, und international gibt es große Unterstützung für den Erhalt der empfindlichen Inselwelt; zuletzt richteten 141 Nichtregierungsorganisationen einen Appell an die Regierungen von Grönland und Dänemark sowie die EU, ein arktisches Schutzgebiet einzurichten und durch Ausgleichszahlungen ein Moratorium für Minenprojekte sowie Öl- und Gasförderung zu unterstützen. In den anstehenden Koalitionsverhandlungen wird zu klären sein, ob die neue Regierung ein Referendum zu Minenprojekten abhalten oder ein anderes, abgelegeneres Gelände zum SE-Abbau genehmigen wird. Denn gänzlich ohne Bergbau ist die Diversifizierung der grönländischen Wirtschaft kaum zu realisieren.
Im grönländischen Parlament mit seinen 31 Sitzen sind 16 Mandate für eine Mehrheit nötig. Die Inuit Ataqatigiit verfügt über 12 Mandate, so dass eine Koalitionsregierung mit der Naleraq naheliegt. Diese Abspaltung von Siumut, die im Gegensatz zur Siumut eine Gegnerin des Uranbergbaus ist, wurde mit vier Mandaten drittstärkste Partei. Die populistische Naleraq ist zugleich aber eine entschiedene Befürworterin der Unabhängigkeit. Vor diesem Hintergrund wird spannend sein, wie die mutmaßlichen Koalitionspartner die Ziele Umweltschutz und Unabhängigkeit ausbalancieren. In jedem Fall wird Grönland auf eine umweltverträglichere und damit zwangsläufig langsamere Entwicklung setzen und so auch mehr Zeit für die Unabhängigkeit benötigen.
Ambitionen und Aussichten nach 300 Jahren Zugehörigkeit zum Königreich Dänemark
doi:10.18449/2021A02
Die Unabhängigkeit Grönlands ist eines der Themen des dortigen Parlamentswahlkampfs. Doch angesichts der aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Situation halten viele Grönländer eine baldige Loslösung vom Dänischen Königreich für weltfremd, analysieren Tobias Etzold und Christian Opitz.
Nach der Wahl in Grönland stehen die Chancen gut, dass bei der Ausbeutung von Rohstoffen der Schutz von Umwelt und Bevölkerung Priorität bekommt. Dies könnte sich positiv auf die neue EU-Investitionspolitik auswirken, meinen Tobias Etzold und Bettina Rudloff.