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Glyphosat schadet vielleicht der Gesundheit, aber ganz sicher dem Vertrauen in die EU

Der aktuelle Streit um die Zulassung eines Unkrautvernichtungsmittels weist auf Reformbedarf bei fragwürdigen Entscheidungsmethoden in der EU hin, meint Bettina Rudloff.

Kurz gesagt, 02.11.2017 Forschungsgebiete

Berlin, 02.11.2017

Glyphosat schadet vielleicht der Gesundheit, aber ganz sicher dem Vertrauen in die EU

Der aktuelle Streit um die Zulassung eines Unkrautvernichtungsmittels weist auf Reformbedarf bei fragwürdigen Entscheidungsmethoden in der EU hin, meint Bettina Rudloff.

Im toten Winkel der aufgeheizten Debatte um die weitere Zulassung des Herbizids Glyphosat liegt ein besonderes, seit Jahrzehnten häufig genutztes Entscheidungsverfahren in der EU. Dieses »Komitologieverfahren« ist der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. Dabei bestimmt es regelmäßig das Zusammenspiel der Akteure in Brüssel und der Mitgliedstaaten in einer Weise, die das ohnehin angeschlagene Vertrauen der Bürger in die EU weiter bröckeln lässt.

Im Komitologieverfahren werden Durchführung und Umsetzung von EU-Rechtsakten festgelegt. Diese Bestimmungen werden durch die Exekutive beschlossen – in den Mitgliedstaaten erledigen dies bei vergleichbaren Verwaltungsakten die Ministerien, in der EU die Kommission im Zusammenspiel mit dem Ministerrat. Diese Verfahren sollen bei bestimmten, eher technischen Details und eben nicht bei entscheidenden Aspekten die Legislative – also die Parlamente – entlasten.

Komitologie, das unbekannte Wesen

In der EU sind solche Verwaltungsverfahren nach den zentralen Akteuren benannt, den Fachausschüssen (»Committees«), die sich aus Fachbeamten der nationalen Ministerien zusammensetzen und seit den 1960er Jahren zu Hunderten entstanden sind. Im Zuge des Lissabonner Vertrags aus dem Jahr 2009 wurden die Rechte des Europaparlaments gestärkt und die Zahl der Verfahren auf zwei reduziert:

Beim delegierten Rechtsakt (Art. 290 AEUV) können Europäisches Parlament und Ministerrat die an die Kommission delegierten Befugnisse bei nicht-wesentlichen Bestimmungen prinzipiell widerrufen. Das Verfahren geht dann zurück an die Kommission und wird, eventuell nach inhaltlicher Anpassung des Akts, neu gestartet. Diese Methode gilt etwa für die Einlagensicherung bei Banken oder die Grenzwerte für Zucker in Babynahrung. Der Durchführungsrechtsakt (Art. 291 AEUV) für Bestimmungen, die eine einheitliche Umsetzung in der EU erfordern, gilt etwa für die Zulassung von genetisch veränderten Pflanzen oder eben auch von Glyphosat.

Immerhin sichert ein durch Parlament und Ministerrat beschlossener Kompromiss, dass in Fällen von genereller Tragweite (etwa Agrar- und Handelspolitik, Steuerpolitik), die Kommission sich nicht einfach gegen eine Ablehnung ihres Vorschlags durch den beteiligten Ausschuss durchsetzen kann. Vielmehr beginnt auch hier das Verfahren wieder von vorne und geht durch einen Berufungsausschuss. Bei der Glyphsosat-Entscheidung etwa muss der zuständige Fachausschuss SCoPAFF (Standing Committee on Plants, Animals, Food and Feed) seine Position mit der üblichen doppelten Mehrheit beschließen – also mit den Stimmen von mindestens 16 Staaten im Ausschuss, die für mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen. Das Parlament kann zwar Stellung nehmen, die Kommission muss dieser Stellungnahme aber nicht folgen.

Hin und her mit dem Schwarzen Peter

Wird die doppelte Mehrheit im Ausschuss erreicht, muss die Kommission dieser Entscheidung folgen – das Herbizid Glyphosat also entweder zulassen oder nicht. Kommt im Ausschuss hingegen keine doppelte Mehrheit zustande, hat die Kommission die Entscheidungsmacht und kann so die unklare Beschlusslage der Mitgliedstaaten im Ausschuss beenden. So ließ die Kommission das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat im vergangenen Jahr angesichts der auch damals im Ausschuss fehlenden Mehrheit weiter zu, allerdings nur für weitere 18 Monate.

Diese Macht aber möchte die Europäische Kommission zunehmend nicht mehr ausüben - zu Recht: Mitgliedstaaten sollten sich ihrer Verantwortung nicht durch Enthaltung entziehen können. Damit zwingen die Mitgliedsstaaten nämlich die Kommission, über verbrauchersensible Bereiche zu entscheiden, wodurch das ohnehin brüchige Vertrauen der Europäer/innen in die EU und ihre Entscheidung weiter gefährdet wird. So enthielt sich Deutschland im Glyphosat-Fall wegen der auseinandergehenden Stellungnahmen zwischen dem Landwirtschafts- und dem Umweltressort seiner Stimme. Auch Griechenland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Österreich und Portugal entzogen sich ihrer Verantwortung. Angesichts der Ende Dezember 2017 ablaufenden Zulassungsfrist für Glyphosat stellt sich jetzt dieselbe Situation wieder ein.

Auch diesmal will sich die Kommission aus dem Dilemma fehlender politischer Einigung winden, indem sie eine nochmals verkürzte Zulassungsfristen von nur noch fünf Jahren vorschlägt, statt bislang vorgeschlagener zehn oder zuvor auch 15 Jahre. Damit folgt sie zwar Forderungen des Europaparlaments, aber an den prinzipiellen Schwächen des Komitologieverfahrens ändert sich nichts.

Reformvorschläge der Europäischen Kommission reichen nicht aus

Im Februar 2017 schlug die Kommission Reformen für das Komitologieverfahren vor. Sie folgt damit Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker, der solche Verbesserungen in seiner Rede zur Lage der Union im Jahr 2016 dringend angeraten hatte. Diese Reformvorschläge sehen vor, die Möglichkeit zur Stimmenthaltung zu begrenzen, um wiederholte Pattsituationen zu vermeiden. Darüber hinaus will die Kommission die Stimmenvergabe der Mitgliedstaaten in den Ausschüssen künftig veröffentlichen, während das Abstimmungsverhalten der Mitgliedsstaaten derzeit oftmals im Verborgenen des komplizierten Komitologieverfahrens bleibt. Dieser Vorschlag kann zu einer offeneren Debatte führen, in dem der Wahlbevölkerung deutlich gemacht wird, welche Interessen in welcher Weise tatsächlich vertreten werden. Nur so können die Bürger/innen Einfluss auf ihre nationalen Regierungen nehmen, die die Ausschüsse stellen - was über die Kommission als nicht gewählte Instanz nicht möglich ist. Vor allem aber nimmt diese Initiative den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten die Möglichkeit dazu, die EU zum Sündenbock für unpopuläre Entscheidungen zu machen.

Da die »komitologisch« entschiedenen Fragen von den Wähler/innen oft keineswegs nur als technische Kleinigkeiten, sondern als durchaus wesentliche Anliegen erachtet werden, sollte gerade das Europäische Parlament diese aktuelle Chance für Reformvorschläge nutzen und sich für grundlegende Änderungen einsetzen. Dazu muss geklärt werden, welche Entscheidungsgegenstände als wesentlich und welche eher als technische Umsetzung oder Durchführung gelten sollten. Diese Einordnung kann sich im Zeitablauf durchaus ändern und muss daher flexibel immer wieder neu bewertet werden. Jedenfalls sollte vom traditionellen Ansatz der tendenziell gänzlichen Entlastung des Europa-Parlaments heutzutage dringend Abstand genommen werden, wo es mehr denn je um das Vertrauen der Europäer/innen geht. Vielmehr müsste ein Mechanismus gefunden werde, die parlamentarische Meinung verbindlich in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Nur so kann das Vertrauen der Europäer/innen in die EU wieder wachsen.

Der Text ist auch bei EurActiv.de erschienen.