Das Engagement der Europäischen Union (EU) in den Ländern Zentralasiens (Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan) erhält neuen Schwung: durch die Neuauflage der EU-Zentralasienstrategie 2019 und die EU-Asien-Konnektivitätsstrategie aus dem Jahr 2018. Einen Schwerpunkt bildet die Kooperation zu nachhaltiger Entwicklung. Die Förderung wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit ist prinzipiell sinnvoll, weil es hier bei den Interessen der EU und der Regierungen vor Ort Überschneidungen gibt; außerdem können unmittelbare Vorteile für die Bevölkerung erzielt werden. Insbesondere die autoritären Staaten Zentralasiens sind dabei allerdings mit Dilemmata konfrontiert. Zwar können sie davon profitieren, wenn Nachhaltigkeit gefördert wird, fürchten aber eine damit einhergehende Politisierung ökologischer und sozialer Fragen und dadurch entstehende Proteste. Zudem schrecken sie vor umfassenden Strukturreformen zurück und befürchten Wachstumseinbußen. Bei der Projektplanung sollte die EU deshalb einen Ansatz wählen, der anhand konkreter Projekte aus unterschiedlichen Politikfeldern demonstriert, wie Nachhaltigkeitsziele partizipativ erreicht und Beschäftigung geschaffen werden kann.
Die EU möchte im Rahmen ihrer Zentralasienstrategie (2019) und der EU-Asien-Konnektivitätsstrategie (2018) nachhaltige Entwicklung in Zentralasien fördern. Sie importiert Rohöl und andere Rohstoffe aus der Region, vor allem aus Kasachstan, und exportiert Technologie und andere verarbeitete Güter dorthin. Primär ist sie also an wirtschaftlicher Zusammenarbeit und regionaler Stabilität interessiert, wozu die Förderung von Nachhaltigkeit beitragen soll.
In Konkurrenz zu den beiden dominanten Großmächten China und Russland kann und möchte die EU mit ihrem Engagement nicht treten. Namentlich China steht in Zentralasien als wichtiger Handelspartner, Großinvestor und Kreditgeber hoch im Kurs. Chinas »Belt and Road«-Initiative manifestiert sich in der Region etwa in Investitionen im Öl- und Gassektor. Des Weiteren exportiert China »grüne Technologie« wie elektrisch betriebene Busse. Auch dem ehemaligen Hegemon Russland kommt als Handelspartner und Investor hohe Bedeutung zu.
Die EU verfügt unter anderem über umfangreiche Erfahrungen im Umweltschutz in der Region; die EU wie Deutschland engagieren sich dort verstärkt im Bereich nachhaltiger Wasserwirtschaft und Anpassung an die Folgen des Klimawandels.
Ebenso wie die EU bekennen sich alle Staaten Zentralasiens zu den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen (VN). Kernmerkmale der SDGs sind: In insgesamt 17 Zielen verknüpfen sie die drei Dimensionen von Nachhaltigkeit miteinander, Wirtschaft, Ökologie und Soziales, statt sie isoliert zu betrachten. Außerdem richten sie sich nicht mehr nur an Entwicklungsländer, sondern gleichermaßen an die Industrieländer, sodass auch die EU aufgerufen ist, die SDGs zu verfolgen. Schließlich definieren die SDGs konkrete Monitoring- und Reporting-Ansätze.
Zentralasiens Regierungen haben einerseits ein Interesse an der Verbesserung wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit. Wirtschaftswachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie Umweltschutz sind für sie relevant, weil sie damit nicht zuletzt ihre politische Legitimität stärken können. Andererseits befinden sich insbesondere die vier autoritären Staaten der Region (Kasachstan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan) in spezifischen Dilemmata, deren Ursachen darin liegen, dass die Verbesserung von Nachhaltigkeit im Sinne der SDGs über technischen Umweltschutz hinausgeht und gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturänderungen erfordert. Drei Dilemmata spielen für die Autokratien Zentralasiens eine Rolle:
Dilemma der Politisierung. Die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele ist ein Prozess, der die Beteiligung der Zivilgesellschaft und die Förderung von Wissenschaft und Forschung voraussetzt; lokale Probleme und ihre sozioökologischen Ursachen müssen erforscht, kontinuierlich beobachtet und schließlich bewertet werden (können). Gesellschaftliche Partizipation, die Schärfung des Bewusstseins für soziale und ökologische Probleme bei allen Stakeholdern sowie eine wachsende Wissensproduktion können jedoch zur Folge haben, dass die Gesellschaft diese Probleme politisiert. Genau das fürchten die autokratischen Regime, da Politisierung zu Protesten führen kann und somit eine Gefahr für die Regimestabilität darstellt. So hat Kasachstan seinen freiwilligen Fortschrittsbericht (Voluntary National Review, VNR) bei den VN zwar vorgestellt, diesen aber ohne Beteiligung der Zivilgesellschaft verfasst.
Dilemma der Institutionen. Um die Nachhaltigkeitsziele zu realisieren, braucht es institutionelle Reformen, wie sie im SDG 16 (Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen) verankert sind. Die Autokratien sind zu innenpolitischen Strukturreformen, beispielsweise in der Justiz, nicht bereit; für nachhaltige Entwicklung sind diese indes notwendig. Wegen Korruption und fehlender Kontrolle des Regierungshandelns sind zum Beispiel in Kasachstan milliardenschwere Investitionsprogramme gescheitert. Eine Ausnahme bildet derzeit Usbekistan, das sich an einer wirtschaftlichen Modernisierung versucht. Allerdings hat sich die Regierung bislang nicht an Justizreformen oder eine Stärkung des Parlaments gewagt.
Dilemma der Kopplung von Wachstum und Umweltbelastung. Vor allem Kasachstan und Usbekistan sind auf Wirtschaftswachstum angewiesen, damit ihre Regime stabil bleiben. Um ökologische und soziale Schäden von Wachstum zu verhindern, wäre es ökologisch und gesellschaftlich sinnvoll, diese Aspekte in wirtschaftspolitischen Strategien konsequent zu berücksichtigen. Das Interesse an sozialer Nachhaltigkeit stößt hingegen an Grenzen, wenn sich Profitinteressen mit der Angst vor Destabilisierung verbinden. Die für Kasachstan sehr wichtige Ölindustrie etwa ist gekennzeichnet durch prekäre Arbeit und die Marginalisierung unabhängiger Gewerkschaften. Die globale Debatte über »grüne Industrialisierung« und die Entkopplung von Wachstum und Umweltschäden steckt noch in den Anfängen; für Schwellen- und Entwicklungsländer fehlen auf der Makroebene noch eigene oder »importierbare« Diskurse, anwendbare Policymodelle sowie Beratung und Finanzierungsmodelle für eine »grüne Industrialisierung«.
Weil Fortschritte in der Nachhaltigkeit aufgrund dieser Dilemmata so schwierig zu erzielen sind, nutzen die Regierungen der zentralasiatischen Länder zum einen technokratische Ansätze mit begrenzten Erfolgen. Zum anderen werden globale Nachhaltigkeitsdiskurse gezielt bespielt, um auf der internationalen Bühne von Kritik abzulenken. Turkmenistan und Tadschikistan werden wegen massiver Menschenrechtsverletzungen schon lange immer wieder kritisiert. Auch Kasachstan ist zurzeit verstärkt Kritik ausgesetzt, nachdem die Regierung 2019 regimekritische Proteste mit Massenfestnahmen beantwortet hat.
Trotz dieser Dilemmata sollte sich die EU nicht von einer Nachhaltigkeitskooperation mit Zentralasien verabschieden, müsste diese aber entsprechend anpassen. Nachhaltige Entwicklung ist ein Bereich, bei dem sowohl gemeinsame Interessen mit den Regierungen vor Ort bestehen können als auch unmittelbare Vorteile für die Gesellschaften erzielt werden können.
Bei der Projektauswahl und -vermittlung sollte die EU zwei Aspekte beachten:
(1) Best cases mit starkem Alltagsbezug. Es sollten nur solche Projekte ins Auge gefasst werden, die wirtschaftlich vernünftig und tragbar sind, dabei gleichzeitig einen hohen gesellschaftlichen und ökologischen Nutzen haben, indem sie beispielsweise spürbare Veränderungen im Alltagsleben von Stadtbewohnern bewirken und / oder Arbeitsplätze schaffen. Die wachsende globale Nachfrage nach ökologisch und sozial nachhaltigen Produkten ist eine große Chance für Zentralasien, vornehmlich für die Modernisierung der usbekischen Wirtschaft.
(2) Fokus auf der Partizipation. Da eine rein technokratische Förderung von Nachhaltigkeit nicht funktioniert, sollten Projekte partizipativ gestaltet und realisiert werden, sodass Probleme vor Ort behoben und SDGs umgesetzt werden können. Konkret kann das zum Beispiel in sogenannten Reallaboren stattfinden, in denen Wissenschaftler, die Bevölkerung sowie lokale kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) gemeinsam Probleme analysieren und zukunftsfähige Lösungen erarbeiten. Bereits heute fördert die EU partizipative Formate auch in den autoritären Staaten der Region, etwa im Rahmen der Stadtentwicklung Almatys. Wenn Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus Zentralasien und der EU (neben dem Staat und Entwicklungsexperten) einbezogen werden, ermöglicht das spillover-Effekte in den Privat- und den Bildungssektor, darüber hinaus intensiviert es die Zusammenarbeit zwischen Forschung und staatlicher Planung.
Beispiele für konkrete Projekte
Die folgenden Ideen dienen als Anregung; die angedachten Projekte sind für eine nachhaltige Entwicklung von hoher Relevanz, berücksichtigen lokale Bedarfe und bieten Alleinstellungsmerkmale für die EU. Sie beziehen sich auf die Politikfelder Energiewende / Klimapolitik, Landwirtschaft, Nachhaltige Städte sowie Förderung und Vernetzung innovativer Akteure.
Energiewende und Klimapolitik
Zentralasien leidet überproportional unter dem Klimawandel, es ist mit steigender Wasserknappheit und Dürren zu rechnen. Wegen geringer Bevölkerungszahlen gehören die fünf Länder nicht zu den global führenden Emittenten von Treibhausgasen. Kasachstan und Turkmenistan zählen allerdings zu den größten Pro-Kopf-Emittenten von Kohlenstoffdioxid (CO2) weltweit. In Kasachstan ist der von Kohle dominierte Energiesektor für 82 Prozent der Emissionen verantwortlich. In Kirgistan und Tadschikistan produzieren zwar große Wasserkraftwerke über 90 Prozent des Stroms; durch die vom Klimawandel verursachte Gletscherschmelze, schwankende Niederschläge und die Zunahme extremer Wetterereignisse drohen jedoch zukünftig Kapazitätseinbußen. Die Verfügbarkeit von Wasser schwankt zudem saisonal, die Nutzung muss mit den Unterliegerstaaten abgestimmt werden, die wasserintensive Landwirtschaft betreiben. Im Winter müssen Strom, Öl, Gas und Kohle importiert werden. Deshalb investieren Kirgistan und Tadschikistan mittlerweile verstärkt in die eigene Kohleförderung.
Maßnahmen für mehr Energieeffizienz wären vielversprechend, um eine bessere Wirtschaftlichkeit zu erzielen. Daten aus Kasachstan und Usbekistan zeigen, dass die Länder zu den energieintensivsten Volkswirtschaften der Welt gehören. In der Zukunft werden alle Länder der Region mit steigenden Strompreisen konfrontiert werden, weil alte sowjetische Kraftwerke und das Stromnetz modernisiert werden müssen. Hohe Subventionen wie bisher können dann nicht mehr gezahlt werden.
Für erneuerbare Energien engagiert sich die EU in Zentralasien bislang kaum. Eine stärkere Förderung durch ein speziell für diese Region konzipiertes Programm würde sich für alle fünf Länder lohnen. Nicht nur in Kasachstan, sondern vor allem in Usbekistan besteht gegenwärtig eine große Kooperationsbereitschaft in diesem Bereich. Ein umfassender Ausbau von Wind- und Solarenergie im Strom- und Wärmesektor verspricht spürbare positive Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit und damit auf das Alltagsleben vor Ort (siehe SWP-Aktuell 8/2019). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt viele Todesfälle pro Jahr in Zentralasien auf die schlechte Luftqualität außer- und innerhalb von Gebäuden zurück.
Ein Engagement im Energiebereich könnte zudem Kasachstan unterstützen, seine freiwilligen Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen nicht aus den Augen zu verlieren (Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2030 zwischen 15 und 25 Prozent im Vergleich zu 1990). Zwar hat Kasachstan formal Konzepte für die Energiewende entwickelt und 2013 als erstes Land in Asien den Emissionshandel eingeführt. Weil es aber die Öl- und Kohleförderung weiter ausbaut, wird es kaum in der Lage sein, seine nationalen Ziele im Rahmen des Pariser Abkommens zu erreichen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten einen Dialog und eine Forschungskooperation zu der Frage anbieten, mit welchen ökonomisch realistischen und sozial verträglichen Alternativen Kasachstan seinen Ausstoß von Treibhausgasen verringern kann.
Die EU kann in Zentralasien, auch in Ergänzung zu anderen Akteuren wie Russland und China, einen Mehrwert schaffen, indem sie ihr Hauptaugenmerk auf lokales Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und öffentliche Gesundheit legt. Dafür sollte sie sich erstens auf mittelgroße und kleinere Projekte zu erneuerbaren Energien konzentrieren. Insbesondere Projekte auf Gemeindeebene sind für die Einheimischen von Nutzen und verleihen der EU Sichtbarkeit in der Region. In abgelegenen ländlichen Gebieten, etwa in Kirgistan und Tadschikistan, sind Off-Grid-Anlagen sowie Solar-Home-Systeme empfehlenswert. Bei Installation, Betrieb und Wartung profitiert eher die lokale Wirtschaft als bei Großprojekten wie der 100-Megawatt-Anlage »Burnoye Solar« in Kasachstan.
Zweitens eignen sich mit Blick auf die Schaffung von Arbeitsplätzen Multistakeholder-Projekte, die neben staatlichen Akteuren Forscherteams und lokale KMUs einbeziehen (eventuell in Kooperation mit europäischen) und sie für die Energiewende fit machen. In Kasachstan gibt es einige clean energy start-ups, in Usbekistan sticht das junge, preisgekrönte Start-up »Green Business Innovation« aus Taschkent hervor. Die EU hat bereits Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Start-ups in den Ländern der Östlichen Partnerschaft gesammelt, im Rahmen des Programms »EU4Business«; darauf könnte sie für ihr Engagement in Zentralasien zurückgreifen. Das Programm »SWITCH-Asia and Central Asia II«, das nachhaltige Produktion und nachhaltigen Konsum in der Region fördert und in erster Linie KMUs unterstützt, kann dabei eine wichtige Rolle spielen. Überdies ist eine Einbindung technischer Fakultäten sinnvoll, in denen Ingenieure für Installation und Betrieb der Energieanlagen ausgebildet werden. Zum Beispiel bietet die Deutsch-Kasachische Universität (DKU) in Almaty Programme für die Ingenieursausbildung im Bereich erneuerbare Energien an. Und nicht zuletzt kann die Bevölkerung als Nutzerin von Energie mitberücksichtigt werden bei Forschung und Planung in Reallaboren.
Die Projekte sollten auch dafür genutzt werden, konkrete administrative Hürden zu identifizieren ebenso wie politische Anreize für die Förderung einer dezentralen und Arbeitsplätze schaffenden Energiewende.
Große Projekte zur Förderung der Solar- und Windenergie sind für ausländische Investoren attraktiv; im Gegensatz dazu ist es für KMUs und kleinere Projekte oft schwierig, eine Finanzierung zu erhalten. Um den Ausbau dezentraler erneuerbarer Energien voranzubringen und längerfristig sicherzustellen, sollte die EU neue Finanzierungsmöglichkeiten anbieten, beispielsweise indem die Europäische Investitionsbank (EIB) stärker einbezogen wird. Im November 2019 hat die EIB angekündigt, weltweit 1,5 Milliarden Euro in erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu investieren. Auch das »Central Asia Invest«-Programm der EU, das bisher eher KMUs aus anderen Bereichen der Wirtschaft gefördert hat, könnte Gelder für lokale KMUs aus dem Energiesektor bereitstellen.
Landwirtschaft
Landwirtschaft betrifft als Querschnittsthema zahlreiche Nachhaltigkeitsziele der VN wie Hunger- und Armutsbekämpfung, Arten- und Bodenschutz. Für die zentralasiatischen Staaten ist sie ein wichtiger wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Bereich: Ihr gesamtwirtschaftlicher Beitrag liegt bei bis zu 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (Kirgistan, Usbekistan), der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft rangiert zwischen 15 Prozent (Kasachstan) und 51 Prozent (Tadschikistan). Zudem lebt ein hoher Anteil der Bevölkerung im ländlichen Raum – in Tadschikistan etwa 70 Prozent. Daher dürfte ein nachhaltiger Agrarsektor sich wirtschaftlich und gesellschaftlich auf den Alltag großer Bevölkerungsteile auswirken.
Die konkrete Struktur der Landwirtschaft unterscheidet sich stark innerhalb der Region und reicht von Exportorientierung (Kasachstan, Usbekistan) bis zu Subsistenzwirtschaft (Tadschikistan). Laut der Food and Agriculture Organization der VN leidet zwar keines der fünf Länder unter Hungerkrisen, die humanitäre Hilfe verlangten. Dennoch spielen Hunger und Unterversorgung in Tadschikistan eine Rolle; 2017 waren dort 30 Prozent der Menschen unterernährt.
Ein Ausbau des ökologischen Landbaus könnte eine klimatisch widerstandsfähige Landbewirtschaftung begünstigen, was dieser für den Klimawandel anfälligen Region zugutekäme. Darüber hinaus könnte er wirtschaftlich interessant sein: In der EU wächst die Nachfrage nach ökologisch hergestellten Produkten. Die oft extensive und klein strukturierte Landbewirtschaftung in Teilen Zentralasiens eignet sich für ökologischen Anbau. Entscheidend für den Zugang zum EU-Markt ist freilich eine Zertifizierung gemäß den EU-Standards für Ökoprodukte. Hierfür sind Kontrollinstitutionen vor Ort nötig, deren Aufbau die EU unterstützen kann. Um eine aufwendige produktspezifische Einzelanerkennung zu vermeiden, könnte das gesamte Kontrollsystem der zentralasiatischen Länder akzeptiert werden – wie es ein Äquivalenzabkommen anstrebt. Wegen der geringeren Anzahl von Kontrollen erleichtert es den Marktzugang. Erfüllen die Produkte aus Zentralasien die strengen Ökostandards der EU, könnten sie auch in anderen Ländern leichter eine Zulassung bekommen, etwa in China.
Eine stärkere Einbindung in nachhaltige regionale und europäische Lieferketten nützt einer ökologischen Ausrichtung ebenfalls; zusätzlich ermöglicht sie eine höherwertige Landbewirtschaftung mit mehr und anspruchsvoller Beschäftigung, wenn nicht nur Agrarrohstoffe, sondern auch verarbeitete Produkte hergestellt und gehandelt werden. Ausschlaggebend hierfür sind neben der Einhaltung und Zertifizierung der Produktionsstandards Zollbestimmungen und Herkunftsregelungen: Die meisten zentralasiatischen Staaten genießen bereits große Zollfreiheit im EU-Markt. Allerdings wäre es wichtig, dass sie auch Rohstoffe aus anderen Ländern zur eigenen Verarbeitung beziehen können, ohne die für sie geltenden individuellen Zollvergünstigungen für Endprodukte zu verlieren. Mittels großzügiger Herkunftsregeln in bestehenden Abkommen ließe sich das festschreiben.
Eine Verbesserung der Produktivität kann die Nutzungseffizienz der Ressourcen steigern, ohne diese weiter zu belasten. Eine steigende inländische Produktion kann die Nahrungsversorgung verbessern. Hierzu kann die EU Erfahrungen mit ihrer eigenen Agrarpolitik beisteuern, insbesondere mit ihren vielen, auch lokalen bottom-up-Maßnahmen für den ländlichen Raum – ohne jedoch die eigenen Fehler zu wiederholen, die teilweise zu großer Ressourcenbelastung geführt haben (etwa in Deutschland und den Niederlanden zur Belastung des Grundwassers mit Nitrat). Gelernt werden kann ferner aus den best cases, zum Beispiel im Bereich Artenvielfalt und Bodenschutz.
Hilfreich wäre ebenfalls Unterstützung bei der Formulierung einer Agrarpolitik, die zwei Ziele vereint: einerseits länderspezifische Ansätze für Reformen hin zu mehr Nachhaltigkeit, die den jeweiligen Verhältnissen Rechnung tragen (in Kasachstan und Kirgistan ist der Agrarsektor eher marktorientiert, Usbekistan hat im Oktober 2019 die Privatisierung des Agrarsektors beschlossen). Andererseits kann Zentralasien von anderen Regionen lernen, die einen regional koordinierten Ansatz verfolgen und damit ihre Position Dritten gegenüber stärken. Dies zeigt etwa die Afrikanische Union (AU) mit ihrem »Comprehensive Africa Agriculture Development Programme« (CAADP), das von der EU unterstützt wird.
Klimafolgen durch den Konsum von Agrarprodukten betreffen alle Staaten und können bei – gewolltem – wirtschaftlichem Wachstum in Zentralasien zum Problem werden: Der schon jetzt hohe Fleischkonsum ist verbunden mit erheblichem Methanausstoß in der Tierhaltung und könnte durch die wirtschaftliche Entwicklung der Region noch steigen. Da auch die EU betroffen ist, könnten beide Seiten gemeinsam überlegen, wie Tierhaltung reglementiert und Fleischkonsum reduziert werden kann.
Nachhaltige Städte
Die Städte Zentralasiens wachsen. Hauptursachen sind das Bevölkerungswachstum und die Binnenmigration. Kasachstans Urbanisierungsquote beispielsweise liegt derzeit unter 60 Prozent, die Regierung erwartet einen Anstieg auf 70 Prozent bis 2050. Gleichzeitig leiden die Städte unter hoher Luftverschmutzung. Hinzu kommen die Folgen der Erderwärmung, die Anpassungsstrategien auch in den Städten notwendig machen. Dadurch erhalten Fragen danach, wie Städte ressourcenschonend und lebenswert (um)gestaltet werden können, eine strategische Bedeutung. Um ihre angestrebte Urbanisierungsquote zu erreichen, müssen Staaten wie Kasachstan und Usbekistan günstigen Wohnraum schaffen. Durch Investitionen in nachhaltige Städte werden mittel- und längerfristig Kosten eingespart, die Lebensqualität erhöht und damit die wirtschaftliche Produktivität verbessert. Lebenswerte Städte sind für Zentralasien darüber hinaus von Belang, um im globalen Wettbewerb um Talente bestehen zu können.
Die Global Commission on the Economy and the Climate hebt drei Eigenschaften nachhaltiger Städte hervor: Sie sind »kompakt«, das heißt so geplant, dass die soziale Mischung erhalten bleibt und klimaneutrales Wirtschaften und Leben ermöglicht wird; sie sind »vernetzt« durch innovative, umweltfreundliche Transportsysteme; sie sind »koordiniert«, indem effektive Institutionen die kooperative Stadtentwicklung durch den privaten und öffentlichen Sektor gewährleisten. Die Transformation hin zu nachhaltigen Städten folgt indes keinem Baukastenprinzip und ist auch in der EU unterschiedlich weit vorangeschritten. Für die Kooperation mit Zentralasien kann genau das ein Vorteil sein, weil sich die Stadtplaner mit ähnlich grundsätzlichen Fragen beschäftigen müssen.
Ein erster Schritt für die verstärkte Vernetzung und Wissensdiffusion läge darin, zentralasiatische Stadtplaner, Stadtpolitiker und die Zivilgesellschaft in europäische Netzwerke für urbane Nachhaltigkeit einzubinden. Dafür müsste die EU ihren eigenen Vernetzungsinitiativen und Projekten eine klare außenpolitische Komponente hinzufügen. Relevant sind zum Beispiel das »Innovate4Cities«-Netzwerk und das »European Green Capital Network« (EGCN), die die Forschung zur städtischen Klimaanpassung koordinieren und Nachhaltigkeitsstrategien europäischer Städte auszeichnen. Die EU könnte Zentralasien zudem in ihr Forschungsprogramm zu nachhaltigen Städten einbeziehen, das im Nachfolgeprogramm von »Horizon 2020« nochmals deutlich aufgestockt werden soll. Ein potenzieller Kooperationspartner ist die Asian Development Bank (ADB), die seit 2017 emissionsarme Stadtentwicklung in der Region fördert.
Für expandierende Städte wie Almaty und Taschkent wäre ein Austausch zu nachhaltigen Stadtquartieren und nachhaltigem Wohnen vielversprechend. Neben Fragen der Energieeffizienz beim Bauen geht es bei der Planung von Wohnsiedlungen darum, ökologische und soziale Aspekte zu berücksichtigen. Die EU kann mittlerweile diverse Leuchtturmprojekte zu nachhaltigen Stadtquartieren vorweisen; Beispiele finden sich in der wirtschaftlich pulsierenden Hauptstadt Helsinki und in Bottrop im Ruhrgebiet, einer Stadt, die einen starken Strukturwandel durchlaufen hat.
Ein weiteres Kooperationsfeld könnte die Förderung des Fahrradverkehrs sein. Städte, in denen es bereits gesellschaftliche Bewegungen für das Radfahren sowie erste Ansätze einer Fahrradpolitik gibt, sind Almaty, Bischkek und Taschkent. Um den Ausbau des Fahrradverkehrs voranzutreiben, sollten weniger Lifestyle-Argumente bemüht werden als vielmehr ökonomische, soziale und ökologische Fakten. Die Investitionskosten in die Infrastruktur für Fahrräder sind vergleichsweise gering, die Vorteile überwiegen: Der Umstieg auf das Rad reduziert den Autoverkehr und Staus, verbessert die Luftqualität und hat einen positiven Gesundheitseffekt. Öffentliche Ausgaben und Produktivitätseinbußen werden langfristig verringert. Die Investitionskosten zahlen sich so nicht nur bald aus – in »erfolgreichen« Fahrradstädten wie Kopenhagen führt der Fahrradverkehr sogar zu einem volkswirtschaftlichen Gewinn. Das haben auch osteuropäische Städte erkannt, etwa Katowice in Südpolen. Weitere Beispiele wie Oslo und Sevilla zeigen, dass die Förderung des Radverkehrs unabhängig von den klimatischen und topographischen Bedingungen ein Erfolg sein kann.
Europäische Stadtplaner und Ingenieursfirmen verfügen über langjährige Erfahrungen in der Förderung des Fahrradverkehrs und im Bau von Fahrradschnellwegen; Letztere schaffen insbesondere für Pendler eine Alternative zum motorisierten Individualverkehr. Stadtplanung, Wohnen und urbane Mobilität sind unmittelbar mit dem Lebensalltag von Menschen verknüpft. Als Nutzer von Infrastrukturen können Stadtbewohner sowohl in die angewandte Forschung mit eingebunden werden als auch bei der Planung partizipieren.
Für Zentralasiens Städte interessant sind darüber hinaus digitale Mobilitätskonzepte aus Europa, wie sie derzeit etwa mit dem »EIT [European Institute of Innovation and Technology] Urban Mobility«-Projekt entwickelt werden. Da sie als Staaten relativ klein und schwach sind, ist für die zentralasiatischen Länder eine technologische Abhängigkeit von China und Russland riskant; außerdem drohen sie den Zugriff auf eigene Mobilitätsdaten zu verlieren. Die Verfügbarkeit dieser Daten ist aber Voraussetzung dafür, lokale Mobilitätskonzepte zu erarbeiten, zum Beispiel durch einheimische Start-ups, und dafür, dass neue Arbeitsplätze entstehen. Die EU könnte hier offensiv für eine Zusammenarbeit werben, bei der gemeinsam transparente und quelloffene Technologien in unterschiedlichen Bereichen entwickelt bzw. an die lokalen Bedürfnisse angepasst werden. So könnte etwa das weit verbreitete Marschrutka-System (Minibusse, die als Sammeltaxis fungieren) durch digitale Technologien optimiert werden. Im Rahmen dieser Kooperation kann Technologie stärker in den Dienst einer ökologischen Modernisierung gestellt werden. Weit fortgeschritten sind Wissen und Technologien in Städten wie Barcelona und Wien.
Ökologisch und sozial orientierte Start-ups fördern und vernetzen
Für die Umsetzung der SDGs bedarf es nicht nur technologischer, sondern auch sozialer und wirtschaftlicher Innovationen. Sogenannte Zebras sind Start-ups, die ökonomisch tragfähige Geschäftsmodelle ausarbeiten und zugleich das Ziel verfolgen, ökologisch nachhaltige Produkte oder Dienstleistungen anzubieten oder primär einen gemeinwohlorientierten Mehrwert zu generieren (social and sustainable entrepreneurship). Diese Start-ups können viel zur Realisierung der SDGs beitragen, weil sie mit neuen Formen des Wirtschaftens experimentieren, aber auch Arbeitsplätze vor Ort schaffen. Viele von ihnen sind in der Kreislaufwirtschaft oder der Textilbranche tätig, in Design, Technologie und Digitalisierung.
In der EU sind etliche ökologische und soziale Start-ups ansässig, von denen sich einige in Netzwerken zusammengeschlossen haben. In den Metropolen Zentralasiens, vor allem in Almaty, gibt es ebenfalls Anlauf- und Vernetzungsstellen (hubs) für nachhaltige und soziale Unternehmer. Unabhängig davon hat sich in den Gesellschaften der Region eine Kultur des Reparierens erhalten; so bieten Kleinunternehmer Reparaturen von Mobiltelefonen an.
Neben finanzieller Förderung und Trainings sind diese Start-ups auf eine öffentliche Infrastruktur angewiesen, mit der sie neue Ideen und Verfahren erproben können. Dazu gehören unter anderem makerspaces, in denen sie komplexe Technologien ebenso wie analoge Geräte vorfinden, etwa 3D‑Drucker oder Nähmaschinen. Die EU könnte in den zentralasiatischen Metropolen solche makerspaces einrichten oder mit existierenden kooperieren, zum Beispiel in Almaty, und dort einen Schwerpunkt auf nachhaltige Digitalisierung und Technologien sowie analoge Produktentwicklung legen. Schließlich würde die Vergabe von Reisestipendien die Vernetzung und den Austausch zwischen nachhaltigen und sozialen Unternehmern aus der EU und Zentralasien erleichtern.
Sichtbarkeit und Monitoring
Eine Förderung nachhaltiger Entwicklung ist sinnvoll, weil die Wirtschaftspolitiken Zentralasiens noch nicht nachhaltig sind. Aber auch die EU-Außenwirtschaftspolitik gegenüber der Region kann nachhaltiger werden, was wiederum ein explizites, neues Ziel der SDGs ist. Während es in vielen EU-Mitgliedstaaten eine sichtbare, gesellschaftlich getragene Bewegung für ökologische Modernisierung gibt, spielt das Thema in Zentralasien eine noch sehr untergeordnete Rolle. Eine Nachhaltigkeitskooperation würde hauptsächlich der Bevölkerung zugutekommen, wäre jedoch auch mit den Interessen der Eliten vereinbar. Allerdings kann selbst eine solche Art der Kooperation autoritäre Macht stabilisieren, nämlich indem sie die Legitimität des Regimes verbessert.
Die Förderung nachhaltiger Entwicklung anhand von Projekten, die praxisbezogen, sicht- und nutzbar sowie möglichst reproduzierbar sind, dürfte die Sichtbarkeit der EU in Zentralasien erhöhen. Dieser Effekt könnte durch die Gründung einer »EU Academy for Sustainability« in der Region, beispielsweise in Bischkek, verstärkt werden. Aufgabe der Akademie wäre es, intraregionale Nachhaltigkeitskooperation, den Wissenstransfer mit zentralasiatischen Bildungseinrichtungen und den Austausch mit Akteuren aus der EU zu fördern. Die Nachhaltigkeitskooperation kann noch effektiver werden, wenn weitere Partner sowohl von innerhalb (Deutschland, Frankreich) als auch außerhalb der EU sich beteiligen, ebenso wie Expertennetzwerke wie das »Sustainable Development Solutions Network« (SDSN). Nicht zuletzt sollte die EU das Monitoring und Reporting der SDGs in der Region unterstützen, um ein kontinuierliches Bewusstsein vor Ort zu schaffen, noch zu lösende Schwierigkeiten zu identifizieren und Erfolge bekannt zu machen.
Dr. Sebastian Schiek war bis Juli 2019 Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien und ist zurzeit Visiting Fellow am Osteuropainstitut der Freien Universität Berlin. Yana Zabanova ist Gastwissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien und promoviert zur Energiewende in Kasachstan und Russland. Dr. agr. Bettina Rudloff ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe EU / Europa.
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doi: 10.18449/2020A04