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Deutschlands globale Gesundheits­strategie europäisch vernetzen

Eine Analyse von Schwerpunktsetzungen und Koordinationspotentialen in EU-Partnerländern

SWP-Aktuell 2024/A 44, 04.09.2024, 8 Seiten

doi:10.18449/2024A44

Forschungsgebiete

Der deutsche Review-Prozess zur globalen Gesundheitsstrategie bietet die Chance, einen stärkeren Fokus auf die horizontale Verzahnung der deutschen Bemühungen mit denen europäischer Partner zu legen. Dies ist dringend notwendig, da das deut­sche Konzept bislang wenig Bezug auf die EU nimmt und die Mitgliedstaaten voll­ständig ausklammert. Die Berücksichtigung der strategischen Prioritäten dieser Akteure durch Deutschland würde es aber sowohl ermöglichen, geschlossen und kohärent vorzugehen, als auch, in einzelnen Politikbereichen neue Partnerschaften zu bilden. Ansatzpunkte dafür liefert eine systematische Analyse von Strategietexten anderer EU-Regierungen. Die Identifikation von Schwerpunkten zeigt, wo Andock­stellen für eine bessere Vernetzung und Koordination mit den globalen Gesundheitspolitiken ande­rer EU-Staaten liegen. Auf diese Weise können die für Deutschland besonders relevanten Partner in einzelnen Handlungsfeldern bestimmt und blinde Flecken deutscher globaler Gesundheitspolitik aufgedeckt werden.

Der Review-Prozess zu der im Oktober 2020 veröffentlichten Strategie der Bundesregierung zur Globalen Gesundheit bietet die Gelegenheit, Bilanz zu ziehen und Kor­rekturen bei der Umsetzung bis 2030 vor­zunehmen. Neben der Evaluation von Vorhaben, mit denen die gesetzten Ziele erreicht werden sollen, empfiehlt es sich, den Blick auch auf die Strategiedokumente europäischer Partner zu richten.

Seit der Veröffentlichung der deutschen Strategie haben sowohl die EU als auch eine kleinere Gruppe von Mitgliedstaaten eigene Konzepte vorgelegt. Wie Deutschland setzen diese Akteure eigene Schwerpunkte und benennen spezifische Ziele. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht, dass alle Strategien wenig Bezug aufeinander nehmen und die eigene Rolle in der globalen Gesundheit, das heißt bei der internationalen Bekämpfung von Krankheiten, der Stärkung von Gesund­heitssystemen und Gesundheitsgerechtig­keit und bei Forschung und Inno­vation, größtenteils isoliert betrachten. Das deut­sche Dokument etwa schlägt keine Brücke zu europäischen Partnern und erwähnt die EU nur in Randbereichen. Gleiches gilt für die Strategien der übrigen Mitgliedstaaten und für die EU, die ebenfalls keinen Bezug auf andere Strategien nimmt und stets alle Mitgliedstaaten zusammen adressiert.

Obwohl die EU neben ihren eigenen Be­mühungen auch die Plattform bildet für die Koordination der einzelstaatlichen Maß­nahmen, mangelt es an Ansätzen zur Be­standsaufnahme von Schwerpunkten und zu einer besseren Abstimmung der Aktivi­täten. Dies ist aber dringend nötig, um eine Fragmentierung zu verhindern und stra­te­gische Partnerschaften in einzelnen Hand­lungsfeldern anzubahnen. Eine Analyse der Prioritäten, die die EU und ihre Mitgliedstaaten in den jeweiligen Strategiedokumen­ten niedergelegt haben, gibt Aufschluss darüber, welche Länder als Kooperationspartner für Deutschland inter­essant sind.

Bündelung der EU-Ansätze

Bereits vor der Covid-19-Pandemie hat die EU Drittländer bei der Bewältigung von Gesundheitsproblemen unterstützt. Das Engagement, das auf einer weiten Definition von »globaler Gesundheit« beruht, wird dabei auch als Teil der Entwicklungszusam­menarbeit verstanden. Es geht indes über diese hinaus und berührt verschiedene Be­reiche des externen Handels der EU. Die EU verfügt hierbei über einen deutlich größe­ren Handlungsspielraum als im Innenverhältnis, das durch stark beschränkte gesundheitspoli­tische Zuständigkeiten gekennzeichnet ist.

Die unterschiedlichen Ambitionen und Ansätze wurden – getrieben durch die Pan­demie – im November 2022 in der »Global Health Strategy« erstmals gebündelt. Für deren Umsetzung baut die EU auf das »Team Europe«-Format. Inhaltlich verfolgt die Strategie drei Ziele: Erhöhung der globa­len Gesundheitssicherheit, Stärkung der Ge­sund­heitssysteme sowie Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden. Zur Gesund­heitssicherheit zählen das Verhindern bzw. schnelle Eindämmen von Bedrohungen wie Pandemien und antimikrobielle Resistenzen im Verbund mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Stärkung der Ge­sundheitssysteme umfasst die Sicherstellung universeller Versorgung und die Ver­besse­rung der Infrastruktur und der Ausbildung von Fachkräften. Die Förderung von Ge­sund­heit und Wohlbefinden schließlich zielt darauf ab, Ungleichheiten zu bekämpfen, die Ernährungsversorgung und psychische Gesundheit zu verbessern und die sozio-ökonomischen Determinanten der Gesund­heit zum Positiven zu verändern. Um die Strategie umzusetzen, sollen zudem detail­lierte Aktionspläne entwickelt und regel­mäßige Evaluierungen durchgeführt wer­den. Das »Global Health«-Dokument er­wähnt hier aber nur interministerielle Treffen und eine Koordinierung im Rahmen des »Team Europe«-Ansatzes.

Insgesamt liegt der inhaltliche Mehrwert der EU für die Mitgliedstaaten damit in den umfangreichen Investitionen in Gesundheits­sicherheit und Gesundheitssysteme, in der technischen Unterstützung und Fähig­keit zur Krisenreaktion sowie in dem wirt­schaftlichen und politischen Einfluss, der die Verfolgung eines »Health in all Policies«-Konzepts ermöglicht. Ein Mehrwert aus der Koordinierung der europäischen Ansätze ist jedoch noch nicht erkennbar. Diesen zu generieren ist umso wichtiger, als ein ober­flächlicher Blick auf die EU-Strategie ge­nügt, um festzustellen, dass diese aufgrund des Um­fangs notwendigerweise Überlappungen mit den Agenden der Mitgliedstaaten und damit auch Deutschlands aufweist.

Globale Strategie Deutschlands

Das deutsche Engagement im Bereich der globalen Gesundheit findet seinen Aus­druck in einer langen Tradition von Initia­tiven auf internationaler Ebene, die zu­neh­mend von Konzeptpapieren begleitet wer­den. Die Strategie der deut­schen Bundes­regierung von 2020 definierte fünf Haupt­ziele: Gesundheit fördern, Um­welt und Gesundheit zusammen angehen, Gesundheitssysteme stärken, grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren begegnen sowie Forschung und Innovation fördern.

Deutschland bekennt sich zur Unterstützung der WHO und will die Kooperationen zur Verbesserung der globalen Gesundheits­governance voranbringen. Zur Prävention und Kontrolle von Pandemien und anderen Gesundheitsbedrohungen sollen internatio­nale Gesundheitsinitiativen gestärkt wer­den. Dazu zählen auch die Förderung der Resilienz und Zugänglichkeit von Gesund­heitssystemen, die Verbesserung von Gesund­heitsinfrastrukturen und die Aus­bildung von Gesundheitspersonal. Bei all diesen Maßnahmen soll auch darauf geach­tet werden, dass Ungleichbehandlungen im Gesundheitssektor überwunden werden. Forschung und Innovation sollen durch die Unterstützung der Entwicklung neuer Medikamente, Impfstoffe und Technologien vorangetrieben werden.

Mit Blick auf die Instrumente, mit denen diese Ziele umgesetzt werden sollen, nennt die Strategie den deutschen Einsatz in inter­nationalen Foren und Netzwerken, finan­zielle Unterstützung für Gesundheitsinitiativen und die Fokussierung auf politische Kohärenz. Unterstrichen wird die Verpflichtung zur globalen Solidarität und zum uni­versellen Recht des Menschen auf Gesundheit. Im Einklang damit wird ein integrierter Ansatz zur Bewältigung globaler Gesund­heitsprobleme verfolgt. Der EU kommt in dem Dokument ein eher bescheidener Part zu. Sie habe die Möglichkeit, durch »inno­vationsfreundliche Regelungen« internationale (Datenschutz)Standards zu setzen. Dies steht im Widerspruch zu den oben skizzier­ten Ambitionen der EU. Zudem schreibt Deutschland der EU-Ebene nicht explizit die Aufgabe der Koordination des mitgliedstaat­lichen Handelns zu. Die Rolle anderer EU-Mitglieder wird gar nicht berücksichtigt.

Strategien anderer Mitgliedstaaten

Während zahlreiche Mitgliedstaaten der EU Leitlinien zur Verbesserung der nationalen Gesundheit veröffentlicht haben, gaben sich nur Frankreich, die Niederlande und Schweden wie Deutschland auch eine Stra­tegie zur globalen Gesundheit.

Die »Stratégie Française en Santé Mon­diale« wurde Ende 2023 vorgelegt. Sie steht ganz im Zeichen von »Universal Health Coverage« (UHC) und richtet den Fokus auf die Bekämpfung von Krankheiten und die bessere Anti­zipation, Prävention und Re­aktion auf Gesundheitskrisen. Das Doku­ment setzt Schwerpunkte bei den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs), der Über­windung von Ungleichheiten und dem Klimawandel. Es bekennt sich zum »One Health«-Ansatz und zum Schutz der Men­schenrechte und französischer Werte.

Die Strategie der Niederlande, die »Neder­landse Mondiale Gezondheidsstrategie« von 2023, folgt einem leicht anderen Ansatz, indem explizit die Stärkung der globalen Gesundheitsarchitektur anderen Anliegen übergeordnet wird. Pandemievorsorge und ‑bekämpfung und die gesundheitlichen Implikationen des Klimawandels stehen auch in dem niederländischen Dokument oben auf der Agenda. Bei der konkreten Ausgestaltung dieser Prioritäten weicht es jedoch von anderen Strategien ab, indem es Schwerpunkte auf sexuelle und reproduk­tive Gesundheit und Rechte (SRHR), anti­mikrobielle Resistenzen, eine nachhaltige Gesundheitsversorgung und den Zugang zu medizinischen Gütern legt.

Einen ganz anderen Ansatz hat Schweden mit seiner »Strategi för Sveriges samarbete med Världshälsoorganisationen (WHO)« ge­wählt. Das 2021 vorgelegte Konzept betrach­tet die Ziele Schwedens explizit durch die Linse des Wirkens der WHO und legt fest, in welcher Weise die UN-Organisation in bestimmten Tätigkeitsbereichen durch die schwedische Regierung unterstützt werden soll. Weitere zentrale Aspekte sind das Er­reichen der SDGs, die Umsetzung von UHC, die Verbesserung der globalen Gesundheits­architektur und eine im weitesten Sinne ver­standene Förderung des gesunden Lebens. Allein dieser kurze Über­blick zeigt, wie unterschiedlich die Akzente gesetzt werden.

Systematische Textanalyse

Die systematische Untersuchung der Stra­te­giedokumente folgt den Methoden der Text­analyse. Betrachtet werden Worthäufig­keiten und die Erwähnung bestimmter Themen. Dies ermöglicht es, die inhaltliche Dis­tanz zwischen den Konzepten zu mes­sen, die Kernpunkte zu synthetisieren und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Texten herauszuarbeiten.

Distanzen zwischen den Strategien

Grafik 1: Strategien im Vergleich - Textanalyse zur inhaltlichen DistanzGrafik 1

Ein erster Eindruck von den Kongruenzen und Dis­krepanzen zwischen den einzelnen Stra­tegien lässt sich gewinnen, indem die inhaltliche Distanz bestimmt wird. Konkret geschieht dies auf der Basis einer Unter­suchung von Wortwahl und Worthäufigkeit. Dazu wird ein Modell verwendet, das Unterschiede in der Wortverwendung quan­tifiziert und grafisch als eine sogenannte latente Dimension darstellt, hier: Ausrichtung in der globalen Gesundheitspolitik. Durch die Schätzung von Parametern für jedes Doku­ment kann die thematische Position der Texte innerhalb dieser Dimen­sion ermittelt werden. Die eigentlichen Werte der Parameter sind dabei weniger relevant als die relative Distanz der Texte zueinander, die durch die Parameter ausgedrückt wird (siehe Replikationsmaterialien). Die Analyse geht damit über das Zählen ein­zelner Worte und die Priorisierung einzel­ner Aspekte hinaus und er­möglicht die Verortung aller Strategien auf einem Kontinuum, das in Grafik 1 dargestellt ist.

Die Grafik offenbart deutliche Unterschiede in der strategischen Positionierung der EU und ihrer Mitgliedstaaten im Ver­gleich zu Deutschland. Die niederländische Strategie zeigt die größte Nähe zur deut­schen Strategie.

Was am meisten überrascht, ist die Dis­tanz zwischen Deutschland und der EU sowie Frankreich. Auch wenn im Zuge der obigen Zusammenfassung der Strategien noch Synergien identi­fiziert werden konn­ten, zeigt die systema­tische Textanalyse, dass sowohl Frankreich als auch die EU mit einem anderen Blick auf globale Gesundheitspolitik schauen. Dies bedeutet zwar nicht, dass die Strategien im Gegensatz zu­einander stehen, deu­tet jedoch darauf hin, dass es derzeit noch an einer gemeinsamen Sprache und grundsätzlichen Kohärenz des Engagements mangelt. Dies gilt vor allem mit Blick auf die EU, in der Deutschland eine treibende Kraft im Be­reich globale Gesundheit ist. Nicht zuletzt ist die Distanz zwischen den Strategien aber auch Aus­druck unterschiedlicher Schwerpunkt­setzungen.

Schwerpunktsetzung

Die Analyse der Worthäufigkeiten stützt sich auf das Aufkommen bestimmter Be­griffe in den untersuchten Strategien. Da­bei werden zunächst inhaltsarme, aber häufig vorkommende Worte entfernt (Artikel, Pronomen, Präpositionen, Kon­junktionen etc.). Ebenfalls entfernt werden Begriffe wie der Name des jeweiligen Lan­des und andere Worte mit hoher Frequenz, aber wenig Bedeutung im Kontext der Strategien zur glo­balen Gesundheit (z. B. »Gesund­heit«).

Tabelle 1

Worthäufigkeit in den Gesundheitsstrategien
Markierung der Worte mit besonderer Relevanz

Rang

Deutschland

EU

Frankreich

Niederlande

Schweden

1

Research
(Forschung & Entwicklung)

Pandemic
(Grenzüberschreitende Gefahren)

Access
(Zugang zu Gesund­heitsdiensten)

Climate
(»One Health«-Ansatz)

WHO
(WHO/Multi­lateralismus)

2

Systems
(Gesundheitssysteme)

Partners
(Entwicklungs­zusammenarbeit)

Research
(Forschung & Entwicklung)

Pandemic
(Grenzüberschreitende Gefahren)

Organisation
(Multilateralismus)

3

Cooperation
(Internationale Zusammenarbeit)

Systems
(Gesundheitssysteme)

National
(Franz. Gesundheitssystem)

Water
(»One Health«-Ansatz)

Agenda
(Agenda 2030/SDGs)

4

Organisation
(Multilateralismus)

Team
(»Team Europe«-Initiative)

Healthcare
(Gesundheits­versorgung)

Access
(Zugang zu Gesund­heitsdiensten)

Cooperation
(Internationale Zusammenarbeit)

5

Climate
(»One Health«-Ansatz)

Cooperation
(Internationale Zusammenarbeit)

Systems
(Gesundheitssysteme)

Cooperation
(Internationale Zusammenarbeit)

Rights
(Menschenrechte/ SRHR)

Die Ergebnisse der Textanalyse der einzel­nen Strategien sind in Tabelle 1 dar­gestellt. Die Tabelle führt die fünf häufigsten Worte inklusive einer Übersetzung bzw. Interpretation aus dem Kontext der Ver­wen­dung an. Sie zeigt die inhalt­lichen Unterschiede, die bereits bei der ersten An­näherung an die Strategien und der Ana­lyse der Dis­tanzen aufgefallen sind. Dabei offen­baren sich mit Blick auf die beiden häufigs­ten Worte deutliche Unterschiede.

Die deutsche Strategie sticht durch ihre Schwerpunkte auf Forschung und Entwicklung (»Research«) sowie Gesundheitssysteme (»Systems«) hervor. Die EU-Strategie kenn­zeichnet dagegen eine ausführlichere Aus­einandersetzung mit grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren und Pandemien (»Pandemic«) und eine Akzentuierung der Entwicklungszusammenarbeit (»Partners«). Im französischen Dokument haben – ge­messen an der Wort­häufigkeit – wie in der deutschen Stra­tegie Forschung und Ent­wicklung (»Re­search«) einen hohen Stellen­wert. Hier ergeben sich bereits erste inhalt­liche Überlappungen. Daneben wird ein besonderes Augenmerk auf den Zugang zu medizinischen Diensten (»Access«) gelegt, ein Begriff, der in der deutschen Gesundheitsstrategie nicht unter den häufigsten fünf Begriffen vorkommt.

Die niederländische und die schwedische Strategie unterscheiden sich von den zuvor diskutierten. Die Niederlande stellen in ihren Leitlinien Umweltaspekte in den Vor­der­grund, indem sie den »One Health«-An­satz (»Climate«) betonen. Daneben wer­den auch hier grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren priorisiert. Schweden hin­gegen hat sich, wie bereits erwähnt, eine stark auf die WHO zentrierte Strategie gegeben, die damit die größte inhaltliche Distanz zu anderen Strategien aufweist. Dies wird durch die quantitative Textanalyse bestätigt, wo­nach die WHO (»WHO«) sowie der Multi­lateralismus (»Organisations«) in hohem Maße in dem Papier thematisiert werden.

Tabelle 2

Strategische Prioritäten Deutschlands in anderen Gesundheitsstrategien
Ranking anderer Strategien entsprechend der dortigen Priorisierung

Deutsche Prioritäten in anderen Strategien

EU

FR

NL

SE

Top-Partner

Grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren

1

3

2

2

EU

One Health und Planetary Health

2

2

1

3

NL

Forschung und Entwicklung

3

1

3

4

FR

Stärkung der Weltgesundheitsorganisation (WHO)

4

5

6

1

SE

Digitalisierung von Gesundheitssystemen

5

8

9

9

EU

Universal Health Coverage (UHC)

6

4

8

5

FR

Arbeitsschutz/International Labour Organisation (ILO)

7

6

5

7

NL

Antimikrobielle Resistenzen (AMR)

8

10

4

6

NL

Sexual and Reproductive Health and Rights (SRHR)

9

9

7

8

NL

Neglected Tropical Diseases (NTD)

10

7

10

10

FR

Identifikation von Synergien

Während die Betrachtung der Worthäufigkeiten bereits die Schwerpunktsetzungen transparent machen kann, bedarf es in einem zweiten Schritt der Identifikation möglicher Partner für die deutschen Be­mü­hungen in der globalen Gesundheitspolitik. Die EU ist zwar im engeren Sinne kein Part­ner Deutschlands und der Mitgliedstaaten. Doch sie setzt eigene Prioritäten und schafft den Handlungsrahmen für die deutschen Bemühungen, so dass es auch hinsichtlich der EU von großer Relevanz ist, Synergien zu finden. Dafür werden zehn Schwerpunkte der deutschen Bemühungen ausgewählt und deren Status in anderen Strategien untersucht, um Partner zu iden­tifizieren.

Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind in Tabelle 2 dargestellt. Die Tabelle nennt die deutschen Kernpunkte, wie sie aus der Strategie hervorgehen, und weist den anderen Strategien einen Rang zu, der der Priorisierung der einzelnen Punkte in den jeweiligen Strategien entspricht.

Grenzüberschreitenden Gesundheits­gefahren wird in allen analysierten Stra­te­gien eine hohe Wichtigkeit zugemessen. Einen ganz besonderen Stellenwert hat dieser Aspekt in der Strategie der EU. Dies zeigte sich bereits beim Blick auf die Wort­häufigkeiten und korrespondiert auch mit den Kompetenzen der EU, die im Bereich des Schutzes gegen grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren weitreichend sind.

Ebenfalls in allen Strategien vertreten sind Referenzen zum »One Health«-Ansatz, der Fragen menschlicher und tierischer Gesundheit mit Umweltaspekten in Ver­bindung bringt, sowie zum »Planetary Health«-Konzept, das das gesamte Öko­system in den Blick nimmt. Besonders die Niederlande setzen sich mit beiden Para­digmen eingehend auseinander, was sie zu einem designierten Partner Deutschlands macht, das ebenfalls den Nexus zwischen menschlicher und tierischer Gesundheit, Klima und Umwelt betont. Fraglich ist je­doch, ob die neue Regierung diesen Schwer­punkt weiterhin setzen wird.

Wie bereits in der Analyse der Wort­häufigkeiten angedeutet, ergeben sich im Bereich Forschung und Entwicklung deut­liche Synergien mit Frankreich. Von den zehn Themen wird dieses in der franzö­sischen Strategie am umfangreichsten be­han­delt. Ein gemischteres Bild ergibt sich in puncto Stärkung der WHO: Während Schwe­den sich hier am umfangreichsten ein­bringt, nimmt die Unterstützung der WHO unter den Agendapunkten der ande­ren Dokumente nur einen mittleren Platz ein.

Hinsichtlich der Digitalisierung von Gesundheitssystemen ist es erneut die EU-Strategie, die die meisten Bezüge enthält, während dieser Aspekt bei den übrigen Partnern eindeutig nachgeordnet ist. Sehr gemischt gestaltet sich auch die Schwerpunktsetzung zu »Universal Health Cover­age«. Frankreich schenkt diesem Konzept am meisten Aufmerksamkeit, was auch bereits bei der Übersicht zu den Strategien erkennbar war. Auf Arbeitsschutz und die »International Labour Organisation« (ILO) beziehen sich die Dokumente hingegen fast gleich oft, wobei die Niederlande hierauf etwas intensiver eingehen.

Die schon erwähnte Relevanz der Niederlande als Partner für Deutschland zeigt sich daneben insbesondere bei den Themen »Anti­mikrobielle Resistenzen« (AMR) sowie »Sexual and Reproductive Health and Rights«. Beide Punkte belegen auf der Prio­ritätenskala der EU und Frank­reichs hintere Plätze und werden nur in der Strategie Schwedens etwas häufiger erwähnt. Den stärksten Bezug zu »Neglected Tropical Diseases« nimmt die französische Strategie. In den übrigen drei Strategien belegt dieser Aspekt den letzten Platz.

Insgesamt ermöglicht es diese Analyse, die potentiellen Hauptpartner des deutschen Engagements zu identifizieren. Diese sind in der letzten Spalte abgebildet. Eine besondere Nähe ergibt sich zur Strategie der Niederlande, deren Prioritäten sich in vier von zehn Punkten mit den deutschen decken. Danach folgen Frankreich mit drei und die EU mit zwei Klassifizierungen als Top-Partner. Letztlich kommt Schweden nur bei einem Aspekt, der Stärkung der WHO, eine grö­ßere Bedeutung zu.

Synthese der Ausrichtungen

Die Analyse ergibt, dass Deutschland in mehreren Bereichen strategische Partner unter den EU-Mitgliedstaaten und in der EU selbst finden kann. Die größte inhaltliche Nähe zeigt sich zu den Niederlanden, ins­besondere bei den Themen »One Health«, »Planetary Health«, Klima und Umwelt. Diese inhaltlichen Überschneidungen bie­ten eine solide Grundlage für eine enge Zusam­menarbeit und für gemeinsame Initiativen im Bereich der globalen Gesundheitspolitik.

Frankreich ist ein weiterer wichtiger Partner für Deutschland, vor allem im Bereich Forschung und Entwicklung und im Hinblick auf UHC. Die französische Stra­tegie stellt ebenfalls den Zugang zu medizi­nischer Versorgung in den Vordergrund, was eine weitere Gemeinsamkeit darstellt.

Die EU-Strategie weist in den Bereichen grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren und Digitalisierung von Gesundheitssystemen Schnittstellen mit der deutschen auf. Trotz inhalt­licher Distanzen bei anderen Fragen bleibt die EU ein wichtiger Akteur für Deutschland, vor allem aufgrund ihrer Rolle bei der Koordination und Unterstüt­zung der Mitgliedstaaten im Hinblick auf grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren.

Schweden legt auf einzigartige Weise den Fokus auf die WHO und die Stärkung der inter­nationalen Gesundheitsarchitektur. Obwohl dies eine größere inhaltliche Dis­tanz zur deutschen Strategie schafft, sollte Schweden ein zentraler Partner bei deut­schen Initiativen sein, die die WHO und globale Gesundheitsinstitutionen betreffen.

Blinde Flecken der Strategien

Obwohl die Strategien der EU und ihrer Mitgliedstaaten zahlreiche Aspekte der globalen Ge­sundheitspolitik behandeln, gibt es gleichwohl blinde Flecken, nämlich Themen, die wenig bis gar nicht adressiert werden. Dies wird insbesondere beim Ver­gleich mit der »US Global Health Security Strategy« der USA deutlich.

Im Unterschied zur Strategie der USA feh­len in allen untersuchten Dokumenten Bezüge zur außen- und sicherheitspolitischen Relevanz globaler Gesundheitsbemühungen. Solche Bezüge könnten zum Bei­spiel hergestellt werden, wenn man das gesundheitspolitische Wirken von System­rivalen wie China in verschiedenen Welt­regio­nen betrachtet, oder durch die geo­politische Einordnung eigener Bemühungen. Darüber hinaus nehmen die europäi­schen Strategien kaum Bezug zum Konzept der Verteilungsgerechtigkeit (»Equity«). Die Strategie der USA setzt sich deutlich aus­führlicher damit auseinander und verbin­det Gerechtigkeit zudem mit Inklusion.

Beachtlich an der US-Strategie ist darüber hinaus die explizite Priorisierung bilateraler Partnerschaften vor multilateralen Ansätzen. Diese Herangehensweise steht im direkten Gegensatz zu der Deutschlands, bei der multilaterales Handeln im Vorder­grund steht. Gerade unter diesem Gesichtspunkt ist es ratsam, gemeinsame europäische An­sätze zu ent­wickeln, Synergien zu erzeugen und neue Partnerschaften zu bilden.

Empfehlung zur weiteren Umsetzung bis 2030

Die Analyse offenbart deutliche Unter­schiede in der einzelstaatlichen Schwer­punktsetzung und unterstreicht damit die Notwendigkeit einer stärkeren Verzahnung der Ansätze. Folgende Maßnahmen emp­feh­len sich für die deutsche und europäische Politik, um die Effektivität und Kohä­renz der Bemühungen verbessern:

  • Stärkung der EU-Koordination: Die EU sollte eine Plattform für die wechsel­seitige Berücksichtigung strategischer Schwer­punkte bieten. In ihrer Funktion als Koordinatorin könnte die EU auf eine bessere Abstimmung und stärkere Kohärenz der nationalen Strategien hinwirken. Eine Mög­lichkeit wäre, über die Projektkoordination hinauszugehen und auf der Basis der skizzierten Schwerpunkte mitgliedstaat­liche Arbeitsgruppen zu schaffen, die in Aufgabenteilung gesundheits­politische Ziele verfolgen.

  • Berücksichtigung anderer Strategien in weiterer Umsetzung: Die Gesundheits­strategien der EU und ihrer Mitglied­staaten nehmen wenig Bezug aufeinander, was eine effektive Verzahnung bis­her erschwert. Deutschland sollte im Zuge des Review-Prozesses mit Hilfe der EU-Organe andere nationale Schwerpunktsetzungen berücksichtigen und – vermittelt durch die EU – die Kooperation mit Mitgliedstaaten anstreben.

  • Intensivierte bilaterale und multilaterale Dialoge: Regelmäßige Abstimmungs­gespräche zwischen den Gesundheitsministerien und relevanten Institutionen können helfen, gemeinsame Prio­ritäten zu identifizieren und Differenzen zu überbrücken. Dabei bieten sich auch informelle inter-ministerielle Austausche zu einzelnen Bereichen an.

  • Gemeinsame Projekte und Forschungs­vorhaben: Die Entwicklung und Durchführung gemeinsamer Forschungs­projekte, insbesondere in den Bereichen »One Health«, Pandemievorsorge und Digita­lisierung, könnte die Zusammenarbeit stärken und synergetische Effekte erzielen. Auch hier spielt die EU eine Rolle als Drehscheibe zwischenstaat­licher Zu­sammenarbeit.

Insgesamt zeigt die Untersuchung der Strategiedokumente, dass sich der deutschen Bundesregierung zahl­reiche Anknüp­fungs­punkte für eine frucht­bare Zusammen­arbeit mit EU-Mitgliedstaaten in der globa­len Gesundheitspolitik bieten. Aller­dings muss die EU ihre wichtige Rolle als Koordi­na­torin erfüllen. Durch eine enge Zusammenarbeit mit den Niederlanden, Frankreich, Schwe­den und der EU kann Deutschland seine Ziele noch effektiver verfolgen und zur Stärkung der globalen Gesundheit beitragen. Letztlich bedarf es dazu auch eines Abgleichs mit der politi­schen Praxis und der Umsetzung der Stra­tegien. Der Nachweis geteilter Interessen, den diese Untersuchung erbracht hat, kann dabei eine wich­tige Grundlage für die Evaluation des Stands der Zusammenarbeit in den ein­zelnen Handlungsfeldern darstellen.

Dr. Michael Bayerlein ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa

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