Der deutsche Review-Prozess zur globalen Gesundheitsstrategie bietet die Chance, einen stärkeren Fokus auf die horizontale Verzahnung der deutschen Bemühungen mit denen europäischer Partner zu legen. Dies ist dringend notwendig, da das deutsche Konzept bislang wenig Bezug auf die EU nimmt und die Mitgliedstaaten vollständig ausklammert. Die Berücksichtigung der strategischen Prioritäten dieser Akteure durch Deutschland würde es aber sowohl ermöglichen, geschlossen und kohärent vorzugehen, als auch, in einzelnen Politikbereichen neue Partnerschaften zu bilden. Ansatzpunkte dafür liefert eine systematische Analyse von Strategietexten anderer EU-Regierungen. Die Identifikation von Schwerpunkten zeigt, wo Andockstellen für eine bessere Vernetzung und Koordination mit den globalen Gesundheitspolitiken anderer EU-Staaten liegen. Auf diese Weise können die für Deutschland besonders relevanten Partner in einzelnen Handlungsfeldern bestimmt und blinde Flecken deutscher globaler Gesundheitspolitik aufgedeckt werden.
Der Review-Prozess zu der im Oktober 2020 veröffentlichten Strategie der Bundesregierung zur Globalen Gesundheit bietet die Gelegenheit, Bilanz zu ziehen und Korrekturen bei der Umsetzung bis 2030 vorzunehmen. Neben der Evaluation von Vorhaben, mit denen die gesetzten Ziele erreicht werden sollen, empfiehlt es sich, den Blick auch auf die Strategiedokumente europäischer Partner zu richten.
Seit der Veröffentlichung der deutschen Strategie haben sowohl die EU als auch eine kleinere Gruppe von Mitgliedstaaten eigene Konzepte vorgelegt. Wie Deutschland setzen diese Akteure eigene Schwerpunkte und benennen spezifische Ziele. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht, dass alle Strategien wenig Bezug aufeinander nehmen und die eigene Rolle in der globalen Gesundheit, das heißt bei der internationalen Bekämpfung von Krankheiten, der Stärkung von Gesundheitssystemen und Gesundheitsgerechtigkeit und bei Forschung und Innovation, größtenteils isoliert betrachten. Das deutsche Dokument etwa schlägt keine Brücke zu europäischen Partnern und erwähnt die EU nur in Randbereichen. Gleiches gilt für die Strategien der übrigen Mitgliedstaaten und für die EU, die ebenfalls keinen Bezug auf andere Strategien nimmt und stets alle Mitgliedstaaten zusammen adressiert.
Obwohl die EU neben ihren eigenen Bemühungen auch die Plattform bildet für die Koordination der einzelstaatlichen Maßnahmen, mangelt es an Ansätzen zur Bestandsaufnahme von Schwerpunkten und zu einer besseren Abstimmung der Aktivitäten. Dies ist aber dringend nötig, um eine Fragmentierung zu verhindern und strategische Partnerschaften in einzelnen Handlungsfeldern anzubahnen. Eine Analyse der Prioritäten, die die EU und ihre Mitgliedstaaten in den jeweiligen Strategiedokumenten niedergelegt haben, gibt Aufschluss darüber, welche Länder als Kooperationspartner für Deutschland interessant sind.
Bündelung der EU-Ansätze
Bereits vor der Covid-19-Pandemie hat die EU Drittländer bei der Bewältigung von Gesundheitsproblemen unterstützt. Das Engagement, das auf einer weiten Definition von »globaler Gesundheit« beruht, wird dabei auch als Teil der Entwicklungszusammenarbeit verstanden. Es geht indes über diese hinaus und berührt verschiedene Bereiche des externen Handels der EU. Die EU verfügt hierbei über einen deutlich größeren Handlungsspielraum als im Innenverhältnis, das durch stark beschränkte gesundheitspolitische Zuständigkeiten gekennzeichnet ist.
Die unterschiedlichen Ambitionen und Ansätze wurden – getrieben durch die Pandemie – im November 2022 in der »Global Health Strategy« erstmals gebündelt. Für deren Umsetzung baut die EU auf das »Team Europe«-Format. Inhaltlich verfolgt die Strategie drei Ziele: Erhöhung der globalen Gesundheitssicherheit, Stärkung der Gesundheitssysteme sowie Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden. Zur Gesundheitssicherheit zählen das Verhindern bzw. schnelle Eindämmen von Bedrohungen wie Pandemien und antimikrobielle Resistenzen im Verbund mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Stärkung der Gesundheitssysteme umfasst die Sicherstellung universeller Versorgung und die Verbesserung der Infrastruktur und der Ausbildung von Fachkräften. Die Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden schließlich zielt darauf ab, Ungleichheiten zu bekämpfen, die Ernährungsversorgung und psychische Gesundheit zu verbessern und die sozio-ökonomischen Determinanten der Gesundheit zum Positiven zu verändern. Um die Strategie umzusetzen, sollen zudem detaillierte Aktionspläne entwickelt und regelmäßige Evaluierungen durchgeführt werden. Das »Global Health«-Dokument erwähnt hier aber nur interministerielle Treffen und eine Koordinierung im Rahmen des »Team Europe«-Ansatzes.
Insgesamt liegt der inhaltliche Mehrwert der EU für die Mitgliedstaaten damit in den umfangreichen Investitionen in Gesundheitssicherheit und Gesundheitssysteme, in der technischen Unterstützung und Fähigkeit zur Krisenreaktion sowie in dem wirtschaftlichen und politischen Einfluss, der die Verfolgung eines »Health in all Policies«-Konzepts ermöglicht. Ein Mehrwert aus der Koordinierung der europäischen Ansätze ist jedoch noch nicht erkennbar. Diesen zu generieren ist umso wichtiger, als ein oberflächlicher Blick auf die EU-Strategie genügt, um festzustellen, dass diese aufgrund des Umfangs notwendigerweise Überlappungen mit den Agenden der Mitgliedstaaten und damit auch Deutschlands aufweist.
Globale Strategie Deutschlands
Das deutsche Engagement im Bereich der globalen Gesundheit findet seinen Ausdruck in einer langen Tradition von Initiativen auf internationaler Ebene, die zunehmend von Konzeptpapieren begleitet werden. Die Strategie der deutschen Bundesregierung von 2020 definierte fünf Hauptziele: Gesundheit fördern, Umwelt und Gesundheit zusammen angehen, Gesundheitssysteme stärken, grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren begegnen sowie Forschung und Innovation fördern.
Deutschland bekennt sich zur Unterstützung der WHO und will die Kooperationen zur Verbesserung der globalen Gesundheitsgovernance voranbringen. Zur Prävention und Kontrolle von Pandemien und anderen Gesundheitsbedrohungen sollen internationale Gesundheitsinitiativen gestärkt werden. Dazu zählen auch die Förderung der Resilienz und Zugänglichkeit von Gesundheitssystemen, die Verbesserung von Gesundheitsinfrastrukturen und die Ausbildung von Gesundheitspersonal. Bei all diesen Maßnahmen soll auch darauf geachtet werden, dass Ungleichbehandlungen im Gesundheitssektor überwunden werden. Forschung und Innovation sollen durch die Unterstützung der Entwicklung neuer Medikamente, Impfstoffe und Technologien vorangetrieben werden.
Mit Blick auf die Instrumente, mit denen diese Ziele umgesetzt werden sollen, nennt die Strategie den deutschen Einsatz in internationalen Foren und Netzwerken, finanzielle Unterstützung für Gesundheitsinitiativen und die Fokussierung auf politische Kohärenz. Unterstrichen wird die Verpflichtung zur globalen Solidarität und zum universellen Recht des Menschen auf Gesundheit. Im Einklang damit wird ein integrierter Ansatz zur Bewältigung globaler Gesundheitsprobleme verfolgt. Der EU kommt in dem Dokument ein eher bescheidener Part zu. Sie habe die Möglichkeit, durch »innovationsfreundliche Regelungen« internationale (Datenschutz)Standards zu setzen. Dies steht im Widerspruch zu den oben skizzierten Ambitionen der EU. Zudem schreibt Deutschland der EU-Ebene nicht explizit die Aufgabe der Koordination des mitgliedstaatlichen Handelns zu. Die Rolle anderer EU-Mitglieder wird gar nicht berücksichtigt.
Strategien anderer Mitgliedstaaten
Während zahlreiche Mitgliedstaaten der EU Leitlinien zur Verbesserung der nationalen Gesundheit veröffentlicht haben, gaben sich nur Frankreich, die Niederlande und Schweden wie Deutschland auch eine Strategie zur globalen Gesundheit.
Die »Stratégie Française en Santé Mondiale« wurde Ende 2023 vorgelegt. Sie steht ganz im Zeichen von »Universal Health Coverage« (UHC) und richtet den Fokus auf die Bekämpfung von Krankheiten und die bessere Antizipation, Prävention und Reaktion auf Gesundheitskrisen. Das Dokument setzt Schwerpunkte bei den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs), der Überwindung von Ungleichheiten und dem Klimawandel. Es bekennt sich zum »One Health«-Ansatz und zum Schutz der Menschenrechte und französischer Werte.
Die Strategie der Niederlande, die »Nederlandse Mondiale Gezondheidsstrategie« von 2023, folgt einem leicht anderen Ansatz, indem explizit die Stärkung der globalen Gesundheitsarchitektur anderen Anliegen übergeordnet wird. Pandemievorsorge und ‑bekämpfung und die gesundheitlichen Implikationen des Klimawandels stehen auch in dem niederländischen Dokument oben auf der Agenda. Bei der konkreten Ausgestaltung dieser Prioritäten weicht es jedoch von anderen Strategien ab, indem es Schwerpunkte auf sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte (SRHR), antimikrobielle Resistenzen, eine nachhaltige Gesundheitsversorgung und den Zugang zu medizinischen Gütern legt.
Einen ganz anderen Ansatz hat Schweden mit seiner »Strategi för Sveriges samarbete med Världshälsoorganisationen (WHO)« gewählt. Das 2021 vorgelegte Konzept betrachtet die Ziele Schwedens explizit durch die Linse des Wirkens der WHO und legt fest, in welcher Weise die UN-Organisation in bestimmten Tätigkeitsbereichen durch die schwedische Regierung unterstützt werden soll. Weitere zentrale Aspekte sind das Erreichen der SDGs, die Umsetzung von UHC, die Verbesserung der globalen Gesundheitsarchitektur und eine im weitesten Sinne verstandene Förderung des gesunden Lebens. Allein dieser kurze Überblick zeigt, wie unterschiedlich die Akzente gesetzt werden.
Systematische Textanalyse
Die systematische Untersuchung der Strategiedokumente folgt den Methoden der Textanalyse. Betrachtet werden Worthäufigkeiten und die Erwähnung bestimmter Themen. Dies ermöglicht es, die inhaltliche Distanz zwischen den Konzepten zu messen, die Kernpunkte zu synthetisieren und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Texten herauszuarbeiten.
Distanzen zwischen den Strategien
Ein erster Eindruck von den Kongruenzen und Diskrepanzen zwischen den einzelnen Strategien lässt sich gewinnen, indem die inhaltliche Distanz bestimmt wird. Konkret geschieht dies auf der Basis einer Untersuchung von Wortwahl und Worthäufigkeit. Dazu wird ein Modell verwendet, das Unterschiede in der Wortverwendung quantifiziert und grafisch als eine sogenannte latente Dimension darstellt, hier: Ausrichtung in der globalen Gesundheitspolitik. Durch die Schätzung von Parametern für jedes Dokument kann die thematische Position der Texte innerhalb dieser Dimension ermittelt werden. Die eigentlichen Werte der Parameter sind dabei weniger relevant als die relative Distanz der Texte zueinander, die durch die Parameter ausgedrückt wird (siehe Replikationsmaterialien). Die Analyse geht damit über das Zählen einzelner Worte und die Priorisierung einzelner Aspekte hinaus und ermöglicht die Verortung aller Strategien auf einem Kontinuum, das in Grafik 1 dargestellt ist.
Die Grafik offenbart deutliche Unterschiede in der strategischen Positionierung der EU und ihrer Mitgliedstaaten im Vergleich zu Deutschland. Die niederländische Strategie zeigt die größte Nähe zur deutschen Strategie.
Was am meisten überrascht, ist die Distanz zwischen Deutschland und der EU sowie Frankreich. Auch wenn im Zuge der obigen Zusammenfassung der Strategien noch Synergien identifiziert werden konnten, zeigt die systematische Textanalyse, dass sowohl Frankreich als auch die EU mit einem anderen Blick auf globale Gesundheitspolitik schauen. Dies bedeutet zwar nicht, dass die Strategien im Gegensatz zueinander stehen, deutet jedoch darauf hin, dass es derzeit noch an einer gemeinsamen Sprache und grundsätzlichen Kohärenz des Engagements mangelt. Dies gilt vor allem mit Blick auf die EU, in der Deutschland eine treibende Kraft im Bereich globale Gesundheit ist. Nicht zuletzt ist die Distanz zwischen den Strategien aber auch Ausdruck unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen.
Schwerpunktsetzung
Die Analyse der Worthäufigkeiten stützt sich auf das Aufkommen bestimmter Begriffe in den untersuchten Strategien. Dabei werden zunächst inhaltsarme, aber häufig vorkommende Worte entfernt (Artikel, Pronomen, Präpositionen, Konjunktionen etc.). Ebenfalls entfernt werden Begriffe wie der Name des jeweiligen Landes und andere Worte mit hoher Frequenz, aber wenig Bedeutung im Kontext der Strategien zur globalen Gesundheit (z. B. »Gesundheit«).
Worthäufigkeit in den Gesundheitsstrategien |
||||||
Rang |
Deutschland |
EU |
Frankreich |
Niederlande |
Schweden |
|
1 |
Research |
Pandemic |
Access |
Climate |
WHO |
|
2 |
Systems |
Partners |
Research |
Pandemic |
Organisation |
|
3 |
Cooperation |
Systems |
National |
Water |
Agenda |
|
4 |
Organisation |
Team |
Healthcare |
Access |
Cooperation |
|
5 |
Climate |
Cooperation |
Systems |
Cooperation |
Rights |
Die Ergebnisse der Textanalyse der einzelnen Strategien sind in Tabelle 1 dargestellt. Die Tabelle führt die fünf häufigsten Worte inklusive einer Übersetzung bzw. Interpretation aus dem Kontext der Verwendung an. Sie zeigt die inhaltlichen Unterschiede, die bereits bei der ersten Annäherung an die Strategien und der Analyse der Distanzen aufgefallen sind. Dabei offenbaren sich mit Blick auf die beiden häufigsten Worte deutliche Unterschiede.
Die deutsche Strategie sticht durch ihre Schwerpunkte auf Forschung und Entwicklung (»Research«) sowie Gesundheitssysteme (»Systems«) hervor. Die EU-Strategie kennzeichnet dagegen eine ausführlichere Auseinandersetzung mit grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren und Pandemien (»Pandemic«) und eine Akzentuierung der Entwicklungszusammenarbeit (»Partners«). Im französischen Dokument haben – gemessen an der Worthäufigkeit – wie in der deutschen Strategie Forschung und Entwicklung (»Research«) einen hohen Stellenwert. Hier ergeben sich bereits erste inhaltliche Überlappungen. Daneben wird ein besonderes Augenmerk auf den Zugang zu medizinischen Diensten (»Access«) gelegt, ein Begriff, der in der deutschen Gesundheitsstrategie nicht unter den häufigsten fünf Begriffen vorkommt.
Die niederländische und die schwedische Strategie unterscheiden sich von den zuvor diskutierten. Die Niederlande stellen in ihren Leitlinien Umweltaspekte in den Vordergrund, indem sie den »One Health«-Ansatz (»Climate«) betonen. Daneben werden auch hier grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren priorisiert. Schweden hingegen hat sich, wie bereits erwähnt, eine stark auf die WHO zentrierte Strategie gegeben, die damit die größte inhaltliche Distanz zu anderen Strategien aufweist. Dies wird durch die quantitative Textanalyse bestätigt, wonach die WHO (»WHO«) sowie der Multilateralismus (»Organisations«) in hohem Maße in dem Papier thematisiert werden.
Strategische Prioritäten Deutschlands in anderen Gesundheitsstrategien |
||||||
Deutsche Prioritäten in anderen Strategien |
EU |
FR |
NL |
SE |
Top-Partner |
|
Grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren |
1 |
3 |
2 |
2 |
EU |
|
One Health und Planetary Health |
2 |
2 |
1 |
3 |
NL |
|
Forschung und Entwicklung |
3 |
1 |
3 |
4 |
FR |
|
Stärkung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) |
4 |
5 |
6 |
1 |
SE |
|
Digitalisierung von Gesundheitssystemen |
5 |
8 |
9 |
9 |
EU |
|
Universal Health Coverage (UHC) |
6 |
4 |
8 |
5 |
FR |
|
Arbeitsschutz/International Labour Organisation (ILO) |
7 |
6 |
5 |
7 |
NL |
|
Antimikrobielle Resistenzen (AMR) |
8 |
10 |
4 |
6 |
NL |
|
Sexual and Reproductive Health and Rights (SRHR) |
9 |
9 |
7 |
8 |
NL |
|
Neglected Tropical Diseases (NTD) |
10 |
7 |
10 |
10 |
FR |
Identifikation von Synergien
Während die Betrachtung der Worthäufigkeiten bereits die Schwerpunktsetzungen transparent machen kann, bedarf es in einem zweiten Schritt der Identifikation möglicher Partner für die deutschen Bemühungen in der globalen Gesundheitspolitik. Die EU ist zwar im engeren Sinne kein Partner Deutschlands und der Mitgliedstaaten. Doch sie setzt eigene Prioritäten und schafft den Handlungsrahmen für die deutschen Bemühungen, so dass es auch hinsichtlich der EU von großer Relevanz ist, Synergien zu finden. Dafür werden zehn Schwerpunkte der deutschen Bemühungen ausgewählt und deren Status in anderen Strategien untersucht, um Partner zu identifizieren.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind in Tabelle 2 dargestellt. Die Tabelle nennt die deutschen Kernpunkte, wie sie aus der Strategie hervorgehen, und weist den anderen Strategien einen Rang zu, der der Priorisierung der einzelnen Punkte in den jeweiligen Strategien entspricht.
Grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren wird in allen analysierten Strategien eine hohe Wichtigkeit zugemessen. Einen ganz besonderen Stellenwert hat dieser Aspekt in der Strategie der EU. Dies zeigte sich bereits beim Blick auf die Worthäufigkeiten und korrespondiert auch mit den Kompetenzen der EU, die im Bereich des Schutzes gegen grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren weitreichend sind.
Ebenfalls in allen Strategien vertreten sind Referenzen zum »One Health«-Ansatz, der Fragen menschlicher und tierischer Gesundheit mit Umweltaspekten in Verbindung bringt, sowie zum »Planetary Health«-Konzept, das das gesamte Ökosystem in den Blick nimmt. Besonders die Niederlande setzen sich mit beiden Paradigmen eingehend auseinander, was sie zu einem designierten Partner Deutschlands macht, das ebenfalls den Nexus zwischen menschlicher und tierischer Gesundheit, Klima und Umwelt betont. Fraglich ist jedoch, ob die neue Regierung diesen Schwerpunkt weiterhin setzen wird.
Wie bereits in der Analyse der Worthäufigkeiten angedeutet, ergeben sich im Bereich Forschung und Entwicklung deutliche Synergien mit Frankreich. Von den zehn Themen wird dieses in der französischen Strategie am umfangreichsten behandelt. Ein gemischteres Bild ergibt sich in puncto Stärkung der WHO: Während Schweden sich hier am umfangreichsten einbringt, nimmt die Unterstützung der WHO unter den Agendapunkten der anderen Dokumente nur einen mittleren Platz ein.
Hinsichtlich der Digitalisierung von Gesundheitssystemen ist es erneut die EU-Strategie, die die meisten Bezüge enthält, während dieser Aspekt bei den übrigen Partnern eindeutig nachgeordnet ist. Sehr gemischt gestaltet sich auch die Schwerpunktsetzung zu »Universal Health Coverage«. Frankreich schenkt diesem Konzept am meisten Aufmerksamkeit, was auch bereits bei der Übersicht zu den Strategien erkennbar war. Auf Arbeitsschutz und die »International Labour Organisation« (ILO) beziehen sich die Dokumente hingegen fast gleich oft, wobei die Niederlande hierauf etwas intensiver eingehen.
Die schon erwähnte Relevanz der Niederlande als Partner für Deutschland zeigt sich daneben insbesondere bei den Themen »Antimikrobielle Resistenzen« (AMR) sowie »Sexual and Reproductive Health and Rights«. Beide Punkte belegen auf der Prioritätenskala der EU und Frankreichs hintere Plätze und werden nur in der Strategie Schwedens etwas häufiger erwähnt. Den stärksten Bezug zu »Neglected Tropical Diseases« nimmt die französische Strategie. In den übrigen drei Strategien belegt dieser Aspekt den letzten Platz.
Insgesamt ermöglicht es diese Analyse, die potentiellen Hauptpartner des deutschen Engagements zu identifizieren. Diese sind in der letzten Spalte abgebildet. Eine besondere Nähe ergibt sich zur Strategie der Niederlande, deren Prioritäten sich in vier von zehn Punkten mit den deutschen decken. Danach folgen Frankreich mit drei und die EU mit zwei Klassifizierungen als Top-Partner. Letztlich kommt Schweden nur bei einem Aspekt, der Stärkung der WHO, eine größere Bedeutung zu.
Synthese der Ausrichtungen
Die Analyse ergibt, dass Deutschland in mehreren Bereichen strategische Partner unter den EU-Mitgliedstaaten und in der EU selbst finden kann. Die größte inhaltliche Nähe zeigt sich zu den Niederlanden, insbesondere bei den Themen »One Health«, »Planetary Health«, Klima und Umwelt. Diese inhaltlichen Überschneidungen bieten eine solide Grundlage für eine enge Zusammenarbeit und für gemeinsame Initiativen im Bereich der globalen Gesundheitspolitik.
Frankreich ist ein weiterer wichtiger Partner für Deutschland, vor allem im Bereich Forschung und Entwicklung und im Hinblick auf UHC. Die französische Strategie stellt ebenfalls den Zugang zu medizinischer Versorgung in den Vordergrund, was eine weitere Gemeinsamkeit darstellt.
Die EU-Strategie weist in den Bereichen grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren und Digitalisierung von Gesundheitssystemen Schnittstellen mit der deutschen auf. Trotz inhaltlicher Distanzen bei anderen Fragen bleibt die EU ein wichtiger Akteur für Deutschland, vor allem aufgrund ihrer Rolle bei der Koordination und Unterstützung der Mitgliedstaaten im Hinblick auf grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren.
Schweden legt auf einzigartige Weise den Fokus auf die WHO und die Stärkung der internationalen Gesundheitsarchitektur. Obwohl dies eine größere inhaltliche Distanz zur deutschen Strategie schafft, sollte Schweden ein zentraler Partner bei deutschen Initiativen sein, die die WHO und globale Gesundheitsinstitutionen betreffen.
Blinde Flecken der Strategien
Obwohl die Strategien der EU und ihrer Mitgliedstaaten zahlreiche Aspekte der globalen Gesundheitspolitik behandeln, gibt es gleichwohl blinde Flecken, nämlich Themen, die wenig bis gar nicht adressiert werden. Dies wird insbesondere beim Vergleich mit der »US Global Health Security Strategy« der USA deutlich.
Im Unterschied zur Strategie der USA fehlen in allen untersuchten Dokumenten Bezüge zur außen- und sicherheitspolitischen Relevanz globaler Gesundheitsbemühungen. Solche Bezüge könnten zum Beispiel hergestellt werden, wenn man das gesundheitspolitische Wirken von Systemrivalen wie China in verschiedenen Weltregionen betrachtet, oder durch die geopolitische Einordnung eigener Bemühungen. Darüber hinaus nehmen die europäischen Strategien kaum Bezug zum Konzept der Verteilungsgerechtigkeit (»Equity«). Die Strategie der USA setzt sich deutlich ausführlicher damit auseinander und verbindet Gerechtigkeit zudem mit Inklusion.
Beachtlich an der US-Strategie ist darüber hinaus die explizite Priorisierung bilateraler Partnerschaften vor multilateralen Ansätzen. Diese Herangehensweise steht im direkten Gegensatz zu der Deutschlands, bei der multilaterales Handeln im Vordergrund steht. Gerade unter diesem Gesichtspunkt ist es ratsam, gemeinsame europäische Ansätze zu entwickeln, Synergien zu erzeugen und neue Partnerschaften zu bilden.
Empfehlung zur weiteren Umsetzung bis 2030
Die Analyse offenbart deutliche Unterschiede in der einzelstaatlichen Schwerpunktsetzung und unterstreicht damit die Notwendigkeit einer stärkeren Verzahnung der Ansätze. Folgende Maßnahmen empfehlen sich für die deutsche und europäische Politik, um die Effektivität und Kohärenz der Bemühungen verbessern:
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Stärkung der EU-Koordination: Die EU sollte eine Plattform für die wechselseitige Berücksichtigung strategischer Schwerpunkte bieten. In ihrer Funktion als Koordinatorin könnte die EU auf eine bessere Abstimmung und stärkere Kohärenz der nationalen Strategien hinwirken. Eine Möglichkeit wäre, über die Projektkoordination hinauszugehen und auf der Basis der skizzierten Schwerpunkte mitgliedstaatliche Arbeitsgruppen zu schaffen, die in Aufgabenteilung gesundheitspolitische Ziele verfolgen.
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Berücksichtigung anderer Strategien in weiterer Umsetzung: Die Gesundheitsstrategien der EU und ihrer Mitgliedstaaten nehmen wenig Bezug aufeinander, was eine effektive Verzahnung bisher erschwert. Deutschland sollte im Zuge des Review-Prozesses mit Hilfe der EU-Organe andere nationale Schwerpunktsetzungen berücksichtigen und – vermittelt durch die EU – die Kooperation mit Mitgliedstaaten anstreben.
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Intensivierte bilaterale und multilaterale Dialoge: Regelmäßige Abstimmungsgespräche zwischen den Gesundheitsministerien und relevanten Institutionen können helfen, gemeinsame Prioritäten zu identifizieren und Differenzen zu überbrücken. Dabei bieten sich auch informelle inter-ministerielle Austausche zu einzelnen Bereichen an.
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Gemeinsame Projekte und Forschungsvorhaben: Die Entwicklung und Durchführung gemeinsamer Forschungsprojekte, insbesondere in den Bereichen »One Health«, Pandemievorsorge und Digitalisierung, könnte die Zusammenarbeit stärken und synergetische Effekte erzielen. Auch hier spielt die EU eine Rolle als Drehscheibe zwischenstaatlicher Zusammenarbeit.
Insgesamt zeigt die Untersuchung der Strategiedokumente, dass sich der deutschen Bundesregierung zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine fruchtbare Zusammenarbeit mit EU-Mitgliedstaaten in der globalen Gesundheitspolitik bieten. Allerdings muss die EU ihre wichtige Rolle als Koordinatorin erfüllen. Durch eine enge Zusammenarbeit mit den Niederlanden, Frankreich, Schweden und der EU kann Deutschland seine Ziele noch effektiver verfolgen und zur Stärkung der globalen Gesundheit beitragen. Letztlich bedarf es dazu auch eines Abgleichs mit der politischen Praxis und der Umsetzung der Strategien. Der Nachweis geteilter Interessen, den diese Untersuchung erbracht hat, kann dabei eine wichtige Grundlage für die Evaluation des Stands der Zusammenarbeit in den einzelnen Handlungsfeldern darstellen.
Dr. Michael Bayerlein ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa
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DOI: 10.18449/2024A44