Im Dezember 2018 wurde durch Medienberichte aus den USA bekannt, dass der amerikanische Präsident Trump das Pentagon beauftragt hat, eine erhebliche Reduzierung der US-Truppen in Afghanistan vorzubereiten. Details zu Umfang, Zeitpunkt und betroffenen militärischen Fähigkeiten wurden bislang nicht offiziell mitgeteilt. Übereinstimmenden Pressemeldungen zufolge plane Trump, in den kommenden Monaten etwa die Hälfte der 14 000 in Afghanistan stationierten US-Soldaten abzuziehen. Weitreichende Konsequenzen hätte diese Entscheidung nicht nur für die Sicherheitslage in Afghanistan und die politische Stabilität dort. Vor allem wirft sie die Frage auf, ob und unter welchen Umständen die Resolute Support Mission (RSM) der Nato fortgeführt werden kann. Weitere Dynamik erhält das internationale Afghanistan-Engagement durch den Abschluss eines Rahmenabkommens zwischen den USA und den Taliban, an dessen Umsetzung Trump mögliche Truppenreduzierungen koppelte. Die fällige Verlängerung des Mandats durch den Deutschen Bundestag zum 1. April 2019 wird stark davon abhängen, wie Washington seine Entscheidung ausgestaltet. Neben Zielen, Instrumenten, Kosten und Erfolgen des deutschen Afghanistan-Einsatzes wird künftig auch intensiver debattiert werden, ob, wann und wie sich die Nato aus dem Land zurückziehen wird.
Mit der im Dezember 2018 bekanntgewordenen Entscheidung, die US-Truppen in Afghanistan substantiell zu reduzieren, vollzieht die Regierung Trump eine Abkehr von ihrer bisherigen Afghanistan-Politik. Erst im August 2017 hatte der Präsident eine neue Afghanistan-Strategie angekündigt. Neben einer Lockerung der Regeln für amerikanische Luftwaffeneinsätze und mehr Druck auf Pakistan sah sie vor allem einen Truppenaufwuchs von 9000 auf 14 000 Soldaten vor. Ziel des Einsatzes, so Trump damals, sei kein Nation-Building am Hindukusch. Stattdessen solle verhindert werden, dass die Taliban erneut die Macht in Afghanistan übernähmen und das Land dadurch wieder zum Rückzugs- und Rekrutierungsort islamistischer Terrorgruppen werde: »We are not nation-building again. We are killing terrorists.« Dies verband Trump mit der Ankündigung, nicht mehr festgelegte Zeitpläne, sondern nur die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen im Land würden künftig die amerikanische Strategie anleiten. Daher sei strategische Geduld erforderlich, denn ein vorschneller und überhasteter Abzug werde ein Vakuum hinterlassen, das diese Gruppen füllen könnten. Etwa 5500 US-Soldaten, hauptsächlich Spezialkräfte, verfolgen als national geführtes Kontingent das Ziel der Terrorbekämpfung, indem sie gegen Führungskräfte von al‑Qaida, des »Islamischen Staates« in Afghanistan und der Taliban vorgehen. Knapp 8500 amerikanische Soldaten sind der RSM der Nato unterstellt. Trump sicherte zu, militärische Veränderungen in Afghanistan nie öffentlich anzukündigen, um die Aufständischen in dem Land nicht zu stärken. Trotz scharfer rhetorischer Abgrenzung führte er in der Sache damit weitgehend die Afghanistan-Politik seines Amtsvorgängers Barack Obama fort: Nach wie vor gilt die schrittweise erfolgende Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte als Voraussetzung, um das amerikanische Engagement im Land zu reduzieren. Auch unter dem derzeitigen Präsidenten unterstützen die USA den Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte mit 5 Milliarden US-Dollar jährlich.
Nun aber scheint sich die Regierung Trump in der zweiten Hälfte ihrer Amtszeit militärisch weniger stark engagieren zu wollen. Der Präsident beklagte die hohen finanziellen Kosten, die vor allem zu Lasten der USA gingen, und änderte seine Meinung offenbar aus einem isolationistischen Grundimpuls heraus. Diese jüngste Volte der amerikanischen Afghanistan-Politik reiht sich dabei bruchlos in die abrupten Politikwechsel des Präsidenten auf anderen außenpolitischen Feldern ein, wo er zum Teil gegen den Rat seiner Mitarbeiter und ohne Rücksprache mit den Verbündeten agierte.
Das Mandat der Bundeswehr
Das Mandat des Deutschen Bundestages für die »Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am Nato-geführten Einsatz Resolute Support« läuft am 31. März 2019 aus. Es sieht vor, die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte »vorrangig auf der ministeriellen und der nationalen institutionellen Ebene« auszubilden, zu beraten und zu unterstützen. Ziel ist es, sie »zu befähigen, ihrer Sicherheitsverantwortung nachzukommen«. In diesem Sinne betätigen sich Kräfte der Bundeswehr überwiegend in Kabul, Bagram, Masar-e Scharif und Kundus, zeitlich begrenzt auch im übrigen Operationsgebiet. Solche begrenzten Einzelfälle sind im Antrag der Bundesregierung vom Februar 2019 für die Fortsetzung des Mandats klar umrissen. Darüber hinaus sind die Soldaten der Bundeswehr beauftragt, an der Führung von Resolute Support mitzuwirken und dabei einen Beitrag »zur Erstellung eines Lagebildes« zu leisten sowie »Verantwortung als Rahmennation für den Betrieb der sogenannten Speiche Nord in Masar-e Scharif« zu tragen, in dem Deutschland von rund 20 Nationen unterstützt wird. Die Nato verfolgt mit der RSM einen regionalen Ansatz, der seinen Ausdruck in einem »Nabe-und-Speichen-Modell« mit Kabul als »Nabe« findet.
Hinzu kommt der begrenzte Auftrag, »über die Sicherung des von der Nato eingesetzten Personals hinaus auch im zivilen Wiederaufbau eingesetztes Personal der internationalen Gemeinschaft im Notfall zu unterstützen«. Neben der Sicherung und dem Schutz diplomatischer und konsularischer Vertretungen, in denen deutsches Personal arbeitet, gehört es zu den Aufgaben der Bundeswehr, die unabhängige afghanische Wahlkommission »in der Vorbereitungs- und Durchführungsphase der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen 2019« zu unterstützen. Besonders wichtig im Zusammenhang mit einer Exit-Diskussion ist die Aufgabe, als Rahmennation »bis zum Ende der militärischen Präsenz im Norden Afghanistans« den militärischen Anteil des Flugbetriebs am Flugplatz Masar-e Scharif aufrechtzuerhalten.
Die Sicherheitslage in Afghanistan
Nach Auffassung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) ist die Sicherheitslage im Land weiterhin prekär. Zwar kontrolliert die Zentralregierung in Kabul die großen Bevölkerungszentren, aber nur 53,8 Prozent der Distrikte des gesamten Landes, die Aufständischen dagegen 12,3 Prozent. Im Raum Kundus etwa kontrollieren diese fünf von sieben Distrikten. 33,9 Prozent aller Distrikte bleiben umkämpft. Damit ist der Teil des Landes, der dauerhaft oder zeitweise von den Aufständischen kontrolliert wird, größer denn je seit der amerikanischen Invasion 2001. Im Jahr 2018 gelang es den Taliban zudem, kurzzeitig Farah und Ghazni, die Hauptstädte der gleichnamigen Provinzen, einzunehmen und damit ihre Macht zu demonstrieren.
Schon in den Jahren zuvor waren immer mehr Anschläge gerade in den urbanen Zentren verübt worden. Auch deutsche Einrichtungen und Personal wurden in Mitleidenschaft gezogen, etwa durch die Attentate auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-e Scharif im November 2016 und die deutsche Botschaft in Kabul im Mai 2017.
Nicht zuletzt die Entscheidung der Regierung Trump, Beschränkungen in den Einsatzregeln für Angriffe aus der Luft zu lockern, hat erhebliche Folgen für die Zivilbevölkerung. So ist die Zahl derer, die durch Luftangriffe von »Pro-Government Forces« getötet oder verletzt wurden, von Januar bis September 2018 um 39 Prozent gestiegen. Zieht man die noch weit größere Zahl von Toten und Verletzten in Betracht, für die Aufständische verantwortlich sind, wird verständlich, dass 71 Prozent der afghanischen Bevölkerung im Jahr 2018 um ihre persönliche Sicherheit fürchteten. Dies unterminiert die Legitimität der afghanischen Regierung und ihrer Sicherheitskräfte, die derzeit die geringste Stärke (rund 309 000 bei einer Sollstärke von 352 000) seit Januar 2015 haben und sehr hohe Verluste erleiden. Seit Ende 2014 hatten sie je nach Quelle zwischen 667 und 849 Gefallene pro Monat zu verzeichnen. Sie sind weiterhin nicht in der Lage, eigenständig und flächendeckend für Sicherheit zu sorgen, und bedürfen weiterhin der Unterstützung und Beratung.
Zusammengefasst stellt sich eine ambivalente Situation dar, die es schwer macht, von einem klaren Erfolg oder Misserfolg der RSM zu sprechen. Eher handelt es sich um ein strategisches Patt, in der weder die Aufständischen noch die Regierungskräfte die Fähigkeit besitzen, einen entscheidenden und dauerhaften militärischen Sieg zu erringen.
Der Stand des Friedensprozesses
Am 28. Januar 2019 gab der Sondergesandte des amerikanischen Außenministeriums für afghanische Versöhnung, Zalmay Khalilzad, bekannt, dass sich die USA und Vertreter der Taliban auf die Prinzipien eines Rahmenabkommens geeinigt hätten. Es ruhe auf zwei Säulen, nämlich zum einen auf der Zusage der Aufständischen, dass Afghanistan nicht wieder zu einer Plattform für islamistische Terroristen werde, die sich gegen die USA richteten, zum anderen auf der grundsätzlichen Bereitschaft der USA, ihre Truppen binnen 18 Monaten nach Unterzeichnung eines Friedensvertrages aus dem Land abzuziehen. Dies solle weitere Schritte ermöglichen, das heißt die Vereinbarung über einen Waffenstillstand, direkte Gespräche zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung und die Repräsentation der Aufständischen im politischen System Afghanistans. Der Zeitplan der Gespräche ist ambitioniert: Presseberichten zufolge soll das Friedensabkommen schon bis zu den afghanischen Präsidentschaftswahlen im Juli 2019 abschließend verhandelt sein.
Dies sind die ersten greifbaren Ergebnisse der Gespräche, die zwischen den USA und den Taliban seit 2010 in loser Folge stattgefunden haben. Zahlreiche Details sind indes noch nicht ausgehandelt und werden erst bei der nächsten Gesprächsrunde wieder aufgegriffen werden. Dazu zählen unter anderem Dauer und Beginn des Waffenstillstandes, Fragen einer möglichen Entwaffnung, Beginn und Reihenfolge des amerikanischen Truppenabzugs, die Aufnahme der Taliban in eine Übergangsregierung sowie die Umsetzung der Vereinbarung, möglicherweise mit Hilfe internationaler Überwachung.
Die konkrete Ausgestaltung des Friedensabkommens wird die politische Zukunft Afghanistans weitgehend determinieren, denn ein überhasteter Abzug ohne überprüf- und durchsetzbare Zwischenschritte könnte die Autorität und Legitimität der afghanischen Regierung untergraben. Die Folge könnte sein, dass die Taliban die Kontrolle über das Land vollständig zurückerlangen. Zumindest bestände die Gefahr eines Bürgerkrieges wie in den 1990er Jahren. Eine erfolgreiche Umsetzung des Friedensabkommens hinge daher (auch weiterhin) von der Leistungsfähigkeit der afghanischen Armee und Polizei ab.
Zudem dürfte der tatsächliche Umfang des amerikanischen Abzugs strittig sein. Die USA haben etwa 20 Terrorgruppen identifiziert, die aus Afghanistan heraus operieren (darunter al‑Qaida und der »Islamische Staat Khorasan-Provinz«, eine lokale Ausprägung des IS) und von dem Friedensabkommen nicht erfasst würden. Deshalb wird vor allem das Pentagon vermutlich eine amerikanische Basis im Land zur geheimdienstlichen und zur kinetischen, also physischen Terrorismusbekämpfung behalten wollen. Die amerikanischen Geheimdienste gehen nämlich davon aus, dass solche Terrorgruppen binnen zwei Jahren nach einem vollständigen amerikanischen Truppenabzug in der Lage sein werden, einen Terroranschlag in den USA zu verüben.
Auch die angestrebte einvernehmliche Form der Machtteilung erscheint fraglich, da die Aufständischen sich bislang weigern, überhaupt direkte Gespräche mit der Regierung von Präsident Ashraf Ghani zu führen. So stände die Gefahr im Raum, dass die Taliban die Regierung stürzen, sobald die USA ihre Truppen abgezogen haben.
Völlig offen ist schließlich, ob ein solches Friedensabkommen den Taliban eine Art von Verpflichtung abverlangen wird, den seit dem Jahr 2001 erreichten politischen und rechtlichen Status quo zu akzeptieren, zum Beispiel im Hinblick auf die Gleichberechtigung von Mädchen und Frauen, die Achtung der Menschenrechte, die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz. Damit würde eine Reihe von Errungenschaften in Frage gestellt werden, die in vielen westlichen Hauptstädten als politische Begründung für ein militärisches Engagement in Afghanistan gedient haben.
Es ist sicher zu früh, über die politische Wirkung des angestrebten Friedensvertrages zu spekulieren. Am weiteren Verlauf der Gespräche werden sich aber die Beweggründe der amerikanischen Afghanistan-Politik gut ablesen lassen. Es spräche für das Interesse der USA an einem umfassenden Abkommen mit geregeltem Übergang, wenn die überprüfbaren Verpflichtungen der Taliban-Seite im Mittelpunkt der Vereinbarungen ständen und Washington keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit ließe, bis zur vollständigen Umsetzung des Abkommens Truppen im Land stationiert zu lassen. Sollten sich die Gespräche aber hauptsächlich auf Fragen des amerikanischen Truppenabzugs konzentrieren, wäre mit einigem Recht zu vermuten, dass die Regierung Trump ein Ende der Afghanistan-Mission beschlossen hat und die Friedensgespräche als politische Deckung für eine schnelle Umsetzung zu nutzen sucht.
Der regionale Kontext
Afghanistan ist ein in weiten Teilen unterentwickeltes Land mit einer traditionell schwachen Zentralregierung, das von einer Reihe politisch, militärisch und ökonomisch stärkerer Nachbarn umgeben ist. Nicht nur mischen diese sich bis heute mit ihrer politischen, finanziellen und militärischen Unterstützung auf verschiedenen Seiten des afghanischen Bürgerkriegs ein. Sie betrachten Afghanistan grundsätzlich auch als Austragungsort für bilaterale regionale oder globale Konflikte. Gerade den innerafghanischen Friedensprozess hat dies erschwert, da die USA bei ihren Bemühungen in der einen oder anderen Form die Interessen dieser externen Akteure berücksichtigen mussten oder auf deren Kooperation angewiesen waren.
Anders formuliert: Die Qualität der amerikanischen Beziehungen zu Indien, Pakistan, Iran, China und Russland belastete in der Ära Trump sehr stark die Handlungsspielräume der USA gegenüber Afghanistan. Zum Beispiel hat Russland die amerikanische Politik zuletzt durch die begrenzte Lieferung militärischer Güter an die Taliban und eine »alternative« Friedensdiplomatie zu konterkarieren versucht. Erkennbarer Ausdruck dieser Diplomatie waren die internationale Afghanistan-Konferenz in Moskau im November 2018 sowie die »Gastgeberrolle« für die innerafghanischen Friedensgespräche im Februar 2019. Auch China, vor wenigen Jahren noch in erster Linie als Investor in Afghanistan präsent, verfolgt mittlerweile stärker politische Prioritäten: So vermittelt Peking seit 2015 ebenfalls zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung und finanziert seit 2018 den Aufbau einer afghanischen Militärbasis in der Provinz Badakhshan mit dem Ziel der Terrorbekämpfung.
Bei der Umsetzung des jüngst verkündeten Rahmenabkommens wird diesen machtpolitischen Erwartungen der Anrainer Afghanistans Rechnung getragen werden müssen. Nicht auszuschließen ist, dass die Taliban sowie Nachbarstaaten wie China und Russland das Machtvakuum zu füllen trachten, das die USA mit ihrem (Teil-) Abzug zu hinterlassen drohen. Diese regionalen Akteure könnten ihre afghanischen Verbündeten stärker als bislang unterstützen und die Gefahr eines Bürgerkriegs damit weiter befeuern.
Sicherheitspolitische Folgen eines (Teil-) Abzugs
Noch sind die militärischen Details der amerikanischen Abzugspläne nicht bekannt. Da aber Präsident Trumps Afghanistan-Politik sich künftig offenbar auf den Kampf gegen den Terrorismus beschränken wird, dürften die Einschnitte vor allem die RSM betreffen, weniger die amerikanischen Kräfte, die sich zur Terrorismusbekämpfung in Afghanistan befinden. Neben den USA beteiligen sich zurzeit 38 Mitglieder und Partnerländer der Nato an der RSM und stellen insgesamt gut 7500 Soldaten. Deutschland ist zweitgrößter Truppensteller, weitere substantielle Kontingente kommen aus Australien, Georgien, Italien, Polen, Rumänien, der Türkei und Großbritannien. Die Lücken, die der US-Abzug risse, wären regional unterschiedlich gravierend, da die USA die Hauptverantwortung für die RSM im Süden und Osten des Landes tragen, Deutschland im Norden, Italien im Westen und die Türkei in Kabul. Wichtiger ist jedoch, dass gerade die kleineren nationalen Kontingente bei spezifischen Funktionen von den USA abhängig sind. Das gilt beispielsweise für die Unterstützung aller eingesetzten Nato-Kräfte, strategischen Lufttransport, Luftunterstützung, Spezialkräfteeinsätze, taktische Hubschrauberunterstützung und Notfallevakuierungen. Entfallen diese Fähigkeiten, würde dies die Effektivität anderer Beiträge reduzieren oder sogar zunichtemachen.
Sollte sich die Sicherheitslage derart verschlechtern, dürfte dies auch die Arbeit ausländischer Diplomaten und Entwicklungshelfer sowie weiteren zivilen Personals erheblich beeinträchtigen, da sie für ihr Handeln auf die Gefahreneinschätzung und notfalls die Evakuierungsfähigkeiten der US-Streitkräfte angewiesen sind. Das mögliche Ende ihrer Tätigkeit würde in der afghanischen Bevölkerung den Eindruck verstärken, die internationale Gemeinschaft ziehe sich überstürzt aus dem Land zurück.
Sehr wahrscheinlich ist, dass die USA im Falle eines Abzugs anstreben, eine Basis für Anti-Terror-Operationen zu erhalten. Das wäre ein deutlich geringerer militärischer »Fußabdruck« als derzeit. Der afghanische Präsident Ashraf Ghani äußerte bereits seine Sorgen vor einem zu abrupten US-Abzug. Laut Medienberichten bot er in einem Brief an Präsident Trump an, Kosten zu reduzieren, damit künftig 3000 US-Soldaten in Afghanistan stationiert bleiben können. Das würde allerdings nicht ausreichen, um die RSM-Kräfte der Nato und damit auch ein deutsches Truppenkontingent in der derzeitigen Form weiter zu unterstützen.
Politische Folgen eines (Teil‑) Abzugs
Abgesehen von den operativen Details sind die amerikanischen Ankündigungen ein klares Signal an die Partner in der Nato und die politischen Akteure in Afghanistan wie in der gesamten Region: Die Regierung Trump räumt der Lage im Land nicht länger dieselbe strategische Bedeutung ein wie die amerikanischen Regierungen seit 2001. Ein vollständiger Truppenabzug wird zurzeit zwar nicht thematisiert, aber die politischen Zeichen deuten klar in Richtung eines geringeren amerikanischen Engagements. Als Problem sieht Washington die gegenwärtige Situation durchaus, die durch eine fragile Sicherheitslage, unzureichend befähigte Sicherheitskräfte, einen rudimentären Friedensprozess und eine Fragmentierung der politischen Landschaft entlang ethnischer Bruchlinien gekennzeichnet ist. Nun zieht es die Regierung Trump aber vor, ihre Verluste zu begrenzen, statt ihr Engagement auszuweiten oder zu intensivieren. Betrachtet man Afghanistan im größeren Zusammenhang amerikanischer Außenpolitik unter Donald Trump und sucht nach Mustern, dürfte es nicht verwundern, wenn weitere Abzugsschritte abrupt und ohne Konsultation mit den Nato-Partnern erfolgen würden.
Verliert die Regierung Trump auf Dauer das Interesse an Afghanistan, dürfte dies vor allem als Signal interpretiert werden, dass die amerikanische Sicherheit nicht länger von der Lage dort abhänge. Damit würde es in den USA und anderswo politisch leichter, die finanzielle Unterstützung für das Land zügig zu reduzieren, obwohl die internationale Gemeinschaft erst im November 2018 in Genf ihre finanziellen Zusagen für die afghanische Regierung während der sogenannten Transformationsdekade 2015–2024 bekräftigt hat. Dieser Mechanismus gälte auch für Deutschland: Zöge die Bundesregierung Teile des deutschen RSM-Kontingents aus Afghanistan ab, verlöre das Argument, die dortige Lage sei konstitutiv für die deutsche Sicherheit, an Glaubwürdigkeit. Die Folge wäre wahrscheinlich ein negativer militärischer, politischer und finanzieller Rutschbahneffekt.
In den vergangenen Jahren brachten internationale Geber 50 Prozent des afghanischen Staatsbudgets und 90 Prozent der Kosten für die afghanischen Sicherheitskräfte auf. Substantielle Kürzungen hätten daher unmittelbare Auswirkungen auf deren Handlungsfähigkeit und damit direkt auf die Sicherheitslage im Land. Ein weiterer Effekt träte hinzu: Die Zentralregierung in Kabul bezieht ihre Legitimität überwiegend aus der Unterstützung durch internationale Geber. Ein Entzug dieser finanziellen Mittel würde die Regierung in ihren Auseinandersetzungen mit anderen Machthabern auf regionaler oder lokaler Ebene schwächen. Das würde zentrifugalen Tendenzen im politischen System Afghanistans Vorschub leisten.
Optionen für die deutsche Politik
Die Ankündigung einer Truppenreduzierung sowie das Rahmenabkommen haben eine neue, unerwartete Dynamik in den Afghanistan-Konflikt gebracht. Diese etwas ungewisse Situation macht es zurzeit schwer, real bestehende Handlungsspielräume klar von irrealen Hoffnungen zu trennen. Noch scheint im Hinblick auf das künftige amerikanische Afghanistan-Engagement alles im Fluss zu sein und im Wesentlichen von weiteren Fortschritten in den Verhandlungen des US-Sondergesandten abzuhängen. Diese befinden sich erst im Anfangsstadium und wurden Ende Februar wieder aufgenommen. Nach Aussagen des kommissarischen US-Verteidigungsministers Patrick Shanahan existieren auch noch keinerlei Weisungen für den Rückzug der US-Truppen. Insofern besteht bisher kein direkter Handlungsdruck auf die deutsche Politik, unmittelbar mit Abzugsplanungen zu beginnen. Darüber hinaus könnten Forderungen nach einem sofortigen Abzug der Bundeswehr, die im Zusammenhang mit der beginnenden Mandatsdiskussion erhoben werden, sich kontraproduktiv auf die derzeitigen Verhandlungen mit den Taliban auswirken.
Bundesregierung und Bundestag sollten sich jedoch darauf einstellen, dass Präsident Trump an seiner Absicht festhalten wird, den Afghanistan-Einsatz in seiner jetzigen Form zu beenden und damit ein Versprechen gegenüber seinen Wählern einzuhalten. Dabei dürfte er auch seine angestrebte Wiederwahl im Jahr 2020 im Blick haben.
Deutschland hat sich politisch in Afghanistan stark verpflichtet und befindet sich in einer mehrfachen »Solidaritätsbindung« – gegenüber dem afghanischen Volk, den afghanischen Streitkräften, den Vereinigten Staaten, den Nato-Verbündeten und besonders als koordinierende Rahmennation für die Partner in der sogenannten Speiche Nord in Masar-e Scharif. Zusätzlich hat Deutschland seit dem 1. April 2009 den Vorsitz der Internationalen Kontaktgruppe für Afghanistan (ICG) inne und wird seine künftigen Schritte auch vor den dort vereinigten 50 Staaten und internationalen Organisationen vertreten müssen. All dies engt die verbleibenden Handlungsoptionen stark ein.
Die deutsche Afghanistan-Politik – wie auch die der anderen RSM-Truppensteller – hängt von zwei externen, miteinander verbundenen Faktoren ab: zum einen von den amerikanischen Abzugsplänen, zum anderen von einer dauerhaften politischen Regelung der innerafghanischen Konflikte. In diesem Sinne bedeutet das Rahmenabkommen einen wichtigen Schritt, auch wenn es sich eher um eine Prinzipienerklärung handelt.
Trotz mäßiger Erfolge des deutschen Afghanistan-Einsatzes, nachvollziehbarer Einsatzmüdigkeit im Bundestag sowie mangelnder Geduld und wachsenden Desinteresses in der deutschen Öffentlichkeit wäre es zurzeit ein falsches Signal, das Afghanistan-Mandat der Bundeswehr nicht zu verlängern. Die deutsche Politik würde den Einsatz verlorengeben, ohne ihre Ziele erreicht zu haben. So trüge sie dazu bei, dem wirtschafts- und entwicklungspolitischen Engagement der internationalen Gemeinschaft die Grundlage zu entziehen. Stattdessen ist ein klarer Hinweis der Konditionalität an die Aufständischen notwendig. Ihnen muss klargemacht werden, dass die Nato ihre Resolute Support Mission erst dann beenden wird, wenn die angestrebte innerafghanische politische Vereinbarung geschlossen ist.
Vor diesem Hintergrund wäre davon abzuraten, das neu zu erteilende Bundestagsmandat um eine Ausstiegsplanung oder -strategie zu ergänzen, ohne sich zuvor mit den Bündnispartnern abzustimmen, vor allem in der Verantwortung als Rahmennation in der sogenannten Speiche Nord. Das wäre nicht nur ein Verstoß gegen Prinzipien des multilateralen Handelns, sondern auch eine Botschaft an die Taliban, dass sie den internationalen Truppenabzug abwarten können.
Mit Blick auf die angestrebten Ziele und die Alternativen bleibt als beste vieler düsterer Optionen nur, das Bundestagsmandat in der vorliegenden Form fortzusetzen. Ein simples »Weiter so« darf dies politisch aber nicht bedeuten. Allen Widrigkeiten zum Trotz sollte die deutsche Politik versuchen, Einfluss auf die amerikanischen Abzugspläne und auf eine innerafghanische politische Lösung zu nehmen:
Was den amerikanischen Truppenabzug betrifft, ist es wahrscheinlich, dass Präsident Trump auch weiterhin ohne Konsultationen mit den Verbündeten über die Präsenz amerikanischer Truppen in Afghanistan entscheiden wird. Appelle Berlins, koordiniert zu handeln, werden eher wenig fruchten. Die deutsche Politik sollte die USA aber daran erinnern, dass es vor allem das Motiv der transatlantischen Solidarität und Lastenteilung war, das die Bundeswehr nach Afghanistan geführt hat. Eine Fortführung der RSM ohne substantielle amerikanische Beteiligung kann es aus militärischen und erst recht aus politischen Gründen nicht geben.
Im Hinblick auf ein Friedensabkommen ist einzugestehen, dass Deutschlands politisches Gewicht in Südasien begrenzt ist. Das sollte die deutsche Politik aber nicht daran hindern, auf diplomatischem Wege für das weitere Vorgehen in Afghanistan eine multilaterale Gesamtabstimmung voranzutreiben. Für eine solche Initiative bieten sich zahlreiche internationale Foren und Organisationen an, zum Beispiel Vereinte Nationen, Nato, Europäische Union oder Geberkonferenzen. Ein geeigneter Rahmen könnte eine erneute Friedenskonferenz (»Petersberg III«) für Afghanistan sein, welche die regionalen Anrainer einschließlich Russlands ebenso einbezöge wie die Taliban. Inwieweit diese dazu grundsätzlich bereit wären, ist vermutlich frühestens nach der nächsten bilateralen Verhandlungsrunde zwischen den USA und den Taliban abzuschätzen. Dass darüber hinaus bereits ein substantieller Fortschritt in den Verhandlungen insgesamt erreichbar ist, erscheint bisher eher zweifelhaft.
Generalleutnant a.D. Rainer L. Glatz ist Senior Distinguished Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.
Dr. habil. Markus Kaim ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.
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doi: 10.18449/2019A11