Mit der Umsetzung der neuen Netto-Emissionsziele für 2030 und 2050 im Rahmen des Europäischen Green Deal rückt die aktive Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre in den Fokus politischer Entscheidungsträger. Dass Netto-Null-Ziele ohne den großskaligen Einsatz von Maßnahmen zur CO2-Entnahme (Carbon Dioxide Removal, CDR) nicht erreicht werden können, hat auch der Weltklimarat IPCC in seinem jüngsten Bericht zur Minderung des Klimawandels erneut dargelegt. In den vergangenen Jahren hat sich die politische Debatte in der EU rasant verändert. Mittlerweile fordern nahezu alle politischen Akteure einen neuen regulatorischen Rahmen für die Bindung von CO2 als integralen Baustein der EU-Klimapolitik. Über die Frage, welche Methoden und Politikinstrumente dafür verwendet und welche Schwerpunkte gesetzt werden sollen, bahnen sich indes grundlegende Konflikte an. Auf EU-Ebene sind erste Ansätze für politische Allianzen erkennbar, die kurzfristig die Fit-for-55-Gesetzgebung prägen und mittelfristig die Debatte über die Ausgestaltung der Klimapolitik zwischen 2030 und 2040 vorstrukturieren werden.
Mit dem Voranschreiten der Gesetzgebungsprozesse im Rahmen des Fit-for-55-Pakets nimmt die Umsetzung des Europäischen Green Deal immer konkretere Formen an. Nachdem 2021 zunächst das Europäische Klimaschutzgesetz sowie die neuen Ziele für 2030 (netto minus 55% Treibhausgasemissionen [THG] gegenüber 1990) und 2050 (Netto-Null-THG-Emissionen) verabschiedet wurden, arbeiten die europäischen Institutionen und nationalen Regierungen an Reformen aller maßgeblichen klimapolitischen Rechtsakte. Ein wichtiges Thema sind dabei Maßnahmen zur gezielten Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre und dessen dauerhafte Lagerung in geologischen, terrestrischen oder ozeanischen Reservoirs.
Ohne Entnahme kein Netto-Null
Die bereits beschlossenen EU-Klimaziele verpflichten zum Aufbau von Entnahmekapazitäten, die deutlich über die bisherigen Bemühungen zur Wiederaufforstung hinausgehen. Andernfalls können die nach heutigem Wissensstand nicht (oder nur zu sehr hohen Kosten) vermeidbaren Restemissionen, insbesondere aus der Landwirtschaft, dem Langstreckenverkehr oder der Industrie, nicht ausgeglichen werden. Die Frage, welchen Sektoren und Mitgliedstaaten diese Restemissionen zugestanden werden, ist Gegenstand eines zunehmend konfliktreichen Aushandlungsprozesses.
Die Verteilungseffekte der europäischen Klimapolitik sind in Anbetracht der russischen Invasion in die Ukraine derzeit zwar eher in den Hintergrund der öffentlichen Debatte getreten. Anzeichen, dass sich die CO2-Entnahmepolitik wegen des Kriegs verzögern würde, sind jedoch nicht auszumachen. Die neue Fokussierung auf Flüssigerdgas und Wasserstoff in der Energieversorgung könnte mittelfristig sogar zu einer Steigerung der Investitionen und einer Beschleunigung des Aufbaus von CO2-Transportinfrastrukturen führen, die auch für CDR relevant sind.
Restemissionen in der Klimapolitik
Erst mit der Veröffentlichung des IPCC-Sonderberichts über die Folgen einer globalen Erwärmung um 1,5°C im Jahr 2018 und dem darauffolgenden Bekenntnis der EU, bis 2050 Klimaneutralität erreichen zu wollen, begannen sich explizite politische Positionen zum Thema CDR und (potentiell) unvermeidbare Restemissionen herauszubilden. Gemäß den Szenarien der Europäischen Kommission müssten im Jahr 2050 etwa 500 Megatonnen (Mt) CO2-Äquivalente (CO2eq) ausgeglichen werden (etwa 10 % der THG-Emissionen von 1990), um Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Die Netto-CO2-Entnahme aus Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (Land Use, Land-use Change and Forestry, LULUCF) lag für die gesamte EU in der letzten Dekade bei durchschnittlich 293 Mt CO2eq – bei abnehmender Tendenz. Selbst bei einem hochambitionierten Ausbau dieser Senken werden ökosystembasierte Methoden wie (Wieder-)Aufforstung und erhöhte Kohlenstoffbindung in Böden allein nicht ausreichen, um alle residualen Emissionen auszugleichen; insbesondere dann nicht, wenn die Potentiale und Dauer der Speicherung durch den voranschreitenden Klimawandel reduziert werden.
Im europäischen Mehrebenensystem sind sich mittlerweile nahezu alle Akteure einig, dass die CDR-Kapazitäten stark ausgebaut werden müssen. Dieser Konsens spiegelt sich auch in dem neu beschlossenen Reduktionsziel für 2030 von 55 Prozent wider, zu dessen Erfüllung eine begrenzte Menge von Netto-Entnahmen aus dem LULUCF-Sektor angerechnet werden können. Trotz und gerade wegen des großen Aufmerksamkeitsschubs, den CDR zuletzt erfahren hat, besteht aber noch große Uneinigkeit über die konkrete Ausgestaltung der Politikinstrumente, über die Auswahl der Entnahmemethoden und die Anrechnungsmöglichkeiten. Dies gilt sowohl mit Blick auf die Gesetzgebung des Fit-for-55-Pakets als auch die Architektur der EU-Klimapolitik für den Zeitraum 2031–2050.
Kommission als Vordenkerin
Seit 2018 tritt die Europäische Kommission immer stärker als Antreiberin und Vordenkerin der CDR-Debatte auf. Wie die Kommission die europäische Entnahmepolitik in Zukunft gestalten möchte, skizzierte sie im Dezember 2021 mit ihrer Mitteilung zu nachhaltigen Kohlenstoffkreisläufen anhand von drei Kernthemen (Carbon Farming; industrielle Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2; Zertifizierung von Entnahmen). Die Entscheidungshoheit über die konkrete Ausgestaltung und politische Umsetzung der Entnahmepolitik liegt allerdings bei den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament (EP). Innerhalb und zwischen den beiden Ko-Gesetzgebern gehen politische Präferenzen, Allianzen und Interessen in Verteilungsfragen mitunter sehr weit auseinander. Der Kommission kommt mit Blick auf die drei Themenbereiche daher auch die Rolle zu, im Vorfeld mögliche Kompromisspakete auszuloten.
Ein erster wichtiger Teilbereich der Entnahmepolitik wird aus der Förderung des sogenannten Carbon Farming bestehen. Ziel ist es dabei, Land- und Forstwirte für Praktiken zu belohnen, mit denen möglichst viel CO2 gebunden wird. Die finanziellen Mittel dafür könnten nach den Plänen der Kommission aus den gut ausgestatteten Etats der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU und den Regionalfonds stammen. Während die Entnahme von CO2 mittels bewirtschafteter Wälder gemäß der europäischen LULUCF-Verordnung bereits Teil der EU-Klimapolitik ist, strebt die Carbon-Farming-Initiative eine Ausweitung auf die Landwirtschaft an. So könnten zukünftig unter anderem Anreize für die Aufnahme von CO2 in Böden gesetzt werden und die damit einhergehende Entnahme zur Erfüllung nationaler Verpflichtungen gemäß der Lastenteilungs- und der LULUCF-Verordnung beitragen.
Der zweite Teilbereich des Kommissionskonzepts zu nachhaltigen Kohlenstoffkreisläufen umfasst die industrielle Abscheidung, Nutzung oder Speicherung von CO2. Die bislang meistdiskutierten Maßnahmen sind die Abscheidung aus der Umgebungsluft und anschließende Speicherung (Direct Air Carbon Capture and Storage, DACCS) und die Kombination aus der Produktion von Bioenergie und nachfolgender Abtrennung und Speicherung von CO2 (Bio-energy with Carbon Capture and Storage, BECCS). Obwohl sich immer mehr Unternehmen (u.a. aus der Stahl-, Zement- und Automobilindustrie) um Kooperationen mit den nach wie vor wenigen Nischenanbietern dieser Technologien bemühen, sind die tatsächlichen Entnahmekapazitäten bis dato gering. Der Fokus dürfte deshalb zunächst darauf liegen, die Förderung dieser Technologien auszuweiten, unter anderem durch den an das EU-Emissionshandelssystem gekoppelten Innovationsfonds und das Europäische Rahmenprogramm für Forschung und Innovation Horizon Europe.
Drittens wird ein Instrument zur Zertifizierung und Bilanzierung von CDR-Methoden angestrebt. Ziel ist ein wissenschaftlich belastbares Regelwerk für die Überwachung von Senkenleistungen und die dazugehörige Berichterstattung. Diesem Instrument kommt bei der Erweiterung der bisherigen Klimapolitik eine Schlüsselrolle zu: nicht nur, weil damit in den Kontroversen um die Dauerhaftigkeit verschiedener Speichermethoden auf einen regulatorischen Standard verwiesen werden könnte. Das anvisierte Zertifizierungssystem ist auch Grundlage für die wichtige Unterscheidung zwischen Nutzung und Speicherung von CO2 (Carbon Capture and Utilization, CCU, und Carbon Capture and Storage, CCS) und CO2-Entnahme. Während CCU und CCS auf Emissionsneutralität einzelner Prozessketten wie zum Beispiel in der Zement- und der Chemieindustrie abzielen, ermöglichen CDR-Methoden wie DACCS und BECCS netto-negative Emissionen. Nur wenn diese Methoden plausibel zertifiziert werden, können sie für den prozess- und sektorübergreifenden Ausgleich von Residualemissionen, beispielsweise aus dem Landwirtschafts- oder Verkehrssektor, eingesetzt werden. Mit der Einrichtung eines Zertifizierungssystems für die Nutzung und Entnahme von CO2 würde die EU ihrer klimapolitischen Vorreiterrolle gerecht: Weder in Großbritannien noch in den USA, die umfassende Programme zur Innovationsförderung im Bereich der CO2-Entnahme aufgesetzt haben, ist bislang ein vergleichbares Regelwerk etabliert.
Über die Innovationsförderung hinaus verfolgt die Kommission auch das Ziel, bei der Entwicklung und Implementierung von innovativen »policy designs« neue Maßstäbe zu setzen und ihr Standing als vorbildlicher Akteur in der Klimapolitik zu festigen. Ob der EU das gelingt, hängt einerseits maßgeblich von der konkreten Ausgestaltung der Gesetzgebung ab. Differenzen in den klimapolitischen Ambitionen der Mitgliedstaaten, strukturelle Unterschiede, was den Umfang und die Zusammensetzung residualer Emissionen betrifft, und divergierende politische Präferenzen in Bezug auf einzelne Methoden lassen erwarten, dass die bevorstehenden Gesetzgebungsprozesse von vielfältigen Interessenkonflikten begleitet sein werden. Andererseits wird die EU auch von den bereits erwähnten Entwicklungen in anderen Ländern wie zum Beispiel den USA beeinflusst werden, wo Innovationen jenseits von Förderprogrammen der Regierung mittlerweile stark von Unternehmen vorangetrieben werden. Ein umfassender Einsatz von CDR-Methoden in den USA und anderen Ländern würde den Druck auf die EU und ihre Mitgliedstaaten erhöhen, ihre Entnahmekapazitäten ebenfalls auszubauen. Die unter deutscher Präsidentschaft erstmals erfolgte Aufnahme eines CDR-Textabschnitts in die Abschlusserklärung der Klima-, Umwelt- und Energieminister der G7 belegt die zunehmende Bedeutung des Themas für die führenden Industrienationen.
Sequenzierung der politischen Prozesse
Insgesamt lässt sich auf EU-Ebene eine Sequenzierung der politischen Initiativen zur Förderung und Regulierung der CO2-Entnahme beobachten. Die Reformen im Rahmen des Fit-for-55-Pakets für die Zeit bis 2030 sehen bisher keine grundlegenden Veränderungen der für CDR relevanten Governance-Strukturen vor. Der Schwerpunkt liegt hier zunächst auf der Ausweitung ökosystembasierter Senken, auf einer verstärkten Innovationsförderung und auf der Festlegung von Regeln für die Bilanzierung. Im Verlauf der Verhandlungen über das Fit-for-55-Paket sind in diesem Zusammenhang einige Konkretisierungen zu erwarten. Die Beschlüsse des EP sind ein erster Schritt in diese Richtung: Die Abgeordneten diskutieren unter anderem die Prüfung der Aufnahme von »negativen Emissionen« in den EU-Emissionshandel, die Bedeutung von Carbon Farming und die mögliche Berücksichtigung von CO2-Entnahmen in Meeres- und Küstenökosystemen und sie fordern mehr Klarheit in Bezug auf die Zertifizierung von technologischen Entnahmemethoden. Inwieweit CO2-Entnahmen jenseits etablierter Methoden wie etwa der Wiederaufforstung Eingang in die EU-Klimapolitik bis 2030 finden, entscheidet sich in den Trilog-Verhandlungen zwischen dem Rat der Mitgliedstaaten, der Kommission und dem EP.
Im Anschluss an die Etablierung des geplanten Zertifizierungsinstruments und für die Zeit nach 2030 sind umfassendere CDR-Reformen in der Architektur der EU‑Klimapolitik zu erwarten. In allzu ferner Zukunft liegen Debatten über diesen Zeitraum nicht: Die über ein neues EU-Klimaziel für das Jahr 2040 wird schon bald nach Abschluss der Verhandlungen über das Fit-for-55-Paket auf die klimapolitische Agenda rücken. Grund dafür ist zum einen eine Vorgabe im EU-Klimaschutzgesetz, der zufolge die Kommission innerhalb von sechs Monaten nach der ersten Globalen Bestandsaufnahme im Rahmen des Pariser Klimaabkommens im Jahr 2023 einen Vorschlag für das neue 2040-Ziel machen soll. Darüber hinaus dürfte sich im Rahmen parteipolitischer Auseinandersetzungen im Vorfeld der Europawahlen 2024 mehr Aufmerksamkeit auf das nächste Zwischenziel auf dem Weg zur Klimaneutralität richten. Umstritten dürfte dabei nicht nur die Höhe des Netto-Ambitionsniveaus sein, sondern auch der relative Anteil von CDR bei der Zielerreichung.
Portfolio an Allianzen und Methoden
Mit der Intensivierung der politischen Debatte über CO2-Entnahmen bilden sich nach und nach neue Allianzen unter den Mitgliedstaaten heraus. Dänemark, Schweden und die Niederlande forcieren zusammen mit Norwegen die Themen CCS und CDR. Vor allem Schweden schreitet bei der Umsetzung und Regulierung von BECCS voran, eine Option, die sich für das Land aufgrund einer überdurchschnittlich hohen Nutzung von Biomasse in der Industrie und bei der Stromproduktion anbietet. In Bezug auf ökosystembasierte Ansätze ist die Diskussion unter anderem in Frankreich oder Polen schon weiter. Dort sind Ideen zur Zertifizierung und Vergütung von Entnahmen durch große Agrar- und Forstwirtschaftsunternehmen schon länger Bestandteil der klimapolitischen Debatte. Noch sind die Positionierungen in vielen Mitgliedstaaten und im EP aber fluide. Spätestens in dem bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren zum Zertifizierungsinstrument dürfte sich konkretisieren, welche Methoden einzelne Mitgliedstaaten und EP-Fraktionen präferieren.
Noch lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, welche Entnahmemethoden die Debatte dominieren und wo sie in großem Umfang eingesetzt werden. Klar ist allerdings, dass neben ökosystembasieren Ansätzen, von der EU-Kommission unter dem Begriff Carbon Farming subsumiert, auch CCS-basierte Verfahren wie DACCS oder BECCS eine Rolle spielen werden. Darüber hinaus entwickelt sich derzeit eine Diskussion über die Förderung des Kohlenstoffaufnahmepotentials der Ozeane. In ihrer Mitteilung zu nachhaltigen Kohlenstoffkreisläufen weist die Kommission auf die Möglichkeiten hin, die das Blue Carbon Farming bietet, zum Beispiel durch die Regeneration und Ausdehnung von Seegraswiesen. Nicht erwähnt wurden in der Mitteilung jedoch geochemische Ansätze zur marinen CO2-Entnahme, wie zum Beispiel die Erhöhung der Alkalinität des Ozeans (Ocean Alkalinity Enhancement). Derzeit fördern sowohl die EU-Kommission als auch die Bundesregierung große Forschungsverbünde, in denen die Potentiale und Risiken eines breiten Portfolios von meeresbasierten CDR-Ansätzen untersucht werden.
Folgen für Deutschland: Die CCS‑Renaissance
Für die Entwicklung der CO2-Entnahmepolitik auf EU-Ebene wird die Position der Bundesregierung von Bedeutung sein. Diese hat sich innerhalb von zwei Jahren rasant verändert. Während das Klimaschutzgesetz aus dem Jahr 2019 keinen Verweis auf die Notwendigkeit von Entnahmen enthielt, findet sich in dessen Novellierung ein quantifiziertes Ziel für ökosystembasierte Entnahmen (Art. 3a). Die 2021 vereidigte Bundesregierung bekennt sich in ihrem Koalitionsvertrag zudem zur Notwendigkeit »von technischen Negativemissionen« und kündigt die Erarbeitung einer Langfriststrategie für den »Umgang mit den etwa 5 Prozent unvermeidbaren Restemissionen« an. Damit rücken politisch unbequeme Fragen in den Fokus: In welchen Sektoren dürfen die verbleibenden Emissionen emittiert werden? Und welche Rolle wird Ansätzen des Carbon Management (CCS, CCU und CDR) im Klimaschutz künftig zuteil?
Die einst stark umstrittene CCS-Technologie steht derzeit in vielen Mitgliedstaaten vor einer Renaissance. Angetrieben wird die Debatte unter anderem von Erkenntnissen nationaler Modellierungsstudien, in denen Dekarbonisierungspfade entwickelt werden. Darin kommt CCS eine doppelte Rolle zu: Zum einen ist es ein wichtiger Baustein von CO2-Neutralitätsstrategien in denjenigen Sektoren, die in erheblichem Umfang unvermeidbare Prozessemissionen zu verzeichnen haben, wie zum Beispiel der Zementproduktion. Zum anderen ist CCS Bestandteil von Prozessketten der CO2-Entnahmemethoden BECCS und DACCS, denen in der Diskussion über mögliche Methodenportfolios eine große Bedeutung zugemessen wird. Beide Funktionen von CCS sind auf dem Weg zu Netto-Null eng miteinander verknüpft: Je umfassender die residualen Emissionen in der Industrie auch mit Hilfe von CCS verringert werden können, desto weniger CDR-Kapazitäten werden benötigt, um diese auszugleichen.
Die Debatte fokussiert sich aber auch deshalb so stark auf CCS, weil mit Norwegen ein mit der EU politisch wie wirtschaftlich eng verflochtener Partner als CO2-Speicher-Dienstleister bereitsteht. Neben einzelnen Unternehmen bahnen auch erste Bundesländer CCS-Kooperationen an. So hat zum Beispiel das Land Nordrhein-Westfalen eine Carbon-Management-Strategie entwickelt, die Pläne für Kooperationen bei der CO2-Speicherung in den Niederlanden, Norwegen und Schottland umfasst. Norddeutsche Bundesländer positionieren sich verstärkt als Vorreiter in der Forschung zu marinen Entnahmemethoden und CCS-relevanter Infrastruktur. In Wilhelmshaven soll zum Beispiel eine Basis für die CO2-Verschiffung entstehen. Obwohl diese Initiativen bislang nur in begrenztem Maße auf die Schaffung von Entnahmekapazitäten abzielen, werden neu geschaffene Infrastrukturen für den CO2-Transport hilfreich dabei sein, künftige Entnahmeprojekte umzusetzen. Bei der Errichtung von DACCS-Anlagen wird die Nähe zu CO2-Pipelines eine wichtige Rolle spielen. Für den Aufbau von BECCS-Prozessketten würde sich der Einsatz von Biomasse als Energieträger vor allem in Industrieanlagen anbieten, die an CCS-Infrastruktur angeschlossen sind.
Politische Herausforderungen auf EU-Ebene
Im Zuge der regulatorischen Umsetzung des Europäischen Green Deal und des Netto-Null-Ziels sind in den kommenden Jahren intensive Auseinandersetzungen zu erwarten. Mit einem besseren Überblick über die zu erwartenden residualen Emissionen in einzelnen Sektoren und Mitgliedstaaten werden sich die Erwartungen an eine EU-Entnahmepolitik konkretisieren. Schon jetzt zeichnen sich dabei drei Herausforderungen ab, die die Debatten in Brüssel und Berlin künftig prägen werden.
Die deutschen und europäischen Entscheidungsträger stehen vor der schwierigen Aufgabe, die politische Priorität von Emissionsreduktionen sicherzustellen. Eine unpräzise Einbettung von CDR in die Klimapolitik würde das Risiko bergen, dass Bemühungen um Emissionsreduzierung unterminiert werden. Die Gesetzgebungsprozesse im Kontext des Fit-for-55-Pakets und des EU-Klimaschutzgesetzes zeigen, dass eine eindeutige Trennung von Emissionsreduzierung und CO2-Entnahme politisch umstritten ist. Vor dem Hintergrund sich formierender Sektorinteressen sollte in dieser frühen Phase der Entnahmepolitik der Schwerpunkt strategisch auf die Priorisierung von Emissionsreduktionen gelegt werden. Dafür ist es auch unabdingbar, dass eine klare Trennlinie gezogen wird zwischen CDR, das Netto-Negativ-Emissionen ermöglicht, und herkömmlichen CCU-/CCS-Verfahren, mit deren Hilfe bestenfalls emissionsneutrale Prozesse realisiert werden.
Die Ausweitung der EU-Entnahmepolitik auf die Landwirtschaft mittels Carbon Farming ist sowohl mit Herausforderungen als auch mit Chancen verbunden. Der Agrarbereich ist das Politikfeld mit dem größten Budgetanteil im EU-Haushalt und entsprechend formierten Interessengruppen und Konfliktlinien. Seine stärkere Einbeziehung in die EU-Klimapolitik könnte diese noch zusätzlich belasten. Problematisch sind in diesem Zusammenhang auch Unsicherheiten, welche Entnahmepotentiale dauerhaft realistisch und welche Infrastrukturen für das Monitoring geeignet sind. Die Chance besteht darin, dass die von der Kommission anvisierten neuen Einkommensquellen für Land- und Forstwirte zu einer nachhaltigeren Landnutzung beitragen und die geplanten Anreizstrukturen gleichzeitig als Kompromissmasse bei größeren Paketlösungen zwischen den Mitgliedstaaten und dem EP eingesetzt werden könnten. Eine entscheidende politische Frage wird sein, ob das bestehende Budget der Gemeinsamen Agrarpolitik umgeschichtet und dadurch Verteilungskämpfe intensiviert oder zusätzliche Mittel verfügbar gemacht werden.
Drittens besteht eine politische Herausforderung darin, die angestrebten Governance-Strukturen für die Zertifizierung auf EU-Ebene erfolgreich zu implementieren, einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch mit anderen CDR-Vorreitern zu etablieren und CDR zum Gegenstand multilateraler Verhandlungen im Rahmen der UNFCCC zu machen. Da die EU ihre Zertifizierungs- und Anreizsysteme permanent wird verbessern müssen, sollte sie an der Schaffung einer Plattform interessiert sein, auf der die praktischen Erfahrungen mit unterschiedlich ausgestalteten Entnahmeinitiativen, etwa aus den USA und Großbritannien, zusammengeführt werden. Hierfür bietet sich unter anderem die »CDR-Mission« unter dem Dach des internationalen Forschungs- und Entwicklungsnetzwerks Mission Innovation an. Ein unverzichtbarer Schritt ist mittelfristig eine Erweiterung des UNFCCC-Emissionsberichtswesens um eine wissenschaftlich plausible Regelsetzung zur Anrechnung von CDR, damit das gesamte Portfolio an Entnahmeansätzen berücksichtigt werden kann. Ein solcher Prozess könnte auch dazu beitragen die Verengung der Entnahmedebatte im Rahmen der UNFCCC auf die internationalen Marktmechanismen im Artikel 6 des Pariser Abkommens aufzulösen.
Sowohl auf europäischer als auch auf multilateraler Ebene ist die Verständigung über ein System zur Zertifizierung und Anrechnung von CDR ein unabdingbarer Schritt bei der Etablierung einer CO2-Entnahmepolitik. Über die Frage der Permanenz der Entnahmen hinaus könnte damit auch die Unterscheidung zwischen CCU, CCS und CDR politisch und regulatorisch klarer gefasst werden.
Als Mitgliedstaat mit den höchsten THG-Emissionen, einem vergleichsweise energie- und CO2-intensiven Industriesektor und hohen klimapolitischen Ambitionen kommt Deutschland bei diesen Herausforderungen eine Schlüsselrolle zu. Insbesondere die im Koalitionsvertrag angekündigte Langfriststrategie für Restemissionen könnte genutzt werden, um neue Handlungsspielräume in der Innovationsförderung zu identifizieren und gleichzeitig einen offenen und strukturierten Austausch mit Industrie und organisierter Zivilgesellschaft zu initiieren. Die Fit-for-55-Gesetzgebung und die Debatte über das EU-2040-Ziel bieten der Bundesregierung die Gelegenheit, ihre Positionsverschiebung beim Carbon Management nicht nur in nationalen Prozessen umzusetzen, sondern auch auf EU-Ebene zu artikulieren und die europäische CO2-Entnahmepolitik aktiv voranzubringen.
Felix Schenuit ist Wissenschaftler im Projekt CDRSynTra, Dr. Miranda Böttcher Wissenschaftlerin im Projekt ASMASYS. Dr. Oliver Geden ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU / Europa und Leiter des SWP-Anteils dieser vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundprojekte.
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DOI: 10.18449/2022A37