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CO2-Entnahme als integraler Baustein des Europäischen »Green Deal«

SWP-Aktuell 2022/A 37, 09.06.2022, 7 Pages

doi:10.18449/2022A37

Research Areas

Mit der Umsetzung der neuen Netto-Emissionsziele für 2030 und 2050 im Rahmen des Europäischen Green Deal rückt die aktive Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre in den Fokus politischer Entscheidungs­träger. Dass Netto-Null-Ziele ohne den großskaligen Einsatz von Maßnahmen zur CO2-Entnahme (Carbon Dioxide Removal, CDR) nicht erreicht werden können, hat auch der Weltklimarat IPCC in seinem jüngsten Bericht zur Minderung des Klimawandels erneut dargelegt. In den vergangenen Jahren hat sich die politische Debatte in der EU rasant verändert. Mittlerweile fordern nahezu alle politischen Akteure einen neuen regula­to­rischen Rahmen für die Bindung von CO2 als integralen Baustein der EU-Klimapolitik. Über die Frage, welche Methoden und Politikinstrumente dafür verwendet und welche Schwerpunkte gesetzt werden sollen, bahnen sich indes grundlegende Konflikte an. Auf EU-Ebene sind erste Ansätze für politische Allianzen erkennbar, die kurzfristig die Fit-for-55-Gesetzgebung prägen und mittelfristig die Debatte über die Ausgestaltung der Klimapolitik zwischen 2030 und 2040 vorstrukturieren werden.

Mit dem Voranschreiten der Gesetzgebungs­prozesse im Rahmen des Fit-for-55-Pakets nimmt die Umsetzung des Europäischen Green Deal immer konkretere Formen an. Nachdem 2021 zunächst das Europäische Klimaschutzgesetz sowie die neuen Ziele für 2030 (netto minus 55% Treibhausgas­emissionen [THG] gegenüber 1990) und 2050 (Netto-Null-THG-Emissionen) ver­abschiedet wurden, arbeiten die europäischen Institutionen und nationalen Regie­rungen an Refor­men aller maßgeblichen klima­politischen Rechtsakte. Ein wichtiges Thema sind dabei Maßnahmen zur geziel­ten Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre und dessen dauerhafte Lagerung in geo­logischen, terrestrischen oder ozeanischen Reservoirs.

Ohne Entnahme kein Netto-Null

Die bereits beschlossenen EU-Klimaziele verpflichten zum Aufbau von Entnahmekapazitäten, die deutlich über die bisherigen Bemühungen zur Wiederaufforstung hinausgehen. Andernfalls können die nach heutigem Wissensstand nicht (oder nur zu sehr hohen Kosten) vermeidbaren Rest­emissionen, insbesondere aus der Landwirtschaft, dem Langstreckenverkehr oder der Industrie, nicht ausgeglichen werden. Die Frage, welchen Sektoren und Mitglied­staaten diese Restemissionen zugestanden werden, ist Gegenstand eines zunehmend kon­fliktreichen Aushandlungsprozesses.

Die Verteilungseffekte der europäischen Klimapolitik sind in Anbetracht der rus­sischen Invasion in die Ukraine derzeit zwar eher in den Hintergrund der öffent­lichen Debatte getreten. Anzeichen, dass sich die CO2-Entnahmepolitik wegen des Kriegs ver­zögern würde, sind jedoch nicht auszumachen. Die neue Fokussierung auf Flüssigerdgas und Wasserstoff in der Energie­versor­gung könnte mittelfristig sogar zu einer Steigerung der Investitionen und einer Beschleunigung des Aufbaus von CO2-Transportinfrastrukturen führen, die auch für CDR relevant sind.

Restemissionen in der Klimapolitik

Erst mit der Veröffentlichung des IPCC-Son­derberichts über die Folgen einer globalen Erwärmung um 1,5°C im Jahr 2018 und dem darauffolgenden Bekenntnis der EU, bis 2050 Klimaneutralität erreichen zu wollen, begannen sich explizite politische Positionen zum Thema CDR und (potentiell) un­vermeidbare Restemissionen herauszubilden. Gemäß den Szenarien der Europäischen Kommission müssten im Jahr 2050 etwa 500 Megatonnen (Mt) CO2-Äquivalente (CO2eq) ausgeglichen werden (etwa 10 % der THG-Emissionen von 1990), um Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Die Netto-CO2-Ent­nahme aus Landnutzung, Landnutzungs­änderung und Forstwirtschaft (Land Use, Land-use Change and Forestry, LULUCF) lag für die gesamte EU in der letzten Dekade bei durchschnittlich 293 Mt CO2eq – bei ab­nehmender Tendenz. Selbst bei einem hochambitionierten Ausbau dieser Senken werden ökosystembasierte Methoden wie (Wieder-)Aufforstung und erhöhte Kohlen­stoffbindung in Böden allein nicht aus­reichen, um alle residualen Emissionen auszugleichen; insbesondere dann nicht, wenn die Potentiale und Dauer der Speiche­rung durch den voranschreitenden Klima­wandel reduziert werden.

Im europäischen Mehrebenensystem sind sich mittlerweile nahezu alle Akteure einig, dass die CDR-Kapazitäten stark aus­gebaut werden müssen. Dieser Konsens spie­gelt sich auch in dem neu beschlossenen Reduktionsziel für 2030 von 55 Prozent wider, zu dessen Erfüllung eine begrenzte Menge von Netto-Entnahmen aus dem LULUCF-Sektor angerechnet werden kön­nen. Trotz und gerade wegen des großen Aufmerksamkeits­schubs, den CDR zuletzt erfahren hat, besteht aber noch große Un­einigkeit über die konkrete Ausgestaltung der Politikinstrumente, über die Auswahl der Entnahmemethoden und die Anrechnungsmöglichkeiten. Dies gilt sowohl mit Blick auf die Gesetzgebung des Fit-for-55-Pakets als auch die Architektur der EU-Klima­politik für den Zeitraum 2031–2050.

Kommission als Vordenkerin

Seit 2018 tritt die Europäische Kommission immer stärker als Antreiberin und Vorden­ke­rin der CDR-Debatte auf. Wie die Kom­mission die europäische Entnahmepolitik in Zukunft gestalten möchte, skizzierte sie im Dezember 2021 mit ihrer Mitteilung zu nachhaltigen Kohlenstoffkreisläufen an­hand von drei Kernthemen (Carbon Farming; industrielle Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2; Zertifizierung von Entnahmen). Die Entscheidungshoheit über die konkrete Ausgestaltung und politische Umsetzung der Entnahmepolitik liegt aller­dings bei den Mitgliedstaaten und dem Euro­päischen Parlament (EP). Innerhalb und zwischen den beiden Ko-Gesetzgebern gehen politische Präferenzen, Allianzen und Inter­essen in Verteilungs­fragen mit­unter sehr weit auseinander. Der Kommission kommt mit Blick auf die drei Themenbereiche da­her auch die Rolle zu, im Vorfeld mögliche Kompromisspakete auszuloten.

Ein erster wichtiger Teilbereich der Ent­nahmepolitik wird aus der Förderung des sogenannten Carbon Farming bestehen. Ziel ist es dabei, Land- und Forstwirte für Prak­tiken zu belohnen, mit denen möglichst viel CO2 gebunden wird. Die finanziellen Mittel dafür könnten nach den Plänen der Kommission aus den gut ausgestatteten Etats der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU und den Regionalfonds stammen. Während die Ent­nahme von CO2 mittels bewirtschafteter Wälder gemäß der europäischen LULUCF-Verordnung bereits Teil der EU-Klimapolitik ist, strebt die Carbon-Farming-Initiative eine Ausweitung auf die Landwirtschaft an. So könnten zukünftig unter anderem Anreize für die Aufnahme von CO2 in Böden gesetzt werden und die damit einhergehende Entnahme zur Erfüllung nationaler Verpflichtungen gemäß der Lastenteilungs- und der LULUCF-Verord­nung beitragen.

Der zweite Teilbereich des Kommissionskonzepts zu nachhaltigen Kohlenstoff­kreis­läufen umfasst die industrielle Abschei­dung, Nutzung oder Speicherung von CO2. Die bislang meistdiskutierten Maß­nahmen sind die Abscheidung aus der Umgebungs­luft und anschließende Speicherung (Direct Air Carbon Capture and Storage, DACCS) und die Kombination aus der Produktion von Bioenergie und nachfolgender Ab­trennung und Speicherung von CO2 (Bio-energy with Carbon Capture and Storage, BECCS). Ob­wohl sich immer mehr Unternehmen (u.a. aus der Stahl-, Zement- und Automobil­indus­trie) um Kooperationen mit den nach wie vor wenigen Nischenanbie­tern dieser Technologien bemühen, sind die tatsächlichen Entnahmekapazitäten bis dato gering. Der Fokus dürfte des­halb zu­nächst darauf lie­gen, die Förderung dieser Technologien aus­zuweiten, unter anderem durch den an das EU-Emis­sions­handels­system gekoppelten Innovationsfonds und das Europäische Rahmenprogramm für Forschung und Innovation Horizon Europe.

Drittens wird ein Instrument zur Zertifizierung und Bilanzierung von CDR-Metho­den angestrebt. Ziel ist ein wissenschaftlich belastbares Regelwerk für die Überwachung von Senkenleistungen und die dazugehörige Berichterstattung. Diesem Instrument kommt bei der Erweiterung der bisherigen Klimapolitik eine Schlüsselrolle zu: nicht nur, weil damit in den Kontroversen um die Dauerhaftigkeit verschiedener Speicher­methoden auf einen regulatorischen Stan­dard verwiesen werden könnte. Das an­visierte Zertifizierungssystem ist auch Grundlage für die wichtige Unterscheidung zwischen Nutzung und Speicherung von CO2 (Carbon Capture and Utilization, CCU, und Carbon Capture and Storage, CCS) und CO2-Entnahme. Während CCU und CCS auf Emissions­neutralität einzelner Prozess­ketten wie zum Beispiel in der Zement- und der Chemie­industrie abzielen, ermöglichen CDR-Methoden wie DACCS und BECCS netto-negative Emissionen. Nur wenn diese Methoden plausibel zertifiziert werden, können sie für den prozess- und sektor­übergreifenden Ausgleich von Residual­emissionen, beispielsweise aus dem Land­wirtschafts- oder Verkehrssektor, eingesetzt werden. Mit der Einrichtung eines Zertifizierungssystems für die Nutzung und Ent­nahme von CO2 würde die EU ihrer klima­politischen Vor­reiterrolle gerecht: Weder in Großbritannien noch in den USA, die umfassende Programme zur Innovationsförderung im Bereich der CO2-Entnahme aufgesetzt haben, ist bislang ein vergleichbares Regel­werk etabliert.

Über die Innovationsförderung hinaus verfolgt die Kommission auch das Ziel, bei der Entwicklung und Implementierung von innovativen »policy designs« neue Maßstäbe zu setzen und ihr Standing als vorbildlicher Akteur in der Klimapolitik zu festigen. Ob der EU das gelingt, hängt einerseits maß­geblich von der konkreten Ausgestaltung der Gesetzgebung ab. Differenzen in den klimapolitischen Ambitionen der Mitgliedstaaten, strukturelle Unterschiede, was den Umfang und die Zusammensetzung resi­dua­ler Emissionen betrifft, und divergierende politische Präferenzen in Bezug auf ein­zelne Methoden lassen erwarten, dass die bevorstehenden Gesetzgebungsprozesse von vielfältigen Interessenkonflikten be­gleitet sein werden. Andererseits wird die EU auch von den bereits erwähnten Ent­wicklungen in anderen Län­dern wie zum Bei­spiel den USA beeinflusst werden, wo In­no­vationen jenseits von Förderprogrammen der Regierung mittlerweile stark von Unter­nehmen vorangetrieben werden. Ein um­fassender Einsatz von CDR-Methoden in den USA und anderen Ländern würde den Druck auf die EU und ihre Mitgliedstaaten erhöhen, ihre Entnahmekapazitäten eben­falls auszubauen. Die unter deutscher Prä­sidentschaft erstmals erfolgte Aufnahme eines CDR-Textabschnitts in die Abschlusserklärung der Klima-, Umwelt- und Energie­minister der G7 belegt die zunehmende Bedeutung des Themas für die führenden Industrienationen.

Sequenzierung der politischen Prozesse

Insgesamt lässt sich auf EU-Ebene eine Sequenzierung der politischen Initiativen zur Förderung und Regulierung der CO2-Entnahme beobachten. Die Reformen im Rahmen des Fit-for-55-Pakets für die Zeit bis 2030 sehen bisher keine grundlegenden Ver­änderungen der für CDR relevanten Governance-Strukturen vor. Der Schwerpunkt liegt hier zunächst auf der Ausweitung ökosystembasierter Senken, auf einer verstärkten Innovationsförderung und auf der Festlegung von Regeln für die Bilanzierung. Im Verlauf der Verhandlungen über das Fit-for-55-Paket sind in diesem Zusammenhang einige Konkretisierungen zu erwarten. Die Beschlüsse des EP sind ein erster Schritt in diese Richtung: Die Ab­geordneten diskutieren unter anderem die Prüfung der Aufnahme von »negativen Emissionen« in den EU-Emissionshandel, die Bedeutung von Carbon Farming und die mögliche Berücksichtigung von CO2-Ent­nahmen in Meeres- und Küstenökosystemen und sie fordern mehr Klarheit in Bezug auf die Zertifizierung von technologischen Entnahmemethoden. Inwieweit CO2-Ent­nahmen jenseits etablierter Methoden wie etwa der Wiederaufforstung Eingang in die EU-Klimapolitik bis 2030 finden, entscheidet sich in den Trilog-Ver­handlungen zwi­schen dem Rat der Mitgliedstaaten, der Kommission und dem EP.

Im Anschluss an die Etablierung des ge­planten Zertifizierungsinstruments und für die Zeit nach 2030 sind umfassendere CDR-Reformen in der Architektur der EU‑Klima­politik zu erwarten. In allzu ferner Zukunft liegen Debatten über diesen Zeitraum nicht: Die über ein neues EU-Klimaziel für das Jahr 2040 wird schon bald nach Abschluss der Verhandlungen über das Fit-for-55-Paket auf die klimapolitische Agenda rücken. Grund dafür ist zum einen eine Vorgabe im EU-Klimaschutzgesetz, der zufolge die Kom­mis­sion innerhalb von sechs Monaten nach der ersten Globalen Bestandsaufnahme im Rah­men des Pariser Klimaabkommens im Jahr 2023 einen Vorschlag für das neue 2040-Ziel machen soll. Darüber hinaus dürfte sich im Rahmen parteipolitischer Ausein­ander­setzungen im Vorfeld der Europawahlen 2024 mehr Aufmerksamkeit auf das nächste Zwischenziel auf dem Weg zur Klima­neutralität richten. Umstritten dürfte dabei nicht nur die Höhe des Netto-Ambitions­niveaus sein, sondern auch der relative Anteil von CDR bei der Zielerreichung.

Portfolio an Allianzen und Methoden

Mit der Intensivierung der politischen De­bat­te über CO2-Entnahmen bilden sich nach und nach neue Alli­anzen unter den Mit­glied­staaten heraus. Dänemark, Schweden und die Niederlande forcieren zusammen mit Norwegen die Themen CCS und CDR. Vor allem Schweden schreitet bei der Um­setzung und Regulierung von BECCS voran, eine Option, die sich für das Land aufgrund einer überdurchschnittlich hohen Nutzung von Biomasse in der Industrie und bei der Stromproduktion anbietet. In Bezug auf ökosystembasierte Ansätze ist die Diskus­sion unter anderem in Frankreich oder Polen schon weiter. Dort sind Ideen zur Zertifizie­rung und Vergütung von Ent­nahmen durch große Agrar- und Forstwirtschaftsunterneh­men schon länger Bestandteil der klimapolitischen Debatte. Noch sind die Positionierungen in vielen Mitglied­staaten und im EP aber fluide. Spätestens in dem bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren zum Zerti­fizierungs­instrument dürfte sich konkretisie­ren, welche Methoden einzelne Mitgliedstaaten und EP-Fraktionen präferieren.

Noch lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, welche Entnahmemethoden die Debatte dominieren und wo sie in großem Umfang eingesetzt werden. Klar ist aller­dings, dass neben ökosystembasieren Ansätzen, von der EU-Kommission unter dem Begriff Car­bon Farming subsumiert, auch CCS-basierte Verfahren wie DACCS oder BECCS eine Rolle spielen werden. Darüber hinaus ent­wickelt sich derzeit eine Diskussion über die Förderung des Kohlenstoffaufnahme­potentials der Ozeane. In ihrer Mitteilung zu nachhaltigen Kohlenstoffkreisläufen weist die Kommission auf die Möglichkeiten hin, die das Blue Carbon Farming bietet, zum Beispiel durch die Regeneration und Aus­dehnung von Seegraswiesen. Nicht erwähnt wurden in der Mitteilung jedoch geochemische Ansätze zur marinen CO2-Entnahme, wie zum Beispiel die Erhöhung der Alkali­nität des Ozeans (Ocean Alkalinity Enhancement). Derzeit fördern sowohl die EU-Kom­mission als auch die Bundesregierung große Forschungsverbünde, in denen die Poten­tiale und Risi­ken eines breiten Portfolios von meeresbasierten CDR-Ansätzen unter­sucht werden.

Folgen für Deutschland: Die CCS‑Renaissance

Für die Entwicklung der CO2-Entnahme­politik auf EU-Ebene wird die Position der Bundesregierung von Bedeutung sein. Diese hat sich innerhalb von zwei Jahren rasant verändert. Während das Klimaschutzgesetz aus dem Jahr 2019 keinen Verweis auf die Notwendigkeit von Entnahmen enthielt, findet sich in dessen Novellierung ein quan­tifiziertes Ziel für ökosystembasierte Ent­nahmen (Art. 3a). Die 2021 vereidigte Bundes­regierung bekennt sich in ihrem Koalitionsvertrag zudem zur Notwen­digkeit »von technischen Negativemissionen« und kündigt die Erarbeitung einer Langfrist­strategie für den »Umgang mit den etwa 5 Prozent unvermeidbaren Restemissionen« an. Damit rücken politisch unbequeme Fragen in den Fokus: In wel­chen Sek­toren dürfen die verbleibenden Emissionen emit­tiert werden? Und welche Rolle wird Ansät­zen des Carbon Management (CCS, CCU und CDR) im Klimaschutz künftig zuteil?

Die einst stark umstrittene CCS-Techno­logie steht derzeit in vielen Mitgliedstaaten vor einer Renaissance. Angetrieben wird die Debatte unter anderem von Erkenntnissen nationaler Modellierungsstudien, in denen Dekarbonisierungspfade entwickelt werden. Darin kommt CCS eine doppelte Rolle zu: Zum einen ist es ein wichtiger Baustein von CO2-Neutralitätsstrategien in denjenigen Sek­toren, die in erheblichem Umfang un­vermeidbare Prozessemissionen zu verzeich­nen haben, wie zum Beispiel der Zementproduktion. Zum ande­ren ist CCS Bestand­teil von Prozessketten der CO2-Entnahme­methoden BECCS und DACCS, denen in der Diskussion über mögliche Methoden­portfolios eine große Bedeutung zugemessen wird. Beide Funktionen von CCS sind auf dem Weg zu Netto-Null eng miteinander verknüpft: Je umfassender die residualen Emissionen in der Industrie auch mit Hilfe von CCS verringert werden können, desto weniger CDR-Kapazitäten werden benötigt, um diese auszugleichen.

Die Debatte fokussiert sich aber auch des­halb so stark auf CCS, weil mit Norwegen ein mit der EU politisch wie wirtschaftlich eng verflochtener Partner als CO2-Speicher-Dienstleister bereitsteht. Neben einzelnen Unternehmen bah­nen auch erste Bundesländer CCS-Kooperationen an. So hat zum Beispiel das Land Nordrhein-Westfalen eine Carbon-Management-Strategie entwickelt, die Pläne für Kooperationen bei der CO2-Speiche­rung in den Niederlanden, Norwegen und Schottland umfasst. Norddeutsche Bundes­länder posi­tionieren sich verstärkt als Vorreiter in der Forschung zu marinen Entnahmemethoden und CCS-relevanter Infrastruktur. In Wilhelmshaven soll zum Beispiel eine Basis für die CO2-Verschiffung entstehen. Obwohl diese Initiativen bislang nur in begrenztem Maße auf die Schaffung von Entnahme­kapazitäten abzielen, werden neu geschaffene Infrastrukturen für den CO2-Transport hilfreich dabei sein, künftige Entnahme­projekte umzusetzen. Bei der Errichtung von DACCS-Anlagen wird die Nähe zu CO2-Pipelines eine wichtige Rolle spielen. Für den Aufbau von BECCS-Prozess­ketten würde sich der Einsatz von Biomasse als Energieträger vor allem in Industrie­anlagen anbieten, die an CCS-Infrastruktur angeschlossen sind.

Politische Herausforderungen auf EU-Ebene

Im Zuge der regulatorischen Umsetzung des Euro­päischen Green Deal und des Netto-Null-Ziels sind in den kommenden Jahren intensive Auseinandersetzungen zu erwar­ten. Mit einem besseren Überblick über die zu erwartenden residualen Emissionen in einzelnen Sektoren und Mitgliedstaaten wer­den sich die Erwartungen an eine EU-Entnahmepolitik konkretisieren. Schon jetzt zeichnen sich dabei drei Herausforderungen ab, die die Debatten in Brüssel und Berlin künftig prägen werden.

Die deutschen und europäischen Entscheidungsträger stehen vor der schwierigen Aufgabe, die politische Priorität von Emissionsreduktionen sicherzustellen. Eine unpräzise Einbettung von CDR in die Klima­politik würde das Risiko bergen, dass Be­mühungen um Emissionsreduzierung unter­miniert werden. Die Gesetzgebungsprozesse im Kontext des Fit-for-55-Pakets und des EU-Klimaschutzgesetzes zeigen, dass eine ein­deutige Trennung von Emissionsreduzierung und CO2-Entnahme politisch umstritten ist. Vor dem Hintergrund sich formierender Sektorinteressen sollte in dieser frü­hen Phase der Entnahmepolitik der Schwer­punkt strategisch auf die Priorisierung von Emissionsreduktionen gelegt werden. Dafür ist es auch unabdingbar, dass eine klare Trennlinie gezogen wird zwischen CDR, das Netto-Negativ-Emissionen ermöglicht, und herkömmlichen CCU-/CCS-Verfahren, mit deren Hilfe bestenfalls emissionsneutrale Prozesse realisiert werden.

Die Ausweitung der EU-Entnahmepolitik auf die Landwirtschaft mittels Carbon Far­ming ist sowohl mit Herausforderungen als auch mit Chancen verbunden. Der Agrar­bereich ist das Politikfeld mit dem größten Budgetanteil im EU-Haushalt und ent­spre­chend formierten Interessengruppen und Konfliktlinien. Seine stärkere Einbeziehung in die EU-Klimapolitik könnte diese noch zusätzlich belasten. Problematisch sind in die­sem Zusammenhang auch Unsicher­heiten, welche Entnahmepotentiale dauer­haft realistisch und welche Infrastrukturen für das Monitoring geeignet sind. Die Chance besteht darin, dass die von der Kommission anvisierten neuen Einkommensquellen für Land- und Forstwirte zu einer nachhaltigeren Landnutzung beitragen und die geplan­ten Anreizstrukturen gleichzeitig als Kom­promissmasse bei größeren Paketlösungen zwischen den Mitgliedstaaten und dem EP eingesetzt werden könnten. Eine entschei­dende politische Frage wird sein, ob das be­stehende Budget der Gemeinsamen Agrar­politik umgeschichtet und dadurch Vertei­lungskämpfe intensiviert oder zusätzliche Mittel verfügbar gemacht werden.

Drittens besteht eine politische Herausforderung darin, die angestrebten Governance-Strukturen für die Zertifizierung auf EU-Ebene erfolgreich zu implementieren, einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch mit anderen CDR-Vorreitern zu etablieren und CDR zum Gegenstand multilateraler Verhandlungen im Rahmen der UNFCCC zu machen. Da die EU ihre Zertifizierungs- und Anreizsysteme permanent wird ver­bessern müssen, sollte sie an der Schaffung einer Plattform interessiert sein, auf der die praktischen Erfahrungen mit unterschied­lich ausgestalteten Entnahmeinitiativen, etwa aus den USA und Großbritannien, zu­sammengeführt werden. Hierfür bietet sich unter anderem die »CDR-Mission« unter dem Dach des internationalen Forschungs- und Entwicklungsnetzwerks Mission Innova­tion an. Ein unverzichtbarer Schritt ist mittel­fristig eine Erweiterung des UNFCCC-Emissionsberichtswesens um eine wissenschaftlich plausible Regelsetzung zur An­rechnung von CDR, damit das gesamte Port­folio an Entnahmeansätzen berücksichtigt werden kann. Ein solcher Prozess könnte auch dazu beitragen die Verengung der Ent­nahmedebatte im Rahmen der UNFCCC auf die internationalen Marktmechanismen im Artikel 6 des Pariser Abkommens aufzulösen.

Sowohl auf europäischer als auch auf multilateraler Ebene ist die Verständigung über ein System zur Zertifizierung und An­rechnung von CDR ein unabdingbarer Schritt bei der Etablierung einer CO2-Ent­nahmepolitik. Über die Frage der Perma­nenz der Entnahmen hinaus könnte damit auch die Unterscheidung zwischen CCU, CCS und CDR politisch und regulatorisch klarer gefasst werden.

Als Mitgliedstaat mit den höchsten THG-Emissionen, einem vergleichsweise energie- und CO2-intensiven Industriesektor und hohen klimapolitischen Ambitionen kommt Deutschland bei diesen Herausforderungen eine Schlüsselrolle zu. Insbesondere die im Koalitionsvertrag angekündigte Langfriststrategie für Restemissionen könnte genutzt werden, um neue Handlungsspielräume in der Innovationsförderung zu identifizieren und gleichzeitig einen offenen und struk­turierten Aus­tausch mit Industrie und organisierter Zivil­gesellschaft zu initiieren. Die Fit-for-55-Gesetzgebung und die Debatte über das EU-2040-Ziel bieten der Bundes­regie­rung die Gelegenheit, ihre Positionsverschiebung beim Carbon Management nicht nur in nationalen Prozessen umzusetzen, sondern auch auf EU-Ebene zu artikulieren und die europäische CO2-Entnahmepolitik aktiv voranzubringen.

Felix Schenuit ist Wissenschaftler im Projekt CDRSynTra, Dr. Miranda Böttcher Wissenschaftlerin im Projekt ASMASYS. Dr. Oliver Geden ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU / Europa und Leiter des SWP-Anteils dieser vom Bundes­ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundprojekte.

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DOI: 10.18449/2022A37