Am Donnerstag kommen die EU, Nato und G7 zu Gipfeltreffen in Brüssel zusammen, um über den weiteren Kurs nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine zu beraten. Für die G7 besteht mit Blick auf ihre Partnerstaaten und den kommenden G20-Gipfel Klärungsbedarf, meint Lars Brozus.
Die deutsche G7-Präsidentschaft hat die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden demokratischen Wirtschaftsmächte kurzfristig zu einem Treffen eingeladen. Sie kommen am Donnerstag in Brüssel zusammen, wo in enger zeitlicher Taktung gleichfalls EU- und Nato-Gipfel stattfinden. Auf dem Sondergipfel sollte es unter anderem um die Frage gehen, mit welchen Partnern die G7 vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine künftig zusammenarbeiten kann. Denn wichtige Partnerländer wie Indien oder Südafrika haben Putins Krieg nicht verurteilt. Andere wie Brasilien oder Indonesien gehen diesen Schritt zwar. Sie verzichten aber auf konkrete Maßnahmen und schließen sich der Sanktionierung Russlands nicht an. Zusammen mit der G7 sind diese vier Staaten – ebenso wie Russland – Mitglied der G20. Daher sollte die G7 in Brüssel auch über den im Herbst geplanten G20-Gipfel in Indonesien diskutieren. Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit die Staats- und Regierungschefs der G7 an einem Gipfel teilnehmen können, bei dem Russlands Präsident Wladimir Putin ebenfalls zu Gast ist?
Unter der Überschrift »Fortschritt für eine gerechte Welt« wollte Deutschland die G7-Präsidentschaft nutzen, um Themen wie den Klimaschutz, eine nachhaltige und soziale Wirtschaftspolitik oder die Verteidigung der freiheitlichen Demokratie voranzubringen. Doch die Planungen wurden jäh mit Putins Krieg konfrontiert. Seit Beginn der russischen Invasion koordiniert die deutsche Präsidentschaft in enger Abstimmung mit der EU und Nato zahlreiche Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine. Dazu gehören in erster Linie die umfangreichen Finanz- und Wirtschaftssanktionen gegen Moskau wie auch Waffenlieferungen und humanitäre Hilfe für Kiew. Über diesen Kreis gleichgesinnter Staaten hinaus bleibt die internationale Solidarität mit der Ukraine aber begrenzt.
Bei der Abstimmung in der UN-Generalversammlung (UNGA) Anfang März haben die Regierungen von 52 Staaten den russischen Angriff auf die Ukraine nicht verurteilt. Dennoch wurde sie als Erfolg gewertet, da die Resolution ES-11/1 141 Ja-Stimmen erhielt – angesichts der in der UNGA vertretenen 193 Delegationen eine klare Mehrheit. Dabei geriet jedoch in den Hintergrund, dass neben Russland zwar nur vier weitere Staaten gegen die Resolution stimmten. Aber 35 Staaten enthielten sich – und 12 weitere nahmen an der Abstimmung nicht teil.
Folgt man der Argumentation von Außenministerin Annalena Baerbock in ihrer Rede vor der UNGA, gleicht dies einer Tolerierung der russischen Aggression. Baerbock bezog sich auf einen Gedanken des südafrikanischen Erzbischofs und Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu. Mit Blick auf das Apartheidregime in Südafrika wird er mit den Worten zitiert: »If you are neutral in situations of injustice, you have chosen the side of the oppressor«. Neutralität wird demnach im Fall von klar erkennbaren Verletzungen von Recht und Gerechtigkeit zur Parteinahme für den Aggressor. Enthaltung wie auch Abwesenheit bei dieser wichtigen Abstimmung in der UNGA drücken Neutralität aus. Unter den 15 bevölkerungsstärksten Ländern der Welt haben sieben entweder gegen die Resolution gestimmt (Russland), sich enthalten (China, Indien, Pakistan, Bangladesch und Vietnam) oder nicht an der Abstimmung teilgenommen (Äthiopien). Fast die Hälfte der Weltbevölkerung wird durch diese Regierungen repräsentiert.
Putins Schatten lastet auch auf der G20, die neben den G7-Staaten und der EU aufstrebende Industrie- und Schwellenländer umfasst. Zwar stimmten Argentinien, Australien, Brasilien, Indonesien, Mexiko, Saudi-Arabien, Südkorea und die Türkei in der UNGA genau wie die G7-Mitglieder für die Verurteilung Russlands. Sanktionen gegen den Aggressor haben bislang jedoch nur die G7, Australien, Südkorea und die EU ergriffen.
Das belastet den sogenannten Outreach-Prozess der G7: Indien und Südafrika waren 2021 dabei, als Großbritannien der Staatengruppe vorstand. Ihre Einladung zur G7 in diesem Jahr würde angesichts der selbstproklamierten Neutralität aber Fragen aufwerfen. Denn beim für Juni geplanten Gipfeltreffen der G7 auf Schloss Elmau dürfte die Aggression Russlands eine zentrale Rolle spielen und eindeutig verurteilt werden. Ein großer Erfolg wäre es, wenn sich die Gäste der Verurteilung anschließen würden. Angesichts der bisherigen Positionierung plausibler Gaststaaten wie Indien und Südafrika müsste aber aktiv dafür geworben werden. Der G7-Gipfel bietet die Möglichkeit, einen moderierten Austausch zwischen den Gästen und der belagerten Regierung in Kiew zu organisieren. Die Einbindung der Ukraine könnte zögerliche Gaststaaten davon überzeugen, dass sie ihrer Unterstützung bedarf.
Ein solcher Outreach zur Ukraine wäre zudem ein starkes Signal für den G20-Gipfel in Indonesien. Die G7 wird klären müssen, wie sie mit einer möglichen Teilnahme von Präsident Putin am Gipfel umgehen wird. China hat bereits signalisiert, dass der G20-Prozess von den politischen Differenzen über die russische Invasion freigehalten werden sollte. Einerseits ist es sinnvoll, wenn die G7 im Dialog bleibt, zumal mit Australien, Südkorea und der EU drei weitere G20-Mitglieder ihre Position gegenüber Russland teilen. Andererseits kann es kein »business as usual« geben – man denke nur an ein »Familienfoto« mit Putin. Der morgige Sondergipfel in Brüssel bietet Gelegenheit, verschiedene Szenarien gegeneinander abzuwägen, wie die Teilnahme der Staats- und Regierungschefs der G7 am G20-Gipfel aussehen könnte. Das Ziel sollte sein, möglichst breite Unterstützung für die Ukraine zu gewinnen.
Die Organisation südostasiatischer Staaten ASEAN vermeidet eine deutliche Verurteilung der russischen Invasion in die Ukraine. Für Berlin und Brüssel ergeben sich trotzdem daraus Anknüpfungspunkte für Dialog und Kooperation, meinen Felix Heiduk und Gudrun Wacker.
Indien hat bei den Vereinten Nationen vermieden, Russland wegen seines Angriffskrieges zu verurteilen. Sollte es an seiner Position festhalten, könnte es unter den veränderten geopolitischen Konstellationen zu einem Verlierer des Ukraine-Kriegs werden, meint Christian Wagner.
Der gewaltsame Bruch Russlands mit dem Völkerrecht verleiht der Debatte um die Zukunft globaler Kooperation neue Dringlichkeit – auch in der Digitalpolitik. Der deutsche G7-Vorsitz bietet die Gelegenheit für die jetzt notwendige strategische Debatte, meint Daniel Voelsen.
Wie könnten sich Anliegen der deutschen G7-Präsidentschaft und des UN-Generalsekretärs gegenseitig befördern? Marianne Beisheim und Silke Weinlich präsentieren dazu zwei Vorschläge.
Deutschland steht 2022 an der Spitze der G7. Wie funktioniert die Zusammenarbeit in diesem internationalen Staatenbündnis, welche Akzente kann Berlin setzen und wie sinnvoll sind solche Gipfelformate heute noch? Darüber diskutieren Lars Brozus und Hanns Maull mit Nana Brink.
Ideen für die deutsche Präsidentschaft
doi:10.18449/2021A83