Hauptstreitpunkt der Verhandlungen zum Pandemieabkommen ist die gerechte Verteilung medizinischer Güter. Dafür braucht es eine bedingungslose Pflicht, meinen Michael Bayerlein, Pedro A. Villarreal und Fernanda Cimini.
Auf dem Weltgesundheitsgipfel (WHS) im Oktober in Berlin wurden dringende Fragen der globalen Gesundheit diskutiert. Zeitgleich kam es zur Veröffentlichung des mit Spannung erwarteten neuen »Verhandlungstextes« des Pandemieabkommens. Ziel ist es, dass das Abkommen bis zur 77. Weltgesundheitsversammlung im Mai 2024 ausgearbeitet und zur Entscheidung vorgelegt werden kann. Über den Vorschlag stimmen 194 WHO-Mitgliedstaaten ab. Die ersten Reaktionen auf den neuen Verhandlungstext konzentrierten sich auf das wohl umstrittenste Thema, das auf dem WHS jedoch wenig diskutiert wurde: den gerechten Zugang zu medizinischen Gütern durch den Pandemievertrag. Dabei hätte der WHS Politikerinnen und Politikern, Forschenden sowie der Zivilgesellschaft die seltene Gelegenheit geboten, gemeinsam zu diskutieren, welche Lehren aus der Covid-19-Pandemie zu ziehen sind und was es wirklich braucht, um den Zugang zu sichern.
Obwohl die teilnehmenden Gäste des WHS die Notwendigkeit betonten, aus der Covid-19-Pandemie zu lernen, scheuten sie sich, drängende Fragen zu Patentrechten und dem gerechten Vorteilsausgleich zu adressieren. In der Diskussion um Patentrechte geht es darum, ob es im Falle einer Pandemie zu zeitlich begrenzten Zwangslizenzen und damit einhergehend einem verpflichtenden Transfer von Technologien und Wissen durch Pharmaunternehmen kommt. Der gerechte Vorteilsausgleich dreht sich um die Frage, ob beteiligte Staaten und die WHO eine Art Gegenleistung bekommen sollten, wenn Pharmaunternehmen über eine zentrale Datenbank auf Pathogene und Sequenzierungsdaten zugreifen können, um kommerziell medizinische Gegenmaßnahmen zu entwickeln.
Um beantworten zu können, ob der zeitlich begrenzte Verzicht auf Patentrechte und der gerechte Vorteilsausgleich wirklich einen Beitrag zur schnelleren Entwicklung und Verteilung medizinischer Gegenmaßnahmen leisten könnten, muss ehrlich betrachtet werden, was während der Pandemie gut funktioniert hat und was nicht. Eindeutig positiv war die rasche Entwicklung neuer medizinischer Gegenmaßnahmen. Der Austausch von Pathogenen und Sequenzierungsdaten über offene Plattformen ermöglichte Forschenden und Pharmaunternehmen einen schnellen Zugang zu neu auftretenden Virusvarianten. Was dagegen nicht funktionierte, war die gerechte Verteilung. Denn die Produkte wurden entweder nicht an Länder des globalen Südens verkauft oder nur zu sehr ungünstigen Bedingungen, was auch an intransparenten Verträgen von Pharmaunternehmen lag. Gleichzeitig kamen die finanziellen Vorteile, die sich aus dem Teilen von Pathogenen und Sequenzierungsdaten ergaben, grundsätzlich nur Industrieländern und Pharmaunternehmen zugute. Und das, obwohl die Entwicklung der Gegenmaßnahmen auch auf der Zusammenarbeit mit Forschenden aus dem globalen Süden beruht.
Das Pandemieabkommen soll sicherstellen, dass die Weltgemeinschaft zukünftig besser auf Pandemien vorbereitet ist. Der neue Verhandlungstext enthält jedoch keine soliden verpflichtenden Bestimmungen. Stattdessen wird versucht, die Verteilung medizinischer Güter über Patentrechte und Vorteilsausgleich zu regeln. Der aktuelle Entwurf beinhaltet zwar den freiwilligen Wissens- und Technologietransfer sowie den zeitlich begrenzten Verzicht auf Patentrechte, allerdings ist unklar, wie gut diese freiwilligen Regelungen in der Praxis funktionieren. Darüber hinaus hat der zunächst erfolglose Produktionsversuch eines Covid-19-Impfstoffes durch das mRNA-Produktionszentrum der WHO in Südafrika gezeigt, dass der Verzicht auf Patente allein nicht genügt. Hier stand zwar das »Rezept« von Moderna zur Verfügung, jedoch fehlte es an Wissen und Schulungen des Personals vor Ort durch das Pharmaunternehmen. Die Impfstoff-Produktion gelang daher erst verspätet.
Die jetzt vorgelegten Vorschläge zum gerechten Vorteilsausgleich lassen ebenfalls Zweifel aufkommen. Der Verhandlungstext sieht ein System vor, bei dem Länder Pathogene und Daten mit pandemischem Potential mit einem zentralen WHO-Labornetz teilen. Ein Pharmaunternehmen, das über das Netzwerk auf Material zugreift, müsste etwa im Gegenzug einen Prozentsatz der daraus entwickelten Produkte abgeben. Obwohl diese Zentralisierung zunächst plausibel klingt, bestehen hinsichtlich der Funktionalität erhebliche Bedenken. Während der Austausch und die Zusammenarbeit über bestehende offene Plattformen weltweit bereits sehr gut funktioniert, zeigten ähnliche zentralisierte Systeme bisher Schwächen auf. Denn sie müssen den Zugang und die Nutzung an komplexere Rahmenbedingungen und Verträge knüpfen, die einen schnellen Datentransfer erschweren.
Zum jetzigen Zeitpunkt bleibt unklar, ob die Ansätze ausreichen, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Für das umstrittenste Thema wäre jedoch auch eine einfachere Lösung denkbar: Der gerechte Zugang zu medizinischen Gegenmaßnahmen könnte durch die Schaffung einer bedingungslosen Pflicht zum Teilen gesichert werden. Konkret wäre es möglich, dass sich Staaten im Abkommen dazu verpflichten, einen bestimmten Prozentsatz der selbst erworbenen medizinischen Gegenmaßnahmen abzugeben. Diese Abgaben könnten dann von der WHO oder einer neu geschaffenen Einrichtung unter den Mitgliedstaaten des Pandemieabkommens gerecht verteilt werden.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat den Corona-Notstand aufgehoben, aber Fachleute sind sicher: Die nächste Pandemie wird kommen. Michael Bayerlein und Pedro Villarreal erklären, wie Pandemiebekämpfung global künftig besser organisiert und wie der sogenannte „One Health“-Ansatz dabei helfen könnte.
Ausgestaltung und Umsetzung auf internationaler, europäischer und deutscher Ebene
doi:10.18449/2023A37
Die Ausbreitung von Covid-19 gilt nicht mehr als internationaler Gesundheitsnotstand. Auch wenn die Entscheidung der WHO keine konkreten Folgen hat: Für eine langfristige Strategie gegen künftige Gesundheitsbedrohungen muss der Multilateralismus gestärkt werden, meint Pedro Villarreal.
Nach Covid-19: Synergien zwischen beiden Handlungssträngen nutzen
doi:10.18449/2022A77