Die Ausbreitung von Covid-19 gilt nicht mehr als internationaler Gesundheitsnotstand. Auch wenn die Entscheidung der WHO keine konkreten Folgen hat: Für eine langfristige Strategie gegen künftige Gesundheitsbedrohungen muss der Multilateralismus gestärkt werden, meint Pedro Villarreal.
Die Covid-19-Pandemie gilt nicht mehr als »gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite«. Das verkündete der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, am vergangenen Freitag in Genf. Die Erklärung stützt sich auf Artikel 12 der Internationalen Gesundheitsvorschriften von 2005. Die Länder sollten sich nun auf eine längerfristige Strategie zur Bewältigung des Virus vorbereiten, so der WHO-Generaldirektor. Bislang wurden nach Daten der John Hopkins University weltweit mehr als 6,8 Millionen Covid-19-Todesfälle gemeldet – nach neuen WHO-Angaben liegt die tatsächliche Todesrate jedoch bei mindestens 20 Millionen Menschen.
Aus völkerrechtlicher Sicht bringt die Erklärung keine wesentliche rechtliche Änderung mit sich, da jedes Land selbst entscheidet, welche Schutzmaßnahmen es ergreift. Die WHO spricht lediglich Empfehlungen aus. Doch wie könnte eine längerfristige Strategie gegen Covid-19 und künftige Gesundheitsbedrohungen aussehen? Trotz der vorherrschenden geopolitischen Brüche muss der Multilateralismus im Bereich der globalen Gesundheit gestärkt werden, um bei der Pandemieprävention, -vorsorge und -bekämpfung voranzukommen.
Auch wenn die Welt die akute Phase der Covid-19-Pandemie hinter sich gelassen habe, gebe das Risiko schwerer Varianten weiterhin Anlass zur Sorge, so der WHO-Generaldirektor. Es sind weitere Forschungen erforderlich, zum Beispiel um die Auswirkungen von Long-Covid zu ermitteln. Die Regierungen sollten die Erklärung daher nicht als Vorwand nutzen, um präventive Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit aufzuheben, einschließlich der Schließung der verbleibenden Impflücken und der Gewährung von Arbeitsfreistellung im Falle positiver Testergebnisse.
Der Mangel an Solidarität während der Covid-19-Pandemie - »ein Beispiel der Nichtzusammenarbeit« - muss ein Weckruf für die internationale Staatsgemeinschaft sein. Verständlicherweise war jedes Land und jede Region bestrebt, in erster Linie seine eigene Bevölkerung zu schützen. Die unmittelbare Folge war jedoch, dass Länder mit geringeren Ressourcen bei der Verteilung lebensrettender medizinischer Güter ins Hintertreffen gerieten.
Mittlerweile hat sich auf der Ebene der internationalen Politik eine »Pandemiemüdigkeit« eingestellt. Dabei bleibt mit Blick auf die Weltgesundheitsversammlung im Mai 2024, auf der ein neuer Pandemievertrag und eine Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften vorgelegt werden sollen, noch viel zu tun.
Wenn die Bundesregierung ihre Führungsrolle im Bereich der globalen Gesundheit konsolidieren will, muss sie den Umgang mit langfristigen Folgen von Covid-19 und anderen wachsenden Gesundheitsbedrohungen planen. Sie kann hier jedoch nicht im Alleingang handeln. Für eine bessere Pandemieprävention, -vorbereitung und -reaktion ist ein stärkeres multilaterales Engagement erforderlich. Zwei Strategien können helfen, diese Ziele zu erreichen.
Erstens sind klare völkerrechtliche Regeln erforderlich, um die Verantwortlichkeiten zwischen den Staaten aufzuteilen. Das Völkerrecht ist nach wie vor die beste Option, um klare Parameter für die Reaktion der Staaten auf Pandemien festzulegen. Dies bedeutet nicht unbedingt, dass der WHO mehr Befugnisse übertragen werden müssen. Zumindest aber sollten die Verantwortlichkeiten zwischen den Staaten geregelt sein, zum Beispiel für eine gerechte Verteilung medizinischer Güter oder einen transparenten Datenaustausch. Die nächste Pandemie könnte schon vor der Tür stehen. Doch ohne verbindliche Regeln gibt es keine klaren politischen Zusagen, dass künftige Reaktionen von mehr zwischenstaatlicher Solidarität geprägt sein werden.
Zweitens ist eine nachhaltige Finanzierung der WHO für eine längerfristige Perspektive erforderlich. Es ist kein gangbarer Weg, Finanzmittel zu sammeln, nachdem eine gesundheitliche Notlage eingetreten ist. Deutschland hat eine führende Rolle bei der Erhöhung der Pflichtbeiträge für die WHO gespielt. Die Verhandlungen über die genauen Bedingungen dieser Erhöhung werden auf der kommenden Weltgesundheitsversammlung Ende des Monats fortgesetzt. Eine größere Unabhängigkeit und Stabilität der WHO hängt vom Erfolg dieser Verhandlungen ab.
Die WHO stieß bei der Covid-19 Pandemiebekämpfung an ihre Grenzen. Dazu gehörten verwirrende oder verspätete Mitteilungen zu wichtigen Fragen wie dem Tragen von Masken, Reisebeschränkungen und der Übertragung von Covid-19. Aber sie hat für alle Mitgliedstaaten auch umfassende Beratung geleistet und war ein Ort, an dem politische Maßnahmen zwischen den Staaten erörtert wurden. Für diese Aufgaben gibt es keine alternative internationale Institution. Die Gewährleistung der Unabhängigkeit und Kontinuität der Arbeit der WHO durch ihre Finanzierung könnte daher dazu beitragen, sie vor aktuellen und künftigen geopolitischen Konflikten zu schützen. Letztlich ist der Multilateralismus die beste Garantie dafür, dass sich viele der globalen Debakel, die während der Covid-19-Pandemie auftraten, nicht wiederholen.
Nach Covid-19: Synergien zwischen beiden Handlungssträngen nutzen
doi:10.18449/2022A77
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doi:10.18449/2020A105