Die Botschaft des World Health Summit 2022 war deutlich: Es kann nicht weitergehen wie bisher. Dafür muss das weltweit führende Treffen zur globalen Gesundheit allerdings wichtige Impulse für politische Verhandlungen liefern, meinen Pedro Villarreal und Michael Bayerlein.
Um die drängenden Fragen der globalen Gesundheit zu diskutieren, kamen vom 16. bis 18. Oktober 2022 hochrangige Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft in Berlin zusammen. Während die COVID-19-Pandemie beim World Health Summit im Mittelpunkt stand, wurden auch die Forderungen nach einer besseren globalen Gesundheitsarchitektur adressiert. Insgesamt herrschte breiter Konsens darüber, dass Reformen nötig sind und sich das COVID-19-Debakel nicht wiederholen darf. Weit weniger Konsens war im »Wie« zu erkennen. Dabei ging es vor allem um die Rolle nationaler Souveränität und die Notwendigkeit von »community-based approaches«, also lokalen und inklusive Lösungsansätzen. Konkrete Lösungen blieben aber aus.
Im Zentrum der Debatten zur Reform der globalen Gesundheitsarchitektur stehen die Verhandlungen über den Pandemievertrag sowie die Reformierung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IHR). Zur Rolle der Weltgesundheitsorganisation (WHO) versicherte der Generaldirektor Tedros Ghebreyesus, dass die WHO die Souveränität von Staaten vollständig respektiere. Er reagierte damit auf Stimmen, die durch eine Ausweitung der Befugnisse der WHO Eingriffe in die nationale Souveränität befürchten. Während in den aktuellen Reformvorschlägen deutlich wird, dass die WHO im Falle von Krankheitsausbrüchen Staaten Hilfe anbieten muss, ist die Kooperation von Staaten nicht vorgeschrieben. Lediglich eine verpflichtende Begründung der Weigerung wird diskutiert.
Im Gegensatz hierzu hörte man auf dem World Health Summit jedoch auch Forderungen nach einer Erweiterung der Befugnisse der WHO. So etwa von Helen Clark, ehemalige Premierministerin Neuseelands und Mitglied des »Independent Panel on Pandemic Preparedness and Response«. Regierungen sollten laut Clark Untersuchungen von Krankheitsausbrüchen durch die WHO nicht verhindern können. Angesichts dieser Uneinigkeit und der Bedeutung kooperativen Handels für die globale Gesundheitsarchitektur ist es bemerkenswert, dass die Diskussion über nationale Souveränität auf dem Gipfel keine zentralere Stellung einnahm, etwa in Form eines eigenen Panels. Dabei hat der World Health Summit das Potenzial, eine Plattform für eine tiefere Debatte zu sein, wie globale Gesundheitsziele und nationale Souveränität in Ausgleich gebracht werden können. Dieser Ausgleich muss vor allem mit Blick auf die derzeit laufenden Verhandlungen zu den IHR-Reformen und dem Pandemievertrag gefunden werden, da die WHO hier in der Pandemievorsorge und -bekämpfung eine zentrale Stellung einnimmt. Eine detailliertere Debatte über diese Fragen wäre nützlich gewesen, um die Hürden zu identifizieren und Ansätze zu deren Überwindung zu erarbeiten. Denn eine handlungsfähige globale Gesundheitsarchitektur wird in letzter Instanz Mechanismen brauchen, die unkooperative Staaten zum Einlenken bringen können.
Neben der staatlichen Souveränität ging es auf dem Gipfel auch um die Souveränität der Menschen. Dass die Forderung nach »community-based approaches« weitgehend auf kleinere Panels beschränkt war, unterstreicht den geringeren politischen Stellenwert dieses Ansatzes. Auf große Resonanz stieß allerdings der nachdrückliche Aufruf von Maziko Matemvu, Vizepräsidentin des »Young Feminists Network«, die globale Gesundheit zu dekolonisieren und die lokale Bevölkerung einzubeziehen. Über die konkrete Umsetzung wurde auf dem Gipfel jedoch wenig beraten. Dies spiegelt sich auch in den derzeit auf politischer Ebene laufenden Verhandlungen zum Pandemievertrag und den Reformen der IHR wider: Es fehlt an Überlegungen, wie die lokale Bevölkerung eingebunden werden kann. Stattdessen wird in den Verhandlungsdokumenten oft auf die als postkolonial kritisierte Entsendung von Expertinnen und Experten gesetzt. Dabei haben vor allem »community-based approaches« das Potenzial, lokale wissenschaftliche und kulturelle Expertise einzubeziehen sowie nationale Souveränität zu schonen. Gerade da diese Forderung häufig aus Staaten kommt, die von Kolonialisierung betroffen waren, sollte dieser Ansatz auf künftigen World Health Summits und in laufenden Reformprozessen stärker berücksichtigt werden. Es wäre dabei ein Leichtes, ihn zumindest als Empfehlung aufzunehmen.
Damit der World Health Summit zu einem Impulsgeber für Reformen werden kann, müssen Expertinnen und Experten die skizzierten Probleme detailliert erörtern. Das Format kann über bloße politische Absichtserklärungen hinausgehen, evidenzbasiert und mit viel Expertise präzise Handlungsoptionen ableiten. Gegenüber der eher politischen Weltgesundheitsversammlung in Genf bietet der World Health Summit den Vorteil, Mitglieder der Wissenschaften und verschiedene zivilgesellschaftliche Institutionen zu fachlichen Debatten zusammenzubringen. Zu den laufenden Reformbemühungen hätten solche Debatten über die Spannungen zwischen Souveränität und der globalen Gesundheitsarchitektur wichtige Impulse für politische Verhandlungen liefern können. In Zukunft sollten daher auf dem World Health Summit wichtige Fragen nicht nur gestellt, sondern auch beantwortet werden. Nur so kann der Gipfel im Institutionengefüge der globalen Gesundheitsgovernance die stark politische Weltgesundheitsversammlung ergänzen und sein Potenzial mit der gebündelten Expertise ausschöpfen.
Welche Schritte die EU als Nächstes einleiten sollte
doi:10.18449/2020A105