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»One Health« in der globalen Gesundheitsgovernance

Ausgestaltung und Umsetzung auf internationaler, europäischer und deutscher Ebene

SWP-Aktuell 2023/A 37, 13.06.2023, 8 Pages

doi:10.18449/2023A37

Research Areas

Der »One Health«-Ansatz hat auf verschiedenen Ebenen Eingang in politische Pro­zesse gefunden. Grund dafür ist das vermehrte Auftreten von Zoonosen, also Infek­tionskrankheiten, die wechselseitig zwischen Tier und Mensch übertragen werden können. One Health liegt an der Schnittstelle der Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen und fordert transsektorale Lösungen. Geht es um die praktische Ausgestaltung und Umsetzung des Ansatzes durch WHO, Regionalorganisationen und Staaten, ergeben sich zahlreiche inhaltliche Fragen. Besonders in drei Kontexten wird One Health derzeit thematisiert: in den Verhandlungen zum geplanten Pandemie­ver­trag, in der Global Health Strategy der EU und in der Strategie der Bundesregie­rung zur globalen Gesundheit.

Der Gedanke, dass die menschliche Gesund­heit multisektoralen Determinanten unter­liegt, ist in jüngerer Zeit in verschiedene Initiativen auf internationaler, europäi­scher und nationaler Ebene eingegangen. Bezug genommen wird dabei auf One Health – einen integrativen Ansatz, der darauf abzielt, die Gesundheit von Men­schen, Tieren und Ökosystemen nachhaltig auszugleichen und zu optimieren. So lautet die entsprechende Definition, die das One Health High-Level Expert Panel (OHHLEP) im Jahr 2022 vorgestellt hat – eine Exper­tengruppe, die die Zusammenarbeit zwi­schen der sogenannten Quadripartite aus Weltgesundheitsorganisation (WHO), Welt­organisation für Tiergesundheit (WOAH), Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisa­tion der Vereinten Nationen (FAO) und deren Umweltprogramm (UNEP) koordi­niert. One Health erkennt an, dass die Gesundheit von Menschen, Tieren, Pflanzen und Umwelt einschließlich der Ökosysteme eng miteinander verbunden und voneinan­der abhängig sind. Der Ansatz adressiert damit eine Reihe von Sektoren und Diszi­plinen, die in den Bereichen Gesundheit, Umwelt, Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Ernährung zusammenarbeiten müssen.

Ausführlich thematisiert wird One Health in der Ende 2022 veröffentlichten Global Health Strategy der EU und der Strategie der Bundesregierung zur globalen Gesundheit von 2020, ebenso im Entwurf für ein internationales Abkommen zu Pan­demieprävention, ‑vorsorge und ‑bekämp­fung (»Pandemieabkommen«), der sich zur­zeit in Verhandlung befindet. In diesen Dokumenten wird die Notwendigkeit be­tont, One Health eine zentrale Rolle bei der Prävention von Gesundheitsgefahren ein­zuräumen. Es gilt daher einen Blick auf die Ausgestaltung des Ansatzes im politischen Mehrebenensystem zu richten, damit sich mögliche Synergien bei der Umsetzung er­kennen lassen.

Dimensionen von One Health

Der One-Health-Ansatz postuliert einen Wandel in der Art und Weise, wie das poli­tische Engagement in den Bereichen Medi­zin, öffentliche Gesundheit, Tiergesundheit und Umwelt betrieben werden sollte. Kon­zeptionell wie auch politisch wird gefor­dert, über den Tellerrand hinauszublicken. Dies bedeutet konkret, dass die Treiber von Pandemierisiken von verschiedenen Institu­tionen, die sich traditionell eher auf ihre eigenen Zuständigkeitsbereiche beschrän­ken, gemeinsam angegangen werden müssen.

Die zentralen Handlungsfelder für Insti­tutionen hat das OHHLEP in der »Theory of Change« ausbuchstabiert. In den dazugehö­rigen Leitlinien werden Dutzende Faktoren für Gesundheitsrisiken genannt, die ver­schiedene Arten von Lösungen erfordern. Anhand dieser Risikofaktoren lassen sich Handlungsprioritäten setzen. So beschleu­nigt etwa der Klimawandel die Wanderung von Krankheitsüberträgern wie Moskitos über verschiedene Teile der Welt. Zudem birgt der zunehmende internationale Han­del mit Wildtieren ein erhebliches Risiko, dass sich Zoonosen verbreiten. Die Auflis­tung des OHHLEP ist jedoch nicht erschöp­fend, sondern bietet eher eine Orientie­rungshilfe, um Prioritäten zu bestimmen.

Es stellt sich somit die Frage, wie eine vertikale und horizontale Priorisierung auf internationaler, regionaler und nationaler Ebene erreicht werden kann. Dafür bedarf es jedenfalls Debatten und Initiativen ver­schiedener Akteursgruppen. Der aktuelle Entwurf des Pandemieabkommens, die Glo­bal Health Strategy der EU und die Strategie der Bundesregierung sind drei notwendige, aber nicht ausreichende Instrumente zur Festlegung dieser Prioritäten. Wichtig ist auch hier, dass die Ausgestaltung und Um­setzung von One Health auf jeder Ebene denjenigen Aspekten Vorrang einräumt, die dort jeweils am besten adressiert werden können, so dass eine effiziente vertikale Aufgabenteilung entsteht.

Entwurf des Pandemieabkommens

Dem Pandemieabkommen wird auf inter­nationaler Ebene eine bedeutende Rolle dabei zukommen, den One-Health-Ansatz einheitlich für die Staatengemeinschaft aus­zubuchstabieren. Im Entwurf des Ver­trages findet sich die Definition von One Health, die das OHHLEP formuliert hat. In gleicher Weise könnten die Leitlinien der Theory of Change aufgenommen werden, um inter­national Prioritäten festzulegen. Das Pan­demieabkommen richtet den Fokus auf einige davon – nämlich Zoonosen, Anti­mikro­bielle Resistenz (AMR) und One Health Surveillance.

One Health im existierenden Völkerrecht

Auf internationaler Ebene zielt der One-Health-Ansatz darauf ab, das Silodenken zwischen verschiedenen Organisationen und Akteuren zu überwinden. Damit soll die multilaterale Koordinierung von Pande­mieprävention, ‑vorsorge und -reaktion ver­bessert werden. Ein Bereich, der einer sol­chen Koordinierung in besonderem Maße bedarf, ist die Datenerfassung für die Krankheitsüberwachung. Das Völkerrecht widmet sich nur teilweise diesem Feld und auch nur mit Blick auf separate Instru­mente. Um die Lücke zu schließen, enthält der aktuelle Entwurf des Pandemieabkom­mens eine Reihe rechtlicher Verpflichtun­gen im Zusammenhang mit One Health.

Gemäß Artikel 5 des Entwurfs wären die Staaten gefordert, in ihre nationalen Pläne zur Pandemieprävention Maßnahmen zu integrieren, die sich mit den Determinan­ten des Auftretens von Krankheiten an der Schnittstelle zwischen Mensch, Tier und Umwelt befassen. Dazu zählen auch Klima­wandel, Veränderungen in der Landnut­zung, Handel mit Wildtieren, Wüsten­bildung und AMR.

Als weitere One-Health-Verpflichtung sieht der Entwurf vor, die Überwachungs­kapazitäten zu verbessern. Die derzeitige Krankheitsüberwachung fußt darauf, dass krankheitsbezogene Ereignisse im jewei­ligen staatlichen Hoheitsgebiet gemeldet werden. Auf internationaler Ebene existie­ren dafür im Moment mehrere Instrumen­te, die kaum miteinander verbunden sind. Diese mangelnde Verzahnung zeigt sich vor allem in den unzureichenden und wenig integrierten Überwachungsmechanismen verschiedener Organisation, ebenso in den Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV).

Im Bereich der menschlichen Gesundheit sind die IGV das Hauptinstrument zur Mel­dung von Krankheiten an die WHO. Die Vorschriften lassen sich auf eine offene Liste von Krankheiten anwenden und spie­len eine Kernrolle im transparenten Aus­tausch von Daten über den WHO Hub for Pandemic and Epidemic Intelligence. Aller­dings handelt es sich bei den IGV um ein streng anthropozentrisches Mittel des Völ­kerrechts, da Staaten die WHO nur benach­richtigen müssen, wenn sich eine Krankheit unter Menschen ausbreitet. Je nach Art der Krankheit ist es dann in der Regel schon zu spät für eine frühzeitige Infektionskontrol­le. Keine der vorgeschlagenen Reformen der IGV würde diesen Mangel beheben, da es vermutlich inakzeptabel für Staaten wäre, umfangreichere Verpflichtungen zu erfül­len, etwa Ausbrüche auch bei Tieren inner­halb eines festen Zeitraums zu identifizie­ren und zu melden.

Im Gegensatz dazu verfügt die WOAH über Instrumente, um die Überwachung der Tiergesundheit zu fördern. Dazu gehö­ren insbesondere der Terrestrial Animal Health Code und der Aquatic Animal Health Code. Anders als bei den IGV gibt es dort Listen von (derzeit 117) Krankheiten, bei denen die Überwachung hohe Priorität hat – auch wenn nicht gelistete Krankheiten ebenfalls gemeldet werden sollen. Eine um­fassendere Überwachung von Wildtieren wäre denkbar, würde es aber erforderlich machen, diese Instrumente zu überarbeiten.

Während WHO, WOAH und FAO mit Überwachungssystemen ausgestattet sind, weist die aus diesen drei Organisationen sowie UNEP bestehende Quadripartite in der »One Health Intelligence Scoping Study« darauf hin, dass UNEP in der Reihe der ko­operativen Aktivitäten unterrepräsentiert ist. Dies wirft die Frage auf, wie das UN-Umweltprogramm an einem erweiterten Global Early Warning System (GLEWS+) zusammen mit WHO, WOAH und FAO be­teiligt werden könnte. Eine Möglichkeit bestünde darin, Verbindungen mit dem UN Biodiversity Lab und dem World Conser­vation Monitoring Centre herzustellen. Sol­che Rahmenprogramme können rele­vante Veränderungen in der biologischen Vielfalt überwachen. Allerdings wird sich hier wohl keine Meldepflicht für Staaten etablieren lassen, da es zu schwierig ist, genaue Para­meter dafür zu bestimmen, welche Staaten wann Bericht erstatten müssen. Doch könn­te UNEP zu einer One-Health-Überwachung beitragen, etwa durch Berichte, die doku­mentieren, wie sich der Klimawandel auf die Migration bekannter Krankheitserreger auswirkt. Eine Identifizierung von Gebie­ten, die davon betroffen sind oder in denen dies wahrscheinlicher wird, wäre ein wich­tiger Schritt für eine genauere Risikobewer­tung.

Prioritätensetzung und Kapazitätsaufbau

Neben der Bestimmung eines Handlungs­rahmens und der Stärkung von Überwa­chungskapazitäten macht der One-Health-Ansatz die forschungsgestützte globale Er­hebung verschiedener Kennzahlen erfor­derlich. Sie sollen es ermöglichen, vorhan­dene Kapazitäten nationaler Behörden etwa zur Prävention von Zoonosen und AMR zu bewerten, unterschiedliche Prioritäten zu identifizieren und die Leistungsfähigkeit der nationalen Politiken einzuschätzen. Anhand solcher Daten, die die gesundheit­lichen, wirtschaftlichen und sozialen Gege­benheiten eines Landes widerspiegeln, könnten Entscheidungsträger und ‑trägerin­nen erkennen, ob im jeweiligen Fall be­stimmte Faktoren mehr Gewicht haben (müssen) als andere. Diese Bewertung muss global und einheitlich erfolgen, bevor nationale Aktionspläne ausgearbeitet wer­den, da der One-Health-Ansatz in einem internationalen Rahmen und gestützt auf gemeinsame Indikatoren umgesetzt werden sollte.

Es gibt verschiedene Modelle sowohl für die Formulierung von One-Health-Ver­pflich­tungen auf internationaler Ebene als auch für ihre Umsetzung durch nationale Behör­den. Eines dieser Modelle findet sich im Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht und dessen Montrealer Proto­koll. Demnach besteht die Hauptverpflich­tung der Staaten darin, die Nutzung chemi­scher Stoffe deutlich zu reduzieren, von denen wissenschaftlich erwiesen ist, dass sie die Ozonschicht unmittelbar schädigen. Zu diesem Zweck gibt es »umsetzbare Auf­gaben« (actionable tasks), wie UNEP sie nennt. Sie bilden Indikatoren dafür, was auf nationaler Ebene implementiert werden muss. Um diese Umsetzung finanziell zu unterstützen, wurde ein multilateraler Fonds eingerichtet. Auch er basiert auf einer viergliedrigen Zusammenarbeit, in diesem Fall zwischen UNEP, dem Entwick­lungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNIDO) und der Weltbank. In ähnlicher Weise könnte der jüngst geschaffene Pan­demiefonds der Weltbank dazu beitragen, dass die Staaten Ressourcen zur Erfüllung von One-Health-Aufgaben bereitstellen, wenn diese formuliert werden.

Global Health Strategy der EU

Die EU hat den Pandemievertrag initiiert und beteiligt sich an den laufenden Ver­handlungen darüber. Mit One Health be­schäftigt sie sich außerdem in ihrer Ende November 2022 veröffentlichten Global Health Strategy. Deren Ziel ist es, Gesund­heit zu einem zentralen Element europäi­scher Außenpolitik zu machen, was nicht zuletzt auch auf das geopolitische Potential von internationalem Gesundheitsengage­ment zurückzuführen ist. Zudem sollen Versäumnisse in der Erreichung der ge­sundheitsbezogenen UN-Ziele für nach­haltige Entwicklung (SDG) aufgeholt wer­den. Die Strategie ist somit als externe Dimension der sich im Aufbau befindlichen Europäischen Gesundheitsunion zu ver­stehen, sie lässt aber auch Rückschlüsse auf interne Priorisierungen zu. Inhaltlich adressiert die Strategie die Determinanten menschlicher Gesundheit; sie nennt im Zusammenhang mit One Health aber auch explizit Klimawandel, Umweltzerstörung und Nahrungsmittelsicherheit.

Die Diskussion des One-Health-Ansatzes in der Global Health Strategy ist deshalb relevant, weil das Dokument als Hand­lungsrahmen verstanden werden kann, der politische Prioritäten der EU-Kommission festlegt, konkrete Handlungsfelder im Be­reich One Health identifiziert und zudem die Mitgliedstaaten zur Unterstützung ein­zelner Maßnahmen auffordert.

One Health in der EU-Gesund­heitsstrategie

Die Global Health Strategy umfasst drei grundsätzliche Prioritäten und 20 Leit­prin­zipien. Bei der dritten Priorität bezieht sich das Dokument auf One Health; dieser An­satz soll verfolgt werden, heißt es dort, um künftige Gesundheitsgefahren zu verhin­dern bzw. zu bekämpfen. Daneben stellen auch die einzelnen Leitprinzipien entspre­chende Bezüge her. Hierbei ist jedoch zu unterscheiden zwischen teils eher generi­schen Referenzen und konkreten Hand­lungsansätzen. Drei Leitprinzipien ent­halten Verweise auf One Health, die von besonderem Interesse sind.

Leitprinzip 9.3 bezieht sich direkt auf das Pandemieabkommen und stellt als des­sen Ziel heraus, einen One-Health-Ansatz zu verfolgen. Die EU-Kommission kann als Verhandlungsführerin zwar ihre aus der Global Health Strategy abgeleiteten Präfe­renzen hinsichtlich eines One-Health-Ansat­zes einbringen; sie muss allerdings das Ver­handlungsmandat des Rats beachten, das die Autorisierung zu Verhandlungen auf Angelegenheiten beschränkt, die in die Zu­ständigkeit der EU fallen. Im Annex zur Ratsentscheidung, der den spezifischen Um­fang des Mandats ausbuchstabiert, wird One Health jedoch explizit als allgemeines Ziel und Grundsatz angeführt; die Kommis­sion kann sich hier also vollumfänglich im Auftrag der Mitgliedstaaten engagieren. In diesem Zusammenhang wird auch die Be­kämpfung von Antimikrobieller Resistenz mittels eines One-Health-Ansatzes genannt. Die Bedrohung durch AMR ist ein Phäno­men, das die Folgen der Beziehung zwi­schen Mensch, Tier und Umwelt unmittel­bar sichtbar werden lässt. So kann etwa die breite Verwendung von Antibiotika in der Human- und Veterinärmedizin das Risiko erhöhen, dass Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten Resistenzen entwickeln. In den Verhandlungen zum Pandemievertrag kann die EU daher – im Rahmen ihrer Kompe­tenzen – One-Health-Aspekte sowie AMR im Sinne der Strategie thematisieren.

Abseits des Pandemieabkommens findet sich das Konzept in Leitprinzip 11.3 der Global Health Strategy; im Zusammenhang mit einer Intensivierung des Kampfes gegen AMR wird hier ein umfassender One-Health-Ansatz formuliert. Als besondere Risiken, die es zu bekämpfen gilt, führt die EU Veränderungen in der Nutzung von Agrar­flächen, Umweltzerstörung, komplexe Lebensmittelproduktion sowie intensiveren Handel und Verkehr an. Zudem wird an der Stelle erneut die Gefahr durch AMR be­nannt und auf die Entwicklung neuer medizinischer Gegenmaßnahmen abgeho­ben.

Konkreter stellt sich die EU in Leitprin­zip 12 auf. Hier wird zunächst das Ziel de­finiert, alle Politiken, die sich auf die glo­bale Gesundheit auswirken, innerhalb der Kommission, der EU-Agenturen und der EU-Finanzierungsinstitutionen zu verknüpfen. Dazu gehört für die EU auch, einen One-Health-Ansatz im künftigen globalen UN-Biodiversitätsrahmen zu fördern sowie den Verlust von Biodiversität, den illegalen Handel mit Wildtieren, die Umweltver­schmutzung und die Exposition gegenüber toxischen Stoffen zu bekämpfen. Obwohl die Global Health Strategy ein Anknüp­fungspunkt für verschiedene Initiativen sein kann, ergeben sich daraus für die EU drei spezifische Handlungsfelder: Zoonosen, AMR und Einbeziehung von Umwelt­agen­turen.

Handlungsmöglichkeiten der EU

Ein erstes Feld, auf dem die EU tätig werden kann, ist die Prävention von Zoonosen. Ent­sprechende Handlungsmöglichkeiten eröff­nen sich vor allem über die Kompetenzen im Bereich des Binnenmarktes nach Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). In der Global Health Strategy spricht die EU explizit von »deep prevention«; Gesundheitsgefahren sollen demnach identifiziert werden, bevor Pathogene von Tieren auf Menschen über­gehen. Besondere Relevanz bei dieser so­genannten Upstream-Prävention kommt dem illegalen, aber auch dem legalen Han­del mit Wildtieren zu, ebenso den Ände­rungen in der Nutzung von Flächen, die mit einer Zerstörung natürlicher Habitate einhergehen.

Zur Umsetzung des Washingtoner Arten­schutzübereinkommens (CITES), das den illegalen Handel mit Wildtieren unter­bin­den soll, existieren bereits zahlreiche Initi­a­tiven, darunter der EU Action Plan Against Wildlife Trafficking, der seinerseits expli­ziten Bezug auf den One-Health-Ansatz nimmt. Während die EU noch immer einer der wichtigsten Umschlagplätze für den illegalen Handel mit Wildtieren ist, bedroht auch der legale Handel die menschliche Gesundheit, denn dabei kann es innerhalb der EU und im Ausland ebenfalls zu Zoo­no­sen kommen. Dies gilt vor allem deshalb, weil Handelsverbote sich primär an der Ge­fährdung der betroffenen Tiere orien­tieren und nicht potentielle Gesundheitsgefahren für Menschen adressieren. Allgemeine Ver­bote erscheinen wenig zielführend, doch könnte die EU analog zur CITES-Verord­nung speziell den Handel mit solchen Tier­arten regulieren, die ein entsprechendes Gefährdungspotential aufweisen. Zur Klas­sifizierung dieses Potentials könnte man das Raster des World Wide Fund For Nature (WWF) nutzen und gleichzeitig relevante Forschungsinstitute einbinden. Je nachdem würde sich dann ein grundsätzliches Han­delsverbot oder eine stärkere Pflicht zu Tes­tung der Wildtiere ableiten lassen. Zudem ist es auch innerhalb der EU beim Handel mit Tieren und vor allem bei der landwirt­schaftlichen Massentierhaltung nötig, die Test- und Überwachungskapazitäten aus­zubauen. So unterstreicht der jüngste Aus­bruch der Vogelgrippe auf einer Nerzfarm in Spanien, dass auch im Innern der EU neue Mutationen auftauchen können, die zoonotisches Potential haben.

Im Kampf gegen AMR könnte es die EU darüber hinaus unterstützen, dass neue medizinische Gegenmaßnahmen entwickelt werden und der Zugang dazu erleichtert wird. Dies betrifft unter anderem anti­mikrobielle Arzneimittel, Impfstoffe und Diagnostika. Hier wird es darauf ankom­men, innovative Anreizsysteme für For­schung und Entwicklung zu etablieren; ebenso gilt es, eine länderübergreifende Zusammenarbeit in öffentlich-privaten Partnerschaften – wie die Innovative Medi­cines Initiative (IMI) – mit Forschungs­projekten im Rahmen des EU-Programms »Horizont 2020« zu fördern. So ließe sich das Risiko, dass Vorhaben scheitern, auf mehrere Mitgliedstaaten und die EU ver­teilen.

Eine solche unterstützende Tätigkeit liegt klar im Kompetenzbereich der EU nach Artikel 6 und 168 AEUV. So plant Brüssel derzeit, als Teil der neuen EU-Arzneimittel­strategie zur Schaffung größerer For­schungs­anreize ein Voucher-Modell einzu­führen. Dieses ist jedoch hochumstritten, vor allem weil alternative Vorschläge wenig diskutiert wurden. So oder so kann ein Anreizmodell nur eine Komponente im Vorgehen der EU sein.

Letztlich ist – ähnlich wie bei GLEWS auf internationaler Ebene – der Umwelt­bereich bei der EU derzeit nicht ausrei­chend vertreten. So basiert etwa das One Health European Joint Programme auf einem Zusammenschluss von 44 nationalen Einrichtungen und Verbänden aus dem Lebensmittel-, Veterinär- und Medizin­bereich. Dabei sind reine Umweltagenturen unterrepräsentiert. Diese Asymmetrie be­einträchtigt die Chancen, das Beste aus einer One-Health-Strategie der EU heraus­zuholen.

Strategie der Bundesregierung

Bereits im Oktober 2020, also zwei Jahre vor Veröffentlichung der europäischen Global Health Strategy, wurde die Strategie der Bundesregierung zur globalen Gesund­heit vorgelegt. Es handelt sich dabei zwar um kein verbindliches Dokument für die Bundesregierung, doch hat die Strategie in­sofern Bedeutung, als sie einen Hand­lungs­rahmen deutscher (Außen-)Politik skizziert, neue Ansätze einführt und Priori­täten festlegt. Dies gilt auch nach dem Ber­liner Machtwechsel von 2021, denn die neue Bundesregierung bezieht sich explizit auf die Strategie und präsentiert sie als Grund­lage des eigenen Handelns.

Inhaltliche Bezüge zu One Health

In dem Dokument nennt die Bundesregie­rung drei strategische Ziele: (1) Priorisie­rung von Bereichen, in denen sich Deutsch­land bestmöglich einbringen kann, (2) mul­tilaterales Handeln und (3) Kohärenz auf allen Ebenen. Bemerkenswert ist, dass sich bereits in den Erläuterungen zum ersten Ziel ein Bezug auf One Health findet. Fest­geschrieben werden hier ein »sektorüber­greifendes Vorgehen« sowie »systemorien­tiertes Handeln« im Sinne dieses Ansatzes. Das erste Ziel gliedert sich in vier Prioritä­ten: (1) Förderung von Gesundheit und Verhinderung von Krankheiten, (2) ganz­heitlicher Umgang mit Umwelt-, Klima- und Gesundheitsthemen, (3) Stärkung von Gesundheitssystemen und (4) Bekämpfung grenzüberschreitender Gefahren.

Unter die erste Priorität fällt zunächst die Bekämpfung von AMR. Schwerpunkte lie­gen hier auf der Umsetzung des Global Health Protection Programme, der Entwick­lung und Umsetzung nationaler Aktions­pläne sowie dem Auf- und Ausbau von Überwachungssystemen. Weiterhin ver­schreibt sich die Bundesregierung dem An­liegen, neue Antibiotika durch globale Produktentwicklungspartnerschaften zu er­for­schen und Berichte über Antibiotika in der Entwicklung (»Pipeline Reports«) zu erstel­len. Im übrigen Dokument finden sich regelmäßig weitere Verweise auf AMR und deren Bekämpfung durch einen One-Health-Ansatz.

Mit Blick auf Zoonosen und die Verhin­derung zukünftiger Epidemien und Pan­demien will die Bundesregierung dieses Konzept gezielt nutzen. Sie beschränkt sich dabei jedoch auf den Hinweis, dass diszi­plin- und sektorenübergreifendes Handeln in Partnerschaft mit den relevanten inter­nationalen Organisationen nötig sei. Kon­kreter werden die Ausführungen, wo es um einen ganzheitlichen Umgang mit Umwelt-, Klima- und Gesundheitsthemen geht. Im Detail strebt die Bundesregierung an, ge­sundheitsgefährdende Umwelt- und Klima­einflüsse zu reduzieren, Artenvielfalt zu erhalten und das Auftreten invasiver Arten zu verhindern.

Bedeutung hat die nationale Ebene vor allem hinsichtlich ressortübergreifender Zusammenarbeit, bei Sorgfaltspflichten von Unternehmen sowie der Anpassung von Gesundheitssystemen. Die deutsche Regie­rung hat bereits 2021 ein informelles minis­terielles Netzwerk zum Thema One Health aufgebaut. Damit sich tatsächlich eine um­fassende Perspektive gewinnen lässt, sind allerdings gesellschaftliche Stakeholder wie Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und der Privatsektor miteinzubeziehen.

Umsetzbarkeit in Deutschland

Es liegt in der Natur des One-Health-Ansat­zes, dass er verschiedene Ministerien gleich­zeitig berührt und eine ressortübergrei­fende Zusammenarbeit erfordert. Während primär das Bundesministerium für Gesund­heit betroffen ist, gilt es andere Häuser in einem institutionalisierten Rahmen eben­falls zu beteiligen. Gefragt sind dabei vor allem das Bundesministerium für Wirt­schaft und Klimaschutz, das Bundesministe­rium für Umwelt, das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, das Aus­wärtige Amt und das Bundesministe­rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Es würde sich anbieten, das informelle One-Health-Netzwerk unter Federführung des Gesundheitsressorts zu institutionalisieren und den Kreis der Betei­ligten um Personen aus Zivilgesell­schaft, Wissenschaft und Privatsektor zu erwei­tern. Ein entsprechendes Gremium könnte Beschlüsse, Verordnungen und Gesetz­entwürfe vorbereiten, die sich mit Aspekten von One Health befassen.

Darüber hinaus muss sich auch das deut­sche Gesundheitssystem unter solchen Gesichtspunkten an eine sich verändernde Welt anpassen. Dabei gilt es zum einen, in der Ausbildung human- und veterinär­medizinischen Personals gezielt One-Health-Ansätze zu vermitteln sowie Medizi­nerinnen und Mediziner in der Diagnose und Behandlung auch bisher in Deutsch­land wenig verbreiteter Zoonosen zu schu­len. Berücksichtigen sollte man dabei ins­besondere neue Zoonosen, die durch den Klimawandel begünstigt werden, wie etwa Dengue und Malaria. Wenn solche bislang als »tropisch« bezeichneten Krankheiten in Europa und Deutschland auftreten, wird es zum anderen nötig werden, entsprechende Behandlungskapazitäten zu erhöhen. Zur­zeit behandeln in Deutschland nur 14 Klini­ken jährlich mehr als zehn Patientinnen und Patienten mit tropischen Krankheiten. Angesichts des fortschreitenden Klima­wandels sollte die Zahl dafür ausgestatteter Krankenhäuser sukzessive erhöht werden.

Vertikale Priorisierungen

Wie durch die bisherigen Ausführungen deutlich wurde, ist es notwendig, nicht nur das One-Health-Konzept konkreter zu fas­sen und horizontal Silodenken abzubauen, sondern auch vertikal Synergien zu schaf­fen und das Handeln besser zu verzahnen. Der internationalen, regionalen und natio­nalen Ebene kommen dabei, wie auch in anderen Politikbereichen, ganz spezifische und auf die jeweiligen Handlungsmöglich­keiten zugeschnittene Rollen zu. Diese Unterschiede werden oftmals nur indirekt adressiert, so dass bislang eine klare Defi­nition von Aufgaben und Rollen fehlt. Im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips ist es jedoch möglich, Funktionen und Ziele auf­zuteilen – je nachdem, ob sie besser auf internationaler, EU- oder nationaler Ebene umsetzbar sind.

Wie im Kontext von Pandemieabkom­men, Global Health Strategy und deutscher Strategie zur globalen Gesundheit gesehen, beschäftigen sich alle Ebenen mit One Health. Doch bedarf es einer vertikalen Aufgabenteilung, in der Prioritäten gesetzt und Ziele zugewiesen werden. Für eine bes­sere Verzahnung sollte man sich allge­mein an etablierten Bereichen vernetzten Regie­rens orientieren, wie zum Beispiel der Landwirtschaft oder dem European Green Deal. Zudem ergeben sich folgende kon­krete Handlungsempfehlungen:

  • Internationale Ebene: Priorität auf inter­nationaler Ebene sollte sein, eine One-Health-Überwachung zu konsolidieren. Zu diesem Zweck gilt es die Quadri­partite durch das Pandemieabkommen zu stärken. Genutzt werden kann in dem Zusammenhang auch der Pan­demic Fund der Weltbank. Die Finan­zierung von Kapazitäten sollte dabei einer kon­textsensitiven Priorisierung folgen. Gleichzeitig muss die Umwelt­dimension auf internationaler Ebene gestärkt wer­den, etwa durch regelmäßige Berichte, Risikoeinschätzungen sowie Risiko­bewertungen, die den Klima­wan­del adressieren. Diese Aspekte des One-Health-Ansatzes kann die deutsche Regierung in verschiedenen Kontexten thematisieren – bei den Verhandlungen über das Pandemieabkommen und die Reform der IGV ebenso wie beim High Level Meeting on Pandemic Prevention, Preparedness and Response, das bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen angesiedelt ist.

  • EU-Ebene: Die Europäische Union und regionale Organisationen können auf einer nachgeschalteten Ebene etwa durch Handelsnormen bzw. ‑verbote darauf Einfluss nehmen, wie One-Health-Ansätze umgesetzt werden. Zusätzlich sollte ein regionaler Zusammenschluss von Staaten initiiert und unterstützt werden, um Anreize für Forschung und Entwicklung zu schaffen sowie Risiken abzufedern.

  • Nationale Ebene: Auf nationaler Ebene braucht es eine stärkere und vor allem institutionalisierte Zusammenarbeit von Ressorts. Ebenso sollten One-Health-Ansätze in Bereiche staatlichen Handelns überführt werden, die sich bislang exklu­siv dem Schutz von Menschen widmen. Zudem müssen nationale Gesundheits­systeme an neue Herausforderungen an­gepasst werden, die durch den Klima­wandel entstehen. Der Unterausschuss Globale Gesundheit des Deutschen Bundestags könnte diese Elemente ein­arbeiten.

Michael Bayerlein ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU/Europa. Dr. Pedro A. Villarreal ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Sie arbeiten im Projekt »Die globale und europäische Gesundheitsgovernance in der Krise«, das vom Bundes­ministerium für Gesundheit (BMG) gefördert wird.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2023

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