Die Dominanz der USA in der Nato ist von Washington strategisch gewollt, wie Johannes Thimm darlegt. Die Europäer können insofern den Drohungen Trumps, sich aus dem Bündnis zurückzuziehen, gelassen begegnen und sich eigenen Prioritäten widmen.
Kurz gesagt, 30.08.2018 Research AreasDie Dominanz der USA in der Nato ist von Washington strategisch gewollt, wie Johannes Thimm darlegt. Die Europäer können insofern den Drohungen Trumps, sich aus dem Bündnis zurückzuziehen, gelassen begegnen und sich eigenen Prioritäten widmen.
Weil die meisten Nato-Mitglieder, darunter Deutschland, weniger als zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung ausgeben, wirft US-Präsident Donald Trump Europa vor, die Vereinigten Staaten auszunutzen. Er fordert eine deutliche Erhöhung der Verteidigungshaushalte – zuletzt sogar auf vier Prozent des BIP – und droht damit, dass die USA ihren Bündnisverpflichtungen andernfalls nicht mehr nachkommen werden. Es ist richtig, dass die Europäer von den amerikanischen Sicherheitsgarantien profitieren, und auch der Vorwurf des »Trittbrettfahrens« ist nicht vollständig aus der Luft gegriffen. Falsch ist jedoch, dass dies zum Nachteil der USA geschieht. Dafür gibt es drei wichtige Erklärungen.
Die Nato ist erstens auch dann ein gutes Geschäft für Washington, wenn man Werte wie die Solidarität unter den Verbündeten außer Acht lässt. Amerikaner, die wie Trump eine gerechtere Lastenverteilung zwischen den USA und Europa fordern, implizieren, dass die USA die Nato hauptsächlich aus altruistischen Gründen unterstütze bzw. Europa einen Gefallen tue. Aber dieses Bild ist unvollständig. Denn die Nato dient als Katalysator für die militärische Macht der USA. Sie verleiht der amerikanischen Position unangefochtener Stärke Legitimität. Europäische Verbündete beteiligen sich an zahlreichen Missionen, etwa in Afghanistan, während die USA die Richtung vorgeben. US-Militärstützpunkte in Europa dienen nicht nur der Verteidigung Europas, sondern auch als logistische Drehscheiben und Ausgangsbasis für Einsätze der USA im Nahen Osten. Auf all diese Vorteile möchte das US-Militär nicht verzichten.
Zweitens hängt der US-Verteidigungshaushalt nicht von den Militärausgaben Europas ab. Es ist irreführend zu behaupten, dass Europa mehr ausgeben muss, damit die USA sparen können. Der Etat des Pentagons richtet sich nach der Einschätzung der US-Regierung, welche Fähigkeiten notwendig sind, um die strategische Dominanz der Vereinigten Staaten aufrechtzuerhalten – und zwar allein, nicht in irgendeiner Allianz. Wenn der Kongress den jährlichen Verteidigungshaushalt verabschiedet, spielen europäische Ausgaben eine untergeordnete Rolle. Im Jahr 2017 erhöhte Präsident Trump das Budget, obwohl auch die Europäer mehr für Verteidigung ausgaben – und das Budget Russlands gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent zurückging. Nach Berechnungen des International Institutes for Strategic Studies machen die US-Ausgaben für die Nato bzw. die Verteidigung Europas mit 30 Milliarden US-Dollar nur etwas mehr als fünf Prozent ihres Verteidigungsbudgets aus. Stellt man diesen 30 Milliarden der USA rund 240 Milliarden US-Dollar europäische Ausgaben für die Nato gegenüber, erscheint das Ungleichgewicht nicht mehr so groß. Auch kann man angesichts dieser Zahlen kaum behaupten, dass die fehlenden Beiträge der Europäer hauptverantwortlich für den US-Verteidigungshaushalt von rund 600 Milliarden Dollar sind.
Schaut man speziell auf die Kosten für das US-Atomwaffenarsenal, wird noch deutlicher, wie losgelöst der US-Haushalt von der Lastenteilung in der Nato ist. Auch die US-Nuklearstrategie legt Washington ungeachtet europäischer Politik fest. Über die nächsten 30 Jahre will die US-Regierung zusätzlich zu den Kosten für den Erhalt des nuklearen Arsenals 400 Milliarden US-Dollar für dessen Modernisierung ausgeben, ein massiver qualitativer Ausbau der nuklearen Fähigkeiten. Dies war zum Teil eine Reaktion auf die russische Aggression in der Ukraine, aber vor allem ein Zugeständnis von Präsident Obama an den republikanischen Kongress im Austausch für dessen Zustimmung zum New-START-Vertrag 2014, in dem sich die USA und Russland verpflichteten, die Anzahl ihrer strategischen Nuklearsprengköpfe zu begrenzen. Wenn Trump wirklich daran interessiert wäre, die Rüstungsausgaben zu senken, würde er ernsthafte Anstrengungen bei der nuklearen Rüstungskontrolle unternehmen. Er lehnte jedoch das Angebot Russlands ab, den New-START-Vertrag über sein Auslaufen im Jahr 2021 hinaus zu verlängern und will stattdessen die Ausgaben für Atomwaffen um fast 20 Prozent erhöhen. Das Ungleichgewicht bei den Verteidigungsausgaben ist damit nicht nur ein Resultat europäischer Sparsamkeit, sondern erwächst auch aus der Strategie der USA, über unerreichbare militärische und nukleare Fähigkeiten zu verfügen.
Dies führt zum dritten Punkt. Es gehört zum Kern der Nato, dass die USA ihren Nuklearschirm auf die europäischen Nato-Mitglieder ausdehnen. Mit der nuklearen Abschreckung, die sich vor allem auf amerikanische Atomwaffen stützt, steht und fällt das Prinzip kollektiver Sicherheit gemäß Artikel 5 des Nato-Vertrages. Alle sollen wissen, dass ein bewaffneter Angriff auf ein Nato-Mitglied einen Atomkrieg auslösen könnte, und daher gar nicht erst in Versuchung geraten. Amerikanische Steuerzahler tragen erhebliche Kosten, um das Atomwaffenarsenal aufrechtzuerhalten, aber zum einen wäre wohl niemand in den USA bereit, auf die nukleare Überlegenheit zu verzichten, und zum anderen verhindert die Schutzgarantie, dass andere Länder selbst nach Atomwaffen streben (die gleiche Logik gilt für die US-Allianzen mit Japan und Südkorea). Weil Trump dieses Modell wiederholt in Frage gestellt hat, werden in Asien und Europa nun Forderungen nach eigenen Nuklearwaffen laut. Es ist zweifelhaft, ob den Interessen der USA besser gedient wäre, wenn in Europa oder Asien ein nukleares Wettrüsten ausbrechen würde.
Den meisten sicherheitspolitischen Akteuren in den USA ist all dies sehr wohl bewusst, kaum jemand unterstützt Trumps Infragestellung der Bündnissolidarität. Europa ist gut beraten, bei der Verbesserung seiner mit ernsthaften Schwächen behafteten militärischen Fähigkeiten eigenen Prioritäten zu folgen. Dabei sollte es nicht zuletzt darum gehen, die Abhängigkeit von den USA in sicherheitspolitischen Fragen jenseits der kollektiven Verteidigung zu verringern. Die periodisch auftretenden Strohfeuer aus dem Weißen Haus können indessen getrost ignoriert werden. Das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels wird weder Trump besänftigen noch Europa sicherer machen.
Dieser Text ist auch auf EurActiv.de und auf Handelsblatt.com erschienen.
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