Mit seinen Anfeindungen gegen die Nato steht US-Präsident Donald Trump im politischen Washington weitgehend alleine da. Deutschland und Europa sollten ihren Fokus daher nicht ausschließlich auf den Präsidenten richten, meint Marco Overhaus
Kurz gesagt, 10.07.2018 Research AreasMit seinen Anfeindungen gegen die Nato steht US-Präsident Donald Trump im politischen Washington weitgehend alleine da. Deutschland und Europa sollten ihren Fokus daher nicht ausschließlich auf den Präsidenten richten, meint Marco Overhaus.
Vor dem Nato-Gipfel am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche nimmt die Verunsicherung über die amerikanische Bündnispolitik in den europäischen Hauptstädten stetig zu. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit vor allem auf Präsident Trump. Tatsächlich geben dessen Äußerungen reichlich Grund zur Besorgnis. Noch wenige Tage vor seinem Amtsantritt erklärte er das Nordatlantische Bündnis für »obsolet« und ließ sich dann viel Zeit, um das Bekenntnis der USA zur kollektiven Verteidigung doch noch zu bekräftigen. Jüngst zitierte das Nachrichtenportal »Axios« den Präsidenten mit der Bemerkung, die Nato sei so schlecht wie das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA, beide seien viel zu teuer für die USA. Andere Medien berichteten, Trump habe Interesse an einem Abzug amerikanischer Truppen aus Deutschland bekundet. Vor dem ersten bilateralen Treffen Trumps mit Vladimir Putin am 16. Juli wird zudem befürchtet, dass der amerikanische Präsident die russische Annexion der Krim anerkennen könnte.
Es gibt gute Gründe, die Äußerungen des US-Präsidenten ernst zu nehmen, der weitreichende Vollmachten, gerade auch in der Außen- und Sicherheitspolitik, hat. Wenn er wollte, könnte er als Oberkommandierender der Streitkräfte das Pentagon anweisen, die amerikanische Beteiligung an Nato-Übungen einzustellen oder US-Truppen aus Europa abzuziehen. Auch hat der amerikanische Kongress seit den Terroranschlägen von 2001 immer mehr sicherheitspolitische Verantwortung an die Exekutive abgetreten. Dennoch ist es wichtig, den Blick nicht nur auf das Weiße Haus zu richten, denn tatsächlich wird der Nato in US-Kongress und -Administration eine große Bedeutung beigemessen.
So ist es schwierig, im amerikanischen Parlament eine einzige Senatorin oder einen einzigen Abgeordneten zu finden, die oder der öffentlich Skepsis oder gar Ablehnung gegenüber der Nordatlantischen Allianz zum Ausdruck bringt. Das gilt für Demokraten ebenso wie für Republikaner. In den einschlägigen Anhörungen der Streitkräfteausschüsse beider Kammern des Parlaments wird derzeit vor allem die Frage diskutiert, wie die USA ihre Beiträge zur Rückversicherung der europäischen Nato-Partner optimieren und ausbauen können. In einigen Bereichen hat das Parlament sogar mehr Mittel für die europäische Sicherheit gebilligt, als die Trump-Administration beantragt hatte. Im Februar 2018 belebten zwei US-Senatoren, die Demokratin Jeanne Shaheen und der Republikaner Thom Tillis, die »Senate Nato Observer Group« neu, die bis 2007 existiert hatte. An dieser Gruppe sollen einflussreiche Mitglieder der Ausschüsse für den Haushalt, für Auswärtiges, Verteidigung und die Geheimdienste mitwirken. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, die Unterstützung des Kongresses für das Nordatlantische Bündnis weiter zu stärken.
Der Kongress verfügt mit der Bewilligung des Haushalts über einen mächtigen Hebel gegenüber dem Präsidenten. Ob die Senatoren und Abgeordneten diesen Hebel tatsächlich nutzen, hängt zwar nicht nur von den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen ab; Entscheidungen stehen auch im Lichte der nächsten Zwischenwahlen im November dieses Jahres, vor der viele Republikaner fürchten, den in ihren Wahlkreisen weiterhin populären Präsidenten offen anzugreifen. Der Beschluss von weitreichenden Sanktionsgesetzen gegen Russland auch gegen den Widerstand des Weißen Hauses hat allerdings gezeigt, dass der Kongress den Konflikt mit Trump nicht unbedingt scheut.
Auch in der Administration, also dem Kreis der Minister, des Spitzenpersonals und der bürokratischen Apparate dominiert die Fürsprache für die Nato. Nicht erst seit der Präsidentschaft Donald Trumps ist das Pentagon ein besonders gewichtiger Akteur in der amerikanischen Sicherheitspolitik. Führende Generäle wie der Oberkommandierende der US-Streitkräfte in Europa, Curtis Scaparrotti, bekräftigen in Washington immer wieder die Bedeutung der Nato für die amerikanische Sicherheit. Seit der russischen Annexion der Krim im Frühjahr 2014 hat sich in weiten Teilen des Verteidigungsministeriums eine Sichtweise durchgesetzt, die die Rivalität mit anderen Großmächten, zuvorderst Russland und China, in den Mittelpunkt stellt. Diese Haltung mag dem deutschen Streben nach sicherheitspolitischem Dialog mit diesen Ländern mitunter entgegenstehen, sie verdeutlicht aber auch den Wert von Bündnissen für die USA. Wichtige Nato-Fürsprecher gibt es auch im US-Außenministerium, das allerdings im ersten Jahr der Amtszeit Trumps stark marginalisiert wurde. Und schließlich sind die Bekenntnisse zum Nordatlantischen Bündnis sowohl in der Nationalen Sicherheitsstrategie von 2017 als auch in der Nuklearstrategie von 2018 Ausdruck der vorherrschenden Sichtweise in der Administration.
Der administrative Apparat ist an die Weisungen des Präsidenten gebunden, er hat jedoch ebenso wie der Kongress Möglichkeiten, auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der USA Einfluss zu nehmen (was er in einigen Fällen, beispielsweise mit der Entscheidung für ein fortdauerndes Afghanistan-Engagement, auch getan hat). Darüber hinaus strukturieren die Beamten und Berater Entscheidungen des Präsidenten vor und beeinflussen deren Umsetzung.
Es kann wenig Zweifel daran geben, dass die USA unter der Präsidentschaft Donald Trumps nicht mehr der Fels in der Brandung sind, an den sich das Bündnis über Jahrzehnte klammern konnte. Der Präsident ist mit seinen Anfeindungen gegen die Nato im Washingtoner Politikbetrieb allerdings – zumindest noch – allein auf weiter Flur. Ob die innenpolitischen und gesellschaftlichen Kräfte, die Trump in das Weiße Haus katapultiert haben, auf lange Sicht auch die breite Unterstützung für Amerikas Allianzen erodieren lassen, ist derzeit noch nicht absehbar.
Angesichts der im Augenblick geltenden innenpolitischen Gemengelage in den USA wäre es klug, sich in Deutschland und anderen europäischen Nato-Staaten nicht darauf zu beschränken, immer wieder auf Zuneigungsbekundungen aus dem Oval Office zu warten. Damit signalisiert Europa vor allem Verunsicherung angesichts seiner eigenen politischen und militärischen Unzulänglichkeiten und schwächt diejenigen in den USA, die für das Bündnis eintreten.
Besser ist es, mit den Ansprechpartnern im Kongress und der Administration eine sachliche Debatte darüber zu führen, wie genau die Nato unter veränderten Rahmenbedingungen Sicherheit für ihre Mitglieder gewährleisten kann und welche Beiträge Deutschland und andere europäische Nato-Partner dafür leisten wollen und können.
Dieser Text ist auch bei Zeit Online erschienen.
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