Obwohl alles dafür spricht, das erfolgreiche Abrüstungsabkommen fortzuführen, sperren sich die USA gegen eine Verlängerung. Dabei wäre es fahrlässig, den letzten Pfeiler der kooperativen Sicherheit gegenüber Russland einzureißen, meint Oliver Meier.
Kurz gesagt, 05.10.2017 Research AreasObwohl alles dafür spricht, das erfolgreiche Abrüstungsabkommen fortzuführen, sperren sich die USA gegen eine Verlängerung. Dabei wäre es fahrlässig, den letzten Pfeiler der kooperativen Sicherheit gegenüber Russland einzureißen, meint Oliver Meier.
Es sind erfreuliche Nachrichten, die das amerikanische Außenministerium Anfang Oktober veröffentlichte: Russland und die Vereinigten Staaten halten schon ein knappes halbes Jahr vor der Frist praktisch alle Obergrenzen des »New START«-Vertrages (New Strategic Arms Reduction Treaty) über die Reduzierung strategischer Atomwaffen ein.
Eigentlich hätten Moskau und Washington erst bis Februar 2018 ihre auf weitreichenden Atomraketen und Bombern stationierten Sprengköpfe auf je 1.550 abbauen müssen. Aktuell liegt Russland aber nur noch elf Sprengköpfe über diesem Limit, die USA bereits rund 150 Waffen darunter. Von den ab Februar erlaubten 700 einsatzbereiten nuklearwaffenfähigen Raketen und Bombern besitzen die USA schon jetzt nur noch 660, Russland lediglich 501.
In Zeiten des gegenseitigen Misstrauens und atomaren Säbelrasselns ist es genauso bemerkenswert wie wichtig, dass die gemeinsame Überwachung dieser Bestimmungen seit Jahren reibungslos verläuft. Fast 14.000 Benachrichtigungen über Änderungen in ihren Atomarsenalen haben Moskau und Washington seit dem Inkrafttreten des »New START«-Abkommens 2011 ausgetauscht. Mehrmals jährlich gewähren sich beide Seiten durch Vor-Ort-Inspektionen gegenseitig tiefe Einblicke in ihre Arsenale. Damit beweisen die Atommächte einander Verlässlichkeit und Transparenz.
Nukleares Dominanzstreben
Diese wichtige Insel der Kooperation gilt es auch und gerade in Zeiten offener Konfrontation und geopolitischer Konkurrenz zu schützen. Der Weg dafür wäre einfach. Das »New START«-Abkommen selbst eröffnet die Möglichkeit einer Verlängerung um fünf Jahre über die eigentlich 2021 endende Laufzeit hinaus. Bisher aber haben die Vereinigten Staaten und Russland noch nicht einmal Gespräche über eine Fortschreibung von »New START« aufgenommen.
Vor allem in Washington mangelt es an der Bereitschaft, das Abkommen zu verlängern. Donald Trump ist besorgt, die Vereinigten Staaten könnten nuklear hinter andere Nuklearwaffenstaaten zurückfallen. Die USA sollten, so sein Versprechen, das »Rudel« der Atomwaffenstaaten »anführen«. »New START« bezeichnete er als »einseitiges Abkommen«.
In Moskau gibt es Entscheidungsträger, die solche Äußerungen gern zum Anlass nehmen würden, nuklear aufzurüsten. Immerhin aber hat sich Russland bereit erklärt, über eine Verlängerung von »New Start« zu reden. Die Vereinigten Staaten täten gut daran, auf dieses Gesprächsangebot einzugehen, um herauszufinden, wie groß Moskaus Bereitschaft zu einer Fortschreibung existierender Begrenzungen tatsächlich ist.
Politische Ignoranz und das Streben nach militärischer Überlegenheit könnten jedoch dazu führen, dass der »New Start«-Vertrag 2021 ausläuft. Einer weiteren nuklearen Aufrüstung stünde dann keine rechtliche Hürde mehr im Weg. Ohne die unter »New START« vereinbarten Verifikationsmaßnahmen würden Russland und die USA im Unklaren über die nuklearen Fähigkeiten der jeweils anderen Seite bleiben, das gegenseitige Misstrauen könnte sich vergrößern – und damit Aufrüstung befördern.
Eine solche Entwicklung ist gegenwärtig gut am Beispiel des INF (Intermediate Range Nuclear Forces)-Vertrags von 1987 über die Abrüstung aller landgestützten Mittelstreckenwaffen zu beobachten. Das heute immer noch gültige Abkommen steht kurz vor dem Scheitern, weil sich Moskau und Washington gegenseitig des Vertragsbruchs beschuldigen. Da das Verifikationsregime 2001 vertragsgemäß auslief, gibt es keine vertragliche Möglichkeit der Überprüfung der Vorwürfe mehr. Eine solche Transparenzlücke gilt es bei den strategischen Waffen zu vermeiden, indem »New START« zumindest so lange verlängert wird, bis Moskau und Washington ein Nachfolgeabkommen ausgehandelt haben.
Militärisch spricht nichts gegen eine Verlängerung
Eine solche Verlängerung liegt auch deshalb nah, weil es keine offensichtlichen militärischen Gründe dagegen gibt. Zwar investieren Russland und die USA viel Geld, um ihre Atomwaffen einsatzsicher, zielgenauer und robuster zu machen. Diese nuklearen Modernisierungsprogramme bleiben aber innerhalb des »New START«-Vertrags erlaubt. Das Abkommen gibt den nuklearen Supermächten weitgehende Freiheit, ihr Nukleararsenal innerhalb der vertraglichen Obergrenzen so zu gestalten, wie es ihnen gefällt.
Eine quantitative Aufrüstung planen weder Russland noch die USA. Im Gegenteil: Die nuklearen Großmächte, die zusammen über mehr als 90 Prozent der weltweit vorhandenen rund 15.000 Atomwaffen verfügen, sind immer noch damit beschäftigt, die nuklearen Altlasten aus dem Kalten Krieg abzubauen.
Zudem erfasst der »New START«-Vertrag nur die tatsächlich stationierten Sprengköpfe. Beide Seiten können eine unbegrenzte Anzahl weiterer Waffen in Reserve halten. Insbesondere die USA machen von dieser Möglichkeit Gebrauch und setzen sich damit russischer Kritik aus. Kein Wunder, dass auch führende amerikanische Militärs in einer Verlängerung des »New START«-Abkommens kein Problem sehen.
Auch russische Pläne würden durch eine Verlängerung nicht behindert. Die gegenwärtig laufende Umstrukturierung des russischen Nukleararsenals ist mit den »New START«-Obergrenzen kompatibel. Taktische Atomwaffen kurzer Reichweite, bei denen Russland einen Vorteil gegenüber dem Westen hat, werden nicht begrenzt.
Vor dem Hintergrund des vorzeitigen Erreichens der Vertragsziele sollten sich Deutschland und die anderen Europäer daher dringlich dafür einsetzen, dass Russland und die USA die Laufzeit des »New START«-Abkommens verlängern. Auch weil der US-Kongress eine Klärung der Vorwürfe zum Bruch des INF-Vertrages zur Voraussetzung für Gespräche über eine Verlängerung von »New START« macht, muss Moskau gedrängt werden, hier endlich Klarheit zu schaffen.
In der Nato sollte gleichzeitig Druck auf Washington ausgeübt werden, sich für eine Verlängerung von »New START« einzusetzen. Dabei könnten die Europäer auch hervorheben, dass der amerikanische Ruf nach mehr Verteidigungsausgaben wenig glaubwürdig ist, wenn Washington gleichzeitig und ohne Not die letzten Pfeiler der kooperativen Sicherheit gegenüber Russland einreißt. Verteidigung und Rüstungskontrolle wurden in der Allianz seit jeher zusammen gedacht. Gerade in diesen politisch schwierigen Zeiten sollte dieses Prinzip aufrechterhalten werden.
Der Text ist auch bei EurActiv.de erschienen.
Ein neuer Vertrag spaltet die Staatenwelt, bietet aber auch Chancen zur Abrüstung
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Paths Towards a Joint Enterprise
Beitrag zu einer Sammelstudie 2016/S 00, 19.01.2016, 55 Pages, pp. 28–32